Fortgeltung von Altvereinbarung in Wohnungseigentumsanlage
Gerne fasse ich das Urteil des Landgerichts Itzehoe zur Fortgeltung einer alten Vereinbarung in einer Wohnungseigentumsanlage zusammen.
Das Urteil des LG Itzehoe vom 15. Juli 2024 (Az. 11 S 25/23) befasst sich mit der Frage, ob eine alte Vereinbarung von Wohnungseigentümern zur Genehmigung von baulichen Veränderungen in ihrer Gemeinschaft auch nach der umfassenden Reform des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) im Jahr 2020 weiterhin gültig ist.
Es handelt sich um eine Wohnungseigentümergemeinschaft, die aus zehn „Eigenheimen“ besteht. Die Eigentümer hatten 1999 eine Gemeinschaftsordnung (GO) vereinbart, die die Regelungen des WEG in Teilen abändern sollte, da die gesetzlichen Bestimmungen die Besonderheiten ihrer Anlage (die wie wirtschaftlich getrennte Einheiten behandelt werden sollte) nicht angemessen lösten.
Jeder Eigentümer kann bauliche Maßnahmen an seinem „Eigenheim“ vornehmen. Hierfür ist lediglich die Zustimmung der unmittelbar betroffenen und direkt angrenzenden Nachbarn erforderlich. Eine Einstimmigkeit der gesamten WEG ist nicht nötig.
In einer Eigentümerversammlung von 2022 wurde mit Mehrheitsbeschluss (TOP 2) festgelegt, dass jeder Eigentümer Fenster und Haustüren nach eigenem Ermessen (unter Einhaltung der Farbe Weiß und des Materials Kunststoff) erneuern darf, ohne dass es einer Zustimmung des direkt angrenzenden Nachbarn bedarf.
Einige Eigentümer (Kläger) klagten gegen diesen Beschluss. Das Amtsgericht wies die Klage ab, aber die Kläger legten erfolgreich Berufung beim Landgericht Itzehoe ein.
Das LG Itzehoe gab den Klägern Recht und erklärte den Mehrheitsbeschluss von 2022 für ungültig.
Der Beschluss widerspreche der ordnungsgemäßen Verwaltung, weil er im Widerspruch zu der alten Vereinbarung von 1999 (§ 3 Nr. 5 GO) stehe, die weiterhin gültig sei.
Die Kammer stellte fest, dass die Regelung in § 3 Nr. 5 GO wirksam und hinreichend bestimmt ist. Sie beziehe sich auf die Gegenstände (wie Fenster, Türen, Fassaden, Dächer), die dem jeweiligen Eigentümer zur Sondernutzung zugewiesen sind.
Die entscheidende Frage ist, ob diese alte Vereinbarung nach dem Inkrafttreten des modernisierten Wohnungseigentumsrechts (WEMoG) am 1. Dezember 2020 noch gilt.
Nach dem neuen WEG (§ 47 Satz 1 WEG) bleiben ältere Vereinbarungen, die vom Gesetz abweichen, grundsätzlich wirksam, es sei denn, die Vereinbarung enthält einen anderen Willen (z.B. eine bloße Wiederholung oder Verweisung auf das alte Gesetz).
Der Gesetzgeber wollte mit der Reform, dass die neuen Regeln (insbesondere § 20 WEG zu baulichen Veränderungen) prinzipiell in allen Gemeinschaften gelten.
Die Kammer sah hier jedoch einen sogenannten „Versteinerungswillen“ der damaligen Eigentümer. Die Regelung von 1999 weiche deutlich von dem aktuellen, in § 20 WEG geregelten, und auch von dem damals geltenden Recht ab.
Bauliche Veränderungen bedurften der Zustimmung aller Eigentümer, deren Rechte nicht nur unwesentlich beeinträchtigt wurden (objektive Sichtweise).
Bauliche Veränderungen können grundsätzlich mit einfachem Mehrheitsbeschluss gefasst werden (§ 20 Abs. 1 WEG).
Erforderte lediglich die Zustimmung der direkt angrenzenden Nachbarn.
Diese sehr individuelle und eigenwillige Regelung der Altvereinbarung zeigt, dass die Eigentümer eine eigene, von der jeweiligen Gesetzeslage bewusst abweichende Lösung für ihren Interessenkonflikt bei Umbauten treffen wollten. Sie wollten sich gerade nicht der jeweils geltenden Gesetzeslage unterwerfen. Würde die Regelung ihre Gültigkeit verlieren, würde die geschützte Rechtsposition der einzelnen Eigentümer in unmittelbarer Nachbarschaft entwertet. Dies spricht dafür, dass die Vereinbarung fortgelten soll.
Da die Altvereinbarung die Zustimmung der unmittelbar betroffenen und direkt angrenzenden Nachbarn für bauliche Veränderungen verlangt, der neue Beschluss von 2022 diese Zustimmung aber nicht vorsieht, ist der Beschluss von 2022 ungültig.
Auch nach der großen WEG-Reform von 2020 können alte, vor dem 01.12.2020 getroffene Vereinbarungen der Wohnungseigentümer (die in der Gemeinschaftsordnung stehen) weiterhin wirksam sein, selbst wenn sie von den neuen gesetzlichen Regelungen abweichen. ⚖️
Je individueller und spezieller die alte Vereinbarung war – insbesondere wenn sie nicht nur das alte Gesetz wiedergegeben hat, sondern eine höchst eigene Lösung für die Gemeinschaft gefunden hat –, desto eher nimmt man an, dass die Eigentümer wollten, dass diese Regelung dauerhaft und unabhängig von Gesetzesänderungen („Versteinerungswille“) gilt.
Im konkreten Fall schützte die alte Regelung von 1999 die unmittelbaren Nachbarn bei baulichen Änderungen wie dem Austausch von Fenstern. Sie hatten ein Vetorecht. Der neue Mehrheitsbeschluss der WEG wollte dieses Vetorecht aufheben. Das Gericht entschied: Die alte, spezielle Nachbarschutz-Regel ist stärker und muss beachtet werden.
Ein Mehrheitsbeschluss kann nicht gegen eine gültige Vereinbarung verstoßen: Da die alte Vereinbarung fortgilt, ist ein neuer Beschluss, der ihr widerspricht, ungültig.
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