FG München 4 K 1948/17

September 29, 2022

FG München 4 K 1948/17 Urteil v. 17.10.2018 Hinzurechnung von Pflichtteilsansprüchen zum Anfangsvermögen – Erbschaftsteuerbescheid

Tenor

1. Der Erbschaftsteuerbescheid vom 24. Juli 2012 in Gestalt des geänderten Erbschaftsteuerbescheides vom 12. November 2014 sowie der die Erbschaftsteuer ändernden Einspruchsentscheidung vom 4. Juli 2017 wird dahingehend geändert, dass die Erbschaftsteuer auf 216.752 € herabgesetzt wird.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Tatbestand FG München 4 K 1948/17

Die Beteiligten streiten über die Höhe des nicht der Erbschaftsteuer unterliegenden fiktiven Zugewinnausgleichsanspruches des Klägers als Erbe seiner verstorbenen Ehefrau.

Am 30. April 2009 verstarb …, die Ehefrau des Klägers, (im Weiteren: Erblasserin) in B. Der Kläger und die Erblasserin lebten gemeinsam im Wesentlichen an der aktuellen Adresse des Klägers in B und wiederkehrend in der dem Ehepaar gehörenden Eigentumswohnung in M, wobei nur die Erblasserin mit Wohnsitz an der genannten Adresse in M gemeldet war.

Die Erblasserin wurde laut gemeinsamen Erbscheins des Amtsgerichts M vom 10. Juni 2011 zu ¾ vom Kläger, und zu je 1/8 von ihren beiden Neffen, …, beerbt.

Die Erblasserin war in früheren Jahren selbst Beteiligte in zwei Erbfällen gewesen. Zum einen hatte sie gemeinsam mit ihrer Schwester … im Jahre 1977 E beerbt.

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Nach dem Tode ihrer Mutter, T, am 21. Januar 2005, die allein von den beiden Neffen der Erblasserin beerbt worden war, hatte sie gegen diese seinerzeit ihren Pflichtteilsanspruch geltend gemacht, der jedoch zu keinem Zeitpunkt erfüllt wurde.

Wegen der seinerzeitigen Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches durch die Erblasserin hatte der Beklagte gegen jene mit Steuerbescheid vom 3. Februar 2006 über einen Erwerb von Todes wegen im Wert von 297.431 € gegen die Erblasserin Erbschaftsteuer in Höhe von 10.164 € festgesetzt.

Der Nachlass der Erblasserin, über den sich der Kläger mit den beiden weiteren Miterben durch notarielle Vereinbarungen vom 15. November 2011 und 5. September 2012 auseinandersetzte, bestand im Wesentlichen aus einer Mehrzahl von Immobilien sowie aus Kapitalvermögen.

Nach Abgabe der Erbschaftsteuererklärung des Klägers am 9. Juli 2012 setzte der Beklagte gegen jenen mit Bescheid vom 24. Juli 2012 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung Erbschaftsteuer in Höhe von 348.536 € fest. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 24. August 2012 Einspruch ein.

Nach Bekanntgabe der für die im Nachlass befindlichen Immobilien ergangenen Feststellungsbescheide setzte der Beklagte unter Berücksichtigung der festgestellten Grundbesitzwerte die Erbschaftsteuer des Klägers mit Bescheid vom 12. November 2014 auf 248.862 € herab.

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Der geänderten Steuerfestsetzung lag ein Wert des erbschaftsteuerrechtlichen Erwerbes von 3.734.691,75 € zugrunde, von dem u.a. ein Wert von 1.593.071 € für den fiktiven Zugewinnausgleichsanspruch des Klägers von der Besteuerung ausgenommen war.

Auch gegen die geänderte Steuerfestsetzung legte der Kläger, diesmal mit Schreiben vom 16. Dezember 2014 mit der Begründung Einspruch ein, der Ansatz des Zugewinnausgleichsanspruches sei zum einen wegen eines zu geringen Verkehrswertansatzes der Immobilien und zum anderen wegen der unzutreffenden Berücksichtigung des Pflichtteilsanspruches der Erblasserin aus dem Erbfall des Jahres 2005 als Teil ihres eherechtlichen Anfangsvermögens zu gering.

