KG Berlin 1 W 361/10

August 23, 2017

KG Berlin 1 W 361/10 Gemeinschaftliches Testament: Wirksamkeit eines Widerrufs wechselbezüglicher Verfügungen

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.

Gründe KG Berlin 1 W 361/10 

Die weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 27 ff. FGG i.V.m. Art. 111 Abs.1 S.1 FGG-RG) und begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Rechtsfehler (§ 27 Abs.1 FGG i.V.m. § 546 ZPO).

KG Berlin 1 W 361/10

Das Landgericht hat angenommen, die Beteiligte zu 1) sei auf Grund des gemeinschaftlichen Testaments vom 3. Mai 1966 (UR-Nr. 2… des Notars J. S.) befreite Vorerbin der Erblasserin. Dabei ist es rechtlich zutreffend davon ausgegangen, dass die Erblasserin nach dem Tod ihres (ersten) Ehemanns W. W. gemäß § 2271 Abs.2 S.1 Hs.1 BGB an die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1) gebunden war, so dass deren Enterbung und die Bestimmung des Beteiligten zu 2) zum Erben im Testament vom 24. August 2001 (UR-Nr. 9… des Notars M. T.) sowie in späteren Testamenten grundsätzlich entsprechend § 2289 Abs.1 BGB unwirksam ist. Die Ausführungen des Landgerichts, die Erblasserin sei auch nicht gemäß § 2271 Abs.2 S.2 i.V.m. §§ 2294, 2336 BGB berechtigt gewesen, die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1) aufzuheben, sind jedoch rechtlich zu beanstanden.

Das Landgericht hat offen gelassen, ob sich die Beteiligte zu 1) des im Testament vom 24. August 2001 angegebenen Vergehens schuldig gemacht habe, das einen Entziehungsgrund nach § 2333 Abs.1 Nr.2 BGB darstellen könne, weil die Erblasserin der Beteiligten zu 1) jedenfalls nachfolgend – ab August 2002 – i.S.v. § 2337 S.2 BGB verziehen habe. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Hat der überlebende Ehegatte eine wechselbezügliche Verfügung (§ 2270 BGB) bei Vorliegen einer Verfehlung nach §§ 2294, 2333 ff. BGB in der Form des § 2336 BGB wirksam aufgehoben, wird der Widerruf durch eine nachträgliche Verzeihung i.S.v. § 2337 S.2 BGB nicht unwirksam.

KG Berlin 1 W 361/10

Die Vorschrift gilt nur für die Entziehung des Pflichtteils nach §§ 2333 ff. BGB und nicht für die Aufhebung einer Verfügung gemäß § 2271 Abs.2 S.2 BGB (MüKo/Musielak, BGB, 5. Aufl., § 2271 Rn. 29; vgl. auch Palandt/Edenhofer, BGB, 69. Aufl., § 2294 Rn. 1; Staudinger/Kanzleiter, BGB, Neubearb. 2006, § 2294 Rn. 5; Soergel/Wolf, BGB, 13. Aufl., § 2294 Rn. 4; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl., S. 513 Fn. 263 jew. zu § 2294 BGB). Weder § 2271 Abs.2 S.2 BGB noch § 2294 BGB verweisen auf § 2337 S.2 BGB; für eine entsprechende Anwendung besteht kein hinreichender Grund. Dem Erblasser verbleibt wie auch sonst die Möglichkeit, neu zu testieren bzw. den Widerruf gemäß §§ 2253 ff. BGB zu widerrufen.

Die vom Landgericht bejahte Verzeihung nach § 2337 S.2 BGB könnte für die Erbfolge nur erheblich sein, wenn nach dem Willen der Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung gemäß § 2085 BGB anzunehmen wäre, dass der Erbausschluss der Beteiligten zu 1) von der Wirksamkeit der gleichzeitig verfügten Pflichtteilsentziehung abhängen sollte (vgl. OLG Hamm, FamRZ 1972, 660, 662; BayObLG, NJW-RR 1996, 967, 968).

Dafür dürften schon im Hinblick auf die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) als langjährigem Lebensgefährten der Erblasserin keine ausreichenden Anhaltspunkte bestehen.

Das Landgericht wird festzustellen haben, ob sich die Beteiligte zu 1) der im Testament vom 24. August 2001 genannten Verfehlung (§ 2336 Abs.2 BGB) schuldig gemacht hat und ob dies nach den Umständen des Einzelfalls als Entziehungsgrund gemäß § 2333 Nr.3 BGB a.F. (§ 2333 Abs.1 Nr.2 BGB) zu werten ist.

Dabei wird es auch die Angaben des Beteiligten zu 2) im Schriftsatz vom 29. Juni 2010 zum geltend gemachten Vorfall vom 9. bzw. 13. November 1989 zu berücksichtigen haben, zu denen die Beteiligte zu 1) noch nicht Stellung genommen hat.

KG Berlin 1 W 361/10

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

cemetery with bare trees

Belastung Vermächtnisnehmer mit Grabpflege ist höchstpersönlich und geht nicht auf dessen Erben über – AG München 158 C 16069/22

April 18, 2024
Belastung Vermächtnisnehmer mit Grabpflege ist höchstpersönlich und geht nicht auf dessen Erben über – AG München 158 C 16069/22Zusammenfassun…
paragraph, a book, law

Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Gewährung eines Zuwendungsnießbrauchs – OLG Saarbrücken 5 U 35/23

April 18, 2024
Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Gewährung eines Zuwendungsnießbrauchs – OLG Saarbrücken 5 U 35/23Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 232…
paragraph, gold, law

Zwangsgeld zur Durchsetzung titulierten Anspruches auf Vorlage notariellen Nachlassverzeichnisses – OLG Köln 24 W 49/23

April 18, 2024
Zwangsgeld zur Durchsetzung titulierten Anspruches auf Vorlage notariellen Nachlassverzeichnisses – OLG Köln 24 W 49/23Inhaltsverzeichnis:…