Glatteisunfall des Lebensgefährten eines Wohnraummieters: Räum- und Streupflicht des Vermieters auf Teilen des öffentlichen Gehwegs
Gericht: BGH 8. Zivilsenat
Entscheidungsdatum: 21.02.2018
Aktenzeichen: VIII ZR 255/16
Dokumenttyp: Urteil
vorgehend OLG München, 6. Oktober 2016, Az: 1 U 790/16
vorgehend LG München I, 14. Januar 2016, Az: 11 O 28823/13
Urteil des Bundesgerichtshofs: Wer haftet bei einem Glatteisunfall vor dem Mietshaus?
Der Bundesgerichtshof (BGH) musste in diesem Fall klären, ob ein Vermieter dafür verantwortlich ist, auch Teile des öffentlichen Gehwegs vor seinem Grundstück bei Glatteis zu räumen und zu streuen, wenn diese Pflicht eigentlich der Gemeinde obliegt.
Sturz auf dem ungepflegten Gehweg Der Fall ereignete sich in München. Der Kläger (Lebensgefährte der Mieterin) stürzte im Januar 2010 gegen 9:10 Uhr beim Verlassen des Mietshauses der Beklagten (Vermieterin/Eigentümerin) auf Schneeglätte.
Der Sturz geschah auf dem öffentlichen Gehweg im Bereich des Grundstückseingangs. Der Streifen des Gehwegs war an dieser Stelle nicht geräumt.
Laut der örtlichen Verordnung in München ist die Stadt (die im Verfahren als Streithelferin auftrat) für den Räum- und Streudienst auf dem Gehweg zuständig. Die Vermieterin/Anliegerin war von dieser Pflicht befreit.
Die Stadt hatte den Gehweg geräumt und gestreut, allerdings nicht auf der vollen Breite und nicht bis unmittelbar zur Grundstücksgrenze/Haustürschwelle. Die Beklagte selbst hatte keine Räumarbeiten durchgeführt, da sie sich nicht dazu verpflichtet sah.
Der Kläger erlitt Frakturen und forderte von der Beklagten Schadensersatz (materiell und Schmerzensgeld).
Die Klage wurde bereits in den Vorinstanzen (Landgericht und Oberlandesgericht) abgewiesen. Der Kläger legte Revision beim BGH ein.
Keine Pflicht für den Vermieter. Der BGH wies die Revision des Klägers zurück und bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen. Die Beklagte haftet nicht für den Unfall.
Die zentralen Argumente des BGH waren:
Die Pflicht des Vermieters, den Mieter und in den Schutzbereich des Mietvertrages einbezogene Personen (wie hier den Lebensgefährten) zu schützen, erstreckt sich zwar auf den unmittelbaren Zugang zum Mietobjekt. Diese Sicherungspflicht ist jedoch grundsätzlich auf das Mietgrundstück beschränkt. Eine Ausdehnung auf eine öffentliche Verkehrsfläche (wie den Gehweg) kommt nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen in Betracht.
Solche außergewöhnlichen Umstände, wie eine vom Vermieter selbst geschaffene, gesteigerte Gefahr (z. B. fehlender behelfsmäßiger Zugang bei einem Neubau), lagen hier nicht vor.
Der BGH argumentierte, dass der Kläger vom gesicherten Grundstück lediglich einen schmalen, kurzen Streifen des öffentlichen Gehwegs überqueren musste, um den von der Stadt geräumten Teil zu erreichen. Dies sei zumutbar und erfordere lediglich besondere Vorsicht des Fußgängers.
Die allgemeine Pflicht, Gefahren von Wegen fernzuhalten (§ 823 Abs. 1 BGB), trifft grundsätzlich denjenigen, der die Gefahrenquelle schafft oder die Herrschaft über den Verkehrsweg hat.
Für den öffentlichen Gehweg lag die Verkehrssicherungspflicht hier allein bei der Gemeinde (Stadt), die diese Pflicht nicht auf die Beklagte (Anliegerin) übertragen hatte.
Die Verkehrssicherungspflicht des Grundstückseigentümers endet in einem solchen Fall an der Grundstücksgrenze.
Würde man eine „ergänzende“ Räumungspflicht des Vermieters für den Anschlussstreifen bejahen, obwohl die Gemeinde für den Winterdienst zuständig ist, würde dies den Regelungsgehalt der städtischen Verordnung „ad absurdum“ führen.
Weder aus dem Mietvertrag (§ 535$ BGB) noch aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (§ 823 BGB) ist ein Vermieter verpflichtet, über die Grundstücksgrenze hinaus Teile des öffentlichen Gehwegs zu räumen und zu streuen, wenn die Gemeinde die allgemeine Räum- und Streupflicht nicht auf ihn als Anlieger übertragen hat.
Der Sturz auf dem nicht geräumten Streifen des öffentlichen Gehwegs stellt in diesem Fall die Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos des Fußgängers dar, da von ihm erwartet werden kann, auf einem kurzen, ungepflegten Stück mit erhöhter Vorsicht zu gehen.
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