Der Einspruch des Klägers blieb im Wesentlichen erfolglos. Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Juli 2017 setzte der Beklagte die Erbschaftsteuer des Klägers wegen zwischenzeitlich geänderter Feststellung der Grundbesitzwerte auf 245.955 € herab und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück.

Der geänderten Steuerfestsetzung lag nunmehr nur noch ein Wert des erbschaftsteuerrechtlichen Erwerbes von 3.688.639,25 € zugrunde, von dem u.a. ein Wert von 1.562.370 € für den fiktiven Zugewinnausgleichsanspruch des Klägers von der Besteuerung ausgenommen war.

Den fiktiven Zugewinnausgleichsanspruch des Klägers ermittelte der Beklagte nach den Angaben des Klägers zum jeweiligen Anfangsvermögen beider Ehegatten im Jahre 1975 und deren Endvermögen im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin im Jahre 2009 unter Berücksichtigung der Kaufkraftänderung durch Anpassung des jeweiligen Anfangsvermögens an die geänderten Jahresverbraucherpreisindices.

Dem Anfangsvermögen der Erblasserin rechnete der Beklagte für den Erwerb von Todes wegen aus dem Jahre 1977 einen Nominalwert von 666.000 € sowie für den Pflichtteilsanspruch aus dem Erbfall im Jahre 2005 einen Nominalwert von 287.267 € hinzu, wobei er die beiden Nominalwerte zuvor mit dem Quotienten aus den Verbraucherpreisindices (Basisjahr 2005 ≙ 100%) für das Todesjahr der Erblasserin und für das Erwerbsjahr multiplizierte.

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Für die Hinzurechnung des Pflichtteilsanspruches der Erblasserin aus dem Jahre 2005 ergab sich hierdurch zur Berücksichtigung der Kaufkraftentwicklung von 2005 bis 2009 ein Wert von 307.375 € (d.h. 287.267 € x 107/100).

Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 1. August 2017 erhobene Klage, die der Kläger wie folgt begründet:

Der klagegegenständliche Erbschaftsteuerbescheid sei zu ändern, weil die hierin festgesetzte Erbschaftsteuer überhöht sei.

Der gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) von der Besteuerung mit Erbschaftsteuer auszunehmende Zugewinnausgleichsanspruch des Klägers sei nach familienrechtlichen Grundsätzen, insbesondere nach Maßgabe des § 1371 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), zu ermitteln und im Streitfall zu niedrig angesetzt.

Zugewinn sei gemäß § 1373 BGB der Unterschiedsbetrag zwischen dem Endvermögen und dem Anfangsvermögen eines Ehegatten.

Das Anfangsvermögen bestimme sich nach der Definition des § 1374 Abs. 1 BGB, wobei Vermögen, das ein Ehegatte nach Eintritt des Güterstandes von Todes wegen erwirbt, grundsätzlich dem Anfangsvermögen gemäß § 1374 Abs. 2 BGB hinzugerechnet werde.

Dies gelte jedoch nicht für den früheren Pflichtteilsanspruch der Erblasserin.

Zwar habe sie diesen nach dem Tode ihrer Mutter ursprünglich gegen ihre beiden Neffen geltend gemacht, jedoch letztlich nie durchgesetzt und deshalb tatsächlich nichts erhalten.

Zwischenzeitlich sei der Anspruch verjährt, worauf sich die Erben auch berufen hätten und bis heute berufen würden.

Es genüge nicht, dass der Erblasserin nach dem Erbfall im Jahre 2005 ein Pflichtteilsanspruch zugestanden habe.

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Da die Erblasserin aufgrund ihres Pflichtteilanspruches aus dem Nachlass ihrer Mutter zu keinem Zeitpunkt tatsächlich etwas erlangt habe, sei ihr güterrechtliches Anfangsvermögen gegenüber der Berechnung des Beklagten um 307.375 € zu hoch, bzw. der fiktive Zugewinnausgleichsanspruch des Klägers um die Hälfte dieses Betrages zu niedrig angesetzt.

