Immaterieller Schadensersatz – Mobbing – Verwirkung

November 1, 2025

Immaterieller Schadensersatz – Mobbing – Verwirkung


Zusammenfassung: BAG, Urteil vom 11.12.2014 – 8 AZR 838/13 (Schmerzensgeld wegen Mobbings)

Dieses Urteil des BAG befasst sich mit der Frage, ob ein Anspruch auf Schmerzensgeld wegen Mobbings verwirkt oder verjährt ist, wenn die Klage erst längere Zeit nach den vermeintlichen Mobbing-Handlungen eingereicht wird.

Der Fall

  • Der Kläger (Arbeitnehmer) verklagte den Beklagten (seinen ehemaligen Vorgesetzten) auf Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.000 Euro wegen Mobbings im Zeitraum von 2006 bis Anfang 2008.
  • Der Kläger behauptete, der Beklagte habe ihn isoliert, herabgewürdigt und schikaniert, was zu einer schweren Erkrankung (chronisches Überlastungssyndrom und Depression) geführt habe.
  • Die letzte angebliche Mobbing-Handlung war im Februar 2008.
  • Die Klage auf Schmerzensgeld reichte der Kläger erst im Dezember 2010 ein.

Die Vorinstanzen

  1. Arbeitsgericht: Wies die Klage ab, da es kein Mobbing im Sinne der Rechtsprechung sah.
  2. Landesarbeitsgericht (LAG): Wies die Klage ebenfalls ab, stützte seine Entscheidung aber allein auf den Einwand der Verwirkung. Das LAG meinte, der Kläger habe mit der Klage „annähernd zwei Jahre“ zugewartet und damit gegen Treu und Glauben verstoßen, weshalb der Anspruch erloschen sei.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG)

Das BAG gab dem Kläger recht, hob das Urteil des LAG auf und verwies den Fall zur neuen Verhandlung zurück.

Die Kernaussagen des BAG lauten:

1. Verjährung liegt nicht vor.

  • Für Schmerzensgeldansprüche gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB).
  • Diese Frist beginnt am Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Kläger davon wusste. Bei Mobbing ist das der Abschluss der letzten Mobbing-Handlung.
  • Letzte Mobbing-Handlung: Februar 2008.
  • Verjährungsbeginn: 31. Dezember 2008.
  • Verjährungsende: 31. Dezember 2011.
  • Klageeingang: 28. Dezember 2010.
  • Ergebnis: Die Klage wurde innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist eingereicht. Die Einrede der Verjährung ist unbegründet.

Immaterieller Schadensersatz – Mobbing – Verwirkung

2. Verwirkung liegt nicht vor.

Das BAG widersprach dem LAG und stellte klar, dass die strengen Voraussetzungen der Verwirkung nicht erfüllt sind.

  • Was ist Verwirkung? Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung. Sie bedeutet, dass ein Recht erlischt, wenn es illoyal verspätet geltend gemacht wird.
  • Dafür müssen zwei Voraussetzungen gegeben sein:
    • Zeitmoment: Der Ablauf einer längeren Zeitspanne.
    • Umstandsmoment: Es müssen besondere Umstände hinzukommen, die das berechtigte Vertrauen des Schuldners (hier: des Beklagten) begründen, der Gläubiger (hier: der Kläger) werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen.
  • Bewertung durch das BAG:
    • Kein Umstandsmoment: Das BAG stellte fest, dass es am Umstandsmoment fehle. Das bloße Zuwarten oder „Nichtstun“ des Klägers reicht dafür nicht aus. Es gab keine Pflicht des Klägers, den Anspruch früher geltend zu machen. Weder das Ende des Arbeitsverhältnisses noch die Insolvenz der Firma sind hierfür ausreichende Umstände.
    • Beweisschwierigkeiten reichen nicht: Das BAG betonte, dass potenzielle Beweisschwierigkeiten des Beklagten bei längerem Zeitablauf kein ausreichender Grund für die Annahme einer Verwirkung sind, da dies die gesetzliche Verjährungsfrist (drei Jahre) unterlaufen würde. Beweisschwierigkeiten treffen den Kläger im gleichen Maße.
  • Ergebnis: Da das Umstandsmoment fehlt, ist der Anspruch nicht verwirkt. Die Anwendung des Instituts der Verwirkung zur weiteren Abkürzung der dreijährigen Verjährungsfrist ist nur bei ganz besonderen Umständen möglich, die hier nicht vorliegen.

Konsequenz

Das BAG konnte nicht abschließend über den Fall entscheiden, da das LAG nur die Verwirkung geprüft, aber nicht geklärt hatte, ob tatsächlich Mobbing vorlag.

Die Sache wurde daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das LAG muss nun prüfen, ob die vom Kläger behaupteten Handlungen des Vorgesetzten in ihrer Gesamtheit eine hinreichend schwere Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen und damit einen Schmerzensgeldanspruch begründen.


Kurz gesagt:

Ein Anspruch auf Schmerzensgeld wegen Mobbing ist nicht automatisch verwirkt, nur weil der Geschädigte die Klage nicht sofort einreicht. Solange die dreijährige Verjährungsfrist (gerechnet ab der letzten Mobbing-Handlung) eingehalten wird, muss der Schuldner schon besondere Gründe vortragen und beweisen, die sein berechtigtes Vertrauen begründen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Das bloße Verstreichenlassen der Zeit oder Beweisschwierigkeiten reichen dafür in der Regel nicht aus.

RA und Notar Krau

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