Geschäftsgrundlage eines Erbbaurechtsvertrages: Störung des Äquivalenzverhältnisses

November 4, 2025

Geschäftsgrundlage eines Erbbaurechtsvertrages: Störung des Äquivalenzverhältnisses

Vorinstanzen:

LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 02.03.2012 – 2-13 O 332/10 –

OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 10.08.2012 – 19 U 83/12 –

BGH-Urteil (23.05.2014 – V ZR 208/12): Erhöhung des Erbbauzinses bei massiver Neubebauung

Hallo! Sie fragen nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH), das sich mit einem kniffligen Fall zur Anpassung des Erbbauzinses befasst. Hier ist die Zusammenfassung für Laien:

Worum ging es? Der Sachverhalt

Es geht um ein Erbbaurecht (vereinfacht: das Recht, auf fremdem Grund und Boden ein Gebäude zu errichten oder zu haben), das 1964 für 50 Jahre (bis 2014) an einem zentral gelegenen Grundstück bestellt wurde.

  • Vertrag von 1964:
    • Erbbauzins: 33.000 DM jährlich.
    • Anpassungsklausel: Der Zins sollte sich nach dem Grundgehalt eines Landgerichtspräsidenten richten (also an der allgemeinen Lohnentwicklung, nicht am Grundstückswert).
    • Bebauung: Der Erbbauberechtigte durfte das alte Haus abreißen und durch einen Neubau ersetzen, dessen Gestaltung sich ausschließlich nach den baurechtlichen Vorschriften richtete.
  • Die Veränderung: Zur Zeit des Vertrags gab es keine detaillierten Baupläne. Später änderte sich das Baurecht massiv. Der Erbbauberechtigte (die Beklagte) riss das alte, kleinere Gebäude ab und errichtete einen großen Neubau mit fünf Obergeschossen. Dies war durch einen neuen Bebauungsplan aus dem Jahr 2008 möglich, der die bauliche Ausnutzung gegenüber der ursprünglichen Situation deutlich erhöhte (laut Klägern um den Faktor 2,5).
  • Der Streit: Die Erben der ursprünglichen Grundstückseigentümerin (die Kläger) verlangten einen deutlich höheren Erbbauzins (mindestens 156.000 € jährlich) für die Restlaufzeit des Vertrags, da sich der Wert der Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks so stark erhöht hatte.

Geschäftsgrundlage eines Erbbaurechtsvertrages: Störung des Äquivalenzverhältnisses

Was haben die unteren Gerichte entschieden?

Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht wiesen die Klage ab. Sie meinten, es gäbe keinen Anspruch auf Erhöhung:

  1. Der Vertrag sah keine Anpassung für den Fall einer veränderten baulichen Nutzung vor (keine „Regelungslücke“).
  2. Die vertraglich vereinbarte Anpassung (nach dem Gehalt des Landgerichtspräsidenten) sei abschließend und schließe andere Anpassungen aus.

Die Entscheidung des BGH (Zusammenfassung)

Der BGH hat die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung zurückverwiesen. Er stellte klar, dass ein Anspruch auf Erhöhung des Erbbauzinses möglich ist, und zwar aus dem Rechtsgrundsatz der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB).

1. Keine ergänzende Vertragsauslegung (Zustimmung zum OLG)

  • Der BGH bestätigt, dass eine ergänzende Vertragsauslegung ausscheidet. Eine Lücke im Vertrag liegt nur vor, wenn die Parteien ein Ziel verfolgt haben, das aufgrund der Lückenhaftigkeit nicht erreicht wurde.
  • Hier liege aber kein solches offensichtliches, verfehltes Ziel vor, da der Vertrag gerade keine Verknüpfung der Erbbauzinshöhe mit der tatsächlichen/zulässigen baulichen Nutzung erkennen lässt. Die Anpassung nach dem Gehalt des Landgerichtspräsidenten spricht sogar dagegen.

2. Aber: Störung der Geschäftsgrundlage! (Widerspruch zum OLG)

  • Die entscheidende Wende: Der BGH sieht einen möglichen Anspruch wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB).
  • Geschäftsgrundlage ist hier der Gedanke der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung (Äquivalenz).
    • Die baurechtlich zulässige Nutzung des Grundstücks ist ein wesentlicher Umstand für den Wert des Erbbaurechts.
    • Wird der Erbbauzins bei einer massiven Steigerung der Nutzbarkeit nicht angepasst, kommt es zu einer schwerwiegenden Störung der Äquivalenz. Die Kläger können diesen Grundsatz geltend machen, ohne ihn ausdrücklich vereinbart zu haben.
  • Keine abschließende Regelung: Die Anpassungsklausel nach dem Landgerichtspräsidenten-Gehalt ist nicht abschließend. Sie sollte nur vor Geldentwertung schützen, aber nicht andere, unvorhergesehene Störungen der Äquivalenz (wie die extreme Änderung des Baurechts) ausschließen.
  • Wesentliche Frage der Vorhersehbarkeit: Die entscheidende Frage ist, ob die Parteien 1964 die Möglichkeit einer so massiven Erhöhung der baulichen Nutzung (Faktor 2,5) erwartet oder bewusst einkalkuliert haben.
    • Grundsätzlich trägt der Eigentümer (Erbbaurechtsausgeber) das Risiko von normalen Änderungen im Baurecht.
    • ABER: Wenn die Parteien eine so tiefgreifende Veränderung angesichts der damaligen Bebauung und Bauplanung nicht erwartet haben, dann haben die Kläger dieses Risiko auch nicht übernommen.

Das Ergebnis

Das Oberlandesgericht muss nun im neuen Verfahren Beweise dazu erheben, was die Vertragsparteien 1964 im Hinblick auf die künftige bauliche Nutzung des Grundstücks erwartet haben.

Kurz gesagt: Wenn der massive Baufortschritt von 2008 im Jahr 1964 völlig unvorhersehbar war und eine schwere Verschiebung der ursprünglichen „Fairness“ des Vertrages darstellt, ist eine Anpassung des Erbbauzinses zugunsten der Grundstückseigentümer möglich.

RA und Notar Krau

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein konstenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

Zur Löschung eines mit Wegzugsklausel bestellten Wohnungsrechts im Grundbuch mittels Vorlage einer Meldebescheinigung

November 5, 2025
Zur Löschung eines mit Wegzugsklausel bestellten Wohnungsrechts im Grundbuch mittels Vorlage einer MeldebescheinigungZusammenfassung des OLG-Bes…
Notar Schild

Zur Löschung der Berechtigung eines Miterben an einem Grundstück aus dem Grundbuch infolge einer Abschichtungsvereinbarung

November 5, 2025
Zur Löschung der Berechtigung eines Miterben an einem Grundstück aus dem Grundbuch infolge einer AbschichtungsvereinbarungScheidet ein Miterbe d…
bell jar, church bell, bell tower, bronze bell

Grundbuchsache: Unbeschränktes Nutzungsrecht als Inhalt einer Grunddienstbarkeit

November 4, 2025
Grundbuchsache: Unbeschränktes Nutzungsrecht als Inhalt einer GrunddienstbarkeitBGH, Beschluss vom 06.11.2014 – V ZB 131/13Vorinstanzen…