Genehmigungsbedürftigkeit der Erbausschlagung für das Kind
In dem Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 28. Juni 2018 (II-11 WF 112/18) wurde die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit
der Erbausschlagung für ein minderjähriges Kind gemäß § 1643 Abs. 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) erörtert.
Ein im Jahr 2003 geborener Antragsteller (Ast.) begehrte eine Bescheinigung vom Nachlassgericht, dass die von seinen sorgeberechtigten Eltern
für ihn erklärte Ausschlagung der Erbschaft nach seinem Großvater keiner familiengerichtlichen Genehmigung bedürfe.
Der Großvater des Ast., geboren 1942 und verstorben 2017, hatte keine letztwillige Verfügung errichtet. Er hinterließ zwei Kinder: den Vater des Ast. und seine Tochter Z.
Der Ast. ist das einzige Kind seiner Eltern.
Im Jahr 2009 hatte der Großvater dem Vater des Ast. ein bebautes Grundstück geschenkt, eine ähnliche Schenkung an die Tochter Z. unterblieb.
Laut Angaben des Ast., seiner Eltern und weiterer befragter Personen beabsichtigte der Erblasser, das andere ihm gehörende Grundstück
seiner Tochter zukommen zu lassen, um seine Kinder gleichmäßig zu bedenken.
Vor seinem unerwarteten Tod konnte er dies jedoch nicht mehr umsetzen.
Der Nachlass bestand im Wesentlichen aus diesem weiteren Grundstück.
Der Vater des Ast. wollte dem Willen des Erblassers entsprechen.
Er und die gesamte Familie empfanden es als ungerecht, dass er neben dem bereits erhaltenen Hausgrundstück auch noch zur Hälfte an der weiteren Immobilie beteiligt sein sollte.
Um erhebliche Schenkungsteuern zu vermeiden, schlug er die Erbschaft zunächst für sich und dann gemeinsam mit seiner ebenfalls sorgeberechtigten Ehefrau auch für den Ast. aus.
Die Schwester des Vaters des Ast. beantragte daraufhin einen Erbschein, der sie als Alleinerbin nach ihrem Vater ausweisen sollte.
Das Nachlassgericht wies darauf hin, dass es eine familiengerichtliche Genehmigung der Ausschlagung für den minderjährigen Ast. für erforderlich halte.
Zwar sei die Ausschlagung nach dem Wortlaut des § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB genehmigungsfrei, der Normzweck gebiete jedoch in Fällen wie diesem,
in dem die werthaltige Erbschaft durch die Ausschlagung in eine bestimmte Richtung gelenkt werde, eine Genehmigung.
Der Ast. war der Ansicht, dass der klare Wortlaut des § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB die Genehmigungsfreiheit vorsehe und kein von der obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelter Ausnahmefall vorliege.
Hilfsweise beantragte er die Erteilung der Genehmigung.
Das Amtsgericht Unna lehnte das beantragte Negativattest ab und verweigerte die hilfsweise beantragte familiengerichtliche Genehmigung,
da es von einer Genehmigungspflicht ausging und die Ausschlagung angesichts des Werts der Immobilie nicht dem Kindeswohl entspreche.
Die Beschwerde des Ast. hatte Erfolg vor dem Oberlandesgericht Hamm.
Das Oberlandesgericht Hamm kam zu dem Ergebnis, dass die Ausschlagung der dem Ast. angefallenen Erbschaft durch seine Eltern gemäß § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB genehmigungsfrei sei.
Das Gericht stellte zunächst fest, dass die Voraussetzungen für die Genehmigungsfreiheit nach dem Wortlaut des § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB erfüllt seien.
Die Erbschaft war zunächst dem Vater des Ast. angefallen, der sorgeberechtigt war und ist.
Der Ast. war nicht neben seinem Vater zum Erben berufen, sondern ihm fiel die Erbschaft erst aufgrund der Ausschlagung seines Vaters an.
Der Senat sah keinen Anlass, von dem klaren Wortlaut des § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB abzuweichen.
Er setzte sich mit der in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht auseinander, wonach eine teleologische Reduktion des § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB in bestimmten Fällen
eine Genehmigungspflicht der Erbausschlagung für das minderjährige Kind gebiete, obwohl ihm die Erbschaft erst aufgrund der Ausschlagung seines sorgeberechtigten Elternteils zugefallen sei.
