Haftung eines ausgeschiedenen Gesellschafters für nach dem Ausscheiden fällige Altverbindlichkeiten

Mai 1, 2025

Haftung eines ausgeschiedenen Gesellschafters für nach dem Ausscheiden fällige Altverbindlichkeiten

LAG Hessen Urteil vom 13.12.2024 – 10 SLa 746/24 SK (nicht rechtskräftig)

RA und Notar Krau

Hintergrund des Rechtsstreits

Im vorliegenden Fall stritt eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes (im Folgenden: Klägerin) gegen eine ehemalige Mitgesellschafterin (im Folgenden: Beklagte) einer

Gesellschaft bürgerlichen Rechts (im Folgenden: GbR) über die Zahlung von Sozialkassenbeiträgen.

Die Beiträge betrafen den Zeitraum November 2020 bis Februar 2021 und waren somit nach dem Ausscheiden der Beklagten aus der GbR fällig geworden.

Die Beklagte hatte zusammen mit ihrem damaligen Ehemann die „A GbR“ gegründet, an der sie mit 25 % beteiligt war.

Gegenstand des Unternehmens waren Entkernung, Entrümpelung, Sanierung und Reinigung.

Der Gesellschaftsvertrag sah eine gemeinschaftliche Geschäftsführung und Vertretung vor.

Am 29. September 2020 schlossen die Beklagte und ihr Ehemann eine Vereinbarung, in der die Auflösung der GbR aufgrund privater Trennung/Scheidung beschlossen wurde.

Die Beklagte verzichtete auf erworbene Güter, Gewinnauszahlung und Ansprüche auf Teilung der Maschinen, während ihr Ehemann sämtliche Schulden der GbR übernahm.

Die Gewerbeabmeldung der GbR erfolgte zum 1. Juni 2021.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden hatte der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung der Beiträge verurteilt.

Haftung eines ausgeschiedenen Gesellschafters für nach dem Ausscheiden fällige Altverbindlichkeiten

Es argumentierte, dass die Beklagte als ehemalige Mitgesellschafterin gemäß §§ 128 Abs. 1 HGB a.F. analog und 160 Abs. 1 HGB a.F. für die Beitragsschulden hafte,

da die Rechtsgrundlage hierfür bereits vor ihrem Ausscheiden gelegt worden sei.

Die Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern wirke lediglich im Innenverhältnis.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hessen

Das Landesarbeitsgericht Hessen wies die Berufung der Beklagten zurück und bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichts.

Es kam zu dem Ergebnis, dass die Beklagte für die nach ihrem Ausscheiden fällig gewordenen Beiträge aus dem Gesichtspunkt

der Nachhaftung gemäß § 736 Abs. 2 BGB a.F. in Verbindung mit § 160 Abs. 1 HGB a.F. hafte.

Begründung des Landesarbeitsgerichts

Das Gericht stellte zunächst fest, dass die GbR durch die Vereinbarung vom 29. September 2020 wirksam aufgelöst worden sei.

Ein Auflösungsbeschluss bzw. -vertrag aller Gesellschafter könne eine GbR jederzeit auflösen.

Haftung eines ausgeschiedenen Gesellschafters für nach dem Ausscheiden fällige Altverbindlichkeiten

Die Formulierung in der Vereinbarung brachte den Willen zur Auflösung hinreichend deutlich zum Ausdruck, zumal die Beklagte

gleichzeitig ihren Gesellschaftsanteil auf ihren Ehemann übertrug und die unternehmerische Tätigkeit der GbR beendet wurde.

Im Hinblick auf die Haftung der Beklagten führte das Landesarbeitsgericht aus, dass die Regelungen des Gesellschaftsrechts in der Fassung zum Zeitpunkt der Auflösung der GbR im September 2020

anzuwenden seien, da das MoPeG erst am 1. Januar 2024 in Kraft getreten ist und es an Übergangsvorschriften für die hier relevanten Normen fehlt.

