Keine Anforderung von Auslagenvorschüssen – Erbscheinverfahren

Oktober 11, 2025

Keine Anforderung von Auslagenvorschüssen – Erbscheinverfahren

OLG Saarbrücken Beschluss vom 17.6.2025 – 5 W 39/25

Das Kernproblem: Sachverständigengutachten und Vorschuss im Erbscheinverfahren

Im Zentrum des OLG-Beschlusses steht die Frage, ob ein Nachlassgericht (eine Abteilung des Amtsgerichts, die für Erbsachen zuständig ist) die Durchführung einer notwendigen Beweiserhebung, insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens, von der vorherigen Zahlung eines Auslagenvorschusses durch einen Beteiligten abhängig machen darf.

Der Fall und die Entscheidung des Amtsgerichts (AG)

Der Sachverhalt:

Eine Mutter verstarb und hinterließ zwei Kinder (einen Sohn und eine Tochter). Die Tochter beantragte einen Erbschein als Alleinerbin, basierend auf einem handschriftlichen Testament.

Der Einspruch:

Der Sohn focht das Testament an und behauptete, die Unterschrift sei gefälscht, die Erblasserin (Mutter) sei zum Zeitpunkt der Erstellung nicht mehr testierfähig gewesen (Stichwort: Alzheimer).

Die Reaktion des AG:

Das Nachlassgericht (AG Merzig) sah die Notwendigkeit, sowohl ein schriftvergleichendes (graphologisches) als auch eventuell ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen, um die Echtheit und die Testierfähigkeit zu klären.

Die Vorschussforderung:

Das AG forderte den Sohn (den Anfechtenden) auf, einen Auslagenvorschuss in Höhe von 7.500 EUR zu zahlen, und machte die Durchführung der Gutachten von dieser Zahlung abhängig.

Die Konsequenz:

Der Vorschuss wurde nicht gezahlt. Daraufhin sah sich das AG an der Beweiserhebung gehindert und entschied ohne Gutachten zugunsten der Tochter, indem es die Echtheit des Testaments als nicht widerlegt ansah.

Die Entscheidung des OLG Saarbrücken

Das OLG Saarbrücken hob die Entscheidung des Amtsgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das AG zurück.

Keine Anforderung von Auslagenvorschüssen – Erbscheinverfahren

Die Begründung: Der Grundsatz der Amtsermittlung

Das OLG stützte seine Entscheidung auf zwei zentrale Punkte des deutschen Verfahrensrechts:

Keine Vorschusspflicht bei Amtsermittlung

Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG): Im Erbscheinverfahren gilt der sogenannte Amtsermittlungsgrundsatz. Das bedeutet, das Gericht muss von Amts wegen – also aus eigener Verpflichtung und nicht nur auf Antrag der Beteiligten hin – alle notwendigen Ermittlungen durchführen, um die entscheidungsrelevanten Tatsachen festzustellen.

Verstoß gegen das Gesetz:

Wenn das Gericht selbst die Einholung eines Sachverständigengutachtens für nötig hält, um beispielsweise eine Fälschung auszuschließen, darf es die Durchführung dieser notwendigen Ermittlung nicht davon abhängig machen, dass ein Beteiligter vorher einen Kostenvorschuss zahlt.

Bedeutung:

Das Gericht muss die Beweise erheben, auch wenn der Vorschuss nicht eingezahlt wird. Eine spätere Kostenpflicht (wer die Kosten am Ende tragen muss) bleibt davon unberührt, aber die Sachaufklärung muss im Interesse der Rechtssicherheit trotzdem erfolgen. Das Vorgehen des AG widersprach somit dem „Wesen eines Amtsverfahrens“.

Der Formale Fehler: Keine Entscheidung „in der Sache“

Rückverweisung (§ 69 Abs. 1 Nr. 2 FamFG):

Ein Beschwerdegericht (hier das OLG) darf eine Sache an die erste Instanz (das AG) zurückverweisen, wenn dieses „in der Sache noch nicht entschieden hat“.

Anwendung im Fall:

Das AG hatte die Beweiserhebung unterlassen und seine Entscheidung, den Erbschein zu erteilen, rein formal damit begründet, dass der Vorschuss nicht gezahlt wurde. Es hat die aufgeworfenen Zweifel an der Echtheit des Testaments damit ohne sachliche Prüfung (ohne das Gutachten) beiseitegeschoben und stattdessen eine gesetzliche Vermutung (die Vermutung der Echtheit) angewandt.

Konsequenz:

Da das AG die zentralen Fragen zur Echtheit und Gültigkeit des Testaments nicht ordnungsgemäß ermittelt hat, gilt dies als eine Entscheidung, die nicht in der gebotenen Weise umfassend „in der Sache“ getroffen wurde. Das OLG übte sein Ermessen aus, hob die Entscheidung auf und verwies den Fall zurück, damit das AG nun die notwendigen Ermittlungen (die Sachverständigengutachten) tatsächlich durchführt und erstmals eine sachliche, umfassende Entscheidung trifft.

Fazit

Dieser Beschluss ist wichtig, weil er klargestellt:

Im Erbscheinverfahren darf das Nachlassgericht die Aufklärung von wesentlichen Zweifeln (z.B. Testamentsfälschung oder Testierunfähigkeit) nicht von der vorherigen Zahlung eines Kostenvorschusses durch einen Beteiligten abhängig machen. Das Gericht muss notwendige Gutachten anordnen, weil es zur Amtsermittlung verpflichtet ist. Unterlässt es die Beweiserhebung wegen fehlender Zahlung, liegt ein Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung der Entscheidung führt.

RA und Notar Krau

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