Fehlerhafte Widerspruchsbelehrung
Gerne fasse ich das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 19. Juni 2024 (IV ZR 401/22) zur fehlerhaften Widerspruchsbelehrung in Lebensversicherungen zusammen.
In Deutschland hatten Versicherungsnehmer bei bestimmten Lebensversicherungsverträgen, die nach dem sogenannten Policenmodell (§ 5a VVG a.F. – altes Versicherungsvertragsgesetz) abgeschlossen wurden, ein Widerspruchsrecht von 14 Tagen.
Diese Frist begann nur zu laufen, wenn der Versicherer den Kunden ordnungsgemäß über dieses Recht belehrte und ihm alle erforderlichen Unterlagen (Versicherungsschein, Versicherungsbedingungen, Verbraucherinformationen) vollständig zur Verfügung stellte.
War die Belehrung fehlerhaft oder fehlten Unterlagen, begann die Frist nie zu laufen. Die Folge: Der Versicherungsnehmer konnte dem Vertrag jederzeit widersprechen, selbst Jahre oder Jahrzehnte später (der sogenannte „ewige Widerspruch“).
Dies führte zur Rückabwicklung des Vertrags, wobei der Kunde in der Regel seine eingezahlten Beiträge plus gezogener Nutzungen (Zinsen etc.) zurückerhielt, abzüglich der Kosten für das Risiko und bereits erhaltener Leistungen.
Der Kläger hatte zwei Kapitallebensversicherungen abgeschlossen, eine im Jahr 2002 und eine im Jahr 2004. Er widersprach beiden Verträgen erst im Jahr 2021, nachdem die Verträge bereits gekündigt bzw. abgelaufen waren. Er forderte die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung.
Die Widerspruchsbelehrung im Begleitschreiben war nicht drucktechnisch hervorgehoben und enthielt einen fehlerhaften Hinweis auf die notwendige Schriftform (statt der damals korrekten Textform).
Schon allein die fehlende drucktechnische Hervorhebung und die falsche Form waren ein erheblicher Mangel.
Das Begleitschreiben nannte im hervorgehobenen Teil als Fristbeginn den „Erhalt dieser Unterlagen“, verwies aber im unmittelbar vorangehenden Satz nur auf den „beigefügten Versicherungsschein“.
Auch diese Belehrung war fehlerhaft. Sie erweckte den unzutreffenden Eindruck, es genüge für den Fristbeginn, nur den Versicherungsschein erhalten zu haben. Tatsächlich musste der Kunde aber alle fristauslösenden Unterlagen (Versicherungsschein, Bedingungen, Verbraucherinfo) erhalten haben. Die unklare Formulierung im Begleitschreiben reichte nicht aus, auch wenn in den beigefügten Versicherungsbedingungen die Unterlagen korrekt aufgeführt waren. Ein solcher Fehler ist nicht geringfügig.
In beiden Fällen kam der BGH zu dem Schluss, dass die Widerspruchsbelehrung nicht ordnungsgemäß war.
Die Vorinstanzen (LG und OLG) hatten die Klage abgewiesen, weil sie meinten, der Kläger handle nach so langer Zeit (17,5 bzw. 19 Jahre) rechtsmissbräuchlich (Verwirkung). Sie sahen in der langen Untätigkeit in Verbindung mit weiteren Umständen (wie der zwischenzeitlichen Abtretung des ersten Vertrages zur Kreditsicherung, der Beendigung/Auszahlung beider Verträge und der Absicht der Renditeoptimierung durch den Widerspruch) sogenannte „besonders gravierende Umstände“, die den Widerspruch ausschließen sollten.
Der BGH sah das anders und hob das Urteil auf.
Was der BGH nicht als „besonders gravierend“ ansieht:
Die lange Zeit allein schließt den Widerspruch nicht aus, da die Frist ja nie zu laufen begann.
Der Wunsch des Kunden, durch die Rückabwicklung besser dazustehen, ist kein rechtsmissbräuchlicher Umstand.
Die bloße Kündigung oder der Ablauf des Vertrags und die Entgegennahme der Ablaufleistung sind kein besonderer Umstand, da sie zur normalen Vertragsdurchführung gehören.
Die festgestellten Fehler (fehlende Hervorhebung, falsche Angabe der fristauslösenden Unterlagen) sind keine nur marginalen Mängel. Ein wesentlicher Fehler schließt die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens durch den Versicherungsnehmer aus.
Der BGH hält die Abtretung (Verpfändung) des Vertrags zur Kreditsicherung im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss für einen Umstand, der geeignet ist, einen besonders gravierenden Umstand zu begründen.
Der einmalige Einsatz des Vertrags als Sicherheit ist in der Regel nicht ausreichend. Das Berufungsgericht hatte seine Entscheidung auf eine fehlerhafte Gesamtwürdigung gestützt, in die es auch die ungeeigneten Umstände (Zeitablauf, Renditeoptimierung) einbezogen hatte. Es ist unklar, ob das Gericht die Abtretung allein für ausreichend gehalten hätte.
Das Urteil stärkt die Rechte von Versicherungsnehmern. Es bestätigt, dass nur eine völlig korrekte und unmissverständliche Belehrung die Widerspruchsfrist in Gang setzt. Selbst wenn der Kunde die richtigen Unterlagen erhielt, aber das Begleitschreiben nur unklar auf den Versicherungsschein (statt aller nötigen Dokumente) als Fristbeginn verwies, ist die Belehrung fehlerhaft.
Die Hürden für die Annahme von Rechtsmissbrauch (§ 242 BGB) wegen des langen Zeitablaufs oder der Renditeabsicht sind weiterhin sehr hoch. Der Fall wurde zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das nun unter Beachtung der BGH-Rechtsauffassung neu prüfen muss, ob besonders gravierende Umstände vorlagen, die den Widerspruch ausnahmsweise ausschließen.
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