Keine offenbare Unrichtigkeit bei Vorliegen eines Grundbuchauszugs aus dem sich die rechtserhebliche Tatsache nicht offenkundig ergibt
Gerne fasse ich das Urteil des Finanzgerichts (FG) Hessen vom 04.09.2013 (Az.: 3 K 2922/11) zusammen.
Das Urteil befasst sich mit der Frage, wann ein Finanzamt einen bereits erlassenen Steuerbescheid nachträglich ändern darf, insbesondere im Rahmen der Erbschaftsteuer-Feststellung des Grundbesitzwerts.
Ein Kläger erbte von seiner Mutter eine Eigentumswohnung. Ursprünglich gehörte die Wohnung den Eltern zu je 1/2.
Da der Vater kurz vor der Mutter verstarb und der Kläger testamentarisch Alleinerbe des Letztversterbenden (der Mutter) war, trat er in die Gesamtrechtsnachfolge ein. Das bedeutet, er erbte letztlich den gesamten Anteil der Mutter an der Wohnung.
Das Finanzamt musste den Grundbesitzwert der Wohnung für die Erbschaftsteuer feststellen. Dabei unterlief dem Sachbearbeiter ein Fehler: Obwohl dem Amt ein Grundbuchauszug und ein Erbschein vorlagen, ging es zunächst nur von einem übertragenen Anteil von 1/2 der Wohnung auf den Kläger aus (dem ursprünglichen Anteil der Mutter). Es erließ einen entsprechenden Bescheid.
Später bemerkte das Finanzamt den Fehler und erkannte, dass der übertragene Anteil in Wirklichkeit 1/1
(also der gesamte Anteil) hätte sein müssen. Daraufhin erließ es einen Änderungsbescheid, um den Fehler zu korrigieren.
Das Finanzamt stützte die Änderung auf §129 der Abgabenordnung (AO), der eine Korrektur bei einer „offenbaren Unrichtigkeit“ (wie Schreib- oder Rechenfehlern) erlaubt.
Der Kläger war damit nicht einverstanden und klagte. Er argumentierte, dass kein einfacher mechanischer Fehler (offenbare Unrichtigkeit) vorliege, sondern eine fehlerhafte rechtliche Bewertung der vorliegenden Dokumente durch das Amt.
Das FG Hessen gab dem Kläger recht und hob den Änderungsbescheid auf.
Das Gericht stellte fest, dass die Voraussetzungen für eine Korrektur wegen offenbarer Unrichtigkeit (§129 AO) nicht erfüllt waren.
Was ist eine offenbare Unrichtigkeit?
Das sind Fehler, die auf einem bloßen mechanischen Versehen beruhen, wie ein Tippfehler, ein Zahlendreher oder das versehentliche Übersehen einer Tatsache, die auf der Hand liegt.
Sie dürfen nicht auf einem Rechtsirrtum, einer fehlerhaften Auslegung von Gesetzen oder einer unzutreffenden Würdigung von Tatsachen beruhen.
Warum lag hier keine vor?
Der dem Finanzamt vorliegende Grundbuchauszug war nicht sofort eindeutig. Zwar enthielt er alle nötigen Informationen, aber es musste rechtlich gewürdigt werden, dass der Anteil des Vaters bereits auf die Mutter übergegangen war, bevor sie verstarb.
Der Fehler des Sachbearbeiters lag nach Ansicht des Gerichts nicht in einem mechanischen Versehen, sondern in einem „Denkfehler“ oder einer fehlerhaften rechtlichen Würdigung der komplexen Informationen im Grundbuchauszug.
Da mehr als nur die theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums bestand, war die Korrekturvorschrift des §129 AO (offenbare Unrichtigkeit) nicht anwendbar.
Das Gericht prüfte auch, ob die Korrektur als Änderung wegen neuer Tatsachen (§173 AO) zulässig war.
Diese Norm erlaubt eine Änderung, wenn dem Finanzamt nachträglich neue Tatsachen bekannt werden, die zu einer abweichenden Besteuerung führen.
Warum lag hier keine neue Tatsache vor?
Dem Finanzamt lagen bereits zum Zeitpunkt des ersten Bescheids alle relevanten Dokumente (Erbscheine und Grundbuchauszug) vor. Es gab keine Tatsache, die dem Amt nachträglich bekannt wurde.
Der entscheidende Umstand war dem Amt bekannt, er wurde nur falsch bewertet.
Ein einmal erlassener Steuerbescheid darf nicht einfach nachträglich geändert werden. Das Finanzamt kann sich bei Fehlern nur auf enge Ausnahmen stützen:
Nur bei klaren mechanischen Fehlern (Tipp-/Rechenfehler), die ohne weitere rechtliche Prüfung auf der Hand liegen. War eine komplizierte oder fehlerhafte rechtliche Bewertung von Dokumenten nötig, ist die Korrektur über diesen Weg unzulässig.
Nur, wenn dem Finanzamt nachträglich Informationen bekannt werden, die es zur Zeit des ersten Bescheids noch nicht hatte.
Im vorliegenden Fall hatte das Finanzamt die erforderlichen Dokumente, aber die darin enthaltenen Informationen zum Eigentumsübergang fehlerhaft rechtlich interpretiert. Dieser Fehler ist keine „offenbare Unrichtigkeit“ und war daher nicht nachträglich korrigierbar. Der Änderungsbescheid war somit rechtswidrig.
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