Grundstücksübertragung – Erhaltungspflichten des Nießbrauchers

Juni 12, 2025

Grundstücksübertragung – Erhaltungspflichten des Nießbrauchers

BGH, Urteil vom 23.01.2009 – V ZR 197/07

LG Mannheim, Entscheidung vom 03.05.2006 – 5 O 262/05 –

OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 16.11.2007 – 15 U 80/06 –

RA und Notar Krau

Im Fall BGH, Urteil vom 23.01.2009 – V ZR 197/07 ging es um eine Klage einer Tochter (Klägerin) gegen ihre Mutter (Beklagte) wegen Kosten für die Instandhaltung eines Grundstücks, an dem die Mutter ein Nießbrauchrecht hatte.


Was ist ein Nießbrauchrecht?

Ein Nießbrauchrecht ist das Recht, eine Sache (hier ein Grundstück) zu nutzen und ihre Erträge (z.B. Mieteinnahmen) zu behalten, ohne Eigentümer der Sache zu sein. Der Eigentümer bleibt zwar der rechtliche Eigentümer, hat aber während der Dauer des Nießbrauchs nur eingeschränkte Rechte an der Sache.


Der konkrete Fall

Der Vater der Klägerin übertrug seiner Tochter im Jahr 1971 ein Gewerbegrundstück. Gleichzeitig erhielt seine Ehefrau, also die Mutter der Klägerin (die Beklagte), ein lebenslanges Nießbrauchrecht an diesem Grundstück.

Im Notarvertrag gab es eine besondere Regelung (Ziffer 6), die von den üblichen gesetzlichen Bestimmungen abwich: „Abweichend von § 1050 BGB wird vereinbart, dass die Nießbraucherin auch die Veränderung und Verschlechterung des belasteten Grundbesitzes zu vertreten hat. Sie ist berechtigt, hieran sämtliche Reparaturen und sonstige bauliche Änderungen vorzunehmen und die steuerliche Absetzung für Abnutzung geltend zu machen.“

In den Jahren 2001 bis 2005 gab die Beklagte (die Mutter) über 71.000 Euro für die Sanierung und Instandhaltung der Gebäude auf dem Grundstück aus. Mit ihrer Widerklage wollte sie diese Kosten von ihrer Tochter (der Klägerin) zurückerstattet bekommen.


Die Entscheidungen der Vorinstanzen

  • Landgericht: Das Landgericht wies die Klage der Mutter ab. Es sah keinen Anspruch auf Kostenerstattung.
  • Oberlandesgericht (Berufung): Das Oberlandesgericht bestätigte die Entscheidung des Landgerichts und wies die Berufung der Mutter zurück. Es begründete dies damit, dass die spezielle Vereinbarung in Ziffer 6 des Notarvertrags bedeutete, dass die Mutter (Nießbraucherin) auch die Kosten für größere, also „außergewöhnliche“ Reparaturen selbst tragen muss.

Die Beklagte legte daraufhin Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) ein, um weiterhin die Erstattung ihrer Kosten zu erreichen.


Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH)

Der BGH bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen und wies die Revision der Beklagten zurück. Er stellte klar, dass die Beklagte (Mutter) keinen Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen hatte, unabhängig davon, ob es sich um gewöhnliche oder außergewöhnliche Erhaltungsmaßnahmen handelte.

Grundstücksübertragung – Erhaltungspflichten des Nießbrauchers

Die wichtigsten Punkte aus der Begründung des BGH:

