KG Berlin 19 W 127/21

Oktober 10, 2023

KG Berlin 19 W 127/21 Formwirksamkeit eines in Österreich erstellten maschinenschriftlichen Testamentes – Anordnung einer Nachlasspflegschaft.

(AG Pankow Beschl. v. 1.7.2021 – 61 VI 304/21)

Gründe: KG Berlin 19 W 127/21


I. Die Beteiligten streiten um die Anordnung einer Nachlasspflegschaft.


Die deutsche Staatsangehörige Frau D. reiste nach Österreich, weil sie dorthin übersiedeln wollte; ihr Ehemann, der im Jahr 2003 verstorben ist, ist dort begraben. Am 27.9.2011 unterschrieb sie in K. (Österreich) ein maschinenschriftlich erstelltes Testament, in dem sie die Beteiligten zu 1) und 2) zu gleichen Teilen als Erben einsetzte.

Drei Testamentszeugen unterschrieben das Testament. § 579 des österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) alte Fassung sah vor:

„Einen letzten Willen, welchen der Erblasser von einer anderen Person niederschreiben ließ, muß er eigenhändig unterfertigen. Er muß ferner vor drei fähigen Zeugen, wovon wenigstens zwei zugleich gegenwärtig sein müssen, ausdrücklich erklären, daß der Aufsatz seinen letzten Willen enthalte. Endlich müssen sich auch die Zeugen, entweder inwendig oder von außen, immer aber auf der Urkunde selbst, und nicht etwa auf einem Umschlag, mit einem auf ihre Eigenschaft als Zeugen hinweisenden Zusatz unterschreiben. Den Inhalt des Testaments hat der Zeuge zu wissen nicht nötig.“

Quelle: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10001622&Fassung-Vom=2016-12-31, abgerufen am 30.9.2021).

Frau D. behielt ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin. Sie verstarb dort am 24.11.2020.

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Mit Schriftsatz vom 11.5.2021 haben die Beteiligten zu 1) und 2) die Erteilung eines Erbscheins beantragt. Das Nachlassgericht hat Zweifel an der Wirksamkeit des Testaments geäußert. Mit Beschluss vom 1.7.2021 hat das Nachlassgericht Nachlasspflegschaft angeordnet. Es hat die Anordnung damit begründet, dass der Erbe unbekannt und sicherungsbedürftiger Nachlass vorhanden sei. Der Beschluss ist den Beteiligten zu 1) und 2) am 7.7.2021 zugestellt worden.


Mit Schriftsatz vom 15.7.2021, am 16.7.2021 bei Gericht eingegangen, haben sie Beschwerde erhoben. Sie rügen, dass die Erben nicht unbekannt seien, weil das Testament formwirksam sei. Sie meinen, Art. 27 der Europäischen Erbrechtsverordnung erlaube die Errichtung nach dem damals gültigen österreichischen Recht. Mit Beschluss vom 31.8.2021 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen. Es meint, ein Erbe sei bereits dann unbekannt iSd § 1960 Abs. 1 und 2 BGB, wenn er nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit feststehe.

Wegen der Einschätzung des Gerichts im Erbscheinsverfahren bestehe keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Beschwerdeführer Erben geworden seien. Gesetzliche Erben seien bisher nicht ermittelt und es gebe ein Vermögen in nicht unbeachtlicher Höhe.


II. Die Beschwerde ist begründet.

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Das Nachlassgericht hätte keine Nachlasspflegschaft gemäß § 1960 Abs. 1 und 2 BGB anordnen dürfen.
Gemäß § 1960 Abs. 1 BGB hat das Nachlassgericht bis zur Annahme der Erbschaft für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen, soweit ein Bedürfnis besteht. Das gleiche gilt, wenn der Erbe unbekannt oder wenn ungewiss ist, ob er die Erbschaft angenommen hat.


Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.


Ob ein Erbe unbekannt ist, ist vom Standpunkt des Nachlassgerichts bzw. des im Beschwerdeverfahren an seine Stelle tretenden Beschwerdegerichts aus zu beurteilen. Maßgebend ist der Kenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidung über die Sicherungsmaßnahme (OLG Hamm Beschl. v. 28.10.2010 – I-15 W 302/10, juris Rn. 21). Um den Erben als bekannt anzusehen, bedarf es nicht letzter Gewissheit. Steht mit hoher Wahrscheinlichkeit fest, wer Erbe ist, kommt die Anordnung einer Nachlasspflegschaft nicht in Betracht, selbst wenn ein Erbschein bislang noch nicht erteilt worden ist (KG Berlin Beschl. v. 24.2.1998 – 1 W 364/98, juris Rn. 18).


Die Beschwerdeführer sind mit hoher Wahrscheinlichkeit Erben geworden. Die Erblasserin hat sie in ihrem Testament vom 27.9.2011 als Erben zu gleichen Teilen eingesetzt. Es bestehen keine konkreten Zweifel an der Formwirksamkeit des Testaments.

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Auf den Erbfall ist gemäß Art. 83 Abs. 1, 21 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (EuErbVO) deutsches Recht anwendbar. Für die Frage der Formwirksamkeit des Testaments findet hingegen die EuErbVO keine Anwendung. Art. 75 Abs. 1 Unterabschnitt 2 der Verordnung sieht einen Anwendungsvorrang des Haager Testamentsformübereinkommens vom 5.10.1961 vor, den das Nachlassgericht nicht beachtet hat.

