KG Berlin 19 W 169/21 – Erbverzicht nach Scheidung mit gleichzeitiger Alleinerbeinsetzung des Geschiedenen und späterer Wiederheirat
(AG Charlottenburg, Beschl. v. 13.9.2021 – 64 VI 838/20)
Bei Verzichtserklärungen nach den §§ 2346 und 2352 BGB handelt es sich um vertragliche Erklärungen unter Lebenden, für deren Auslegung insbesondere die §§ 133, 157 BGB gelten, nicht hingegen § 2084 BGB.
Eine Auslegung dahin gehend, das Erklärte sei von den Erklärenden gar nicht gewollt, scheidet rechtlich aus, da dann das Erklärungsbewusstsein fehlt, was die Wirksamkeit der Willenserklärungen nicht entfallen lässt, sondern allenfalls anfechtbar macht.
Ein erkannter Irrtum seitens des Vertragspartners bedarf keiner Anfechtung, es gilt vielmehr, was die Parteien übereinstimmend gewollt haben (iA an BGH Urt. v. 22.2.1995 – IV ZR 58/94, MDR 1995, 1207).
Für einen gemeinsamen Irrtum gelten insoweit keine Besonderheiten, vielmehr kann dann jede Vertragspartei den Vertrag nach den §§ 119, 123 BGB anfechten.
Ob der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht auch den Verzicht auf gewillkürte Zuwendungen nach § 2352 BGB enthält, ist vom Nachlassgericht von Amts wegen durch Auslegung zu prüfen (iA an OLG Frankfurt Beschl. v. 30.6.1993 – 20 W 201/03, FamRZ 1994, 197).
Auch wenn ein gesetzlicher Erbe letztwillig bedacht ist und – ohne eine umfassende Absicht dem Wortlaut nach auszudrücken – auf das gesetzliche Erbrecht verzichtet, kann sich aus den Umständen ergeben, dass er nicht nur als gesetzlicher Erbe ausscheiden will, sondern dass auch zu seinen Gunsten etwa noch bestehende Verfügungen von Todes wegen als nicht erfolgt gelten sollen (iA an OLG Düsseldorf Beschl. v. 31.3.2020 – 3 Wx 35/19, ErbR 2020, 731 = juris Rn. 22).
Das Motiv eines Erbverzichts zur Abwendung eines drohenden Gläubigerdurchgriffs erfasst das gesamte – testamentarische wie gesetzliche – Erbrecht des Ehegatten.
Vereinbarungen von Gegenleistungen können im Rahmen der Auslegung die Annahme eines vollumfänglichen Verzichts stützen, sind aber nicht Voraussetzung für die Annahme eines solchen umfassenden Verzichts.
Nach Eintritt des Erbfalls ist eine Anfechtung des Erbverzichts durch den Verzichtenden – ebenso wie eine Aufhebung gemäß § 2351 BGB oder eine Rückabwicklung gemäß § 242 BGB – nicht mehr möglich (iA an OLG Celle Beschl. v. 8.7.2003 – 6 W 63/03, ZEV 2004, 156; OLG Schleswig Urt. v. 27.5.1997 – 3 U 148/95, ZEV 1998, 28 (30); OLG Koblenz Beschl. v. 4.3.1993 – 6 W 99/93, FamRZ 1993, 708; OLG Düsseldorf Beschl. v. 3.11.1997 – 3 Wx 105/97, NJW 1998, 2607), da sonst eine neue Sachlage zur Rechtsnachfolge geschaffen würde, auf die der Erblasser nicht mehr reagieren kann.
Gründe: KG Berlin 19 W 169/21
I.
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Antragsteller (Beteiligte zu 1) durch das Testament vom 10.8.2016 Alleinerbe der Erblasserin geworden ist oder ob dem ein erklärter Erb- und Zuwendungsverzicht aus einem notariellen Vertrag vom 3.1.2019 entgegensteht.
Der Antragsteller war der frühere Ehegatte der Erblasserin.
