Fremdrechtserbschein unter Anwendung italienischen Rechts ohne Hinweis auf Noterbrecht bei fehlender Herabsetzungsklage
OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 2. 5. 2013 – 20 W 260/12
Zusammenfassung des Sachverhalts und der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG Frankfurt a. M.) in Bezug auf den Fremdrechtserbschein unter Anwendung italienischen Rechts.
Der Fall betrifft die Erteilung eines Erbscheins in Deutschland für das deutsche Vermögen (Sparkonten) einer in Italien verstorbenen, ausschließlich italienischen Staatsbürgerin (Erblasserin E), die in Italien lebte. Weil die Erblasserin Italienerin war, muss deutsches Erbrecht – entgegen der deutschen Regelung, dass das Erbrecht des letzten Wohnsitzes gilt – auf Grundlage des deutschen internationalen Privatrechts (EGBGB Art. 25 Abs. 1) das italienische Erbrecht angewendet werden. Man spricht hier von einem Fremdrechtserbschein.
Der Ehemann (B2) der Erblasserin beantragte, gestützt auf ein handschriftliches Testament der E, einen Erbschein, der ihn als Alleinerben ausweist.
Die Tochter (B1) der Erblasserin wandte sich gegen den Antrag. Ihre Einwände waren zweierlei:
Sie bezweifelte die Echtheit des Testaments (sie hielt es für eine Fälschung).
Sie machte geltend, das Testament verstoße gegen das italienische Noterbrecht (entspricht in etwa dem deutschen Pflichtteil), da es sie und ihren Bruder nicht als Erben berücksichtigt.
Das Gericht erklärte, dass das italienische Noterbrecht anders funktioniert als der deutsche Pflichtteil:
Pflichtteilsberechtigte haben nur einen Geldanspruch (Schuldrecht) gegen den Erben. Sie werden nicht automatisch Miterben.
Noterbberechtigte haben ein echtes dingliches Recht am Nachlass (ähnlich einem Miterbenrecht). Die Verfügungen des Erblassers, die dieses Recht verletzen, sind aber nicht automatisch ungültig (ipso jure nichtig). Um ihr Recht durchzusetzen und Miterbe zu werden, müssen die Noterben eine Herabsetzungsklage (azione di riduzione) bei einem italienischen Gericht erheben und damit erfolgreich sein. Erst das Urteil macht die testamentarische Verfügung rückwirkend unwirksam. Die Klagefrist beträgt 10 Jahre.
Das Nachlassgericht und in der Beschwerdeinstanz das OLG Frankfurt a. M. gaben dem Ehemann (B2) recht und entschieden, dass der Alleinerbschein erteilt werden muss.
Das OLG sah keinen Anlass für weitere Ermittlungen bezüglich der behaupteten Fälschung. Die Einwände der Tochter B1 (z. B. dass die Erblasserin das Vermögen eigentlich unter den Kindern aufteilen wollte oder der Schreibstil unüblich sei) waren dem Gericht zu pauschal und spekulativ. Sie hatte trotz Aufforderung auch keine Beweise für ein anhängiges Verfahren in Italien über die Unwirksamkeit des Testaments vorgelegt.
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Erbschein keinen Hinweis auf das Noterbrecht oder die Noterben enthalten darf, solange kein Herabsetzungsurteil vorliegt.
Das Gericht begründete seine Entscheidung (im Einklang mit einer unter Juristen umstrittenen Meinung) wie folgt:
Der deutsche Erbschein dient vor allem dem Rechtsverkehr (z. B. Banken, Grundbuchämter). Er soll durch seine Vermutung der Richtigkeit (§ 2365 BGB) die Abwicklung des Nachlasses erleichtern und gutgläubige Dritte schützen.
Ein Hinweis im Erbschein auf das noch mögliche Noterbrecht (das 10 Jahre lang geltend gemacht werden kann) würde den Alleinerben (B2) faktisch handlungsunfähig machen, da Dritte mit dem potenziellen Auftauchen weiterer Erben rechnen müssten.
Noterben sind nach italienischem Recht noch keine Erben, sondern haben nur ein Gestaltungsrecht (die Herabsetzungsklage). Es besteht kein Grund, sie als Erben in den Erbschein aufzunehmen.
Die Noterben hatten im deutschen Erbscheinsverfahren die Möglichkeit, durch den Nachweis einer bereits eingereichten Herabsetzungsklage, die Erteilung des Alleinerbscheins zu verhindern. Da die Tochter B1 und ihr Anwalt trotz Aufforderung keinen solchen Nachweis erbrachten, dürfen die Noterbberechtigten das daraus entstehende Risiko tragen. Es ist zumutbar, dass sie aktiv werden, wenn sie ihre Rechte durchsetzen wollen.
Der Fremdrechtserbschein unter Anwendung italienischen Rechts wurde erteilt, der den Ehemann (B2) als Alleinerben ausweist.
Ein deutscher Fremdrechtserbschein, der auf italienisches Erbrecht gestützt ist, muss keine Noterben oder einen Vorbehalt wegen des Noterbrechts erwähnen, solange dem Nachlassgericht kein rechtskräftiges Urteil über eine Herabsetzungsklage (azione di riduzione) vorliegt und die Noterben keinen Nachweis über die Erhebung einer solchen Klage erbracht haben.
Die Möglichkeit der Anfechtung (Herabsetzungsklage) in Italien bleibt zwar bestehen, aber das deutsche Nachlassgericht muss nicht darauf warten, solange die Noterben keine tatsächlichen Schritte nachweisen.
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