Kammergericht Berlin, 1 W 361/10
Gemeinschaftliches Testament: Wirksamkeit eines Widerrufs wechselbezüglicher Verfügungen
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.
Gründe
Die weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 27 ff. FGG i.V.m. Art. 111 Abs.1 S.1 FGG-RG) und begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Rechtsfehler (§ 27 Abs.1 FGG i.V.m. § 546 ZPO).
Das Landgericht hat angenommen, die Beteiligte zu 1) sei auf Grund des gemeinschaftlichen Testaments vom 3. Mai 1966 (UR-Nr. 2… des Notars J. S.) befreite Vorerbin der Erblasserin. Dabei ist es rechtlich zutreffend davon ausgegangen, dass die Erblasserin nach dem Tod ihres (ersten) Ehemanns W. W. gemäß § 2271 Abs.2 S.1 Hs.1 BGB an die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1) gebunden war, so dass deren Enterbung und die Bestimmung des Beteiligten zu 2) zum Erben im Testament vom 24. August 2001 (UR-Nr. 9… des Notars M. T.) sowie in späteren Testamenten grundsätzlich entsprechend § 2289 Abs.1 BGB unwirksam ist. Die Ausführungen des Landgerichts, die Erblasserin sei auch nicht gemäß § 2271 Abs.2 S.2 i.V.m. §§ 2294, 2336 BGB berechtigt gewesen, die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1) aufzuheben, sind jedoch rechtlich zu beanstanden. Das Landgericht hat offen gelassen, ob sich die Beteiligte zu 1) des im Testament vom 24. August 2001 angegebenen Vergehens schuldig gemacht habe, das einen Entziehungsgrund nach § 2333 Abs.1 Nr.2 BGB darstellen könne, weil die Erblasserin der Beteiligten zu 1) jedenfalls nachfolgend – ab August 2002 – i.S.v. § 2337 S.2 BGB verziehen habe. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Hat der überlebende Ehegatte eine wechselbezügliche Verfügung (§ 2270 BGB) bei Vorliegen einer Verfehlung nach §§ 2294, 2333 ff. BGB in der Form des § 2336 BGB wirksam aufgehoben, wird der Widerruf durch eine nachträgliche Verzeihung i.S.v. § 2337 S.2 BGB nicht unwirksam. Die Vorschrift gilt nur für die Entziehung des Pflichtteils nach §§ 2333 ff. BGB und nicht für die Aufhebung einer Verfügung gemäß § 2271 Abs.2 S.2 BGB (MüKo/Musielak, BGB, 5. Aufl., § 2271 Rn. 29; vgl. auch Palandt/Edenhofer, BGB, 69. Aufl., § 2294 Rn. 1; Staudinger/Kanzleiter, BGB, Neubearb. 2006, § 2294 Rn. 5; Soergel/Wolf, BGB, 13. Aufl., § 2294 Rn. 4; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl., S. 513 Fn. 263 jew. zu § 2294 BGB). Weder § 2271 Abs.2 S.2 BGB noch § 2294 BGB verweisen auf § 2337 S.2 BGB; für eine entsprechende Anwendung besteht kein hinreichender Grund. Dem Erblasser verbleibt wie auch sonst die Möglichkeit, neu zu testieren bzw. den Widerruf gemäß §§ 2253 ff. BGB zu widerrufen. Die vom Landgericht bejahte Verzeihung nach § 2337 S.2 BGB könnte für die Erbfolge nur erheblich sein, wenn nach dem Willen der Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung gemäß § 2085 BGB anzunehmen wäre, dass der Erbausschluss der Beteiligten zu 1) von der Wirksamkeit der gleichzeitig verfügten Pflichtteilsentziehung abhängen sollte (vgl. OLG Hamm, FamRZ 1972, 660, 662; BayObLG, NJW-RR 1996, 967, 968). Dafür dürften schon im Hinblick auf die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2) als langjährigem Lebensgefährten der Erblasserin keine ausreichenden Anhaltspunkte bestehen.
Das Landgericht wird festzustellen haben, ob sich die Beteiligte zu 1) der im Testament vom 24. August 2001 genannten Verfehlung (§ 2336 Abs.2 BGB) schuldig gemacht hat und ob dies nach den Umständen des Einzelfalls als Entziehungsgrund gemäß § 2333 Nr.3 BGB a.F. (§ 2333 Abs.1 Nr.2 BGB) zu werten ist. Dabei wird es auch die Angaben des Beteiligten zu 2) im Schriftsatz vom 29. Juni 2010 zum geltend gemachten Vorfall vom 9. bzw. 13. November 1989 zu berücksichtigen haben, zu denen die Beteiligte zu 1) noch nicht Stellung genommen hat.