Hinsichtlich des Sachverhalts wird zunächst auf die ausführliche Darstellung in dem amtsgerichtlichen Beschluss vom 13.9.2021 Bezug genommen. Dabei sollen die beiden maßgeblichen Regelungen hier wiederholend zitiert und der Vorlauf zum Vertrag vom 3.1.2019 kurz dargestellt werden:
Auf einem Ausdruck eines Schreibens vom 10.8.2016 des Beteiligten zu 1 an den Notar K., in dem es heißt, dass „anstelle der Verwandten in Albanien […] zukünftig […] [der Beteiligte zu 1] Alleinerbe der Frau P. [Erblasserin] sein“ solle, schrieb die Erblasserin handschriftlich und unterschrieben am 10.8.2016: „Hiermit bestätige ich, daß Herr […] [Beteiligter zu 1] mein Alleinerbe im Falle meines Ablebens sein soll.“. Der 10.8.2016 war der Tag der rechtskräftigen Scheidung der Eheleute.
Mit E-Mail vom 14.12.2018 schrieb die Erblasserin an den Notar G. ua Folgendes:
„Ich […] u. Herr […] [Beteiligter zu 1] heiraten am 4.1.2019 in […]. Wir brauchen unbedingt einen Ehevertrag vor dem Hochzeitstermin. […] Wir verheiraten uns zum zweiten Mal und haben aus der ersten Ehe einen Ehevertrag, den wir Ihnen als Vorlage geben wollen (beigefügt als Datei). Im Prinzip kann der neue Vertrag so sein wie der alte. […]“
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Der Notar G. antwortete noch am selben Tag ua wie folgt: „[…] Eheverträge unterliegen der richterlichen Inhaltskontrolle, dies seit den letzten 10 Jahren in zunehmenden Maße und für den Versorgungsausgleich auch im Gesetz ausdrücklich geregelt. So wie 1996 beurkundet, kann ich dies nicht vornehmen, wenngleich ich nicht ausschließen will, dass i.E. Gleiches vereinbart werden könnte. Allerdings empfehle ich aus erbschaftssteuerlichen Gründen bzw. uU auch aufgrund von Pflichtteilsansprüchen nach dtsch. Erbrecht nicht die Gütertrennung, sondern eine Modifizierung des gesetzlichen Güterstandes. Auch im gesetzlichen Güterstand besteht Vermögenstrennung zwischen den Eheleuten. Insoweit wäre es also wichtig zu wissen, was der Grund für die beabsichtigte Gütertrennung ist. […]“
Am 3.1.2019 schlossen die Erblasserin und der Beteiligte zu 1 den notariellen Ehevertrag. In dessen § 5 heißt es unter der fettgedruckten Überschrift „Erbrechtliche Auswirkungen/Erklärungen“:
„1. Der Notar belehrt die Erschienenen über die erbrechtlichen Auswirkungen der güterrechtlichen Regelung. Die Erschienenen erklären, dass sie bisher gemeinschaftliche letztwillige Verfügungen nicht getroffen haben.
Nach dem Hinweis des Notars auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht erklärten die Erschienenen, dass sie eine gemeinsame testamentarische Regelung am heutigen Tage nicht treffen wollen.
Die Erschienenen erklären wechselseitig einen Erb- und Pflichtteilsverzicht und nehmen diesen Verzicht gegenseitig an.“
In erster Instanz hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 11.3.2021 unter anderem behauptet, dass die notarielle Regelung aus 2019 mögliche Erbansprüche für einen geschiedenen Ehegatten grundsätzlich habe ausschließen sollen. Unberührt davon habe die Beibehaltung der Gültigkeit des vormals erstellten Testaments bleiben sollen, solange die Ehe Bestand habe. Allein für den Fall einer Scheidung habe der Erbschaftspassus im Erbvertrag zur Anwendung kommen sollen, insoweit hat der Antragsteller auf § 4 Abs. 1 des Erbvertrags verwiesen.
