Grundsteuer – Bewertung eines Grundstücks als bebautes Grundstück
Ein aktueller Fall vor dem Finanzgericht Düsseldorf (Aktenzeichen: 11 V 533/24 A (BG) vom 10. Mai 2024) befasst sich mit der Grundsteuerreform und der Frage, wie der Wert eines Grundstücks zu bestimmen ist, wenn das darauf stehende Gebäude in einem sehr schlechten Zustand ist.
Worum geht es in diesem Fall?
Eine Grundstückseigentümerin, nennen wir sie Antragstellerin, hat ein Gewerbegrundstück. Für dieses Grundstück wurde von der Finanzverwaltung, hier als Antragsgegner bezeichnet, ein Grundsteuerwert von 836.000 € festgesetzt. Die Antragstellerin ist damit nicht einverstanden. Sie meint, ihr Gebäude sei aufgrund erheblicher Schäden (Feuchtigkeit, marode Leitungen, kaputte Elektrik – quasi ein Rohbau) viel weniger wert und müsse auch so bewertet werden. Außerdem hält sie die neuen Regeln zur Grundsteuerbewertung für verfassungswidrig. Sie hat deshalb Einspruch gegen den Bescheid eingelegt und beantragt, die Vollziehung des Bescheids auszusetzen. Das bedeutet, sie möchte vorläufig nicht den vollen, ihrer Meinung nach zu hohen, Grundsteuerwert anerkennen müssen, bis über ihren Einspruch endgültig entschieden ist.
Wichtige Rechtsbegriffe einfach erklärt
Bevor wir ins Detail gehen, hier ein paar wichtige Begriffe:
- Finanzgericht Düsseldorf: Das ist ein Gericht, das sich speziell mit Streitigkeiten zwischen Bürgern und der Finanzverwaltung befasst, zum Beispiel bei Steuersachen.
- 11 V 533/24 A (BG): Das ist das Aktenzeichen. Es ist wie die „Hausnummer“ des Falls beim Gericht. „11“ steht für den 11. Senat (eine bestimmte Abteilung des Gerichts), „V“ für ein Verfahren der Aussetzung der Vollziehung, „533/24“ für die laufende Nummer im Jahr 2024 und „A (BG)“ für „Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (Grundsteuer)“.
- Beschluss: Das Gericht hat in diesem Fall keine endgültige Entscheidung über die ganze Sache getroffen (das wäre ein Urteil), sondern eine vorläufige Entscheidung in einem Zwischenschritt.
- Tenor: Das ist der kurze, knappe Spruch des Gerichts am Ende des Beschlusses. Es ist das Ergebnis der Entscheidung.
- Vollziehung des Bescheids: Damit ist gemeint, dass der Bescheid der Finanzverwaltung (hier der Bescheid über den Grundsteuerwert) rechtlich wirksam wird und zum Beispiel Zahlungen oder andere Handlungen nach sich ziehen könnte.
- Aussetzung der Vollziehung (AdV): Das ist ein Eilverfahren. Wenn man einen Bescheid bekommt, gegen den man vorgehen möchte, kann man beantragen, dass dieser Bescheid vorläufig nicht vollzogen wird. Das bedeutet, man muss z.B. nicht sofort zahlen oder bestimmte Dinge tun, bis endgültig über den Streit entschieden wurde. Das Gericht prüft hier, ob es „ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit“ des Bescheids gibt oder ob die Vollziehung eine „unbillige Härte“ für den Betroffenen wäre.
- Ohne Sicherheitsleistung: Manchmal verlangt das Gericht eine Sicherheit (Geld oder eine Bürgschaft), wenn es die Vollziehung aussetzt. Hier wurde darauf verzichtet.
- Einspruchsverfahren: Das ist der erste Schritt, um gegen einen Bescheid der Finanzverwaltung vorzugehen. Man legt schriftlich Einspruch ein und bittet die Behörde, ihre Entscheidung zu überprüfen.
- Grundsteuerwert: Das ist ein wichtiger Wert für die Berechnung der Grundsteuer. Dieser Wert wird vom Finanzamt für jedes Grundstück neu festgelegt und ist die Grundlage, auf der die Gemeinde später die tatsächliche Grundsteuer berechnet.
