Grundrechtsfähigkeit fremdstaatlich beherrschter juristischer Personen

April 14, 2025

Grundrechtsfähigkeit fremdstaatlich beherrschter juristischer Personen

Aufsatz von Rechtsanwältin Dr. Yasemin Jüngling und Rechtsanwalt Prof. Dr. Christofer Lenz, NJW 2024, 3750

Zusammenfassung RA und Notar Krau

Der Beitrag von Jüngling und Lenz analysiert die Frage, ob sich privatrechtliche juristische Personen, die unter der Kontrolle ausländischer Staaten stehen,

auf die Grundrechte des deutschen Grundgesetzes (GG) berufen können.

Anlass sind Verfassungsbeschwerden zweier russisch kontrollierter Energieunternehmen gegen die Treuhandverwaltung ihrer deutschen Tochtergesellschaften gemäß § 17 Energiesicherungsgesetz (EnSiG).

Der Beitrag untersucht die bisherige Rechtsprechung zu Artikel 19 Absatz 3 GG unter Berücksichtigung des Völker- und Europarechts

und erörtert Perspektiven für eine Weiterentwicklung der deutschen Grundrechtsdogmatik, wobei die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) als Orientierung dient.

I. Die anhängigen Verfassungsbeschwerden

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) muss über Verfassungsbeschwerden einer luxemburgischen und einer russischen juristischen Person des Privatrechts entscheiden.

Diese Muttergesellschaften eines russischen Ölkonzerns werden mittelbar vom russischen Staat kontrolliert und sind an deutschen Erdölraffinerien beteiligt.

Die angeordnete Treuhandverwaltung der Stimmrechte durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) erfolgte aufgrund des Ukraine-Kriegs und der Sorge um die Versorgungssicherheit.

Die Klagen der Muttergesellschaften gegen diese Anordnung wurden vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) abgewiesen.

Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden hängt von der Grundrechtsfähigkeit der Beschwerdeführerinnen ab.

Grundrechtsfähigkeit fremdstaatlich beherrschter juristischer Personen

II. Voraussetzungen und Grenzen von Artikel 19 Absatz 3 GG

Artikel 19 Absatz 3 GG bestimmt, dass Grundrechte auch für inländische juristische Personen gelten, soweit sie ihrem Wesen nach anwendbar sind. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein.

Grundsätzlich keine Grundrechtsfähigkeit ausländischer juristischer Personen

Die ständige Rechtsprechung definiert inländische juristische Personen über ihren Sitz im Bundesgebiet. Ausländische juristische Personen sind somit grundsätzlich nicht grundrechtsfähig im Sinne des GG.

Sie genießen jedoch Schutz durch justizielle Grundrechte, das Legalitätsprinzip und die verfassungskonforme Auslegung einfacher Gesetze.

Anwendungsvorrang des Unionsrechts

Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts modifiziert die Inländischkeitsvoraussetzung.

Ausländische juristische Personen sind inländischen gleichzustellen, wenn sie durch die Grundfreiheiten oder das Diskriminierungsverbot des AEUV geschützt sind,

im Anwendungsbereich des Unionsrechts tätig werden und einen hinreichenden Inlandsbezug aufweisen.

Die luxemburgische Beschwerdeführerin könnte sich auf die Niederlassungsfreiheit (Artikel 49, 54 AEUV) berufen, da sie nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet wurde und ihren Sitz innerhalb der Union hat.

Für die russische Beschwerdeführerin gilt dies nicht.

Grundrechtsfähigkeit fremdstaatlich beherrschter juristischer Personen

Keine Grundrechtsfähigkeit bei Beherrschung durch den deutschen Staat

Juristische Personen des öffentlichen Rechts und inländisch staatlich beherrschte privatrechtliche juristische Personen

sind mangels wesensmäßiger Anwendbarkeit der Grundrechte grundsätzlich nicht grundrechtsfähig.

Dies wird mit der Konfusion, dem Subjektionsargument und dem Kompetenzkonfliktargument begründet. Staatliche Beherrschung wird bei einer öffentlichen Beteiligung von über 50 % angenommen.

Übertragbarkeit auf Träger ausländischer öffentlicher Gewalt

Die genannten Argumente sind auf fremdstaatlich beherrschte juristische Personen nur teilweise übertragbar (Konfusionsargument greift nicht).