Die Beteiligten zu 3 und 4 haben hierzu vorgetragen, dass dieses Argument nicht trage, da das Erbrecht des geschiedenen Ehegatten nach § 1933 BGB von Gesetzes wegen entfalle.
Ferner hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 10.6.2021 vorgetragen, dass im Zeitpunkt der ersten Eheschließung 1996 der Beteiligte zu 1 Provisionsansprüche gegen eine GmbH von über 650.000 DM gehabt habe, gegen die beklagte GmbH jedoch zugleich Steuerschulden von über 300.000 DM tituliert worden seien und das Finanzamt die Vollstreckung wegen Steuerschulden von über 300.000 DM gegen den Beteiligten zu 1 eingeleitet habe.
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Die GmbH habe Insolvenz angemeldet und der Beteiligte zu 1 das Provisionsgeld nie erhalten. Das Testament vom 19.8.2005, mit dem die Eltern der Erblasserin von dieser als Erben eingesetzt wurden, habe den Schutzzweck gehabt, den Nachlass der Erblasserin nicht dem Beteiligten zu 1 zukommen zu lassen, da dieser noch die Steuerschuld des Finanzamtes gefürchtet habe.
Als die Ehescheidung 2016 erfolgte, habe die Erblasserin das handschriftliche Testament vom 10.8.2016 aufgesetzt, um wegen des „Auseinanderfallens der rechtlichen von der tatsächlich gelebten Situation“ den Ehemann abzusichern. Im Vorgriff auf die zweite Heirat am 4.1.2019 seien die Eheleute davon ausgegangen, dass eine Absicherung wegen etwa drohender Gläubigerdurchgriffe ratsam sei. Der Notar G. habe zu einem Ehevertrag geraten und dazu, in diesem Vertrag auch einen Erb- und Pflichtteilsverzicht zu erklären, „dies mache den Schutz besser“.
Der Beteiligte zu 1 habe nicht genau gewusst, was er da unterzeichnete und welche Rechtsfolgen dies habe.
Das Amtsgericht hat den Erbscheinsantrag des Antragstellers und den Antrag auf Ausstellung eines europäischen Nachlasszeugnisses mit dem genannten Beschluss zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Zwar habe die Erblasserin den Antragsteller mit Testament vom 10.8.2016 formwirksam zum Alleinerben bestimmt. Zweifel an der Formwirksamkeit dieses Testaments habe das Nachlassgericht nicht.
Jedoch habe der Antragsteller auf sein Erbrecht einschließlich testamentarischer Zuwendungen durch Erklärung vom 3.1.2019 verzichtet.
Der Verzicht in § 5 Ziffer 3 des notariellen Vertrags sei auszulegen. Für eine Beschränkung des Verzichts lediglich auf das gesetzliche Erbrecht könnte sprechen, dass es zuvor in dem Vertrag heißt, dass gemeinschaftliche letztwillige Verfügungen nicht getroffen worden seien.
Allerdings sei es nicht plausibel, warum nicht auch auf das testamentarische Erbrecht hätte verzichtet werden sollen. Hätte die Erblasserin tatsächlich weiterhin gewollt, dass der Antragsteller gemäß dem Testament vom 10.8.2016 ihr Erbe werden sollte, hätte es eines Verzichts auf das gesetzliche Erbrecht gar nicht bedurft. Naheliegender sei, dass die künftigen Ehegatten den jeweils anderen überhaupt nicht beerben sollten.
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Dafür spreche auch der behauptete Zweck des Vertrages zum Schutz vor Gläubigerdurchgriffen, denn ein umfassender Schutz wäre nur dann erreicht, wenn der andere Ehegatte Ansprüche am Vermögen des anderen als Erbe gar nicht erwerbe. Dass sich die Gläubigersituation mittlerweile geändert habe, sei unerheblich, da es auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankomme.
Auch sei der Vertrag vom 3.1.2019 seinem gesamten Inhalt nach auf einen weitgehenden Ausschluss gegenseitiger vermögensrechtlicher Ansprüche der künftigen Eheleute während der Ehe und für den Fall einer Scheidung ausgerichtet.
