Fraglicher Vollmachtsmißbrauch – Anordnung Kontrollbetreuung
Gericht: Bundesgerichtshof (BGH), XII. Zivilsenat
Entscheidungsdatum: 26. März 2025
Aktenzeichen: XII ZB 178/24
Ein Beschluss, der eine (Kontroll-)Betreuung aufhebt, erlangt keine materielle Rechtskraft. Folglich ist das Betreuungsgericht nicht daran gehindert, die Erforderlichkeit einer (Kontroll-)Betreuung erneut zu prüfen.
(Im Anschluss an die Senatsbeschlüsse vom 11. Juli 2018 – XII ZB 471/17, FamRZ 2018, 1607 und vom 20. Dezember 2017 – XII ZB 426/17, FamRZ 2018, 368).
Bestehen aufgrund konkreter Anhaltspunkte hinreichende Gründe für die Wahrscheinlichkeit, dass dem Betroffenen gegenüber seinem Bevollmächtigten Rückforderungsansprüche in nicht unerheblicher Höhe
zustehen könnten, kann der daraus resultierende Interessenkonflikt des Bevollmächtigten die Einrichtung einer Kontrollbetreuung rechtfertigen.
(Im Anschluss an die Senatsbeschlüsse vom 12. Oktober 2022 – XII ZB 273/22, FamRZ 2023, 157 und vom 26. Juli 2017 – XII ZB 143/17, FamRZ 2017, 1714).
Verfahrensgang:
Vorinstanz 1: Landgericht (LG) Frankenthal, Beschluss vom 10. April 2024, Az: 1 T 112/23
Vorinstanz 2: Amtsgericht (AG) Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 1. Juni 2023, Az: 1 XVII 237/22
Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 10. April 2024 wird zurückgewiesen.
Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei, und außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Eine Festsetzung des Beschwerdewerts gemäß § 36 Abs. 3 GNotKG wird nicht vorgenommen.
I.
Das Verfahren betrifft die Einrichtung einer Kontrollbetreuung für eine 90-jährige Frau (im Folgenden: die Betroffene), die seit Ende Februar 2019 in einem Pflegeheim lebt
und aufgrund einer Demenzerkrankung ihre rechtlichen Angelegenheiten nicht mehr selbstständig regeln kann. Im Oktober 2004 hatte sie ihren beiden Söhnen,
den Beteiligten zu 1 und 2, eine notarielle General- und Vorsorgevollmacht erteilt, diese jedoch im Januar 2015 gegenüber dem Beteiligten zu 1 widerrufen.
Zwei frühere Verfahren im Jahr 2018, die auf Anregung des Beteiligten zu 1 zur Bestellung eines Betreuers eingeleitet wurden, wurden mangels Erforderlichkeit aufgrund der bestehenden Vollmacht des Beteiligten zu 2 eingestellt.
Im Juni 2021 bestellte das Amtsgericht auf erneute Anregung des Beteiligten zu 1 Rechtsanwältin N. zur Kontrollbetreuerin mit dem Aufgabenkreis der Wahrnehmung der Rechte der Betroffenen gegenüber dem Bevollmächtigten.
Ihre Berichte ergaben jedoch keine Bestätigung des vom Beteiligten zu 1 geäußerten Verdachts eines Vollmachtmissbrauchs durch den Beteiligten zu 2.
Insbesondere stellte sie fest, dass die Zuwendungen der Betroffenen an den Beteiligten zu 2 im Juli 2018 (Aktien im Wert von 300.000 € und ein Geldbetrag von 600.000 €) durch die Betroffene selbst erfolgt
seien und der Beteiligte zu 2 auch nach Erhalt einer Kontovollmacht keine vermögensschädigenden Handlungen vorgenommen habe.
Daraufhin hob das Amtsgericht die Kontrollbetreuung mit Beschluss vom 2. Februar 2022 auf.
Im vorliegenden Verfahren beantragte der Beteiligte zu 1 im August 2022 erneut die Einrichtung einer Kontrollbetreuung,
da die Zuwendungen im Juli 2018 aufgrund der damals bereits bestehenden Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen unwirksam gewesen seien.
Das Amtsgericht stellte das Verfahren erneut ein.
Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1 hin bestellte das Landgericht Rechtsanwältin T. (Beteiligte zu 3) zur Kontrollbetreuerin mit dem Aufgabenkreis, „etwaige Rückforderungsansprüche hinsichtlich der
Vermögensübertragungen der Betroffenen an den Bevollmächtigten am 03.07.2018 auf Grund einer Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen zu prüfen und ggf. gegenüber diesem geltend zu machen,
sowie die hierfür erforderlichen Ermittlungen anzustellen, insbesondere Krankenunterlagen der Betroffenen von Behandlern anzufordern“.
Gegen diese Entscheidung legte der Beteiligte zu 2 Rechtsbeschwerde ein und beantragte die Aufhebung der Kontrollbetreuung.
II.
Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 2 blieb ohne Erfolg.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 2 als Sohn der Betroffenen ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG,
da er im ersten Rechtszug beteiligt war und die Rechtsbeschwerde dem objektiven Interesse der Betroffenen dient.
a) Entscheidung des Beschwerdegerichts:
Das Landgericht begründete die Einrichtung der Kontrollbetreuung damit, dass die Betroffene aufgrund ihrer Demenzerkrankung nicht mehr in der Lage sei, ihre Rechte gegenüber dem Beteiligten zu 2 auszuüben.
