KG Berlin 19 W 1167/20

Oktober 23, 2023

KG Berlin 19 W 1167/20 Beschl. v. 7.4.2022 – Widerruf durch Brieftestament und Motivanfechtung –
§ 1931 BGB – § 2078 BGB – § 2247 BGB – § 2254 BGB

(AG Charlottenburg, Beschl. v. 2.10.2020 – 60 VI 535/20)


Eine in einem handschriftlich verfassten Brief getätigte Aussage kann ein Testament iSd § 2247 BGB darstellen; an den Nachweis des Testierwillens in solchen Testamenten sind aber strenge Anforderungen zu stellen (iA an OLG München Beschl. v. 31.3.2016 – 31 Wx 413/15, ErbR 2016, 348 mwN).

Ein die Anfechtung gemäß § 2078 Abs. 2 BGB rechtfertigender Motivirrtum muss nicht nur ursächlich für den letzten Willen gewesen sein, sondern er muss der letztlich entscheidende, ihn bewegende Grund darstellen; dafür kommen nur besonders schwerwiegende Umstände in Betracht (iA an BGH Urt. v. 20.2.2008 – IV ZR 32/06, ErbR 2008, 197).

Erkennt ein Erblasser einen Irrtum und lässt seine ursprüngliche letztwillige Verfügung dennoch bewusst fortgelten, spricht dies als Indiz gegen die Anfechtbarkeit (iA an BayObLG Beschl. v. 24.7.2001 – 1 Z BR 20/01, FamRZ 2002, 915).

Gründe: KG Berlin 19 W 1167/20


I.

Die Beteiligte zu 1., die eine Tochter der Erblasserin ist, wendet sich mit der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 2.10.2020, durch den das Nachlassgericht die für die Erteilung eines Erbscheins, der den Beteiligten zu 3. als Alleinerbe ausweist, erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet hat.

Das Nachlassgericht ist in dem Beschluss davon ausgegangen, dass der Beteiligte zu 3., ein Sohn der Erblasserin, aufgrund deren handschriftlichen Testaments vom 30.8.2018 Alleinerbe geworden sei. Zu den Einzelheiten der tatsächlichen Feststellungen und der rechtlichen Erwägungen des Nachlassgerichts wird auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.


Die Beteiligte zu 1. ist der Auffassung, dass die Erblasserin die Einsetzung des Beteiligten zu 3. durch ein handschriftliches Schreiben aus dem Jahre 2019, das auf den „Donnerstag vor Weihnachten“ datiert und mit dem Kosenamen der Erblasserin „Murmel“ unterzeichnet ist, widerrufen habe.

Zudem vertritt sie die Ansicht, die Erbeinsetzung durch das Testament aus 2018 sei wegen Anfechtung nichtig.


II.

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Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.


Das Amtsgericht ist in dem Beschluss vom 2.10.2020 zu Recht davon ausgegangen, dass der Beteiligte zu 3. aufgrund des formwirksamen handschriftlichen Testaments vom 30.8.2018 gemäß §§ 1931, 2247 BGB Alleinerbe der Erblasserin geworden ist.

Der Auffassung der Beteiligten zu 1., wonach die Erblasserin das Testament, soweit sie dadurch von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sei, durch den auf „Donnerstag vor Weihnachten“ datierten Brief widerrufen habe, kann ebenso wenig gefolgt werden, wie deren Ansicht, dass das Testament aufgrund Anfechtung gemäß § 142 Abs. 1 BGB nichtig sei.

Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die ausführliche Begründung des Nachlassgerichts in den Gründen der angefochtenen Entscheidung Bezug, der er sich anschließt.
Im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten zu 1. im Beschwerdeverfahren sind lediglich folgende Ausführungen veranlasst:


Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1. folgt aus dem zeitlichen Zusammenhang zwischen ihrem Gespräch mit der Erblasserin am 12.11.2019 und dem Brief nicht, dass die Erblasserin durch die Aussage in dem Schreiben „Ich habe dich sehr lieb und Du wirst nicht enterbt, niemand wird das.“ das Testament vom 30.8.2018 rechtsverbindlich widerrufen wollte.