Der gesamte Vertrag habe darauf abgezielt, den anderen Ehegatten vom Vermögen und von Ansprüchen des Ehegatten soweit wie möglich auszuschließen. Zu dieser Intention eines möglichst umfassenden Ausschlusses vermögensrechtlicher Ansprüche eines Ehegatten passe es, wenn auch eine testamentarische Zuwendung hinfällig sein solle. Dieses Ziel habe sich nur durch einen umfassenden Erbverzicht erreichen lassen.
Hinzu komme, dass die Erblasserin nach Errichtung des Testaments aus 2016 die Beteiligte zu 2 adoptiert habe. Es sei abwegig anzunehmen, dass sie diese Tochter von der Erbfolge habe ausschließen wollen.
Für das Nachlassgericht nicht nachvollziehbar sei das Argument des Beteiligten zu 1, der überlebende Ehegatte habe erben sollen, schon um sich weiter um die Beteiligte zu 2 kümmern zu können. Denn die Erblasserin sei von dem Beklagten zu 1 nicht als Erbin eingesetzt worden, so dass diese nur gesetzliche Erbin wäre, was aber durch den Erbverzicht ausgeschlossen sei.
Angesichts des erheblichen Altersunterschieds könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Ehegatten 2019 dachten, dass die Erblasserin zuerst versterbe. Ein Bedürfnis für eine Absicherung des Beteiligten zu 1 dürfte daher am 3.1.2019 kaum bestanden haben.
Die vom Antragsteller erklärte Anfechtung sei ohne Wirkung. Dahingestellt könne bleiben, ob überhaupt ein Anfechtungsgrund gegeben sei. Denn nach dem Tod der Erblasserin sei aus Gründen der Rechtssicherheit eine Anfechtung des Erbverzichts nicht mehr zulässig.
Der Antrag auf Erteilung eines europäischen Nachlasszeugnisses sei schon im Hinblick auf Art. 67 Abs. 1 a) EuErbVO zurückzuweisen, da die Beteiligten zu 2 bis 4 Einwendungen erhoben hätten.
Der Beschluss ist dem Antragsteller am 23.9.2021 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 21.10.2021 hat er gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht mit Beschluss vom 5.11.2021 nicht abgeholfen hat.
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Der Antragsteller macht im Wesentlichen geltend:
Die Annahme des Amtsgerichts, in einem Erbverzicht sei ein Zuwendungsverzicht immer dann enthalten, wenn der Verzicht seinem Wortlaut nach keine Einschränkung enthalte, sei falsch. Der Wortlaut des § 2346 Abs. 1 BGB sei eindeutig, eine Beschränkung auf den Erbverzicht müsse nicht aufgenommen werden, um den Zuwendungsverzicht auszunehmen.
Zwar hätten die Gerichte in Ausnahmefällen auch einen Zuwendungsverzicht angenommen. Dies sei jedoch durchweg in Fällen geschehen, in denen für den Verzicht eine Gegenleistung erbracht worden sei.
Vorliegend sei fraglich, warum das Gericht überhaupt eine Auslegung vornehme. Ausgangspunkt sei der Wortlaut, dieser sei eindeutig.
Wenn das Gericht annehme, dass die Eheleute das adoptierte Kind als Erbin gewollt hätten, hätten die Eheleute doch eine Erbeinsetzung erklärt.
Richtig sei, dass ein Gläubigerdurchgriff habe vermieden werden sollen, die Ehegatten hätten dabei auf den Notar vertraut, der ihnen versichert habe, dass dieser Vertrag ihrem Ziel gerecht werde.
Tatsächlich hätten sie aber weder auf das gesetzliche noch auf das testamentarische Erbrecht verzichten wollen. Keinesfalls habe es so sein sollen, dass der Antragsteller nach dem Tod seiner Ehefrau nicht abgesichert wäre.
