Gerichtsbeschluss zur Betriebsverlegung und Einigungsstelle
Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht 5. Berufungskammer
Entscheidungsdatum: 25.09.2025
Aktenzeichen: 5 TaBV 96/25
Dokumenttyp: Beschluss
Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) hatte über die Einsetzung einer Einigungsstelle zu entscheiden. Eine Einigungsstelle ist ein innerbetriebliches Gremium, das einberufen wird, um Konflikte zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat beizulegen, wenn diese sich nicht über bestimmte Maßnahmen (wie Betriebsänderungen) einigen können.
Der Konflikt drehte sich um die Verlegung der Unternehmenszentrale der Arbeitgeberin in der Stadt A, die nur etwa 500 Meter vom alten Standort entfernt war. Die Verlegung war bereits im Juli 2025 abgeschlossen. Zudem wurde ein neues Bürokonzept eingeführt (weg von Open Space hin zu Zweier- und Gruppenbüros).
Der Betriebsrat forderte die Einsetzung einer Einigungsstelle für zwei Hauptthemen:
Einen Interessenausgleich (Regelung über das Ob, Wann und Wie der Betriebsänderung).
Einen Sozialplan (Regelung zum Ausgleich oder zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile für die Arbeitnehmer).
Das Arbeitsgericht hatte die Einsetzung der Einigungsstelle nur für den Sozialplan zugelassen, aber für den Interessenausgleich abgelehnt. Sowohl die Arbeitgeberin (gegen den Sozialplan) als auch der Betriebsrat (für den Interessenausgleich) legten daraufhin Beschwerde ein.
Das LAG bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts und wies die Anschlussbeschwerde des Betriebsrats (Punkt 2) zurück, die die Einsetzung der Einigungsstelle für den Interessenausgleich forderte.
Ein Interessenausgleich (§ 112 BetrVG) bezieht sich auf eine geplante Betriebsänderung. Er soll dem Betriebsrat ermöglichen, Einfluss auf das „Ob“, „Wann“ und „Wie“ der Maßnahme zu nehmen.
Da die Betriebsverlegung (der Umzug und die Umsetzung des neuen Bürokonzepts) bereits Mitte Juli 2025 abgeschlossen war, konnte der Betriebsrat faktisch keinen Einfluss mehr auf diese zentralen Punkte nehmen.
Für einen Interessenausgleich war daher kein Raum mehr. Die Einigungsstelle ist für diesen Regelungsgegenstand offensichtlich unzuständig.
Die vom Betriebsrat genannten noch offenen Themen wie Parkplätze, Raumklima, Schallschutz oder Zeiterfassung betreffen laut Gericht nicht mehr das „Wie“ der Verlegung selbst.
Vielmehr geht es dabei um die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen in den neuen Räumlichkeiten. Hierfür hat der Betriebsrat andere Mitbestimmungsrechte (z.B. aus § 87 BetrVG), aber kein Beteiligungsrecht mehr zum Versuch eines Interessenausgleichs für die bereits erfolgte Verlegung.
Das LAG wies auch die Beschwerde der Arbeitgeberin (Punkt 1) zurück, die die Einsetzung der Einigungsstelle für den Sozialplan verhindern wollte.
Das Gericht prüft die Zuständigkeit einer Einigungsstelle im Bestellungsverfahren nur eingeschränkt: Eine Ablehnung ist nur möglich, wenn die Unzuständigkeit „offensichtlich“ ist (d.h., es dürfen keine ernsthaften Zweifel an der Unzuständigkeit bestehen).
Die Arbeitgeberin argumentierte, dass die Verlegung über nur 500 Meter so geringfügig sei, dass sie keine sozialplanpflichtige Betriebsänderung (§ 111 BetrVG) darstelle. Nach dem Gesetz wird das Vorliegen einer Betriebsänderung zwar bei einer Verlegung des ganzen Betriebs vermutet, aber in der Rechtsprechung wird dies bei sehr geringfügigen Veränderungen der örtlichen Lage verneint.
Das Gericht stellte fest, dass nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit ersichtlich ist, dass die Verlegung um 500 Meter als so geringfügig zu bewerten ist, dass die Vermutung einer Betriebsänderung widerlegt wäre.
Die Rechtsprechung zu den genauen Maßstäben fehle. Zudem seien nicht nur die räumliche Entfernung, sondern auch andere Umstände wie eine veränderte Parksituation, ein längerer Weg vom Parkplatz zum Büro oder andere Änderungen der Infrastruktur (wie das neue Bürokonzept) zu berücksichtigen.
Da ernsthafte Zweifel daran bestehen, dass keine Nachteile für die Arbeitnehmer entstehen können, ist die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig. Ob tatsächlich Nachteile bestehen und auszugleichen sind, muss im Einigungsstellenverfahren geklärt werden.
Das Gericht hat damit entschieden:
Die Einigungsstelle ist offensichtlich unzuständig, da die Maßnahme bereits abgeschlossen ist.
Die Einigungsstelle ist nicht offensichtlich unzuständig, da unklar ist, ob die 500-Meter-Verlegung so geringfügig ist, dass Nachteile ausgeschlossen werden können.
Das LAG bestätigte somit, dass die Einigungsstelle ausschließlich für den Sozialplan eingesetzt wird.
Das Gericht stellte zudem klar, dass die Anschlussbeschwerde (ein Rechtsmittel des Gegners der Hauptbeschwerde) auch in diesem beschleunigten Verfahren zulässig ist, auch wenn die Gesetze dazu nicht ganz eindeutig sind.
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