Der Kläger beantragt,
den Erbschaftsteuerbescheid vom 24. Juli 2012 in Gestalt des geänderten Erbschaftsteuerbescheides vom 12. November 2014 sowie der die Erbschaftsteuer ändernden Einspruchsentscheidung vom 4. Juli 2017 dahingehend zu ändern, dass die Erbschaftsteuer auf 216.752 € herabgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Nach seiner Ansicht sei der Pflichtteilsanspruch der Erblasserin zu Recht zu ihrem güterrechtlichen Anfangsvermögen addiert worden. Der Pflichtteilsanspruch der Erblasserin sei eine übertragbare und vererbbare Geldforderung und habe deshalb deren Anfangsvermögen entsprechend erhöht. Ob die Geldforderung durch Bezahlung erfüllt worden sei, sei nicht von Bedeutung.

Auf richterliche Anordnung vom 17. Juli 2018 trägt der Kläger im Schriftsatz vom 22. August 2018 ergänzend vor, dass die Erblasserin den ihr nach dem Tode ihrer Mutter im Jahre 2005 gegenüber ihren beiden Neffen zustehenden, jedoch von letzteren bestrittenen Pflichtteilsanspruch mehrfach schriftlich und mündlich geltend gemacht, diesen jedoch wegen der bei ihr im April 2006 diagnostizierten schweren Depression mit psychotischen Symptomen nicht durchgesetzt habe.

Sie sei aufgrund des weiteren Verlaufes ihrer Erkrankung weder in der Lage gewesen über einen Pflichtteilsverzicht noch über die Durchsetzung ihres Anspruches zu entscheiden oder dem Kläger hierfür eine Vollmacht zu erteilen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 105 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Schriftsätze der Beteiligten, auf die den Kläger betreffenden Behördenakten und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 2018 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe

1.) Die fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Klage ist begründet.

a) Der Erbschaftsteuer unterliegt der Erwerb von Todes wegen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).

Als solcher gilt gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Erwerb durch Erbanfall im Sinne des § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

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Wird der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft (§ 1363 BGB) durch den Tod eines Ehegatten beendet, und der Zugewinn nicht nach § 1371 Abs. 2 BGB ausgeglichen, weil der hinterbliebene Ehegatte den verstorbenen beerbt, gilt gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 ErbStG beim überlebenden Ehegatten der Betrag, den er nach Maßgabe des § 1371 Abs. 2 BGB als Ausgleichsforderung geltend machen könnte, nicht als Erwerb im Sinne des § 3 Abs. 1 ErbStG.

Bei der Berechnung dieses Betrages zu erbschaftsteuerrechtlichen Zwecken bleiben von den Vorschriften der §§ 1373 bis 1383 und 1390 BGB abweichende güterrechtliche Vereinbarungen unberücksichtigt (§ 5 Abs. 1 Satz 2 ErbStG).

Mithin ist der im Falle des Erwerbes von Todes wegen von der Erbschaftsteuer freizustellende fiktive Zugewinnausgleichsanspruch des erwerbenden hinterbliebenen Ehegatten ohne Rücksicht auf etwaige individuelle güterrechtliche Vereinbarungen nach Maßgabe der oben genannten familienrechtlichen Vorschriften zu ermitteln.

Zugewinn ist danach jeweils der Betrag, den das Endvermögen eines jeden Ehegatten sein Anfangsvermögen übersteigt (§ 1373 BGB).

Anfangsvermögen ist das Vermögen, das dem Ehegatten nach Abzug der Verbindlichkeiten bei Eintritt des Güterstandes gehört (§ 1374 Abs. 1 BGB).

Vermögen, das ein Ehegatte nach Eintritt des Güterstandes von Todes wegen oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht, durch Schenkung oder als Ausstattung erwirbt, wird nach Abzug der Verbindlichkeiten dem Anfangsvermögen hinzugerechnet, soweit es nicht den Umständen nach zu den Einkünften zu rechnen ist (§ 1374 Abs. 2 BGB).