Dennoch sind sie in der Regel nicht grundrechtsfähig, da ihnen ein personales Substrat fehlt und zwischenstaatliche Beziehungen völkerrechtlich geregelt werden.

Fremde Staaten, die sich privatrechtlicher Unternehmen bedienen, sind nicht in gleicher Weise schutzbedürftig wie private Akteure.

Ausnahme wegen Europa- und Völkerrecht?

Eine Grundrechtsberechtigung könnte sich allenfalls aus einer erweiterten Auslegung des Artikel 19 Absatz 3 GG im Lichte des Europa- oder Völkerrechts ergeben.

a) Atomausstieg-Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG bejahte ausnahmsweise die Grundrechtsfähigkeit einer von einem EU-Staat beherrschten inländischen juristischen Person.

Begründet wurde dies mit dem Fehlen anderweitigen Rechtsschutzes und einer ungerechtfertigten Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

unter Berücksichtigung von Artikel 13 EMRK i.V.m. Artikel 1 ZP zur EMRK.

Diese Argumente sind auf die vorliegenden Fälle nicht vollständig übertragbar, da die Beschwerdeführerinnen gegen den Verwaltungsakt vor dem BVerwG klagen konnten.

b) Grundrechtsschutz wegen Investitionsschutzvertrags mit Russland?

Der deutsch-sowjetische Investitionsschutzvertrag sieht keine Gleichbehandlung inländischer und ausländischer Investoren vor.

Zudem ist fraglich, ob staatlich beherrschte Unternehmen überhaupt als „Investoren“ gelten.

Grundrechtsfähigkeit fremdstaatlich beherrschter juristischer Personen

c) Europäische Menschenrechtskonvention:

Die EMRK-freundliche Auslegung des Artikel 19 Absatz 3 GG führt bei wörtlich-schematischer Anwendung der Atomausstieg-Entscheidung

nicht zur Grundrechtsfähigkeit der luxemburgischen Beschwerdeführerin, da Rechtsschutz vor dem BVerwG gewährt wurde.

d) Charta der Grundrechte der Europäischen Union:

Die EU-Grundrechtecharta schützt primär Einzelne vor staatlicher Gewalt und erstreckt sich nach herrschender Meinung nicht auf staatlich beherrschte juristische Personen.

III. Weiterentwicklung der Rechtsprechung?

Eine Grundrechtsfähigkeit ausländischer, nicht von EU-Staaten beherrschter juristischer Personen erfordert eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung.

Ausbau der Argumentation über die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit:

Eine Ausweitung der unionsrechtlichen Argumentation der Atomausstieg-Entscheidung auf Umsetzungsakte wäre denkbar, greift im vorliegenden Fall der luxemburgischen Beschwerdeführerin aber

wohl nicht aufgrund der Rechtfertigung des Eingriffs durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses und der zeitlichen Begrenzung der Maßnahme.

Argument aus Artikel 1 des 1. ZP zur EMRK und Artikel 34 EMRK:

Eine sinnvolle Weiterentwicklung könnte darin bestehen, einer inländisch gleichgestellten Gesellschaft, die überwiegend von einem Nicht-EU-Staat beherrscht wird,

ausnahmsweise Grundrechtsfähigkeit in Bezug auf Artikel 14 Absatz 1 GG über Artikel 19 Absatz 3 GG zuzuerkennen,

wenn sie materiell Eigentumsschutz nach Artikel 1 ZP zur EMRK beanspruchen kann und nach Artikel 34 EMRK individualbeschwerdefähig wäre.

Dies würde Inkonsistenzen zwischen der Rechtsprechung des BVerfG und des EGMR vermeiden.

Die Beschwerdeberechtigung nach Artikel 34 EMRK hängt nach der Rechtsprechung des EGMR davon ab, ob das staatlich beherrschte Unternehmen staatliche Aufgaben wahrnimmt

und inwieweit es von staatlichen Behörden unabhängig ist.

Im vorliegenden Fall spricht die staatliche Instrumentalisierung der Energieversorgung durch Russland gegen eine solche Beschwerdeberechtigung.

IV. Fazit

Nach bisheriger Rechtsprechung sind fremdstaatlich beherrschte juristische Personen grundsätzlich nicht grundrechtsfähig.

Die Atomausstieg-Entscheidung stellte eine Ausnahme dar.

Eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung im Sinne der Grundfreiheiten und der EMRK wäre wünschenswert.

Die anhängigen Verfassungsbeschwerden bieten

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