Glatteisunfall des Lebensgefährten eines Wohnraummieters: Räum- und Streupflicht des Vermieters auf Teilen des öffentlichen Gehwegs

Oktober 19, 2025

Glatteisunfall des Lebensgefährten eines Wohnraummieters: Räum- und Streupflicht des Vermieters auf Teilen des öffentlichen Gehwegs

Gericht: BGH 8. Zivilsenat
Entscheidungsdatum: 21.02.2018
Aktenzeichen: VIII ZR 255/16
Dokumenttyp: Urteil

vorgehend OLG München, 6. Oktober 2016, Az: 1 U 790/16
vorgehend LG München I, 14. Januar 2016, Az: 11 O 28823/13

Urteil des Bundesgerichtshofs: Wer haftet bei einem Glatteisunfall vor dem Mietshaus?

Der Bundesgerichtshof (BGH) musste in diesem Fall klären, ob ein Vermieter dafür verantwortlich ist, auch Teile des öffentlichen Gehwegs vor seinem Grundstück bei Glatteis zu räumen und zu streuen, wenn diese Pflicht eigentlich der Gemeinde obliegt.

Der Sachverhalt:

Sturz auf dem ungepflegten Gehweg Der Fall ereignete sich in München. Der Kläger (Lebensgefährte der Mieterin) stürzte im Januar 2010 gegen 9:10 Uhr beim Verlassen des Mietshauses der Beklagten (Vermieterin/Eigentümerin) auf Schneeglätte.

Unfallort:

Der Sturz geschah auf dem öffentlichen Gehweg im Bereich des Grundstückseingangs. Der Streifen des Gehwegs war an dieser Stelle nicht geräumt.

Zuständigkeit:

Laut der örtlichen Verordnung in München ist die Stadt (die im Verfahren als Streithelferin auftrat) für den Räum- und Streudienst auf dem Gehweg zuständig. Die Vermieterin/Anliegerin war von dieser Pflicht befreit.

Ausführung:

Die Stadt hatte den Gehweg geräumt und gestreut, allerdings nicht auf der vollen Breite und nicht bis unmittelbar zur Grundstücksgrenze/Haustürschwelle. Die Beklagte selbst hatte keine Räumarbeiten durchgeführt, da sie sich nicht dazu verpflichtet sah.

Forderung:

Der Kläger erlitt Frakturen und forderte von der Beklagten Schadensersatz (materiell und Schmerzensgeld).

Glatteisunfall des Lebensgefährten eines Wohnraummieters: Räum- und Streupflicht des Vermieters auf Teilen des öffentlichen Gehwegs

Die Klage wurde bereits in den Vorinstanzen (Landgericht und Oberlandesgericht) abgewiesen. Der Kläger legte Revision beim BGH ein.

Die Entscheidung des BGH:

Keine Pflicht für den Vermieter. Der BGH wies die Revision des Klägers zurück und bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen. Die Beklagte haftet nicht für den Unfall.

Die zentralen Argumente des BGH waren:

1. Keine vertragliche Pflicht aus dem Mietvertrag

Die Pflicht des Vermieters, den Mieter und in den Schutzbereich des Mietvertrages einbezogene Personen (wie hier den Lebensgefährten) zu schützen, erstreckt sich zwar auf den unmittelbaren Zugang zum Mietobjekt. Diese Sicherungspflicht ist jedoch grundsätzlich auf das Mietgrundstück beschränkt. Eine Ausdehnung auf eine öffentliche Verkehrsfläche (wie den Gehweg) kommt nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen in Betracht.

Solche außergewöhnlichen Umstände, wie eine vom Vermieter selbst geschaffene, gesteigerte Gefahr (z. B. fehlender behelfsmäßiger Zugang bei einem Neubau), lagen hier nicht vor.

Der BGH argumentierte, dass der Kläger vom gesicherten Grundstück lediglich einen schmalen, kurzen Streifen des öffentlichen Gehwegs überqueren musste, um den von der Stadt geräumten Teil zu erreichen. Dies sei zumutbar und erfordere lediglich besondere Vorsicht des Fußgängers.

2. Keine allgemeine (deliktische) Verkehrssicherungspflicht

Die allgemeine Pflicht, Gefahren von Wegen fernzuhalten (§ 823 Abs. 1 BGB), trifft grundsätzlich denjenigen, der die Gefahrenquelle schafft oder die Herrschaft über den Verkehrsweg hat.

Für den öffentlichen Gehweg lag die Verkehrssicherungspflicht hier allein bei der Gemeinde (Stadt), die diese Pflicht nicht auf die Beklagte (Anliegerin) übertragen hatte.

Die Verkehrssicherungspflicht des Grundstückseigentümers endet in einem solchen Fall an der Grundstücksgrenze.

Würde man eine „ergänzende“ Räumungspflicht des Vermieters für den Anschlussstreifen bejahen, obwohl die Gemeinde für den Winterdienst zuständig ist, würde dies den Regelungsgehalt der städtischen Verordnung „ad absurdum“ führen.

Leitsatz (Kernaussage)

Weder aus dem Mietvertrag (§ 535$ BGB) noch aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (§ 823 BGB) ist ein Vermieter verpflichtet, über die Grundstücksgrenze hinaus Teile des öffentlichen Gehwegs zu räumen und zu streuen, wenn die Gemeinde die allgemeine Räum- und Streupflicht nicht auf ihn als Anlieger übertragen hat.

Der Sturz auf dem nicht geräumten Streifen des öffentlichen Gehwegs stellt in diesem Fall die Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos des Fußgängers dar, da von ihm erwartet werden kann, auf einem kurzen, ungepflegten Stück mit erhöhter Vorsicht zu gehen.

RA und Notar Krau

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein konstenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

Haus

Grundsicherung – Erbbaurecht am Grundstück und Eigentum am Wohnhaus

November 9, 2025
Grundsicherung – Erbbaurecht am Grundstück und Eigentum am WohnhausHier ist eine Zusammenfassung und Analyse des Urteils des Bundessozialgericht…
Waage Justitia Justiz Recht Gericht

Schadensersatz-Klagen gegen Impfstoffhersteller bleiben erfolglos

November 7, 2025
Schadensersatz-Klagen gegen Impfstoffhersteller bleiben erfolglosLG Düsseldorf, Urteil vom 16.11.2023 – 3 O 141/22Urteil des LG Düsseldorf…
Waage Justiz Gericht

COVID-19-Impfstoff Comirnaty – Schmerzensgeld und Schadensersatz für zukünftige Schäden

November 7, 2025
COVID-19-Impfstoff Comirnaty – Schmerzensgeld und Schadensersatz für zukünftige SchädenWorum ging es in diesem Fall?Eine Klägerin hat den He…