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Eine in einem handschriftlich verfassten Brief getätigte Aussage kann zwar ein Testament iSd § 2247 BGB darstellen, jedoch ist erforderlich, dass der Erblasser die von ihm erstellte Urkunde als rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen hat oder jedenfalls das Bewusstsein hatte, die Urkunde könne als Testament angesehen werden.

Dabei sind – worauf der Beteiligte zu 3. zu Recht hinweist – an den Nachweis des Testierwillens bei einem solchen Brieftestament strenge Anforderungen zu stellen (OLG München Beschl. v. 31.3.2016 – 31 Wx 413/15, juris mwN). Hier sprechen, wie in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt wird, mehrere Umstände sogar eindeutig dagegen, dass die Erblasserin den Brief mit einem solchen Testierwillen verfasst hat. Neben der Unterschrift mit dem Kosenamen „Murmel“, die zeigt, dass es sich um ein familiäres Schreiben ohne offiziellen Charakter handeln sollte, spricht insbesondere gegen eine solche Auslegung, dass die Aussage zur „Enterbung“ nur in einem Satz auf Seite 2 des vierseitigen Dokuments getroffen wird.

Falls die Erblasserin durch das Schreiben tatsächlich eine so weitgehende Rechtsfolge, wie den Widerruf der Einsetzung des Beteiligten zu 3. zum Alleinerben hätte auslösen wollen, wäre aber zu erwartet gewesen, dass es sich bei der Anordnung um die zentrale Aussage des Schreibens handelt. Dass sich aus dem zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Schreiben und dem Gespräch am 12.11.2019 eine andere Auslegung ergeben könnte, ist demgegenüber nicht ersichtlich.


Das Amtsgericht hat ferner zu Recht angenommen, dass das Testament vom 30.8.2018 nicht aufgrund einer Anfechtung nichtig ist. Denn das Vorliegen eines Anfechtungsgrunds gemäß § 2078 Abs. 2 BGB kann nicht festgestellt werden. Nach dieser Rechtsvorschrift kann ein Testament angefochten werden, soweit der Erblasser zu der Verfügung durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstandes oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist.


Es sind zunächst, wie das Amtsgericht auf Seite 2 im letzten Absatz des Beschlusses vom 2.10.2020 erörtert hat, keine Umstände erkennbar, die eine Anfechtung wegen eines Irrtums iSd § 2078 Abs. 2 Fall 1 BGB rechtfertigen könnten. Die Beteiligte selbst trägt vor, die Erblasserin habe ihr bei dem Besuch im Krankenhaus am 12.11.2019 mitgeteilt, sie habe das Testament verfasst, weil sie darüber wütend und traurig gewesen war, dass die Beteiligte zu 1. „2018 nicht da gewesen“ sei.

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Da sich die Beteiligte in diesem Zeitraum tatsächlich nicht in Deutschland aufhielt, entspricht diese Annahme der Erblasserin der Wahrheit; ein Irrtum ist insoweit nicht ersichtlich. Soweit die Beteiligte zu 1. weiter ausführt, dass davon ausgegangen werden müsse, die Erblasserin sei bei der Testamentserrichtung irrtümlich von einer gleichgültigen Einstellung der Beteiligten zu ihren Befindlichkeiten ausgegangen und dies darauf zurückführt, dass der Beteiligte zu 3. diese Einstellung der Erblasserin „geschürt“ habe, handelt es sich um Vermutungen, für deren Zutreffen keine ausreichenden Anhaltspunkte vorliegen.


Entsprechendes gilt für die Annahme der Beteiligten zu 1., der Beteiligte zu 3. habe die Erblasserin durch eine Drohung iSd § 2078 Abs. 2 Fall 2 BGB zur Errichtung des Testaments bestimmt. Insofern sind ebenfalls keine Tatsachen erkennbar, die einen annähernd sicheren Rückschluss darauf zulassen könnten, dass der Beteiligte zu 3. der Erblasserin tatsächlich in irgendeiner Form gedroht haben könnte. Soweit die Beteiligte zu 1. insofern ausführt, der Beteiligte zu 3. müsse gegenüber der Erblasserin Andeutung gemacht haben, er könnte sich umbringen, falls die Erblasserin nicht in seinem Sinne testieren würde, sind wiederum keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich, die eine solche Annahme zulassen.