Endvermögen ist das Vermögen, das einem Ehegatten nach Abzug der Verbindlichkeiten bei der Beendigung des Güterstandes gehört (§ 1375 Abs. 1 Satz 1 BGB).

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Der Berechnung des Anfangsvermögens wird derjenige Wert zugrunde gelegt, den das beim Eintritt des Güterstandes vorhandene Vermögen in diesem Zeitpunkt, bzw. das dem Anfangsvermögen hinzuzurechnende Vermögen im Zeitpunkt des Erwerbes hätte (§ 1376 Abs. 1 BGB).

Allerdings ist nach ständiger zivilgerichtlicher Rechtsprechung die durch den Kaufkraftschwund des Geldes in der Zeit des Bestehens des gesetzlichen Güterstandes eingetretene, nur nominelle Wertsteigerung des Anfangsvermögens kein Zugewinn im Sinne des § 1373 BGB (vgl. für viele: Bundesgerichtshof – BGH – Urteil vom 14. November 1973 IV ZR 147/72, BGHZ 61, 385).

Dementsprechend ist der zwischen dem Zeitpunkt des Beginns des Güterstandes und seiner Beendigung eingetretene Kaufkraftschwund durch Anwendung eines Quotienten bestehend aus den Jahresverbraucherpreisindices zum Ende und zum Beginn des Güterstandes auf den Nominalwert des Anfangswertes zu berücksichtigen (vgl. Palandt/Brudermüller BGB 77. Auflage 2018, § 1376 Rdnr. 38ff).

Im Falle von hinzuzurechnendem Vermögen im Sinne des § 1374 Abs. 2 BGB ist eine dementsprechende Anpassung des Nominalwertes durch Berücksichtigung des zwischen dem Vermögenserwerb und der Beendigung des Güterstandes eingetretenen Kaufkraftschwundes vorzunehmen.

Die kaufkraftbedingte Anpassung des Anfangsvermögens gilt auch für die Berechnung des fiktiven Zugewinnausgleichsanspruches für Zwecke des § 5 Abs. 1 Satz 1 ErbStG (vgl. Bundesfinanzhof – BFH – Urteil vom 27. Juni 2007 II R 39/05, BFHE 217, 248, BStBl II 2007, 783).

Der Vergleich des auf die bezeichnete Weise ermittelten Anfangsvermögens eines jeden Ehegatten zu dem nach §§ 1375, 1376 Abs. 2 BGB zu bemessende Endvermögen ergibt den jeweiligen Zugewinn.

Der Zugewinnausgleichsanspruch bemisst sich durch die Hälfte des Überschusses, den der Ehegatte mit dem höheren Zugewinnbetrag über den Zugewinn des anderen Ehegatten erzielt hat (§ 1378 Abs. 1 BGB).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist die klagegegenständliche Erbschaftsteuer überhöht.

aa) Gegen die für die Anpassung des güterrechtlichen Anfangsvermögens des Klägers und vor allem der Erblasserin verwendeten Verbraucherpreisindices, sowie gegen die hieraus errechneten Quotienten bestehen keine wesentlichen rechtlichen Bedenken. Insbesondere hat der Beklagte zu Recht die Verbraucherpreisindices auf der Grundlage eines Basiswertes von 100% für das Jahr 2005 angewendet.

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Es haben zwar im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung am 4. Juli 2017 bereits die aktuelleren Vergleichswerte auf der Grundlage eines für 2010 angenommenen Basiswertes von 100% vorgelegen (vgl. Palandt/Brudermüller BGB 77. Aufl. 2018, § 1376 Rdn. 41), aus denen sich für den Streitfall geringfügige rechnerische Abweichungen ergeben würden.

Angesichts des im Streitfalle maßgeblichen erbschaftsteuerlichen Stichtages des 30. April 2009 ist die Verwendung des früheren Bezugsjahres rechtlich zutreffend.

