Keine Pflichtteilsergänzung bei Verzicht auf ein Vermächtnis und bloßem Mietvertrag
OLG Hamm, Beschl. v. 2.6.2025 – I-10 U 3/25
Dieser Fall betrifft das Pflichtteilsrecht im Erbrecht. Der Pflichtteil sichert nahen Angehörigen (wie Kindern) einen Mindestanspruch am Erbe, selbst wenn sie enterbt wurden. Enterbte Personen können unter bestimmten Umständen eine Pflichtteilsergänzung verlangen. Das ist der Fall, wenn der Erblasser (die verstorbene Person) zu Lebzeiten Schenkungen gemacht hat, die das Erbe verkürzen.
Hier klagt die Tochter (Klägerin) des verstorbenen Vaters (Erblasser, E), die zugunsten ihrer eigenen Tochter (der Enkelin des E, Beklagte) enterbt wurde. Die Beklagte ist Alleinerbin. Die Klägerin verlangt Auskunft über den Nachlass und die Wertermittlung eines Grundstücks, das der Erblasser der Beklagten übertrug, um ihren Pflichtteilsergänzungsanspruch zu prüfen.
Zwei zentrale Punkte werden im Verfahren behandelt:
Die vorverstorbene Ehefrau des Erblassers (F) hatte ihm in einem gemeinschaftlichen Testament ein Vermächtnis eingeräumt (z.B. Schmuck, Einrichtung, Kontoguthaben), das die Beklagte als Erbin von F ihm hätte herausgeben müssen. Nach dem Tod der F verzichtete E jedoch gegenüber der Beklagten auf die Erfüllung dieses Vermächtnisses. Die Klägerin meint, diese Gegenstände müssten im Nachlassverzeichnis von E aufgeführt werden.
Keine Schenkung durch Verzicht: Der Erblasser (E) hat die Gegenstände nicht von der Erbin (Beklagte) verlangt und damit auf das Vermächtnis verzichtet.
Nach dem Gesetz (§ 517 BGB) liegt keine Schenkung vor, wenn jemand auf ein Recht verzichtet oder ein Vermächtnis ausschlägt. Die Beklagte hat durch den Verzicht des E nichts zusätzlich erlangt, was ihr nicht schon durch die Erbschaft von F zugefallen war.
Daher stellen die Vermögensgegenstände keine Schenkung dar und müssen nicht im Nachlassverzeichnis des E aufgeführt werden, um Pflichtteilsergänzungsansprüche zu berechnen.
Zudem sah das Gericht den Anspruch der Klägerin, hierüber Auskunft zu verlangen, als rechtsmissbräuchlich an, da die Klägerin bereits im Erbfall von F diesbezüglich Auskunft erhalten hatte und ihre Ansprüche durch einen Vergleich als erledigt galten.
Im Jahr 2012, vor über 10 Jahren, übertrug der Erblasser (E) das Grundstück schenkweise auf die Beklagte. Die Klägerin argumentiert, diese Schenkung müsse zur Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs hinzugerechnet werden, weil die sog. 10-Jahres-Frist hier nicht gelte.
Die 10-Jahres-Frist: Grundsätzlich werden Schenkungen für die Pflichtteilsergänzung nur berücksichtigt, wenn der Tod des Erblassers innerhalb von 10 Jahren nach der Schenkung eintritt. Bei Immobilien beginnt die Frist aber nicht zu laufen, wenn der Erblasser sich den „Genuss“ des Geschenks weiter vorbehalten hat (z.B. durch ein umfassendes Nießbrauch- oder Wohnrecht).
Die Übertragung des Eigentums erfolgte 2012 (mehr als 10 Jahre vor dem Tod).
E (der Erblasser) behielt sich kein Nießbrauchs- oder Wohnrecht vor.
Ausschließlich F (seine Ehefrau) erhielt ein unentgeltliches Nießbrauchsrecht.
E schloss mit der Beklagten einen Mietvertrag über einen Teil des Hauses zu einem monatlichen Mietzins ab (für seine Lebenszeit).
Die 10-Jahres-Frist ist abgelaufen, und die Schenkung des Grundstücks wird nicht für die Pflichtteilsergänzung berücksichtigt.
Der Erblasser (E) hat sich nicht den „Genuss“ der Immobilie im Wesentlichen weiter vorbehalten.
E hat sich kein Nießbrauchs- oder Wohnrecht vorbehalten. Nur seine Frau (F) hatte ein solches Recht.
Der abgeschlossene Mietvertrag ist lediglich ein schuldrechtlicher Vertrag. E war auf das Einvernehmen mit der Beklagten (und F) angewiesen und konnte nicht wie ein Eigentümer verfügen. Ein Mietvertrag, selbst wenn er günstig war und auf Lebenszeit geschlossen wurde, stellt keinen gleichwertigen Vorbehalt dar, der den Lauf der 10-Jahres-Frist verhindert.
Das Nutzungsrecht des E bezog sich zudem nicht auf das gesamte Haus.
Da der Erblasser auf das Vermächtnis verzichtet hat (keine Schenkung) und die Übertragung der Immobilie wegen Ablaufs der 10-Jahres-Frist sowie mangels Genussrechtsvorbehalts (bloßer Mietvertrag) keine pflichtteilsergänzungspflichtige Schenkung darstellt, wurden die Anträge der Klägerin auf weitere Auskunft und Wertermittlung abgewiesen.
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