Keine richterliche Befangenheit bei ungünstiger Rechtauffassung

Oktober 12, 2025

Keine richterliche Befangenheit bei ungünstiger Rechtauffassung

Vorinstanzen:

LG Bochum, Entscheidung vom 16.08.2007 – 1 O 31/06 –

OLG Hamm, Entscheidung vom 02.12.2009 – I-31 U 143/07 –

Worum geht es in diesem Fall?

Dieser Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 12. Oktober 2011 (Az.: V ZR 8/10) behandelt das Ablehnungsgesuch (den Antrag auf Ablehnung) eines Klägers gegen die Richter, die über seinen Fall im Zivilrecht entscheiden sollten.

Die Ausgangslage

Der Kläger hatte beim BGH einen Antrag gestellt: Er wollte Prozesskostenhilfe für eine bereits eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde erhalten.

BGH (Bundesgerichtshof):

Das ist das höchste Gericht in Deutschland für Zivil- und Strafsachen. Es überprüft Entscheidungen der unteren Gerichte nur in sehr speziellen Fällen, meistens, wenn es um grundsätzliche Rechtsfragen geht.

Zivilrecht:

Das ist der Bereich, der die rechtlichen Beziehungen zwischen Bürgern regelt (z.B. Verträge, Schadensersatz, Streitigkeiten um Eigentum, wie in diesem Fall).

Prozesskostenhilfe (PKH):

Das ist staatliche Hilfe für Menschen, die sich einen Gerichtsprozess nicht leisten können. Damit PKH bewilligt wird, muss der Prozess hinreichende Erfolgsaussicht haben (also gute Chancen, dass man gewinnt).

Nichtzulassungsbeschwerde:

Ein Rechtsmittel, um eine Entscheidung eines Oberlandesgerichts (OLG) beim BGH überprüfen zu lassen.

Der zuständige Senat (eine Gruppe von Richtern, hier der V. Zivilsenat) des BGH hat diesen PKH-Antrag abgelehnt, weil er die Erfolgsaussichten des eigentlichen Verfahrens als zu gering einschätzte.

Keine richterliche Befangenheit bei ungünstiger Rechtauffassung

Das Ablehnungsgesuch

Weil der Kläger mit dieser Ablehnung unzufrieden war, hat er zwei Dinge getan:

Er hat Anhörungsrüge erhoben.

Anhörungsrüge (§ 321a ZPO):

Ein spezielles Rechtsmittel, wenn man glaubt, das Gericht habe das Recht auf rechtliches Gehör verletzt. Das bedeutet, das Gericht hätte etwas Wichtiges, was man vorgetragen hat, nicht beachtet.

Er hat die fünf Richter des Senats wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Befangenheit:

Ein Richter ist befangen, wenn es einen Grund gibt, der Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit (Unvoreingenommenheit) rechtfertigt. Es muss also objektiv wirken, als stünde der Richter der Sache nicht mehr neutral gegenüber.

Ablehnungsgesuch:

Der formelle Antrag, dass ein Richter (oder mehrere Richter) wegen Befangenheit von dem Verfahren ausgeschlossen wird.

Der Streitpunkt: Ablehnung des Senats vs. einzelner Richter

Die Richter haben das erste Ablehnungsgesuch als unzulässig zurückgewiesen und die Anhörungsrüge auch abgelehnt. Sie argumentierten:

Der Kläger habe den gesamten Senat (die Richtergruppe) ablehnen wollen. Das ist aber nach der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht erlaubt, da man nur den einzelnen Richter ablehnen kann, nicht das Gericht als Ganzes.

Die Richter waren der Ansicht, dass sie in solch einem eindeutig unzulässigen Fall (Ablehnung des gesamten Spruchkörpers) auch selbst über die Ablehnung entscheiden durften.

Der Kläger legte daraufhin erneut ein Ablehnungsgesuch nach. Er betonte, er habe sehr wohl die einzelnen, namentlich genannten Richter abgelehnt und nicht den Senat als Gruppe. Er warf ihnen vor, sich bei der Entscheidung über das erste Gesuch selbst zum „Richter in eigener Sache“ gemacht zu haben.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH hat das zweite Ablehnungsgesuch des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.

Die Begründung des Gerichts

Keine Besorgnis der Befangenheit:

Die Richter haben keine objektiven Gründe gesehen, die aus der Sicht einer verständigen Partei Zweifel an ihrer Unparteilichkeit wecken würden.

Entscheidung über das erste Gesuch war zulässig:

Die Richter durften das erste Ablehnungsgesuch selbst entscheiden. Warum? Weil der BGH (unter Berufung auf das Bundesverfassungsgericht) festgestellt hat, dass ein Gericht ausnahmsweise über ein Ablehnungsgesuch gegen sich selbst entscheiden darf, wenn dieses eindeutig unzulässig ist – dazu gehört die (auch wenn „wohlwollend ausgelegte“) Ablehnung eines gesamten Spruchkörpers (Richtergruppe).

Der BGH hielt die vorherige Einschätzung, das erste Gesuch sei gegen den Spruchkörper gerichtet gewesen, für vertretbar (rechtlich in Ordnung). Allein die Tatsache, dass sie über das erste Gesuch entschieden haben, macht sie also nicht befangen.

Ungünstige Rechtsauffassung reicht nicht:

Die Tatsache, dass ein Gericht eine für den Kläger ungünstige Rechtsauffassung vertritt oder fehlerhafte verfahrensleitende Maßnahmen trifft (wie hier die monierten Verzögerungen bei der Notanwaltsbestellung), rechtfertigt nicht automatisch die Besorgnis der Befangenheit.

Fazit des Beschlusses:

Das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 26. Mai 2011 wird zurückgewiesen, da keine Gründe für eine Befangenheit der Richter vorlagen. Die Richter durften über das erste Gesuch entscheiden, weil es sich bei wohlwollender Auslegung um eine unzulässige Ablehnung des gesamten Senats handelte. Die weiteren Argumente des Klägers sind ebenfalls nicht geeignet, eine Befangenheit zu begründen.

RA und Notar Krau

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