Auch wenn der durch den Beklagten für das Jahr 1975 verwendete Verbraucherpreisindex um 0,3% und für das Jahr 1977 um 0,4% von dem Jahresverbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes (Basisjahr 2005) abweicht (vgl. Palandt/Brudermüller BGB 69. Aufl. 2010, 1376 Rdnr. 31), sieht der Senat keine Veranlassung zur Korrektur, zumal die Abweichung nur geringfügig ist und die im Streitfalle errechneten Werte zwischen den Beteiligten unstreitig sind.

bb) Der Senat sieht jedoch die Berücksichtigung des Wertes des Pflichtteilanspruches der Erblasserin aus dem Erbfalle im Jahre 2005 als zum güterrechtlichen Anfangsvermögen der Erblasserin hinzuzurechnenden Vermögen nicht als berechtigt an.

Grundsätzlich wird im Falle des gesetzlichen Güterstandes der ehelichen Zugewinngemeinschaft (§§ 1363 ff BGB) jeder Vermögenszuwachs, der in der Ehe von dem einen oder dem anderen Ehegatten erzielt worden ist, als durch die gemeinsamen Anstrengungen beider Ehegatten erworben oder erspart, und damit als Zugewinn nach § 1373 BGB angesehen (vgl. Burkhard Thiele in Staudinger BGB Band. 4 Familienrecht 2017, § 1374 Rdn. 22).

Hiervon wird allerdings nach § 1374 Abs. 2 BGB u.a. dasjenige Vermögen ausgenommen, dass ein Ehegatte während der Dauer des gesetzlichen Güterstandes von Todes wegen erworben hat.

Hinter dieser Ausnahmeregelung steht der Gedanke, dass der hier genannte Erwerb von keinem der beiden Ehegatten erarbeitet ist.

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Ein Erwerb von Todes wegen hat schließlich nichts mit der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zu tun (vgl. Muscheler Familienrecht 4. Aufl. 2017 § 21 Rdn. 361; Marina Wellenhofer Familienrecht 3. Aufl. 2014, § 16 Rdn. 11).

Der Vermögenserwerb von Todes wegen ist daher durch Hinzurechnung zum güterrechtlichen Anfangsvermögen nach § 1374 Abs. 2 BGB privilegiert und bewirkt eine entsprechende Minderung des Zugewinnausgleichsanspruches (vgl. MünchKomm BGB/Koch 5. Aufl. 2010 § 1374 Rdn. 16; Kappler/Kappler in Soergel BGB 13. Aufl. 2012 § 1374 Rdn. 26; Gernhuber/Coester-Waltjen Familienrecht 6. Aufl. 2010 § 36 III Rdn. 24; Schwab Handbuch des Scheidungsrechts 3. Aufl. 1995, Teil VII Zugewinnausgleich Rdn. 107, S. 1503; Weinrich in Weinreich/Klein Familienrecht 2. Aufl. 2005 § 1374 Rdn. 31).

Nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 1374 Abs. 2 BGB setzt die Hinzurechnung zum güterrechtlichen Anfangsvermögen eines im gesetzlichen Güterstand lebenden Ehegatten jedoch einen tatsächlichen Vermögenserwerb von Todes wegen voraus.

Ein solcher ist etwa im Falle des Erwerbes kraft Erbenstellung (§ 1922 Abs. 1 BGB) ohne weiteres gegeben, denn der gesetzliche oder gewillkürte Erbe rückt mit dem Ableben des Erblassers als Gesamtrechtsnachfolger in Bezug auf den gesamten Nachlass kraft Gesetzes in dessen Rechtstellung ein.

Ein auf diese Weise erworbenes Vermögen kann in unbeweglichen Sachen, in Kapitalvermögen, in Rechten oder auch in schuldrechtlichen Ansprüchen bestehen.

So erhöht beim Erbanfall (§ 1922 Abs. 1 BGB) auch der Erwerb von Geldforderungen das güterrechtliche Anfangsvermögen, wie etwa im Falle eines Forderungsbestandes der im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den Erben übergeht.

Dabei kommt es auf das weitere rechtliche Schicksal der von Todes wegen durch den Ehegatten erworbenen schuldrechtlichen Ansprüche nach dem Zeitpunkt ihres Erwerbes nicht mehr an.

