Haftung des Vermieters bei Glatteisunfall auf Gemeinschaftseigentum

Oktober 19, 2025

Haftung des Vermieters bei Glatteisunfall auf Gemeinschaftseigentum

Gericht: BGH 8. Zivilsenat
Entscheidungsdatum: 06.08.2025
Aktenzeichen: VIII ZR 250/23
Dokumenttyp: Urteil

vorgehend LG Limburg, 6. Oktober 2023, Az: 3 S 32/23
vorgehend AG Wetzlar, 16. Februar 2023, Az: 35 C 158/21

Der Bundesgerichtshof (BGH) musste entscheiden, ob ein Wohnungseigentümer, der seine Wohnung vermietet, für Schäden haftet, die seine Mieterin durch einen Sturz bei Eisglätte auf einem Weg des Grundstücks erlitten hat, der zum Gemeinschaftseigentum der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) gehört.

Der Fall: Sturz auf eisigem Weg

Eine Mieterin (Klägerin) stürzte an einem Wintermorgen auf dem zum Haus führenden Weg, der Teil des gemeinschaftlichen Grundstücks der WEG war. Der Weg war nicht von Glatteis befreit, obwohl Glatteis angekündigt war. Die Mieterin erlitt schwere Verletzungen und verlangte Schmerzensgeld von ihrer Vermieterin (Beklagte), der Eigentümerin der Wohnung.

Der Winterdienst auf dem Grundstück wurde von der WEG an einen externen Dienstleister (Streithelferin) vergeben. Der Mietvertrag sah zwar vor, dass die Mieterin die Kosten für den Winterdienst über die Betriebskosten trägt und theoretisch auch selbst zum Räumen verpflichtet wäre, aber nur, soweit diese Arbeiten nicht anderweitig vorgenommen werden.

Die bisherigen Urteile

Amtsgericht (AG):

Gab der Klage statt und verurteilte die Vermieterin zur Zahlung von 12.000 € Schmerzensgeld.

Landgericht (LG) – Berufungsgericht:

Änderte das Urteil und wies die Klage vollständig ab. Das LG argumentierte, die Verkehrssicherungspflicht (Räum- und Streupflicht) treffe nicht die Vermieterin als Einzelperson, sondern die WEG als Grundstückseigentümerin. Da die WEG den Winterdienst an einen Dienstleister delegiert hatte, hafte sie selbst nur bei Verletzung ihrer Kontrollpflicht, was nicht ersichtlich sei. Eine Haftung der Vermieterin aus dem Mietvertrag lehnte das Gericht ebenfalls ab.

Haftung des Vermieters bei Glatteisunfall auf Gemeinschaftseigentum

Die Entscheidung des BGH: Vermieter bleibt in der Pflicht

Der BGH hob das Urteil des Landgerichts auf und verwies den Fall zur neuen Verhandlung zurück. Er stellte klar, dass ein Anspruch der Mieterin gegen die Vermieterin auf Schadensersatz (Schmerzensgeld) aus einer Verletzung mietvertraglicher Nebenpflichten in Betracht kommt.

Vertragliche Räum- und Streupflicht des Vermieters

Pflicht aus dem Mietvertrag:

Der Vermieter ist grundsätzlich verpflichtet, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache zu gewähren, wozu auch ein sicherer Zugang zur Wohnung gehört. Diese mietvertragliche Pflicht zur Erhaltung und Verkehrssicherung umfasst auch das Räumen und Streuen der zum Haus führenden Wege auf dem Grundstück.

Eigentumsverhältnisse irrelevant:

Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob der Vermieter Alleineigentümer oder, wie hier, nur Mitglied einer WEG ist und der Weg zum Gemeinschaftseigentum gehört. Die vertragliche Schutzpflicht des Vermieters gegenüber seinem Mieter ist vom Verhältnis der WEG zu den Eigentümern getrennt zu sehen. Der Mieter hat Anspruch auf ein gleiches Schutzniveau wie jeder andere Mieter.

Keine wirksame Übertragung der Haftung auf den Mieter

Der BGH sah in der Klausel, dass der Mieter zwar die Kosten trägt und die Pflicht grundsätzlich auf ihn übertragen wird, dies aber entfällt, wenn die Arbeiten anderweitig (hier: durch den Dienstleister) vorgenommen werden, keine klare Haftungsfreistellung des Vermieters.

Haftung für den Dienstleister (Erfüllungsgehilfe)

Der Vermieter kann sich zur Erfüllung seiner mietvertraglichen Pflichten eines Dritten (hier: den vom WEG beauftragten Winterdienst) bedienen. Dieser Dritte wird zum Erfüllungsgehilfen des Vermieters.

Volle Haftung: Im Gegensatz zum allgemeinen (deliktischen) Recht, wo der Auftraggeber nur für Auswahl- und Kontrollfehler haftet, haftet der Vermieter im Vertragsverhältnis gemäß § 278 BGB für das volle Verschulden seines Erfüllungsgehilfen wie für sein eigenes.

Die Vermieterin hat die Kosten des Dienstleisters an die Mieterin weitergegeben und somit ihren Willen gezeigt, dass dieser Dienstleister auch für sie zur Erfüllung ihrer Schutzpflichten aus dem Mietvertrag tätig wird.

Fazit

Die Vermieterin kann sich gegenüber ihrer Mieterin nicht einfach darauf berufen, dass die WEG den Winterdienst an einen externen Dienstleister vergeben hat. Die mietvertragliche Räum- und Streupflicht gegenüber der Mieterin bleibt bestehen. Stürzt die Mieterin wegen mangelhaften Winterdienstes, muss sich die Vermieterin das Verschulden des Dienstleisters (der hier als ihr Erfüllungsgehilfe angesehen wird) zurechnen lassen und haftet somit für den Schaden.

Das Landgericht muss nun feststellen, ob der Winterdienst tatsächlich seine Pflicht verletzt hat und die Vermieterin ein Verschulden des Dienstleisters beweisen kann, um die Haftung abzuwenden.

RA und Notar Krau

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