Den Eheleuten sei nicht bewusst gewesen, dass sie eine erbrechtliche Regelung trafen. Eine Beratung durch den Notar habe nicht stattgefunden, die Eheleute seien davon ausgegangen, dass der Vertrag schlicht dem Gläubigerdurchgriff dienen solle, und seien davon ausgegangen, dass der Vertrag inhaltlich dasselbe regele wie der alte Ehevertrag vom 1.7.1996.
Dieser alte Ehevertrag enthält unstreitig keinen Erb- oder Pflichtteilsverzicht.
Es möge sein, dass die Eheleute verhindern wollten, dass das Finanzamt seine nicht nachvollziehbare Forderungen vollstrecken würde. Ganz sicher hätten sie dann aber auch gewollt, dass dieser Verzicht dann nicht mehr gelten solle, wenn es die Forderungen des Finanzamtes nicht mehr gebe.
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Wieso es abwegig sein solle, die Adoptivtochter von der Erbfolge auszuschließen, sei nicht verständlich. Dies müsste dann für jedes Berliner Testament gelten.
Der Antragsteller habe erklärt, eine Erklärung solchen Inhalts nicht habe abgeben zu wollen. Dies umzudeuten überschreite die Grenzen der Auslegung. Es gebe genügend Zeugen, die bestätigen könnten, dass es der Wunsch der Eheleute gewesen sei, sich gegenseitig abzusichern und die Pflege der Adoptivtochter zu gewährleisten.
Das Anfechtungsrecht unter Verweis auf die Rechtssicherheit abzulehnen sei unzutreffend. Da die Adoptivtochter diejenige wäre, die von der Anfechtung profitieren würde, diese aber die Angelegenheit gar nicht überblicken könne, greife das Argument der Rechtssicherheit ins Leere und man könne die Anfechtung zulassen.
Der von der Gegenseite zitierte BGH-Fall aus 1972 passe nicht, da es dort zugleich auch Zuwendungen an den Verzichtenden gab.
Die Beteiligten zu 3 und 4 verteidigen den amtsgerichtlichen Beschluss im Wesentlichen wie folgt:
Der BGH habe in seiner Entscheidung vom 19.1.1972 eine fast wortgleiche Erklärung beurteilt. Ob nur ein Erbverzicht oder auch ein Zuwendungsverzicht gewollt sei, müsse durch Auslegung ermittelt werden.
Aus den gesamten Umständen der Beurkundung vom 3.1.2019 ergebe sich der klare Wille der Vertragsparteien, eine irgendwie geartete Partizipation des Beschwerdeführers am Vermögen der Erblasserin auszuschließen. Dies werde auch in der Präambel der Urkunde ausdrücklich bekräftigt (Ziffer II 2). Nur mit einem umfassenden Verzicht werde dieses Ziel erreicht, auf eine Abfindung komme es nicht an. Die Ehegatten seien auch ausdrücklich und umfänglich über die gesetzlichen und gewillkürten Erbregelungen beraten worden.
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Hätten die Ehegatten an dem Testament vom 10.8.2016 festhalten wollen, wäre davon auszugehen, dass eine entsprechende Mitteilung und Erklärung beim Notar erfolgt wäre. Vielmehr ergebe sich aus den gesamten Regelungen, dass keine testamentarischen Regelungen gewollt gewesen seien.
II. Die gemäß den §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat die Anträge des Beteiligten zu 1 mit Recht zurückgewiesen.
Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1, der ihn als Alleinerben ausweisen soll, war zurückzuweisen, da der Beteiligte zu 1 nicht Erbe geworden ist. Er hat wirksam auf sein gesetzliches und testamentarisches Erbrecht verzichtet.
a) Mit der notariellen Erklärung in § 5 Nr. 3 des Ehevertrags vom 3.1.2019 hat der Beteiligte zu 1 nicht nur auf sein gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht nach § 2346 Abs. 1 BGB verzichtet, sondern zugleich auch einen Zuwendungsverzicht nach § 2352 S. 1 BGB hinsichtlich des Testaments vom 10.8.2016 erklärt. Dies ergibt die erforderliche Auslegung der vertraglichen Regelung.
aa) Da es sich bei den Verzichtserklärungen nach den §§ 2346 und 2352 BGB um vertragliche Erklärungen unter Lebenden handelt, gelten für die Auslegung insbesondere die §§ 133, 157 BGB, nicht hingegen § 2084 BGB (allg. Meinung, vgl. nur Staudinger/Schotten, 2016, § 2346 BGB Rn. 16 mwN).