Wird der vererbte schuldrechtliche Anspruch beispielsweise wegen Unmöglichkeit der Leistung, Einrede der Verjährung durch den Schuldner oder Eintritt der Insolvenz des Schuldners später wertlos oder deswegen nicht mehr erfüllt, weil der Gläubiger aus persönlichen Gründen die Schuld erlässt, so ändern diese Umstände grundsätzlich nichts mehr an dem ursprünglichen Vermögenserwerb und dessen güterrechtlicher Berücksichtigung als im Sinne des § 1374 Abs. 2 BGB hinzuerworbener Teil des rechnerischen Anfangsvermögens.

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Dem Beklagten ist insoweit zuzustimmen, dass auch der Erwerb von Todes wegen, den ein im gesetzlichen Güterstand lebender Ehegatte aufgrund eines Pflichtteilsanspruches im Sinne der Vorschrift des § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB erlangt, zum Erwerb von Vermögen führen kann, das dem güterrechtlichen Anfangsvermögen im Sinne des § 1374 Abs. 2 BGB hinzuzurechnen ist.

Voraussetzung ist aber, dass der im gesetzlichen Güterstand lebende Ehegatte aufgrund seines Pflichtteilsrechtes tatsächlich Vermögen erworben hat.

Anders als beim Erbanfall, durch den das gesamte Vermögen kraft Gesetzes unmittelbar auf den bzw. die Erben als Gesamtrechtsnachfolger übergeht, ist ein Pflichtteilsberechtigter im Sinne des § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB lediglich befugt, seinen schuldrechtlichen Anspruch gegen den bzw. die Erben geltend zu machen.

Allein das Pflichtteilsrecht bewirkt noch keinen Vermögenszuwachs im Sinne der güterrechtlichen Vorschrift des § 1374 Abs. 2 BGB, zumal es von dem Berechtigten nicht zwingend ausgeübt werden muss. Ein Vermögenserwerb des Pflichtteilsberechtigten im Sinne des § 1374 Abs. 2 BGB findet erst mit Erfüllung des geltend gemachten Pflichtteilsanspruches statt.

Dieses Rechtsverständnis erklärt sich aus dem Zweck der den Zugewinnausgleich regelnden eherechtlichen Normen (§§ 1363 ff BGB), die auf den paritätischen Ausgleich der real erworbenen Vermögen der Ehegatten gerichtet sind.

In diese Berechnung ist deshalb aus eherechtlicher Sicht nur das zu Beginn und zum Ende des Güterstandes tatsächlich vorhandene Vermögen, bzw. das im Laufe des Bestehens des Güterstandes von Todes wegen tatsächlich hinzuerworbene Vermögen einzubeziehen. Bloße Vermögenserwerbschancen, die nicht realisiert worden sind, müssen daher unberücksichtigt bleiben.

Dieses Verständnis der eherechtlichen Norm des § 1374 Abs. 2 BGB hat wegen § 5 Abs. 1 Satz 1 ErbStG auch für den von der Erbschaftsteuer ausgenommenen fiktiven Zugewinnausgleichsanspruch zu gelten und findet daher auf den Pflichtteilsanspruch der Erblasserin aufgrund des Erbfalles im Jahre 2005 Anwendung.

Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Erblasserin im Jahre 2005 aufgrund des Todes ihrer Mutter gegen deren Erben den ihr nach § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB zustehenden Pflichtteilsanspruch zwar geltend gemacht, jedoch nicht durchgesetzt hat.

Mithin hat ein Vermögenserwerb der Erblasserin aufgrund ihres zweifellos damals bestehenden Pflichtteilsrechtes zu keinem Zeitpunkt stattgefunden.

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Im Ergebnis unterscheidet sich die güterrechtliche auch nicht von der erbschaftsteuerrechtlichen Betrachtung.

Es ist dem Beklagten zwar einzuräumen, dass im Falle eines Erwerbes von Todes wegen aufgrund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruches im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG die Erbschaftsteuer bereits im Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruches gegen den Erben entsteht (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b ErbStG).