Entscheidend sei die lex temporis actus.

Das Gericht bejahte die Nachhaftung der Beklagten für die Beiträge von November 2020 bis Februar 2021.

Gemäß § 160 Abs. 1 HGB a.F. hafte ein ausgeschiedener Gesellschafter für die bis dahin begründeten Verbindlichkeiten, wenn diese innerhalb von fünf Jahren nach dem Ausscheiden fällig werden.

Da es sich bei einer GbR nach damaligem Recht nicht um ein Handelsgewerbe handelte, begann die Fünfjahresfrist mit der Kenntniserlangung des Gläubigers vom Ausscheiden des Gesellschafters.

Das Landesarbeitsgericht stellte fest, dass die Rechtsgrundlage für die Beitragsverpflichtungen gegenüber der Klägerin bereits vor dem

Ausscheiden der Beklagten am 29. September 2020 gelegt worden sei und es sich somit um sogenannte „Altverbindlichkeiten“ handele.

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Entscheidend sei nicht der Zeitpunkt der Fälligkeit der Forderung, sondern die Begründung des Rechtsgrundes.

Im Falle von Dauerschuldverhältnissen, wie hier in Form der Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags und der Arbeitsverhältnisse im Baugewerbe,

komme es auf den Abschluss des Dauerschuldvertrags bzw. die Begründung der Rechtsgrundlage an.

Durch die Allgemeinverbindlicherklärung entstand eine Sonderrechtsverbindung, und aus den Arbeitsverträgen ergaben sich monatlich neue Beitragsverpflichtungen.

Maßgeblich sei, dass im Betrieb der GbR bereits vor der Auflösung Arbeitnehmer mit baugewerblichen Tätigkeiten beschäftigt waren und diese auch nach der Auflösung weiter beschäftigt wurden.

Die Vereinbarung zwischen den ehemaligen Gesellschaftern, wonach der Ehemann sämtliche Schulden der GbR übernahm,

wirke lediglich im Innenverhältnis und befreie die Beklagte nicht von ihrer Haftung gegenüber Dritten.

Auch ein hypothetischer Betriebsübergang gemäß § 613a Abs. 1 BGB auf den Ehemann hätte das Ergebnis nicht geändert.

Selbst wenn man die Haftung des ausscheidenden Gesellschafters in einem solchen Fall auf ein Jahr begrenzen würde, wären die hier streitgegenständlichen Beiträge noch erfasst.

Das Landesarbeitsgericht wies zudem das Argument der Beklagten zurück, dass die Arbeitsverträge mit den gewerblichen Arbeitnehmern möglicherweise unwirksam gewesen seien.

Für die Beitragspflicht gegenüber der Klägerin komme es lediglich darauf an, dass ein Vergütungsanspruch der Arbeitnehmer gegenüber der GbR entstanden sei.

Bei unwirksamen Verträgen bestehe jedenfalls ein Anspruch auf die übliche Vergütung gemäß § 612 BGB, sofern die Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hätten.

Die Höhe der Beitragsforderung war unstreitig, da sie auf Meldungen der Beklagtenseite beruhte.

Die Beitragspflicht der GbR ergab sich aus § 5 Abs. 4 Satz 1 TVG in Verbindung mit der Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags.

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Die dreijährige Ausschlussfrist des § 21 VTV war ebenfalls eingehalten.

Fazit des Landesarbeitsgerichts

Das Landesarbeitsgericht Hessen bestätigte somit die Haftung der ausgeschiedenen Gesellschafterin für die nach ihrem Ausscheiden fällig gewordenen Sozialkassenbeiträge,

da die Rechtsgrundlage für diese Verbindlichkeiten bereits vor ihrem Ausscheiden aus der GbR gelegt worden war.

Die Nachhaftung gemäß § 736 Abs. 2 BGB a.F. in Verbindung mit § 160 Abs. 1 HGB a.F. erstreckte sich auf diese sogenannten Altverbindlichkeiten.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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