Zudem bestünden hinreichend konkrete Anhaltspunkte für den Verdacht, dass die erteilte Vollmacht den Betreuungsbedarf nicht vollständig decke,
da hinsichtlich der Zuwendungen im Juli 2018 Rückforderungsansprüche der Betroffenen gegen den Beteiligten zu 2 in Betracht kämen.
In dieser Situation müsse der Bevollmächtigte mögliche Rechte der Betroffenen gegen sich selbst prüfen und gegebenenfalls geltend machen, was einen Interessenkonflikt begründe.
Das Landgericht sah erhebliche Indizien für eine bereits am 3. Juli 2018 bestehende Demenzerkrankung der Betroffenen, sodass eine Geschäftsunfähigkeit zumindest möglich erscheine und eine weitere Prüfung erforderlich sei.
Das Landgericht erachtete die Einrichtung einer Kontrollbetreuung auch im Hinblick auf die Höhe des möglichen Rückforderungsanspruchs
als verhältnismäßig und im objektiven Interesse der Betroffenen liegend, da diese ihren Willen nicht mehr frei bilden könne.
Die Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen in sechsstelliger Höhe sei objektiv vernünftig.
b) Rechtliche Würdigung durch den BGH:
Die Ausführungen des Landgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung stand.
aa) Keine materielle Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses:
Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 2 steht der erneuten Anordnung einer Kontrollbetreuung die materielle Rechtskraft des Beschlusses
vom 2. Februar 2022 über die Aufhebung der vorherigen Kontrollbetreuung nicht entgegen.
Der BGH bekräftigt seine ständige Rechtsprechung, wonach Beschlüsse über die Einrichtung oder Aufhebung einer Betreuung zwar formelle, nicht aber materielle Rechtskraft erlangen.
Dies wird damit begründet, dass in Betreuungssachen – ähnlich wie in Sorgerechtsverfahren – das staatliche Fürsorgeinteresse gegenüber schutzbedürftigen Personen
und das Streben nach materiell richtigen Entscheidungen Vorrang vor der Endgültigkeit einer früheren Entscheidung haben.
Das Gericht ist daher nicht gehindert, die Erforderlichkeit einer Betreuung erneut zu prüfen, insbesondere wenn neue Tatsachen oder Erkenntnismöglichkeiten vorliegen.
bb) Materielle Voraussetzungen für die Kontrollbetreuung erfüllt:
Das Beschwerdegericht hat die materiellen Voraussetzungen für die Einrichtung einer Kontrollbetreuung gemäß § 1815 Abs. 3 BGB in Verbindung mit § 1820 Abs. 3 BGB zutreffend bejaht.
Gemäß § 1820 Abs. 3 BGB ist eine Kontrollbetreuung erforderlich, wenn der Vollmachtgeber aufgrund einer Krankheit oder Behinderung nicht mehr in der Lage ist, seine Rechte gegenüber dem
Bevollmächtigten auszuüben (Nr. 1), und konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Bevollmächtigte die Angelegenheiten des Vollmachtgebers
nicht entsprechend der Vereinbarung oder dessen erklärten oder mutmaßlichen Willens besorgt (Nr. 2).
Hierfür bedarf es eines durch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte untermauerten Verdachts, dass die Vollmacht den Betreuungsbedarf nicht deckt.
Das Landgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1820 Abs. 3 Nr. 1 BGB auf Grundlage eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens rechtsfehlerfrei festgestellt.
Auch die Annahme, dass der Beteiligte zu 2 die Angelegenheiten der Betroffenen hinsichtlich möglicher Rückforderungsansprüche nicht
entsprechend ihrem mutmaßlichen Willen besorgen könne, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Da die Betroffene keine Weisungen für die Behandlung solcher Ansprüche erteilt hat und ihren Willen nicht mehr äußern kann, richtet sich ihr mutmaßlicher Wille nach ihren objektiven Bedürfnissen.
Die Prüfung und gegebenenfalls Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen in erheblicher Höhe entspricht dabei dem objektiven Interesse der Betroffenen.
Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 2 trägt die Begründung des Landgerichts auch den Schluss, dass die Einrichtung einer Kontrollbetreuung aufgrund eines Interessenkonflikts erforderlich ist.
Der Beteiligte zu 2 müsste zur Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen prüfen, ob ihr gegen ihn Rückforderungsansprüche in Höhe von 900.000 € zustehen, und diese gegebenenfalls gegen sich selbst geltend machen.
Dieser potenzielle Interessenkonflikt ist bereits für die Prüfung und Ermittlung der Ansprüche – angesichts ihrer Höhe – erheblich und rechtfertigt die Einrichtung einer Kontrollbetreuung.
Der BGH stellt klar, dass die bloße Möglichkeit eines Interessenkonflikts nicht ausreicht, sondern konkrete Anhaltspunkte für eine gewisse Wahrscheinlichkeit
von Ansprüchen des Betroffenen gegenüber dem Bevollmächtigten erforderlich sind.
Die weitere Ausermittlung und Verfolgung dieser Ansprüche kann dann dem Kontrollbetreuer übertragen werden.
Im vorliegenden Fall hat das Landgericht aufgrund des Vorbringens des Beteiligten zu 1 sowie der Berichte des Sozialpsychiatrischen Dienstes und der Betreuungsbehörde aus dem Jahr 2018 eine
hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Rückforderungsanspruch der Betroffenen angenommen und die weitere Prüfung der Kontrollbetreuerin überlassen.
Damit hat das Landgericht die Einrichtung der Kontrollbetreuung unter Berücksichtigung der maßgeblichen Rechtsvorschriften und der konkreten Umstände des Falles rechtsfehlerfrei angeordnet.
Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 2 war daher zurückzuweisen.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.