Soweit die Beteiligte zu 1. ihren Vortrag zum behaupteten Motivirrtum der Erblasserin in der Beschwerdeinstanz vertieft hat, verhilft auch dies nicht zum Erfolg. Dabei kann letztlich dahingestellt bleiben, ob die Erblasserin sich am 12.11.2019 wie von der Beteiligten zu 1. vorgetragen dieser gegenüber geäußert hat. Danach sei die Erblasserin davon ausgegangen, dass die Beteiligte zu 1. sie nicht mehr lieb habe, nicht nur, weil diese nicht vor Ort und weg gewesen sei, sondern auch weil diese sich nicht nach ihr erkundigt und keine Kontaktversuche unternommen habe. Dies habe die Erblasserin im Gespräch bereut und erklärt, dies ändern zu wollen.


Um eine Anfechtung zu rechtfertigen, muss ein Motivirrtum nicht nur ursächlich für den letzten Willen gewesen sein, sondern muss er der letztlich entscheidende, ihn bewegende Grund darstellen. Dafür kommen nur besonders schwerwiegende Umstände in Betracht, die gerade diesen Erblasser mit Sicherheit dazu gebracht hätten, anders zu testieren (vgl. BGH Urt. v. 20.2.2008 – IV ZR 32/06). Bei einer Motivmehrheit muss festgestellt werden, ob und wie eine Erwägung mit anderen Motiven zusammenspielt (BeckOGK/Harke, § 2078 BGB Rn. 44).

Vorliegend ist schon nicht sicher feststellbar, dass nicht allein das (unstreitige) Nicht-Vor-Ort-Sein der Beteiligten zu 1., sondern erst die gänzlich fehlenden Kontaktversuche für die Erblasserin maßgeblich für die Testamentserrichtung waren. Auch lässt sich jedenfalls die Kausalität eines solchen Irrtums als entscheidender Beweggrund für das Testament nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen. Zwar soll die Erblasserin gegenüber der Beteiligten zu 1. am 12.11.2019 und ein paar Tage später gesagt haben, sie wolle das Testament ändern und sie wolle das Testament vom 30.8.2018 vernichten.

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Doch schon zum Zeitpunkt der Entlassung soll die Erblasserin auf eine Bemerkung zum Testament abweisend reagiert haben und mitgeteilt haben, dass sie sich darum zu einem späteren Zeitpunkt kümmern wolle. Tatsächlich hat die Erblasserin dann entgegen ihrer Äußerung gegenüber der Beteiligten zu 1. das Testament vom 30.8.2018, obwohl hierfür Zeit gewesen und nach Meinung der Beteiligten zu 1. auch Anlass bestanden hätte, weder vernichtet noch durch ein neues Testament abgeändert. Dies lässt, worauf bereits das Amtsgericht in seinem Beschluss zutreffend abgestellt hat, als Indiz den Schluss zu, dass der behauptete Motivirrtum für die Erblasserin möglicherweise doch nicht das erforderliche Gewicht hatte und ihre Äußerungen zuvor nur reine Absichtserklärungen waren.

Wenn ein Erblasser einen Irrtum erkennt und seine ursprüngliche letztwillige Verfügung dennoch bewusst fortgelten lässt, spricht dies als Indiz gegen die Anfechtbarkeit (vgl. BayObLG Beschl. v. 24.7.2001 – 1 Z BR 20/01).


Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. ist dementsprechend zurückzuweisen.

Die Sache ist auch entscheidungsreif, da weitere Ermittlungen iSd § 26 FamFG nicht angezeigt sind. Insbesondere ist eine persönliche Anhörung der Beteiligten zu 1. nicht geboten, weil diese ihre Wahrnehmung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts bereits umfänglich schriftsätzlich dargelegt hat. Eine Vernehmung des Zeugen Dr. […] erscheint ebenfalls nicht angezeigt. Der Zeuge hat nach den Angaben der Beteiligten zu 1. die Einzelheiten des Inhalts des Gespräches am 12.11.2019 nicht wahrgenommen.

Der Umstand, dass der Zeuge bekunden können soll, dass die Stimmung zwischen der Erblasserin und der Beteiligten emotional und liebevoll gewesen sei, stellt keinen hinreichenden Grund für seine Vernehmung dar. Weitere Ermittlungsansätze sind nicht erkennbar.

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