Gerichtliche Zuständigkeit nach der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO)

Oktober 6, 2025

Gerichtliche Zuständigkeit nach der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO)

Stellen Sie sich vor, jemand verstirbt und hinterlässt Vermögen in verschiedenen europäischen Ländern. Das europäische Erbrecht wurde durch eine neue Verordnung, die seit 2015 gilt, erheblich vereinfacht. Ihr Kernziel ist, dass nur ein Gericht in einem einzigen Mitgliedsstaat für den gesamten Erbfall zuständig ist und nur ein nationales Erbrecht angewendet wird – meistens das Recht des Landes, in dem der Verstorbene zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Das Problem:

Die europäische Regelung betrifft nur das reine Erbrecht. Familienrecht (etwa wer überhaupt als Ehepartner gilt) und Güterrecht (welchem Ehegüterstand man unterliegt und wie das Vermögen der Ehepartner verteilt wird) sind bewusst ausgeklammert. Diese Bereiche sind weiterhin national geregelt, und es gibt keine EU-weit einheitlichen Vorgaben. Man spricht hier von sogenannten Vorfragen, die zuerst geklärt werden müssen, bevor das eigentliche Erbe verteilt werden kann.

Die Konflikte der Vorfragen

Diese nationalen Unterschiede können zu ernsten Konflikten führen:

Beispiel Ehegüterrecht:

Ein Paar lebt in Deutschland im gesetzlichen Güterstand, bei dem der überlebende Ehepartner erbrechtlich bessergestellt ist (oft die Hälfte des Erbes). Betrachtet nun ein anderes EU-Land, in dem Vermögen liegt, die Ehe nach seinem eigenen nationalen Recht, könnte dort ein anderer Güterstand gelten. Dies hätte zur Folge, dass der überlebende Partner nur einen kleineren Anteil erben würde (zum Beispiel nur ein Viertel).

Beispiel Partnerschaften:

Noch dramatischer können die Folgen bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sein. Wird diese in einem Mitgliedstaat als erbberechtigte Partnerschaft anerkannt, in einem anderen aber nicht, kann das die Erbenstellung eines Menschen komplett ändern.

Wenn nun Gerichte in verschiedenen Ländern, die jeweils unterschiedliche Ansichten zu diesen Vorfragen haben, voneinander abweichende Entscheidungen treffen, können widersprüchliche Erbnachweise in Umlauf kommen. Ein in Land A ausgestelltes Dokument (zum Beispiel ein deutsches Erbschein) würde einem Europäischen Nachlasszeugnis (ENZ) aus Land B widersprechen.

Gerichtliche Zuständigkeit nach der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO)

Die Lösung: Ein Gericht ist Alleinzuständig

Diese Verordnung löst dieses Problem nicht durch eine EU-weite Vereinheitlichung der Vorfragen, sondern über die Gerichtszuständigkeit. Die Verfasser des Artikels argumentieren, dass die europäische Regelung die internationale Zuständigkeit für alle Entscheidungen in Erbsachen ausschließlich auf den Gerichtsstand eines einzigen Mitgliedstaates konzentriert.

Das bedeutet:

Monopol der Zuständigkeit:

Nur das Gericht dieses einen Landes ist berechtigt, Erbnachweise auszustellen oder über Erbstreitigkeiten zu urteilen.

Ausschluss von Konkurrenz:

Es kann dadurch gar nicht erst passieren, dass zwei Gerichte aus verschiedenen Mitgliedstaaten zur selben Sache und mit widersprüchlichem Inhalt entscheiden. Das Gericht, das sich für unzuständig hält, muss sich von Amts wegen für unzuständig erklären – es gibt kein „Wettrennen“ um das schnellere Urteil.

Vermeidung kollidierender Dokumente:

Der Hauptvorteil für die Praxis ist, dass keine zwei sich widersprechenden Dokumente (wie ein nationaler Erbschein und ein ENZ) in verschiedenen Mitgliedstaaten in den Rechtsverkehr gelangen, die etwa Grundbuchämter vor unlösbare Aufgaben stellen würden.

Diese zentralisierte Zuständigkeit ist der Schlüssel, um die in den Vorfragen liegenden Konflikte zu umgehen. Das Gericht des zuständigen Staates entscheidet die Vorfrage nach seinem nationalen Kollisionsrecht und trifft dann eine endgültige Entscheidung für den gesamten Nachlass.

Offene Fragen und Konsequenzen

Diese Konzentration auf einen Gerichtsstand hat weitreichende Konsequenzen:

Wahl des Gerichtsstands:

Die Möglichkeit, testamentarisch einen Gerichtsstand zu vereinbaren, wird enorm wichtig. Wer diesen Gerichtsstand wählt, wählt indirekt über das anzuwendende Recht auch materielle Rechtsfolgen – etwa ob einem Ehepartner die zusätzliche Begünstigung aus dem Güterrecht zusteht oder nicht.

Verlust nationaler Verfahren:

Für Erblasser, die im Ausland wohnen und nur inländisches Vermögen besitzen, entfällt der bisherige inländische Nachweis über das Inlandsvermögen (z.B. der sogenannte beschränkte Erbschein). Das zuständige Gericht ist nun im Ausland.

Fazit:

Die europäische Verordnung stellt sicher, dass es für jeden Erbfall nur eine zuständige Stelle in einem Mitgliedstaat gibt. Damit wird verhindert, dass sich widersprechende Entscheidungen oder Dokumente im europäischen Rechtsraum in Umlauf kommen. Das Problem der unterschiedlichen Vorfragen bleibt zwar bestehen, wird aber durch die alleinige Zuständigkeit eines Gerichts gelöst.

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