Hypothetischer Wille des Erblassers bei Vorversterben des gewillkürten Alleinerben

Juni 4, 2018

Hypothetischer Wille des Erblassers bei Vorversterben des gewillkürten Alleinerben

OLG München Beschluss 11.12.2014 – 31 Wx 379/14

RA und Notar Krau

Der Beschluss des OLG München (11.12.2014 – 31 Wx 379/14) behandelt die Frage, ob die Schwestern der vorverstorbenen

Ehefrau eines Erblassers als Ersatzerbinnen in Betracht kommen,

wenn der Erblasser sie nicht explizit in seinem Testament erwähnt hat.

Der Erblasser, ein Volljurist, setzte in seinem handschriftlichen Testament vom 16.04.1988 seine Ehefrau als Alleinerbin ein, ohne für den Fall ihres Vorversterbens vorzusorgen.

Nach ihrem Tod im Jahr 2012 strebte eine ihrer Schwestern eine ergänzende Testamentsauslegung an, um sich und ihre andere Schwester als Erbinnen zu etablieren.

Sie argumentierte, der Erblasser habe enge Beziehungen zur Familie seiner Ehefrau gepflegt und wäre in dieser integriert gewesen.

Er habe wiederholt geäußert, dass das Vermögen seiner Frau und deren Geschwistern zufallen sollte.

Das Nachlassgericht wies den Antrag zurück, da es keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine solche Ersatzerbeneinsetzung sah.

Es gab keine klare Andeutung im Testament, die auf einen entsprechenden Willen des Erblassers hindeutete.

Hypothetischer Wille des Erblassers bei Vorversterben des gewillkürten Alleinerben

Der OLG-Senat bestätigte diese Entscheidung, da die ergänzende Testamentsauslegung voraussetzt, dass das Testament eine planwidrige Regelungslücke aufweist,

die durch den mutmaßlichen Willen des Erblassers geschlossen werden kann.

In diesem Fall sah der Senat keine ausreichenden Indizien dafür, dass der Erblasser die Schwestern seiner Frau als Erbinnen eingesetzt hätte, wenn er ihr Vorversterben bedacht hätte.

Die vorgetragenen familiären Beziehungen reichten nicht aus, um einen solchen mutmaßlichen Willen nachzuweisen.

Insbesondere konnte die Zeugenaussage nicht belegen, dass der Erblasser eine Ersatzerbeneinsetzung der Schwestern seiner Ehefrau gewünscht hätte.

Das Gericht lehnte daher den Antrag ab.

Allgemeiner Hinweis:

Hypothetischer Wille des Erblassers bei Vorversterben des gewillkürten Alleinerben

Die ergänzende Testamentsauslegung kommt zum Tragen, wenn das Testament eine planwidrige Regelungslücke aufweist.

Das bedeutet, der Erblasser hat bei der Abfassung seines Testaments einen bestimmten Sachverhalt nicht bedacht oder übersehen, der für die Verteilung seines Nachlasses relevant ist.

Ziel der ergänzenden Testamentsauslegung:

Ziel ist es, diese Lücke zu schließen und den Willen des Erblassers zu ermitteln, den er mutmaßlich gehabt hätte, wenn er den Sachverhalt bedacht hätte.

Es geht also nicht darum, den tatsächlichen Willen des Erblassers zu erforschen, sondern den hypothetischen Willen.

Voraussetzungen:

  • Planwidrige Lücke: Die Lücke muss planwidrig sein, d.h. der Erblasser hat den Sachverhalt nicht absichtlich ungeregelt gelassen.
  • Kein anderer Auslegungsgrundsatz: Die Lücke darf nicht durch andere Auslegungsgrundsätze, wie z.B. die Auslegung nach dem Wortlaut oder die systematische Auslegung, geschlossen werden können.
  • Erkennbarer Wille: Es müssen Anhaltspunkte im Testament oder in den Umständen des Erblassers vorhanden sein, die auf seinen mutmaßlichen Willen schließen lassen.

Beispiele für planwidrige Regelungslücken:

  • Vorversterben des Erben: Der Erblasser hat keinen Ersatzerben bestimmt für den Fall, dass der eingesetzte Erbe vor ihm stirbt.
  • Geburt eines Kindes nach Testamentserrichtung: Der Erblasser hat kein Kind bedacht, das nach der Testamentserrichtung geboren wurde.
  • Unvorhergesehener Vermögenserwerb: Der Erblasser hat einen erheblichen Vermögenswert erworben, den er im Testament nicht berücksichtigt hat.

Methoden der ergänzenden Testamentsauslegung:

  • Auslegung nach dem Gesamtzusammenhang des Testaments: Der Wille des Erblassers wird aus dem Gesamtbild des Testaments ermittelt.
  • Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Erblassers: Die Lebensumstände, die familiären Beziehungen und die Wertvorstellungen des Erblassers werden herangezogen.
  • Heranziehung allgemeiner Lebenserfahrung: Es wird berücksichtigt, wie ein verständiger Mensch in der Situation des Erblassers typischerweise handeln würde.

Grenzen der ergänzenden Testamentsauslegung:

  • Keine freie Erfindung: Der Wille des Erblassers darf nicht frei erfunden werden. Es müssen Anhaltspunkte für seinen mutmaßlichen Willen vorhanden sein.
  • Keine Umgehung des Formzwangs: Die ergänzende Testamentsauslegung darf nicht dazu dienen, den Formzwang für Testamente zu umgehen.

Wichtige Hinweise:

  • Die ergänzende Testamentsauslegung ist eine komplexe Materie und erfordert juristische Expertise.
  • Im Zweifelsfall entscheidet das Nachlassgericht über die Auslegung des Testaments.
  • Es ist ratsam, sich bei der Testamentserrichtung von einem Rechtsanwalt oder Notar beraten zu lassen, um Regelungslücken zu vermeiden.

Zusätzliche Informationen:

  • § 133 BGB: Regelt die Auslegung von Willenserklärungen.
  • § 2087 BGB: Regelt die Auslegung letztwilliger Verfügungen.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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