Hierzu muss der gesamte Inhalt der Erklärungen einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher, die außerhalb der Vertragsurkunde liegen, als Ganzes gewürdigt werden; auch die allgemeine Lebenserfahrung ist zu berücksichtigen (Staudinger/Schotten aaO).
Ausgangspunkt der Auslegung ist dabei der Wortlaut der Erklärung. Da gemäß § 133 BGB bei der Auslegung einer Willenserklärung jedoch der wirkliche Wille zu erforschen ist und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften ist, kann auch bei einem scheinbar eindeutigen Wortlaut eine Auslegungsbedürftigkeit bestehen und diese zu einem anderen Ergebnis führen, als es nach dem Wortlaut scheint (vgl. OLG Düsseldorf Beschl. v. 31.3.2020 – 3 Wx 35/19 Rn. 22). Aus den §§ 133, 157 BGB ergibt sich quasi ein Verbot einer sich ausschließlich am Wortlaut orientierten Interpretation von Willenserklärungen (BGH Urt. v. 19.12.2001 – XII ZR 281/99).
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bb) Nimmt man den Wortlaut der Erklärung als Ausgangspunkt, ist zunächst eindeutig ein Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht nach § 2346 BGB erklärt worden. Dies ist in § 5 des Erbvertrags ausdrücklich so erklärt und von den Vertragsparteien unterschrieben worden. Im Übrigen spricht das Motiv für den Vertrag vom 3.1.2019, nämlich die Verhinderung des Gläubigerdurchgriffs, für den beurkundeten Erbverzicht, so dass auch die äußeren Umstände zu keiner anderen Auslegung des Wortlauts in diesem Punkt führen.
cc) Dieser Erbverzicht ist auch rechtlich wirksam erklärt worden.
Soweit der Beteiligte zu 1 geltend macht, die Eheleute hätten insoweit nicht gewusst, was sie da beurkunden, sie hätten weder einen Verzicht auf das gesetzliche noch auf das testamentarische Erbrecht gewollt, ihnen sei nicht bewusst gewesen, dass sie eine erbrechtliche Regelung trafen, der Beteiligten zu 1 habe gar nicht gewusst, was er bezüglich § 5 des Erbvertrags unterschrieb, ihm sei nicht klar gewesen, dass er überhaupt irgendeinen Verzicht mit so weitreichenden Folgen unterschrieb, ist dieser Vortrag sowohl für die Auslegung des Verzichtsvertrags als auch dessen Wirksamkeit unerheblich.
Eine Auslegung dahin gehend, dass das, was erklärt wurde, von den Erklärenden gar nicht gewollt war, scheidet rechtlich aus. Mit seinem Vortrag macht der Beteiligte zu 1 letztlich ein bei ihm fehlendes Erklärungsbewusstsein geltend. Ob dies tatsächlich gefehlt hat, bedarf keiner weiteren Aufklärung, insbesondere auch keiner Anhörung des Beteiligten zu 1.
Denn ein fehlendes Erklärungsbewusstsein lässt die Wirksamkeit der Willenserklärungen nicht entfallen, sondern macht sie allenfalls anfechtbar (vgl. BeckOGK/Rehberg, § 116 Rn. 43; MüKo/Armbrüster, BGB 9. A., vor § 116 BGB Rn. 27; vgl. auch BGH Urt. v. 28.4.1978 – V ZR 107/76 zur fälschlich notariell beurkundeten Erklärung).
