Grenzen der Berufungs-Beschlusszurückweisung – Ausscheiden aus PartGmbB iL

Oktober 26, 2025

Grenzen der Berufungs-Beschlusszurückweisung – Ausscheiden aus PartGmbB iL

(BGH-Beschluss vom 16.4.2024 – II ZR 70/23)

Dieser Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) klärt eine wichtige verfahrensrechtliche Grenze im Zivilprozessrecht (ZPO), insbesondere bei der sogenannten Berufungs-Beschlusszurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO.

Das zentrale Problem liegt in der Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) durch ein Gericht.

Der Fall: Ausscheiden aus einer Partnergesellschaft (PartGmbB iL)

Die Ausgangslage:

Es ging um den Zeitpunkt, zu dem die Kläger aus einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung in Liquidation (PartGmbB iL) ausgeschieden sind, und in welcher Höhe sie dafür abzufinden sind (ihr „Auseinandersetzungsguthaben“).

Die Kläger begehrten die Feststellung, dass ihr Ausscheiden am 31. Mai 2016 erfolgte.

Die Rolle des Landgerichts (LG) – Erster Verstoß:

Das LG gab den Parteien einen Hinweis (§ 139 ZPO), dass es vorläufig davon ausgehe, dass das Ausscheiden zum 31. Mai 2016 erfolgt sei.

Aufgrund dieses Hinweises passten die Kläger ihre Klageanträge an (Feststellung zum 31.05.2016, Zahlungsantrag, Hilfs-Stufenklage).

Das LG wies die Klage dann aber in seinem Urteil abweichend von seinem eigenen Hinweis ab. Es entschied, dass das Ausscheiden zum 31. Mai 2016 nicht festgestellt werden könne, weil die Kündigung der Gesellschaft nicht fristgerecht erfolgt sei.

Die rechtliche Problematik des LG-Vorgehens:

Das LG hätte auf seine geänderte Rechtsauffassung vor Erlass des Urteils hinweisen müssen. Ein Gericht darf eine entscheidungserhebliche Frage nicht anders entscheiden, als es zuvor signalisiert hat, ohne den Parteien die Möglichkeit zur Stellungnahme oder zur Anpassung ihrer Anträge zu geben. Die bloße Bezeichnung der Einschätzung als „vorläufig“ entband das Gericht nicht von dieser Pflicht, da jede gerichtliche Meinungsbildung bis zum Urteil vorläufig ist.

Grenzen der Berufungs-Beschlusszurückweisung – Ausscheiden aus PartGmbB iL

Die unterbliebene Korrektur des Antrags der Kläger in der ersten Instanz beruhte somit auf der fehlerhaften Verfahrensweise des LG.

Die Rolle des Oberlandesgerichts (OLG) – Zweiter Verstoß

Die Berufung:

Die Kläger legten gegen das Urteil des LG Berufung ein. Im Berufungsverfahren erweiterten sie ihre Klage hilfsweise auf spätere Ausscheidenszeitpunkte, um der Rechtsauffassung des LG Rechnung zu tragen.

Die Entscheidung des OLG:

Das OLG wies die Berufung im Beschlussweg (§ 522 Abs. 2 ZPO) zurück.

Beschlusszurückweisung bedeutet, dass das Berufungsgericht die Berufung für unbegründet und keine mündliche Verhandlung für erforderlich hält. Sie ist nur bei einstimmiger Auffassung der Richter zulässig.

Das OLG sah das LG-Urteil als offensichtlich zutreffend an.

Gleichzeitig erklärte es die hilfsweise vorgenommenen Klageerweiterungen der Kläger für wirkungslos – eine Folge der Beschlusszurückweisung, da diese nur den ursprünglichen erstinstanzlichen Streitgegenstand betrifft.

Der Fehler des OLG:

Das OLG hat durch die Beschlusszurückweisung den Klägern die Möglichkeit genommen, ihre Anträge sachgerecht an die vom LG im Urteil vertretene und vom OLG geteilte Rechtsauffassung anzupassen. Dies verletzt das rechtliche Gehör der Kläger.

Die Entscheidung des BGH: Grenzen der Beschlusszurückweisung

Der BGH hob den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zurück.

Der Grundsatz:

Eine Berufungs-Beschlusszurückweisung (§ 522 Abs. 2 ZPO) ist unzulässig, wenn das Erstgericht die erstinstanzliche Antragstellung der Kläger durch einen Hinweis veranlasst hatte und diesen Hinweis dann im Urteil aufgegeben hat, ohne erneut darauf hinzuweisen.

Die Konsequenz für das OLG:

Das OLG hätte die Berufung nicht durch Beschluss zurückweisen dürfen. Da die Anträge der Kläger auf spätere Ausscheidenszeitpunkte sachdienlich waren und ihre unterbliebene Geltendmachung in der ersten Instanz auf der Verletzung der Hinweispflicht durch das LG beruhte, hätten diese Anträge im Berufungsverfahren zugelassen und entschieden werden müssen.

Die Verletzung der Hinweispflicht durch das LG im ersten Rechtszug muss im Berufungsverfahren korrigiert werden, indem die Kläger die Gelegenheit erhalten, ihre Anträge anzupassen. Die Beschlusszurückweisung ist hierfür das falsche Instrument, da sie diesen Korrekturbedarf ignoriert und die Antragsanpassung wirkungslos macht.

Zusammenfassend bedeutet dies:

Die Beschlusszurückweisung ist ein Verfahrensbeschleuniger. Er darf jedoch nicht dazu führen, dass prozessuale Nachteile einer Partei, die auf einer fehlerhaften Verfahrensführung des erstinstanzlichen Gerichts beruhen, im Berufungsverfahren betoniert werden. Das Recht auf effektives rechtliches Gehör geht in einem solchen Fall vor.

RA und Notar Krau

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