Herausgabe aufgrund Erbvertrag keine Enteignung durch Bodenreform

September 16, 2017

Herausgabe aufgrund Erbvertrag keine Enteignung durch Bodenreform

Thüringer OLG 8 U 577/00

RA und Notar Krau

Sachverhalt:

Die Klägerinnen, zwei Schwestern, fordern von der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten die Herausgabe zweier historischer Möbelstücke:

eines Schreibsekretärs, den Goethe seiner Freundin Charlotte von Stein geschenkt hatte, und eines Schreibtisches, der Goethe selbst gehörte.

Beide Möbelstücke befinden sich in der Goethe-Gedenkstätte Schloss Kochberg, die von der Beklagten verwaltet wird.

Die Klägerinnen leiten ihren Anspruch auf Herausgabe aus einem Erbvertrag aus dem Jahr 1933 ab.

Damals schloss der damalige Eigentümer des Schlosses, Freiherr von S., einen Erbvertrag mit seinem Neffen, dem Vater der Klägerinnen.

Darin wurde festgelegt, dass der Neffe das Schloss und die „Goethe-Erinnerungsstücke“ erben sollte.

Nach dem Tod des Freiherrn von S. im Jahr 1938 erbte der Neffe das Schloss und die Möbel.

Im Zuge der Bodenreform wurde das Schloss enteignet, die Möbel verblieben jedoch im Schloss.

Der Neffe verstarb 1981, die Klägerinnen sind seine Erbinnen.

Herausgabe aufgrund Erbvertrag keine Enteignung durch Bodenreform

Prozessverlauf:

Die Klägerinnen haben vor dem Landgericht Erfurt Klage auf Herausgabe der Möbelstücke erhoben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da es davon ausging, dass die Möbelstücke im Zuge der Bodenreform enteignet worden seien.

Gegen dieses Urteil legten die Klägerinnen Berufung beim Thüringer Oberlandesgericht ein.

Entscheidung des Oberlandesgerichts:

Das Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Beklagte zur Herausgabe der Möbelstücke verurteilt.

Begründung:

  1. Rechtsweg: Das Oberlandesgericht prüfte zunächst, ob der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist. Die Beklagte hatte die Ansicht vertreten, dass für die Klage die Verwaltungsgerichte zuständig seien, da es sich um einen Anspruch aus dem Ausgleichsleistungsgesetz handele. Das Oberlandesgericht entschied jedoch, dass der ordentliche Rechtsweg eröffnet ist, da die Klägerinnen die Enteignung der Möbelstücke bestritten. Wäre keine Enteignung erfolgt, so wäre der Anspruch aus § 985 BGB (Herausgabeanspruch des Eigentümers) gegeben.

Herausgabe aufgrund Erbvertrag keine Enteignung durch Bodenreform

  1. Eigentum: Das Oberlandesgericht stellte fest, dass die Klägerinnen Eigentümerinnen der Möbelstücke sind. Sie haben das Eigentum von ihrem Vater geerbt, der seinerseits aufgrund des Erbvertrages Eigentümer geworden war.

  2. Enteignung: Das Oberlandesgericht verneinte eine Enteignung der Möbelstücke. Es führte aus, dass die Bodenreform nur landwirtschaftliches Mobiliar umfasste, nicht aber Kunstgegenstände. Für eine Enteignung der Möbelstücke durch Verwaltungsakt fehlten jegliche Anhaltspunkte. Auch aus der bloßen Existenz der DDR konnte nicht auf eine Enteignung geschlossen werden, da die DDR privates Eigentum anerkannte und schützte.

  3. Erbvertrag: Der Erbvertrag begründete keinen Anspruch der Beklagten auf Überlassung der Möbelstücke. Die Beklagte hätte zwar aufgrund der Auflage im Erbvertrag von dem Vater der Klägerinnen die Belassung der Möbelstücke im Schloss verlangen können. Die Klägerinnen sind aber nicht an die Stelle ihres Vaters getreten und müssen die Auflage nicht erfüllen.

  4. Denkmalschutz: Das Oberlandesgericht stellte fest, dass die Möbelstücke Kulturdenkmäler im Sinne des Thüringer Denkmalschutzgesetzes sind. Die Herausgabe der Möbelstücke steht daher unter dem Vorbehalt der Erteilung einer denkmalschutzrechtlichen Genehmigung.

  5. Kulturgutschutz: Soweit die Klägerinnen die Möbelstücke ins Ausland verbringen wollen, bedürfen sie zusätzlich einer Genehmigung nach dem Kulturgutschutzgesetz.

Fazit:

Das Urteil des Thüringer Oberlandesgerichts ist ein wichtiger Präzedenzfall für die Frage, ob Kunstgegenstände im Zuge der Bodenreform enteignet wurden.

Das Gericht hat entschieden, dass die Bodenreform nur landwirtschaftliches Mobiliar umfasste und für eine Enteignung

von Kunstgegenständen ein individueller Zugriffsakt erforderlich gewesen wäre.

Da ein solcher im vorliegenden Fall nicht vorlag, waren die Klägerinnen als Erbinnen des ehemaligen Eigentümers

weiterhin Eigentümerinnen der Möbelstücke und hatten Anspruch auf deren Herausgabe.

Zusätzliche Anmerkungen:

  • Das Urteil zeigt die Bedeutung von Erbverträgen für die Klärung von Eigentumsverhältnissen.
  • Die Entscheidung des Gerichts trägt dazu bei, die Eigentumsrechte von Personen zu schützen, deren Besitz in der ehemaligen DDR enteignet wurde.
  • Die Herausgabe der Möbelstücke steht unter dem Vorbehalt der Erteilung einer denkmalschutzrechtlichen Genehmigung. Dies zeigt, dass der Schutz von Kulturgütern ein wichtiger Aspekt bei der Entscheidung des Gerichts war.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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