Ein geheimer Vorbehalt, der dem anderen bekannt war und der nach § 116 S. 2 BGB zur Nichtigkeit der Erklärung führen würde, liegt nicht vor, da dies Täuschungsabsicht voraussetzt, die hier fehlte. Denn um einen geheimen Vorbehalt zu besitzen, muss einem zunächst überhaupt bewusst sein, was man eigentlich objektiv erklärt. Daran aber fehlt es beim fehlenden Erklärungsbewusstsein, auf das sich der Beteiligte zu 1 beruft.
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Aus dem gleichen Grund liegt insoweit auch kein Scheingeschäft nach § 117 Abs. 1 BGB oder eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung nach § 118 BGB vor. Die Frage der Anfechtung wird an späterer Stelle zu erörtern (und zu verneinen) sein.
Will der Beklagte zu 1 geltend machen, er habe die notarielle Urkunde ungelesen und damit in bewusster Unkenntnis ihres Inhalts unterschrieben, müsste er sich an dem Inhalt der Urkunde festhalten lassen und könnte er diese noch nicht einmal anfechten. Hatte er hingegen abweichende inhaltliche Vorstellungen, läge gegebenenfalls ein Inhaltsirrtum mit der Folge der unten zu erörternden Anfechtbarkeit vor (vgl. Staudinger/Singer § 119 BGB Rn. 11–13).
Dem Vortrag des Beteiligten zu 1 lässt sich auch nicht entnehmen, dass die Erblasserin bei Abgabe der notariellen Erklärung erkannt hätte, was der Beteiligte zu 1 in Wahrheit gewollt habe, dass sie also seinen Irrtum erkannt hätte. In diesem Fall des erkannten Irrtums bedürfte es keiner Anfechtung, sondern würde das gelten, was die Parteien – dann übereinstimmend – gewollt haben (BGH Urt. v. 22.2.1995 – IV ZR 58/94).
Der Vortrag des Beteiligten zu 1 geht jedoch allenfalls dahin, dass beide Vertragsparteien nicht gewusst hätten, was sie da erklärten, so dass es ausgeschlossen ist, dass die Erblasserin einen nur beim Beteiligten zu 1 bestehenden Irrtum erkannt haben könnte.
Allenfalls unterlag auch die Erblasserin diesem Irrtum. Dann aber bleibt nur die Anfechtung. Denn für einen gemeinsamen Irrtum gelten insoweit keine Besonderheiten, vielmehr kann dann jede Vertragspartei den Vertrag nach den §§ 119, 123 BGB anfechten. „Die bloße Tatsache eines gemeinsamen Irrtums liefert keine dogmatisch tragfähigen Gesichtspunkte“ (so zutreffend BeckOGK/Rehberg, § 119 BGB Rn. 12). Auch aus den Grundsätzen der „falsa demonstratio non nocet“ ergibt sich nichts anderes, denn eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor.
Bei der „falsa demonstratio“ sind sich die Parteien einig, was sie wollen, bringen diesen Willen aber falsch zum Ausdruck. Sie sagen „A“, meinen aber „B“. In diesen Fällen der übereinstimmenden Falschbezeichnung bedarf es keiner Anfechtung, sondern gilt das Rechtsgeschäft mit dem gewollten Inhalt „B“ (vgl. nur Staudinger/Singer (2021) § 119 BGB Rn. 9 und § 133 BGB Rn. 13). Im vorliegenden Fall eines als beidseitig nicht gewollt behaupteten Erbverzichts liegt jedoch keine solche Falschbezeichnung vor. Es ist hier nicht etwas falsch bezeichnet, sondern gar nicht gewollt, auch nicht anders gewollt. Im Beispielsfall sagen die Parteien also „A“, wissen dies aber nicht und hätten dies nicht gewollt.
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Diese Konstellation regeln jedoch allein die §§ 119 ff. BGB. Im Übrigen könnten (und müssten) die Parteien des Erbverzichts bei Erkennen ihres Irrtums den Erbverzicht gemäß § 2351 BGB wieder aufheben. Diese Möglichkeit entfällt erst mit dem Tod einer der beiden Vertragsparteien.
dd) Ist also von einem wirksamen Verzicht nach § 2346 BGB auszugehen, ist weiter durch Auslegung zu ermitteln, ob die Erklärung auch einen Zuwendungsverzicht nach § 2352 S. 1 BGB enthält. Dies ist mit dem Amtsgericht zu bejahen.
