FG München, 4 K 1086/13
Aufteilung des erbschaftsteuerrechtlichen Freibetrages für Betriebsvermögen bei Zusammenfall von Erbfall und Nacherbfall
Tenor
Tatbestand
Die Klägerin ist kraft privatschriftlichen Testamentes vom 15. Oktober 2002 Alleinerbin der am 15. März 2003 verstorbenen S (im weiteren Erblasserin). Im Nachlass der Erblasserin befanden sich neben zahlreicher Immobilien auch Gesellschaftsanteile an der Fa. X GmbH & Co. KG … sowie an der Fa. Y GmbH & Co. KG … Die Klägerin ist die Nichte der Erblasserin und wurde zudem im Jahre 1988 von ihr als Erwachsene an Kindes statt angenommen. Die bezeichneten, im Nachlass befindlichen Gesellschaftsanteile hatte die Erblasserin seinerzeit teilweise von ihrer am 14. Oktober 1962 verstorbenen Mutter, M, geerbt. M hatte in ihrem notariellen Testament vom 29. August 1960 bestimmt, dass sie von ihren drei Kindern, A, B, sowie von der Erblasserin zu je einem Drittel beerbt werden sollte. Zudem hatte M verfügt, dass ihre Erben jedoch nur die Stellung von Vorerben erlangen sollten, wenn sie ohne leibliche Abkömmlinge verblieben. Zu Nacherben hatte sie die Abkömmlinge ihrer übrigen Erben bestimmt, wobei der Nacherbfall mit dem Tode des kinderlos verstorbenen Vorerben eintreten sollte. Die Erblasserin hatte im Jahre 1989 wegen der erfolgten Adoption der Klägerin für sich – jedoch letztlich erfolglos – die Ausstellung eines Erbscheins als Miterbin ihrer Mutter, M, ohne die Einschränkung als Vorerbin beantragt. Die Erblasserin hinterließ bei ihrem Tode keine leiblichen Abkömmlinge sondern nur ihre Adoptivtochter, die Klägerin, die ihrerseits leibliche Tochter der verstorbenen B ist. Nach Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung durch die Klägerin am 3. Januar 2006 setzte der Beklagte deren Erbschaftsteuer mit Bescheid vom 19. März 2007 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 226.328,- € fest. Der Steuerfestsetzung legte der Beklagte einen Wert des Erwerbs von 3.092.446,- € zugrunde, von der er wegen des erworbenen Betriebsvermögens einen Freibetrag von 256.000,- € sowie einen 40%igen Wertabschlag in Höhe von 1.451.767,20 € zum Abzug brachte. In der Folgezeit stellten die aufgrund der Belegenheit der im Nachlass befindlichen Immobilien zuständigen Finanzämter die Grundbesitzwerte der Nachlassgrundstücke fest. Außerdem hatten die Klägerin sowie die weiteren zehn Abkömmlinge der vorverstorbenen beiden Geschwister der Erblasserin als Nacherben der M in der Urkunde des Notars … vom 23. August 2007 eine Teilerbauseinandersetzung vereinbart. Im Einzelnen entfielen auf die Nacherben folgende Anteile des Nachlasses der M: C 1/9, D 1/9, E 1/18, F 1/9, G 1/9, H 1/18, J 1/9, K 1/18, L 1/18 sowie N 1/9. Auf die Klägerin entfiel ein Anteil von 1/9 des Nachlasses der M. Mit geändertem Erbschaftsteuerbescheid vom 1. April 2010 passte der Beklagte die Steuerfestsetzung an die festgestellten Grundbesitzwerte an und setzte die Erbschaftsteuer der Klägerin unter gleichzeitiger Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung auf 316.920,- € herauf. Der Steuerfestsetzung lag nunmehr ein Wert des Erwerbs von 3.704.276,- € zugrunde, wobei der Beklagte für die von der Klägerin erworbenen Gesellschaftsanteile einen Wert des Betriebsvermögens von 4.577.268,- € berücksichtigt hatte. Der letztgenannte Betrag umfasste den Wert der als Alleinerbin der Erblasserin erhaltenen Gesellschaftsanteile von 4.503.676,- € sowie den der als Nacherbin der M erhaltenen Gesellschaftsanteile von 73.592,- €. Die weiteren