- Grundlagenbescheid: Ein Bescheid, der die Grundlage für einen anderen Bescheid bildet. Im Fall der Grundsteuer ist der Grundsteuerwertbescheid ein Grundlagenbescheid für den Grundsteuermessbetrag und dieser wiederum für den späteren Grundsteuerbescheid der Gemeinde.
- Finanzgerichtsordnung (FGO): Das ist das Gesetz, das die Regeln für Verfahren vor den Finanzgerichten festlegt.
- Abgabenordnung (AO): Das ist das „Allgemeine Steuergesetz“ in Deutschland. Es enthält grundlegende Regeln für das Steuerverfahren.
- Bewertungsgesetz (BewG): Dieses Gesetz regelt, wie Vermögenswerte (hier: Grundstücke) für Steuerzwecke bewertet werden.
- Bundesverfassungsgericht (BVerfG): Das höchste deutsche Gericht, das die Einhaltung des Grundgesetzes (der Verfassung) überwacht. Es kann Gesetze für verfassungswidrig erklären.
- Verfassungswidrigkeit: Wenn ein Gesetz nicht mit den Regeln des Grundgesetzes übereinstimmt.
Grundsteuer – Bewertung eines Grundstücks als bebautes Grundstück
Was wurde entschieden?
Das Gericht hat teilweise der Antragstellerin Recht gegeben:
- Vollziehung ausgesetzt: Die Vollziehung des Grundsteuerwertbescheids wird ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt, aber nur insoweit, als der Wert 382.500 € übersteigt. Das bedeutet, die Antragstellerin muss vorläufig nur einen Grundsteuerwert von 382.500 € akzeptieren, nicht die ursprünglich festgesetzten 836.000 €. Die Aussetzung gilt bis einen Monat nach Abschluss des Einspruchsverfahrens.
- Antrag im Übrigen abgelehnt: Die darüber hinausgehende Forderung, den Wert noch weiter zu senken (auf einen noch geringeren Betrag), wurde abgelehnt.
- Kosten: Die Kosten des Verfahrens werden zwischen Antragstellerin (34 %) und Antragsgegner (66 %) aufgeteilt.
Warum hat das Gericht so entschieden?
Das Gericht prüft in einem solchen Eilverfahren, ob es „ernstliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des ursprünglichen Bescheids gibt.
1. Zulässigkeit des Antrags
Zuerst hat das Gericht geprüft, ob die Antragstellerin den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung überhaupt stellen durfte. Normalerweise muss man zuerst die Finanzverwaltung um die Aussetzung bitten. Wenn die Behörde aber nicht innerhalb einer angemessenen Frist reagiert, darf man sich direkt an das Gericht wenden. Das war hier der Fall, da die Finanzverwaltung fast zwei Monate lang nicht über den Antrag entschieden hatte.
2. Begründetheit des Antrags – Der Zustand des Gebäudes ist entscheidend!
Das Gericht hatte ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des festgesetzten Grundsteuerwerts. Warum?
- Bebautes oder unbebautes Grundstück? Der zentrale Punkt war die Frage, ob das Grundstück zum Bewertungsstichtag (01.01.2022) als bebautes Grundstück oder als unbebautes Grundstück anzusehen ist. Ein Grundstück gilt nur dann als bebaut, wenn sich darauf „benutzbare Gebäude“ befinden. Wenn ein Gebäude so stark beschädigt ist, dass es nicht mehr dauerhaft bestimmungsgemäß genutzt werden kann (z.B. als Wohnraum oder Gewerberaum), dann gilt es im Steuerrecht als unbebaut, selbst wenn äußerlich noch ein Gebäude steht.
- Der „Rohbau-Zustand“: Die Antragstellerin hatte Fotos vorgelegt und über massive Schäden berichtet (Feuchtigkeit, marode Leitungen, kaputte Elektrik, entfernte Boden- und Wandbeläge, Löcher in Decken, eingerissene Wände). Das Gericht sah diese Fotos als Beweis dafür an, dass sich die Räume größtenteils im Rohbauzustand befanden.
- Keine dauerhafte Benutzbarkeit: Das Gericht folgerte, dass unter diesen Umständen eine dauerhafte, bestimmungsgemäße Nutzung des Gebäudes nicht möglich war, ohne dass es komplett saniert (entkernt) wird. Und ein Gebäude, das entkernt werden muss und dadurch keine benutzbaren Räume mehr hat, gilt ebenfalls als unbebaut. Kurzfristige Vermietungen, wie von der Antragstellerin erwähnt, ändern daran nichts.