Solche Ausnahmen wurden insbesondere in Fällen der „lenkenden“ oder „selektiven“ Erbausschlagung gesehen, bei denen die Ausschlagung dazu dient, den Nachlass in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Das OLG Hamm schloss sich dieser Ansicht jedoch nicht an.
Es argumentierte, dass die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion nicht vorlägen.
Eine solche Reduktion setze eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes voraus.
Aus den Gesetzesmaterialien sei jedoch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber nicht gewollt habe, dass durch die Ausschlagung des Elternteils
für sich und sein minderjähriges Kind ein werthaltiger Nachlass einer anderen Person zugutekomme.
Bereits bei der Schaffung des BGB sei vorgesehen gewesen, dass der Elternteil, der selbst ausgeschlagen hat, die Ausschlagung genehmigungsfrei
für sein Kind erklären kann, wenn das Kind erst infolge der Ausschlagung des Elternteils Erbe geworden ist.
Auch damals sei die Möglichkeit bestanden, dass ein werthaltiger Nachlass anfallen und die Ausschlagung dazu führen könnte, dass ein anderer diesen erhält.
Dennoch habe der Gesetzgeber die Genehmigungsfreiheit angeordnet.
Die Motive zum BGB würden ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür liefern, dass der Gesetzgeber den Fall eines werthaltigen Nachlasses,
den der zunächst berufene Elternteil ablehnen und anderen zuwenden wolle, übersehen habe.
Der Gesetzgeber habe die Genehmigungsfreiheit gerade auch deshalb vorgesehen, weil er befürchtete, dass die Gerichte andernfalls zu leicht die Genehmigung verweigern könnten.
Durch die Einführung des Gesamtvertretungsrechts beider Eltern im Jahr 1979 sei der Schutz des Kindes nochmals verstärkt worden.
Gegen eine Auslegung, die dem klaren Wortlaut widerspreche, spreche zudem die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Bürger müssten sich auf den Wortlaut des Gesetzes verlassen können.
Zudem würde eine Genehmigungspflicht in solchen Fällen den Elternteil in Zeitnot bringen, da die Ausschlagungsfrist kurz sei
und erst ein gerichtliches Verfahren geklärt werden müsste, ob eine Genehmigung erforderlich ist.
Auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift sei nicht zu erkennen, dass der Minderjährige in Fällen der vorliegenden Art eines besonderen Schutzes bedürfe.
Die Genehmigungsfreiheit greife nur, wenn das Kind nur durch die vorherige Ausschlagung eines Elternteils Erbe werde.
Hätte der Elternteil angenommen, hätte das Kind keinen Anspruch auf den Nachlass gehabt und der Elternteil hätte das Vermögen auch anderen Personen schenken können.
Es sei nicht einzusehen, warum der Elternteil gezwungen werden sollte, die Erbschaft anzunehmen und dann zu verschenken, was möglicherweise erhebliche Schenkungsteuern auslösen würde.
Die Argumentation, die Lenkung einer werthaltigen Erbschaft auf andere Personen sei so gravierend, dass sie genehmigungspflichtig sein müsse, überzeuge daher nicht.
Der Umstand, dass die Eltern durch die Zuleitung der Erbschaft auf ein anderes Familienmitglied eines ihrer Kinder möglicherweise benachteiligten,
führe nicht automatisch zu einer Schlechterstellung des Kindes. Möglicherweise hätten die Eltern auf andere Weise einen Ausgleich geschaffen.
Selbst bei einer Benachteiligungsabsicht hätten die Eltern diese Möglichkeit auch gehabt, wenn der zunächst berufene Elternteil die Erbschaft angenommen hätte und sie dann nur einem seiner Kinder geschenkt hätte.
Zusammenfassend entschied das OLG Hamm, dass die Erbausschlagung der Eltern für ihren minderjährigen Sohn in diesem Fall keiner familiengerichtlichen Genehmigung bedurfte, da die Erbschaft
dem Sohn erst infolge der Ausschlagung des Vaters angefallen war und keine Gründe für eine teleologische Reduktion des § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB vorlagen.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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