Keine Verjährung des Pflichteilanspruchs eines Minderjährigen bei unwirksamer Bestellung des Pflegers
Zusammenfassung: OLG Koblenz, Urteil vom 08.08.2012 – 5 U 175/12
Das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz klärt eine wichtige Frage im Erbrecht: Wann verjährt der Pflichtteilsanspruch von minderjährigen Erben, wenn deren gesetzlicher Vertreter (ein sogenannter Pfleger) nicht ordnungsgemäß bestellt wurde?
Zwei minderjährige Kinder klagten auf ihren Pflichtteil gegen die Alleinerbin ihres verstorbenen Vaters. Der Pflichtteil ist ein gesetzlich garantierter Mindestanteil am Erbe, der nahen Angehörigen (wie den Kindern) zusteht, selbst wenn sie durch ein Testament enterbt wurden.
Der Vater der Kinder war im Jahr 2004 verstorben. Die Kinder hätten nun drei Jahre Zeit gehabt, ihren Pflichtteil geltend zu machen (die Verjährungsfrist). Das Landgericht (die Vorinstanz) hatte die Klage abgewiesen, weil es die Ansprüche der Kinder für verjährt hielt. Dagegen legten die Kinder Berufung ein.
Normalerweise beginnt die dreijährige Verjährungsfrist zu laufen, sobald der Berechtigte vom Erbfall und der Enterbung erfährt. Bei minderjährigen Personen ist das anders:
Die Frist kann nicht beginnen, wenn das Kind selbst die nötige Kenntnis hat. Maßgeblich ist stattdessen die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters (z. B. der Eltern oder eines bestellten Pflegers).
Wenn die Kinder keinen wirksamen gesetzlichen Vertreter haben, der ihre Vermögensangelegenheiten regeln darf, kann die Verjährungsfrist überhaupt nicht beginnen zu laufen.
Im vorliegenden Fall hatte die Mutter der Kinder das alleinige Sorgerecht, aber die sogenannte Vermögenssorge (die Vertretung in finanziellen Dingen) war einem Dritten, einem Pfleger, vorbehalten.
Das Gericht musste prüfen, ob die zunächst bestellte Rechtsanwältin O. wirksam als Pflegerin eingesetzt worden war.
Das OLG Koblenz stellte fest: Die Bestellung der Pflegerin war unwirksam.
Die Pflegerin hätte sich vor Gericht persönlich verpflichten müssen, ihr Amt „treu und gewissenhaft“ zu führen (§§ 1909, 1915, 1789 BGB).
Diese persönliche Verpflichtung ist ein zwingendes, konstitutives Merkmal der Bestellung – sie ist also absolut notwendig, damit die Bestellung überhaupt wirksam wird.
Da dieser Akt fehlte, gab es für die Vermögenssorge der Kinder keinen wirksam bestellten gesetzlichen Vertreter.
Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Pflichtteilsansprüche nicht verjährt sind:
Da die erste Pflegerin unwirksam bestellt war, hatten die Kinder bis zum Jahr 2010 keinen gesetzlichen Vertreter, der die für den Beginn der Verjährung nötige Kenntnis hätte haben können.
Die Verjährungsfrist begann daher erst am 18. Oktober 2010 zu laufen, als Rechtsanwalt Dr. Herbert B. wirksam zum Pfleger ernannt wurde.
Zu diesem Zeitpunkt war die Verjährungsfrist von drei Jahren bei Einreichung der Berufung im Jahr 2012 noch nicht abgelaufen.
Das OLG stellte somit fest, dass die Ansprüche der Kinder dem Grunde nach bestehen.
Das Gericht berechnete den genauen Wert des Nachlasses. Unter Berücksichtigung aller Aktiva (Vermögen) und Passiva (Schulden) ergab sich ein Nettonachlasswert von 26.419,11 €.
Da jedem Kind ein Pflichtteil von je 1/4 des Nachlasses zustand (die Hälfte des gesetzlichen Erbteils von 1/2), sprach das OLG jedem Kläger einen Betrag von 6.604,78 € zu.
Die Beklagte (Alleinerbin) wurde zur Zahlung dieser Beträge nebst Zinsen verurteilt. Die Revision (Zulassung zum Bundesgerichtshof) wurde nicht zugelassen.
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