Kein Bestehen einer Grunddienstbarkeit mangels Ausübung durch Bestehen eines Zauns
OLG München, Endurteil vom 17.02.2016 – 15 U 3001/14
RA und Notar Krau
Das Oberlandesgericht (OLG) München hat am 17. Februar 2016 in einem Fall entschieden, bei dem es um ein Wegerecht über Grundstücke in G. ging.
Der Kläger besitzt ein Grundstück, das keinen direkten Zugang zu öffentlichen Straßen hat. Er behauptete, ein altes Wegerecht – eine sogenannte „Grunddienstbarkeit“ – zu haben, das es ihm erlaubt, über die benachbarten Grundstücke der Beklagten zu fahren und zu gehen. Dieses Recht sei bereits 1876 notariell vereinbart worden. Die Beklagten hatten jedoch einen Zaun errichtet, der die Nutzung dieses Weges verhinderte. Der Kläger wollte, dass der Zaun entfernt wird und festgestellt wird, dass sein Wegerecht weiterhin besteht.
Eine Grunddienstbarkeit ist ein Recht, das dem Eigentümer eines Grundstücks (dem „herrschenden Grundstück“) erlaubt, ein anderes Grundstück (das „dienende Grundstück“) in bestimmter Weise zu nutzen. Hier war es ein Wegerecht und ein Viehtriebsrecht, also das Recht, über die Grundstücke der Beklagten zu gehen, zu fahren und Vieh zu treiben.
Landgericht München II (erste Instanz): Das Landgericht hatte die Klage des Klägers abgewiesen, weil es nicht davon überzeugt war, dass ein Wegerecht nachgewiesen werden konnte.
Oberlandesgericht München (Berufung): Der Kläger legte Berufung ein. Das OLG München hob das Urteil des Landgerichts teilweise auf und gab dem Kläger in großen Teilen Recht.
Das OLG stützte seine Entscheidung auf mehrere zentrale Punkte:
Wirksame Bestellung der Dienstbarkeit: Die Dienstbarkeit wurde 1876 wirksam bestellt. Auch wenn in der notariellen Urkunde nur eine Grundstücksnummer (Flurnummer 211) genannt wurde, obwohl zwei Grundstücke (Flurnummern 211 und 208) betroffen waren, handelte es sich nach Ansicht des Gerichts um eine „falsa demonstratio“ – eine unbewusste Falschbezeichnung. Dies bedeutet, dass das übereinstimmend Gewollte Vorrang vor einer falschen Bezeichnung hat. Die Parteien wollten ein Wegerecht bestellen, das auch tatsächlich genutzt werden konnte, und dies war nur über beide Grundstücke möglich.
Kein Erlöschen durch Nichtausübung: Das Gericht war davon überzeugt, dass das Wegerecht seit 1876 bis zur Errichtung des Zauns im Januar 2003 durchgehend genutzt wurde.
Beweis der Nutzung vor 1905 (vor Grundbucheinführung): Das Grundstück des Klägers wurde unstreitig durchgehend landwirtschaftlich genutzt, was eine Verbindung zum Straßennetz erforderte. Das Wegerecht war die einzige Möglichkeit für eine breite Zufahrt (4,40 Meter). Die Tatsache, dass das Recht entgeltlich erworben wurde, spricht ebenfalls für eine beabsichtigte und tatsächliche Nutzung.
Kein Erlöschen durch gutgläubigen Erwerb: Auch wenn die Dienstbarkeit nicht im Grundbuch eingetragen war, erlischt eine altrechtliche Dienstbarkeit bei Anlegung des Grundbuchs (hier 1905) nicht durch einen späteren gutgläubigen lastenfreien Erwerb des Grundstücks. Das Gesetz schützt solche alten, nicht eingetragenen Rechte.
Beweis der Nutzung nach 1905: Das Gericht war auch davon überzeugt, dass das Wegerecht bis zur Errichtung des Zauns 2003 ständig ausgeübt wurde. Dies wurde insbesondere durch die glaubwürdige Aussage der Zeugin E. Wa. (der 1918 geborenen Mutter des Klägers) bestätigt. Sie berichtete, dass die Zufahrt des landwirtschaftlichen Anwesens immer zur damaligen Bahnhofstraße hin erfolgte und es zur anderen Seite (zur heutigen J-Straße) nur einen Obstgarten gab, der eine breite Zufahrt verhinderte.
Hemmung der Erlöschensvorschrift: Seit der Zaunerrichtung 2003 konnte das Recht zwar nicht mehr ausgeübt werden, aber die Frist für das Erlöschen durch Nichtausübung (zehn Jahre) wurde durch die Klageerhebung im Januar 2012 gehemmt.
Umfang des Wegerechts: Das Wegerecht berechtigt den Kläger, seine Besucher und Mieter, auf einem 4,40 Meter breiten Streifen über die Grundstücke der Beklagten zu gehen und mit Fahrzeugen aller Art zu fahren. Das Gericht stellte klar, dass ein „Fahrrecht“ heute auch die Nutzung mit modernen Fahrzeugen wie Pkws und Lkws einschließt. Eine kleine, erst 1932 einem der dienenden Grundstücke zugeschriebene Dreiecksfläche fällt jedoch nicht unter das Wegerecht, da sich die Dienstbarkeit auf den ursprünglich belasteten Grundstücksteil beschränkt.
Das OLG München entschied daher:
Die beklagte Partei zu 3 muss den Zaun entfernen.
Die Beklagten zu 1 und 2 müssen es unterlassen, die Zufahrt des Klägers zu stören oder zu behindern.
Es wurde festgestellt, dass der Kläger, seine Besucher und Mieter berechtigt sind, den genannten 4,40 Meter breiten Streifen auf den Grundstücken der Beklagten zu nutzen, um zu gehen und mit Fahrzeugen aller Art zu fahren.
Es wurde festgestellt, dass auf den Grundstücken der Beklagten eine altrechtliche Dienstbarkeit (Wegerecht und Viehtriebsrecht) aus der Bestellung von 1876 lastet.
Das Urteil war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht rechtskräftig, da eine Revision gegen das Urteil nicht zugelassen wurde.
Dieses Urteil verdeutlicht, wie wichtig alte Dokumente und historische Umstände für die Klärung von Grundstücksrechten sein können und dass auch nicht im Grundbuch eingetragene Rechte unter bestimmten Umständen weiterhin bestehen können.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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