Kapitalanlage im geschlossenen Immobilienfonds als Haustürgeschäft

Oktober 12, 2025

Kapitalanlage im geschlossenen Immobilienfonds als Haustürgeschäft

EuGH (1. Kammer), Urteil vom 15. 4. 2010 – C-215/08 E. Friz GmbH/Carsten von der Heyden

Haustürgeschäft und Immobilienfonds: Was ist das Problem?

Stellen Sie sich vor, ein Berater klingelt unerwartet bei Ihnen zu Hause oder trifft Sie an einem Ort außerhalb seiner üblichen Geschäftsräume, beispielsweise in einem Café. Er überredet Sie, Kapital in einen geschlossenen Immobilienfonds zu investieren, indem Sie als Gesellschafter beitreten.

Ein geschlossener Immobilienfonds ist eine Form der Kapitalanlage, bei der Anleger gemeinsam ein oder mehrere Immobilienprojekte finanzieren. Man wird Miteigentümer einer Gesellschaft (oft einer Personengesellschaft, z.B. einer GbR) und beteiligt sich an Gewinnen und Verlusten. Im Gegensatz zu offenen Fonds kann man seine Anteile nicht einfach jederzeit zurückgeben; der Fonds ist „geschlossen“ für neue Mitglieder und die Laufzeit ist meist fest.

Das Problem entsteht, wenn der Vertrag in einer sogenannten Haustürsituation geschlossen wird. Das deutsche und europäische Recht (hier die EU-Richtlinie 85/577/EWG) schützt Verbraucher in solchen Situationen, da sie unter Umständen überrumpelt werden und keine Zeit für gründliche Überlegungen haben. Dieser Schutz gewährt ein Widerrufsrecht.

Das Widerrufsrecht des Verbrauchers

Die EU-Richtlinie sieht vor, dass ein Verbraucher einen Vertrag, der außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurde, innerhalb einer Frist widerrufen kann. Der Gewerbetreibende muss den Verbraucher schriftlich über dieses Recht belehren. Geschieht das nicht oder fehlerhaft, kann das Widerrufsrecht unter Umständen sehr lange, manchmal sogar jahrelang, ausgeübt werden.

Im vorliegenden Fall (EuGH-Urteil C-215/08, Friz gegen von der Heyden) ging es um einen Anleger, Herrn von der Heyden, der 1991 zu Hause zum Beitritt zu einem Immobilienfonds überredet wurde. Erst 2002 widerrief er seinen Beitritt, da er über sein Widerrufsrecht nicht korrekt belehrt worden war.

Anwendbarkeit der Verbraucherschutz-Richtlinie

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) musste zunächst klären, ob die EU-Verbraucherschutz-Richtlinie auf den Beitritt zu einem geschlossenen Immobilienfonds überhaupt anwendbar ist.

Entscheidung des EuGH: Ja, die Richtlinie ist anwendbar!

Begründung:

Auch wenn der Anleger formal Gesellschafter wird, ist der vorrangige Zweck des Beitritts nicht die Mitgliedschaft in der Gesellschaft, sondern die Kapitalanlage. Es handelt sich nicht um einen Vertrag über „Rechte an Immobilien“ (was eine Ausnahme vom Verbraucherschutz wäre), sondern um den Kauf einer Beteiligung am Fonds. Da der Vertrag anlässlich eines unaufgeforderten Hausbesuchs geschlossen wurde, greift der Verbraucherschutz gegen Haustürgeschäfte.

Die Folgen des Widerrufs: „Auseinandersetzungsguthaben“

Der zentrale Streitpunkt war: Was passiert, wenn ein solcher Beitritt widerrufen wird?

Nach dem Grundgedanken des Widerrufsrechts soll der Verbraucher so gestellt werden, als hätte er den Vertrag nie geschlossen (sogenannte Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands oder ex tunc-Wirkung). Das hieße, er bekäme seine gesamte ursprüngliche Einlage zurück.

Die deutschen Gerichte (speziell der Bundesgerichtshof, BGH) hatten aber die Regelungen zur fehlerhaften Gesellschaft angewandt.

Regel zur fehlerhaften Gesellschaft:

Wenn ein Gesellschaftsvertrag aus irgendeinem Grund (z.B. Widerruf, Täuschung) unwirksam ist, aber die Gesellschaft bereits begonnen hat zu arbeiten, wird sie nicht rückabgewickelt, als hätte sie nie existiert. Stattdessen wird die Mitgliedschaft nur für die Zukunft (als ex nunc-Wirkung) beendet. Der Anleger scheidet aus und erhält sein sogenanntes Auseinandersetzungsguthaben – den Wert seines Anteils zum Zeitpunkt des Ausscheidens.

Kapitalanlage im geschlossenen Immobilienfonds als Haustürgeschäft

Im Fall von Herrn von der Heyden war dieser Wert negativ, d.h., er sollte sich an den Verlusten des Fonds beteiligen und hätte weniger als seine ursprüngliche Einlage zurückerhalten, möglicherweise sogar nachzahlen müssen.

Bestätigung der deutschen Rechtsprechung durch den EuGH

Der EuGH musste entscheiden, ob die deutsche Regel der fehlerhaften Gesellschaft mit dem europäischen Verbraucherschutz vereinbar ist, der den Verbraucher eigentlich aus allen Verpflichtungen entlassen soll.

Entscheidung des EuGH:

Die deutsche Regel steht der Richtlinie nicht entgegen!

Begründung:

Kein absoluter Schutz:

Der Verbraucherschutz ist nicht absolut. Die Rechtsfolgen des Widerrufs richten sich nach nationalem Recht (Art. 7 der Richtlinie).

Gerechte Risikoverteilung:

Die Regel der fehlerhaften Gesellschaft sorgt für einen vernünftigen Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den Beteiligten.

Schutz der Mitgesellschafter:

Die Mitgesellschafter des Fonds sind in der Regel ebenfalls private Anleger (Verbraucher). Würde der Widerrufende seine volle Einlage zurückbekommen, würde er risikolos spekulieren und die finanziellen Verluste (der Schaden des Widerrufs) würden zu Lasten der anderen unbeteiligten Mitgesellschafter gehen.

Anlagerisiko:

Wer Kapital anlegt, übernimmt untrennbar damit verbundene Risiken. Diese Risiken trägt der Anleger bis zum Zeitpunkt seines tatsächlichen Ausscheidens (Widerruf).

Fazit für Anleger

Der EuGH hat die deutsche Rechtsprechung bestätigt:

Ein Kapitalanlagevertrag in einem geschlossenen Immobilienfonds, der in einer Haustürsituation zustande kommt, ist ein Haustürgeschäft und unterliegt dem Widerrufsrecht.

Wird der Beitritt widerrufen, muss sich der Anleger an den Verlusten des Fonds bis zum Zeitpunkt des Widerrufs beteiligen. Er erhält nicht zwingend seine volle Einlage zurück, sondern nur sein Auseinandersetzungsguthaben, das negativ sein kann.

Der Anleger wird durch den Widerruf zwar von zukünftigen Verpflichtungen befreit, muss aber die Konsequenzen der bereits erfolgten Beteiligung am Fonds bis zum Widerruf tragen.

Wichtig:

Diese Entscheidung betrifft nur die Rückabwicklung gegenüber der Gesellschaft. Besteht der Verdacht, dass der Anleger nicht nur unzureichend über das Widerrufsrecht, sondern auch falsch über die Gewinnchancen oder Risiken des Fonds beraten wurde (Falschberatung), können ihm weiterhin Schadensersatzansprüche gegenüber dem Fonds-Initiator oder Berater zustehen.

RA und Notar Krau

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