Nacherben C, D, F, G, J und N hatten Anteile an den genannten Gesellschaften im Wert von jeweils 72.673,- €, die Nacherben E, H, K und L Gesellschaftsanteile im Wert von jeweils 36.336,- € erhalten, die der Beklagte erbschaftsteuerrechtlich bei den zehn weiteren Nacherben auch berücksichtigte. Den zunächst allein der Klägerin in voller Höhe gewährten Freibetrag für Betriebsvermögen von 256.000,- € verteilte der Beklagte nunmehr auf die Klägerin und die genannten zehn weiteren Nacherben erstmals nach Köpfen, wodurch auf die Klägerin nur noch eine Quote von 1/11, mithin ein Freibetrag in Höhe von 23.272,72 € entfiel. Dementsprechend ließ der Beklagte zugunsten der Klägerin noch den 40%igen Abschlag auf das Betriebsvermögen von nunmehr 1.821.598,11 € zum Abzug zu. Der mit Schreiben vom 23. April 2010 beim Beklagten fristgerecht eingegangene Einspruch der Klägerin blieb erfolglos und wurde durch Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 18. März 2013 als unbegründet zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 17. April 2013 erhobene und an demselben Tag bei Gericht eingegangene Klage, zu deren Begründung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen wird:
Zivilrechtlich sei die Klägerin zum einen Alleinerbin der Erblasserin in Bezug auf deren eigenes und nicht von der Vorerbschaft betroffenes Vermögen und zum anderen Miterbin zusammen mit den übrigen Nacherben in Bezug auf das von ihrer Großmutter, M, durch Nacherbfall erworbene Vermögen. Steuerrechtlich handle es sich gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der auf den Streitfall anzuwendenden Fassung (ErbStG) um einen einheitlichen Erwerb der Klägerin von der Erblasserin, wobei die übrigen Nacherben wegen des von M stammenden Vermögens ihr gegenüber die Stellung von Miterben hätten. Der klagegegenständliche Erbschaftsteuerbescheid sei zu ändern, weil der Klägerin der Freibetrag für Betriebsvermögen in voller Höhe zustehe. Dies entspreche dem gesetzgeberischen Zweck der Verschonungsregelung, mittelständische Unternehmen vor Gefährdungen durch finanzielle Belastungen zu schützen. Für den Fall einer Mehrheit von freibetragsberechtigten Erben schreibe die gesetzliche Regelung des § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ErbStG vor, die Aufteilung entsprechend einer vom Erblasser schriftlich verfügten Bestimmung vorzunehmen. Eine solche liege zwar im Streitfall ausdrücklich nicht vor, die Schriftform dieser Erklärung sei jedoch kein Selbstzweck, sondern diene nur der Beweiserleichterung. Auch wenn die Erblasserin keine ausdrückliche Aufteilung bestimmt habe, so sei doch ihr, aus ihrem Verhalten deutlich erkennbare Wille zu berücksichtigen, der Klägerin sämtliche Rechte und Begünstigungen zukommen zu lassen. Die Erblasserin habe die Klägerin nicht nur zu ihrer alleinigen Erbin bestimmt sondern auch das – im Ergebnis allerdings erfolglose – Erbscheinsverfahren betrieben, um über eine Gleichstellung der Klägerin als ihrer Adoptivtochter mit den leiblichen Abkömmlingen ihrer Geschwister die einschränkende Wirkung der Vorerbschaft auszuschließen. Hieraus sei zu ersehen, dass die Erblasserin den Freibetrag allein der Klägerin habe zukommen lassen wollen. Folgte man dieser Rechtsansicht nicht, so müsste der Klägerin angesichts des Erwerbes des weitaus größten Teiles des im Nachlass befindlichen Betriebsvermögens der Freibetrag zumindest in diesem Verhältnis zustehen. Fehlt eine wirksame Aufteilungsbestimmung des Erblassers, so bestimme § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 3 ErbStG die Aufteilung des Freibetrages unter mehreren Erben entsprechend ihrem Erbteile. Eine Aufteilung nach Köpfen komme nur zur Anwendung, wenn es sich bei mehreren erbschaftsteuerrechtlichen Erwerbern nicht ausschließlich um Erben handle. Da im Streitfall jedoch nur Erwerbstatbestände aufgrund Erbfalles vorlägen, sei die Aufteilung nach Köpfen unzulässig. Hilfsweise mache die Klägerin von ihrem Recht nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG Gebrauch, für die Besteuerung als Nacherbin ihr Verhältnis zu ihrer Großmutter, M, zugrunde zu legen. Diese Regelung gelte nicht nur für den persönlichen Freibetrag sondern auch für den Freibetrag für Betriebsvermögen. In jedem Fall müsse der Klägerin aber der Freibetrag entsprechend ihrem Anteil an dem insgesamt durch den Erbfall hinterlassenen Betriebsvermögen zustehen.
Die Klägerin beantragt,
den Erbschaftsteuerbescheid vom 1. April 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. März 2013 dahingehend zu ändern, dass die Erbschaftsteuer der Klägerin unter Gewährung des vollen Freibetrages für Betriebsvermögen auf 290.396 € herabgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Bezugnahme auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung hält dieser die Steuerfestsetzung für zutreffend. Da die Erblasserin keine Bestimmung bezüglich der Aufteilung des Freibetrages getroffen habe, scheide der Ansatz der vollen Höhe des Freibetrages aus. Die Erbeinsetzung der Klägerin als Alleinerbin könne nicht als eine solche Aufteilungsbestimmung ausgelegt werden. Die gesetzliche Regelung ergebe nur die Möglichkeit der Aufteilung des Freibetrages nach Köpfen. Diese Rechtsansicht entspreche auch der Verwaltungsvorschrift in Abschnitt R 57 (4) der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2003 (ErbStR 2003), an die der Beklagte gebunden sei. Nicht zuletzt werde dies auch durch das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Januar 2006 II R 56/04, BFHE 213,99, BStBl II 2006, 465 gestützt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 105 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Schriftsätze der Beteiligten, auf die die Klägerin betreffenden Behördenakten und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 21. September 2016 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
a) | Mit dem Tode einer Person (Erbfall) geht gemäß § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über. Die Einsetzung des bzw. der Erben durch eine letztwillige Verfügung kann in Gestalt eines Testamentes erfolgen (§ 1937 BGB). In ordentlicher Form wird ein Testament zur Niederschrift eines Notars oder eigenhändig privatschriftlich errichtet (§§ 2231, 2247 BGB). Der Erbe kann gemäß § 2100 BGB auch in der Weise eingesetzt werden, dass dieser erst Erbe wird (Nacherbe), nachdem zunächst ein anderer Erbe (Vorerbe) geworden ist. Soll bestimmungsgemäß die Nacherbfolge erst mit dem Tode des Vorerben eintreten, so erwirbt der Nacherbe erbrechtlich die Erbschaft vom Erblasser erst zu diesem Zeitpunkt (vgl. § 2106 BGB). Der Erwerb von Todes wegen unterliegt der Erbschaftsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Als ein solcher gilt gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG insbesondere der Erwerb durch Erbanfall (§ 1922 Abs. 1 BGB). Dies gilt nicht nur für den Nacherben bei Eintritt des Nacherbfalles sondern auch für den zuvor stattgefundenen Erwerb durch den Vorerben; denn auch dieser gilt erbschaftsteuerrechtlich in vollem Umfang als Erbe (§ 6 Abs. 1 ErbStG). Obwohl der Nacherbe erbrechtlich Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers wird, hat er erbschaftsteuerrechtlich im Fall des Eintritts der Nacherbfolge den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern (§ 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG). Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG ist auf Antrag des Nacherben der Versteuerung sein Verhältnis zum Erblasser zugrunde zu legen. Geht gleichzeitig auch eigenes Vermögen des Vorerben auf den Nacherben über, sind – nach einem solchen Antrag – beide Vermögensanfälle hinsichtlich der Steuerklasse getrennt zu behandeln (§ 6 Abs. 2 Satz 3 ErbStG). Für das eigene Vermögen des Vorerben kann ein Freibetrag jedoch dann nur gewährt werden, soweit der Freibetrag für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen nicht verbraucht ist (§ 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG). Die Steuer ist für jeden Erwerb jeweils nach dem Steuersatz zu erheben, der für den gesamten Erwerb gelten würde (§ 6 Abs. 2 Satz 5 ErbStG). Beim Erwerb von Betriebsvermögen von Todes wegen bleibt gemäß § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ErbStG insgesamt ein Wert von 256.000 € außer Ansatz. Zum Betriebsvermögen gehören auch Anteile an mitunternehmerschaftlichen Personengesellschaften im einkommensteuerrechtlichen Sinne (§ 13a Abs. 4 Nr. 1 ErbStG). Erfolgt der erbschaftsteuerrechtliche Erwerb des Betriebsvermögens durch mehrere Erwerber ist für jeden ein Teilbetrag von 256.000 € entsprechend einer vom Erblasser schriftlich verfügten Aufteilung des Freibetrages maßgebend (§ 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ErbStG). In Ermangelung einer Aufteilungsverfügung des Erblassers steht der Freibetrag, wenn nur Erben das Betriebsvermögen erwerben, jedem entsprechend seinem Erbteil und sonst den erbschaftsteuerrechtlichen Erwerbern zu gleichen Teilen zu (§ 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 3 ErbStG). |
b) | Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall steht der Klägerin ein Freibetrag in Höhe von 227.072,- € zu. |
2.) Da die Klägerin die Zuerkennung des vollen Freibetrages für Betriebsvermögen beansprucht, ist die Klage, soweit sie über die Gewährung des Teilbetrages von 227.072,- € hinausgeht, unbegründet.
3.) Die festzusetzende Erbschaftsteuer der Klägerin berechnet sich danach wie folgt:
Wert des Erwerbs laut Erbschaftsteuerbescheid vom 1.04.2010 | 3.704.276,00 € |
Freibetrag für Betriebsvermögen laut Urteil (§ 13a Abs. 1 ErbStG) | ./. 227.027,00 € |
40% Wertabschlag für restliches Betriebsvermögen 4.577.268,- € erworbenes Betriebsvermögen Klägerin ./. 227.072,- € Freibetrag laut Urteil 4.350.196,- € restliches Betriebsvermögen 1.740.078,40 € 40% Wertabschlag |
./. 1.740.078,40 € |
Persönlicher Freibetrag (§ 16 ErbStG) | ./. 205.000,00 € |
Verbleibender Erwerb | 1.532.170,60 € |
Steuerpflichtiger Erwerb (gerundet) | 1.532.100,00 € |
Steuertarif 19% nach Steuerklasse I | 291.099,00 € |
4.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Da die Klägerin nur zu einem geringen Teil von weniger als 5% des Streitwertes unterlegen ist, sind die Kosten dem Beklagten in vollem Umfang aufzuerlegen.
5.) Die Revision wird zugelassen, weil die Auslegung der Freibetragsregelung des § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 3 ErbStG in dem hier entscheidungserheblichen Punkt grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 1 und 2 Nr. 1 FGO).