Gleichwohl verlangt der Besteuerungstatbestand des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ausdrücklich einen „Erwerb aufgrund des geltend gemachten Pflichtteilsanspruches“ und die erbschaftsteuerrechtliche Bemessungsgrundlage für diesen Erwerb richtet sich nach der Höhe der tatsächlichen Bereicherung des Erwerbers orientiert (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG).

Mithin wird auch erbschaftsteuerrechtlich allein die Tatsache der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches zu keiner Erbschaftsteuer führen können, wenn der Pflichtteilsberechtigte mangels Durchsetzung oder auch Durchsetzbarkeit des Anspruches keine Vermögensbereicherung erfährt.

Es kann letztlich dahin gestellt bleiben, ob die Rechtslage anders zu beurteilen gewesen wäre, falls die beiden Neffen der Erblasserin ihre Verpflichtung aus dem Pflichtteilsrecht der Erblasserin anerkannt hätten und die Erfüllung des Pflichtteilsanspruches nur deshalb unterblieben wäre, weil ihnen die Erblasserin aus persönlichen Gründen den hierin liegenden Vermögenswert hätte zukommen lassen wollen.

Dann hätte sich die Frage gestellt, ob der erfüllungsersetzende Verzicht aus persönlichen Gründen als Vermögenserwerb im Sinne des § 1374 Abs. 2 BGB hätte gelten können.

Für eine solche Annahme bestehen jedoch nach dem Sachvortrag der Beteiligten, insbesondere unter Berücksichtigung des Sachvortrags des Klägers im Schriftsatz vom 22. August 2018 keine Anhaltspunkte.

Der Kläger hat überzeugend dargelegt, dass die Erblasserin aufgrund ihrer schweren psychischen Erkrankung in den Jahren 2006 bis zu ihrem Tode weder zur Durchsetzung ihres Anspruches in der Lage gewesen ist, noch ausdrücklich einen Verzicht auf ihren Pflichtteilsanspruch erklärt hat.

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2.) Im Rahmen der Besteuerungsgrundlagen für die Erbschaftsteuer berechnet sich der fiktive Zugewinnausgleichsanspruch des Klägers demnach wie folgt:

Erblasserin

Kläger

Anfangsvermögen 1975: 50.000 x 107/47,1

113.588

113.588

Hinzuerwerb durch Erbfall 1977: 666.000 x 107/50,9

1.400.039

Berichtigtes Anfangsvermögen:

1.513.627

113.588

Güterrechtliches Endvermögen

5.208.998

376.843

Zugewinn der Ehegatten

3.695.371

263.255

Zugewinn der Erblasserin

3.695.371

./. Zugewinn des Klägers

./. 263.255

Differenz der Zugewinnbeträge

3.432.116

Zugewinnausgleich 50%

1.716.058

Die Erbschaftsteuer des Klägers ist danach wie folgt zu ermitteln:
Wert d. erbschaftsteuerl. Erwerbes laut Einspruchsentscheidung vom 4.07.2017

3.688.639,25

Freibetrag für Hausratsgegenstände

./. 750,00

Freibetrag für eigengenutztes Familienheim

./. 75.000,00

fiktiver Zugewinnausgleichsanspruch

./.1.716.058,00

Verbleibender Wert des Erwerbes

1.896.831,25

Freibetrag § 16 ErbStG

./. 500.000,00

Freibetrag § 17 ErbStG

./. 256.000,00

Restbetrag

1.140.831,25

Erbschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage auf volle Hundert € abgerundet

1.140.800,00

Festzusetzende Erbschaftsteuer bei Steuersatz 19% nach Steuerklasse I

216.752,00

3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4.) Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und des Vollstreckungsschutzes folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 1, Abs. 3 FGO in Verbindung mit der sinngemäß anzuwendenden Vorschrift des § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung.

5.) Die Revision wird zugelassen, weil die Auslegung der Vorschrift des § 1374 Abs. 2 BGB im Rahmen der Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 1 ErbStG in dem hier entscheidungserheblichen Punkt grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 1 und 2 Nr. 1 FGO) und – soweit ersichtlich – bislang noch nicht bundesgerichtlich geklärt ist.

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