- Berechnung als unbebautes Grundstück: Aufgrund dieser Einschätzung kam das Gericht zu dem vorläufigen Ergebnis, dass das Grundstück als unbebautes Grundstück zu bewerten ist. Dadurch ergab sich ein deutlich niedrigerer Wert von 382.500 €.
3. Ablehnung wegen Verfassungswidrigkeit der Gesetze
Die Antragstellerin hatte auch argumentiert, dass die Gesetze zur Grundsteuerbewertung selbst verfassungswidrig seien. Hier hat das Gericht den Antrag auf weitere Aussetzung der Vollziehung abgelehnt.
- Besonderes Aussetzungsinteresse: Grundsätzlich gilt, dass ein formell ordnungsgemäß zustande gekommenes Gesetz erst einmal angewendet werden muss, selbst wenn es Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit gibt. Damit das Gericht hier eine Aussetzung der Vollziehung gewährt, bräuchte es ein „besonderes berechtigtes Aussetzungsinteresse“ der Antragstellerin. Das bedeutet, es müsste ihr durch die Anwendung des Gesetzes ein sehr großer, kaum wiedergutzumachender Nachteil entstehen, der schwerer wiegt als das öffentliche Interesse an der Anwendung des Gesetzes.
- Keine schwerwiegenden Nachteile für Antragstellerin: Das Gericht sah hier keine solchen schwerwiegenden, unersetzlichen Nachteile für die Antragstellerin. Der Grundsteuerwertbescheid hat jetzt noch keine direkte finanzielle Auswirkung, die Grundsteuer muss erst ab 2025 gezahlt werden.
- Öffentliches Interesse überwiegt: Demgegenüber steht das öffentliche Interesse an der ordnungsgemäßen Umsetzung der neuen Grundsteuerregeln und der Sicherung der Einnahmen der Gemeinden. Eine pauschale Aussetzung der Vollziehung wegen möglicher Verfassungswidrigkeit würde zu massiven Einnahmeausfällen bei den Kommunen führen und käme einer vorläufigen Außerkraftsetzung des Gesetzes gleich, wofür eigentlich nur das Bundesverfassungsgericht zuständig ist.
- Uneinheitliche Rechtsprechung: Das Gericht weist darauf hin, dass es hierzu unterschiedliche Meinungen bei den Gerichten gibt. Einige Gerichte sehen das Erfordernis des „besonderen Aussetzungsinteresses“ kritischer und fordern eine Aussetzung schneller, wenn es Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit gibt.
Warum ist diese Entscheidung wichtig?
Dieser Beschluss ist aus mehreren Gründen wichtig:
- Gebäudezustand wird berücksichtigt: Er zeigt, dass der tatsächliche Zustand eines Gebäudes bei der neuen Grundsteuerbewertung eine Rolle spielen kann, insbesondere wenn es sich um einen „Rohbauzustand“ handelt. Das ist ein wichtiger Punkt für viele Eigentümer von sanierungsbedürftigen Immobilien.
- Eilrechtsschutz bei Grundsteuer: Das Urteil befasst sich mit der Frage, wann ein Eilrechtsschutz (Aussetzung der Vollziehung) bei den neuen Grundsteuerwerten möglich ist.
- Diskussion um Verfassungsmäßigkeit: Es verdeutlicht die anhaltende Diskussion, ob die neuen Grundsteuerregeln verfassungsgemäß sind und wann Gerichte deshalb eine Aussetzung der Vollziehung gewähren dürfen. Das Gericht hat die Beschwerde zugelassen, weil diese Frage von grundsätzlicher Bedeutung ist und die Rechtsprechung der Gerichte hierzu uneinheitlich ist. Das bedeutet, dass der Fall noch vor höhere Gerichte, möglicherweise sogar vor den Bundesfinanzhof, gehen könnte, um diese wichtigen Fragen endgültig zu klären.
Grundsteuer – Bewertung eines Grundstücks als bebautes Grundstück
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Finanzgericht Düsseldorf in diesem speziellen Fall die Bedeutung des tatsächlichen Gebäudezustands für die Grundsteuerbewertung hervorgehoben hat, gleichzeitig aber bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes weiterhin ein hohes Hindernis für eine Aussetzung der Vollziehung sieht.
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