Aufgrund des Vorrangs dieses Abkommens ist die Überleitungsvorschrift des Art. 83 Abs. 3 EuErbVO für die Form von Testamenten praktisch ohne Bedeutung (Palandt, Kommentar zum BGB, 80. Auflage, (IPR) EuErbVO, Art. 83, Rn. 6 am Ende).
Das Haager Testamentsformübereinkommen ist anwendbar. Es regelt das auf die Form letztwilliger Verfügungen anwendbare Recht. Es ist in Deutschland am 1.1.1966 in Kraft getreten. Deutschland hat von dem Vorbehalt des Art. 11 keinen Gebrauch gemacht (https://www.hcch.net/fr/instruments/conventions/status-table/?cid=40, abgerufen am 30.9.2021). Das Abkommen ist gemäß Art. 8 anzuwenden, wenn der Erblasser nach Inkrafttreten gestorben ist. Das ist der Fall.


Gemäß Art. 1 a) des Übereinkommens ist eine letztwillige Verfügung hinsichtlich ihrer Form gültig, wenn sie den Formvorschriften am Ort ihrer Errichtung entspricht. Gemäß § 579 ABGB aF war es bis zum 31.12.2016 zulässig, eine sogenannte „fremdhändige Verfügung“ zu errichten. Voraussetzung war lediglich, dass der Erblasser seinen letzten Willen eigenhändig unterschreibt. Drei Zeugen, davon zwei anwesend, mussten erklären, dass die Verfügung seinen letzten Willen enthielt, und auf der Urkunde mit einem Hinweis auf ihre Zeugenschaft unterschreiben.

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Eine neue, strengere Fassung der Vorschrift des § 579 ABGB ist gemäß § 1503 Abs. 7 Nr. 1 ABGB (Quelle: https://www.jusline.at/gesetz/abgb/paragraf/1503, abgerufen am 30.9.2021) am 1.1.2017 in Kraft getreten und gemäß § 1503 Abs. 7 Nr. 2 ABGB auf Erbfälle nach dem 31.12.2016 anzuwenden, wenn nichts anderes bestimmt ist. In § 1503 Abs. 7 Nr. 5 ABGB ist allerdings – anders, als das Nachlassgericht meint – bestimmt, dass diese neue Fassung (nur) auf letztwillige Verfügungen anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2016 errichtet worden sind. Im Umkehrschluss gilt § 579 ABGB aF weiterhin für Testamente, die vorher errichtet worden sind, wie im vorliegenden Fall.


Die Verfügung vom 27.9.2011, die die Erblasserin in Österreich gefertigt hat, entspricht den Anforderungen des § 579 ABGB aF Die Erblasserin hat ein maschinenschriftliches Testament unterschrieben. Es waren drei Zeugen anwesend, die die Fertigung eines Testaments bekundet und auf der Urkunde mit Hinweis auf ihrer Eigenschaft als Testamentszeugen unterschrieben haben.
Der Wirksamkeit des Testaments steht nicht entgegen, dass die Erblasserin Deutsche war, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin hatte und lediglich beabsichtigte, nach Österreich zu ziehen.

Den verschiedenen Anknüpfungsmöglichkeiten des Art. 1 des Haager Testamentsübereinkommens liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Rechtsordnungen ganz unterschiedliche Anforderungen an die Formwirksamkeit der Errichtung eines Testaments vorsehen können.

Wer sein Testament unter genauer Beachtung der Regeln eines bestimmten Ortsrechts errichtet, soll geschützt werden, wenn dieses Recht später von dem mit dem Nachlass befassten Gericht nicht anzuwenden ist (Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2. Auflage 2021, EuErbVO Art. 27 Rn. 1). Deshalb ist es unerheblich, wie lange sich der Erblasser am Ort der Testamentserrichtung aufgehalten und ob er besondere Beziehungen zu diesem Ort hat. Eine andere Auffassung widerspräche dem mit der alternativen Anknüpfung verfolgten Ziel, die Errichtung von Testamenten im internationalen Rechtsverkehr zu erleichtern.

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Die Anwendbarkeit des Ortsrechts ist auch in den Fällen zu akzeptieren, in denen der Erblasser zu diesem Recht keine persönliche Beziehung hatte oder den Errichtungsort gerade wegen der Formerleichterung oder um Kosten zu sparen ins Ausland verlegt hat (Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, Art. 1 HTestFormÜ, Rn. 2). Deshalb genügt auch ein wenige Stunden andauernder Ausflug aus Deutschland nach Österreich, um dort ein Testament zu errichten (LG München Beschl. v. 28.9.1998 – 16 T 12262/98, beck online).


Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG. Gerichtskosten werden nicht erhoben, weil die Nachlasspflegschaft nicht hätte angeordnet werden dürfen. Es entspricht billigem Ermessen, anzuordnen, dass außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden.

Das Verfahren nach § 1960 BGB ist nicht kontradiktorisch ausgestaltet, so dass der Nachlasspfleger nicht als Beschwerdegegner erscheint. Er ist im Beschwerdeverfahren gemäß § 345 Abs. 4 S. 2 FamFG beteiligt worden. Er haftet als Partei kraft Amtes nur mit dem von ihm verwalteten Vermögen, hier also dem Nachlass (BeckOK FamFG, Hahne/Schlögel/Schlünder, 39. Edition, § 81 Rn. 5).

Verpflichtete der Senat ihn zur Zahlung der außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführer, träfe das die Beschwerdeführer selbst, weil sie nach derzeitigem Kenntnisstand die einzigen Erben sind und die Kosten dem Nachlass zu entnehmen sind. […]

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