  1. Pflichten des Nießbrauchers im Allgemeinen:
    • Normalerweise muss ein Nießbraucher die Sache nur in ihrem wirtschaftlichen Bestand erhalten, nicht in ihrem Kapitalwert. Das bedeutet, er ist nur für gewöhnliche Unterhaltung zuständig, also für kleinere, regelmäßig anfallende Reparaturen (z.B. normale Verschleißreparaturen).
    • Außergewöhnliche Reparaturen (z.B. eine komplette Dacherneuerung) fallen normalerweise nicht in die Pflicht des Nießbrauchers.
  2. Die besondere Vereinbarung im Vertrag:
    • Der BGH betonte, dass im vorliegenden Fall Ziffer 6 des Notarvertrags von den gesetzlichen Regelungen abweicht. Die Formulierung, dass die Nießbraucherin „auch die Veränderung und Verschlechterung des belasteten Grundbesitzes zu vertreten“ hat, wurde so ausgelegt, dass die Mutter alle Erhaltungspflichten für das Grundstück und die Gebäude übernehmen muss.
    • Dies bedeutet, dass die Mutter nicht nur für gewöhnliche, sondern auch für außergewöhnliche Erhaltungsmaßnahmen verantwortlich war.
  3. Verhältnis von § 1050 BGB zu § 1041 BGB:
    • Es gab unterschiedliche Meinungen darüber, wie die Paragraphen § 1050 BGB und § 1041 BGB zueinander stehen.
    • § 1041 BGB regelt die Pflicht des Nießbrauchers zur gewöhnlichen Unterhaltung.
    • § 1050 BGB besagt, dass der Nießbraucher nicht für Veränderungen und Verschlechterungen haftet, die durch den normalen Gebrauch, Alter oder andere unverschuldete Umstände entstehen.
    • Der BGH stellte klar, dass § 1050 BGB die Pflichten aus § 1041 BGB nicht einschränkt. Vielmehr verdeutlicht § 1050 BGB nur, dass der Nießbraucher nicht für den Wertverlust haftet, der trotz ordnungsgemäßer Erhaltung durch normale Abnutzung und Alter entsteht. Die grundlegende Pflicht des Nießbrauchers ist es, die Sache so zu bewirtschaften und zu erhalten, dass sie weiterhin wirtschaftlich genutzt werden kann.
  4. Umfassende Haftung der Nießbraucherin:
    • Da die Vertragsparteien in Ziffer 6 des Vertrages eine Umkehrung des § 1050 BGB vereinbart hatten, musste die Mutter (Nießbraucherin) nun auch für die allgemeine Entwertung der Sache einstehen.
    • Dies führte zwangsläufig dazu, dass sie auch die außergewöhnlichen Erhaltungsmaßnahmen zu tragen hatte, da diese dazu dienen, den altersbedingten Wertverlust auszugleichen. Wenn die Mutter für die altersbedingte Verschlechterung des Hauses aufkommen muss, dann gehört dazu auch die Erneuerung eines maroden Daches.
  5. Vertragliche Vereinbarung ist zulässig:
    • Der BGH betonte, dass es den Parteien freisteht, vertraglich von den gesetzlichen Regelungen abzuweichen. Auch wenn § 1050 BGB nicht mit dinglicher Wirkung abdingbar ist (also nicht direkt im Grundbuch geändert werden kann), so ist eine schuldrechtliche Vereinbarung (also eine Vereinbarung zwischen den Vertragspartnern im Rahmen des zugrunde liegenden Vertragsverhältnisses), wie sie hier vorlag, zulässig.
    • Durch diese Vereinbarung konnte der Nießbraucherin eine umfassendere Pflicht zur Erhaltung auferlegt werden.
  6. Interessen der Parteien:
    • Die Auslegung des Vertrags entsprach auch den Interessen der Parteien. Das Grundstück wurde der Klägerin (Tochter) als vorweggenommene Erbfolge kostenlos übertragen. Die Nutzungen des Grundstücks sollten aber zu Lebzeiten der Beklagten (Mutter) nur ihr zugute kommen. Die Klägerin sollte während dieser Zeit von jeglichen Belastungen befreit sein.
    • Die Tatsache, dass die Beklagte die steuerliche Absetzung für Abnutzung (AfA) geltend machen durfte, deutete ebenfalls darauf hin, dass sie als wirtschaftliche Eigentümerin die Lasten des Grundstücks tragen sollte.
  7. Zustand des Grundstücks und Mieterlöse:
    • Dass der Zustand des Grundstücks bei Vertragsabschluss nicht dokumentiert wurde, war laut BGH kein Argument gegen die Verpflichtung der Beklagten, da dies eher zu Lasten der Klägerin gehen würde.
    • Auch die Frage, ob die Mieterlöse ausreichen, um die notwendigen Reparaturen zu finanzieren, spielte keine Rolle. Der BGH verwies darauf, dass ein Nießbraucher immer die Möglichkeit hat, auf den Nießbrauch zu verzichten, wenn die Kosten die Erträge übersteigen.

Fazit

Der BGH bestätigte, dass die Mutter aufgrund der spezifischen Vereinbarung im Notarvertrag die Kosten für alle Reparaturen und Erhaltungsmaßnahmen am Grundstück selbst tragen musste, auch die außergewöhnlichen. Die ursprüngliche Klage der Mutter auf Kostenerstattung wurde somit endgültig abgewiesen.


Haben Sie noch weitere Fragen zu diesem Urteil oder zum Nießbrauchrecht?

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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