Grundsätzlich kann ein Erbverzicht nach § 2346 BGB mit einem Zuwendungsverzicht nach § 2352 BGB verbunden werden (BeckOGK/Evers, BGB § 2352 Rn. 10).
Häufig ist es deshalb zweifelhaft, ob tatsächlich nur ein Verzicht auf die gesetzliche Erbposition oder ob darüber hinaus auch ein konkreter Zuwendungsverzicht gewollt war. Auch wenn ein gesetzlicher Erbe letztwillig bedacht ist und – ohne eine umfassende Absicht dem Wortlaut nach auszudrücken – er auf das gesetzliche Erbrecht verzichtet, kann sich aus den Umständen ergeben, dass er nicht nur als gesetzlicher Erbe ausscheiden will, sondern dass auch zu seinen Gunsten etwa noch bestehende Verfügungen von Todes wegen als nicht erfolgt gelten sollen (OLG Düsseldorf Beschl. v. 31.3.2020 – 3 Wx 35/19 Rn. 22).
Enthält eine Verzichtserklärung zum gesetzlichen Erbrecht keine Einschränkungen und ergibt sich aus den sonstigen Umständen nichts dafür, dass der Verzicht nicht den gänzlichen Wegfall der künftigen Erbenstellung bedeuten soll, kann die Auslegung ergeben, dass der Verzicht auch den nach § 2352 BGB umfasst (vgl. BGH Urt. v. 19.1.1972 – IV ZR 1208/68, Rn. 11; OLG Karlsruhe Urt. v. 13.6.2002 – 9 U 177/01).
Mit dem Amtsgericht ist davon auszugehen (und dies wird vom Beteiligten zu 1 auch nicht in Abrede gestellt), dass das maßgebliche Motiv für den notariellen Vertrag die Abwendung von Gläubigerdurchgriffen war.
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Mit dem Amtsgericht ist ferner davon auszugehen, dass dies auch für die erbrechtliche Seite gilt und dies deshalb den Erbrechtsverzicht verständlich macht. Wäre der Beteiligte zu 1 (gesetzlicher oder testamentarischer) Alleinerbe oder – neben der Adoptivtochter – gesetzlicher Erbe geworden, hätte die Zwangsvollstreckung der Gläubiger in das ererbte Vermögen gedroht und wäre damit auch das vom Antragsteller erklärte Ziel der „gegenseitigen Absicherung und Versorgung der Tochter“ gefährdet worden.
Das Motiv des drohenden Gläubigerdurchgriffs erfasst das gesamte Erbrecht der Ehegatten, also sowohl das testamentarische als auch das gesetzliche Erbrecht, so dass die Auslegung des Amtsgerichts in diesem Punkt zutreffend ist. Anders ausgedrückt: für das genannte Motiv ist es unerheblich, aus welchem rechtlichen Grund der Beteiligte zu 1 Erbe wird, warum er also den gesamten oder teilweisen Nachlass der Erblasserin erhalten würde.
Für diese Auslegung spricht auch der unbestrittene Vortrag des Beteiligten zu 1 zu seiner Enterbung im Testament der Erblasserin von 2005: Danach habe das Testament vom 19.8.2005, mit dem die Eltern der Erblasserin von dieser als Erben eingesetzt wurden, den Schutzzweck gehabt, den Nachlass der Erblasserin nicht dem Beteiligten zu 1 zukommen zu lassen, da dieser noch die Steuerschuld des Finanzamtes gefürchtet habe. Diese Motivlage (Abwendung des Gläubigerzugriffs auf den Nachlass) bestand für die Vertragsparteien auch im Januar 2019.
Demgegenüber war die Situation, die zu dem Testament am 10.8.2016 führte, eine offenbar besondere: Hintergrund war, dass die Scheidung der Eheleute am 10.8.2016 ausgesprochen wurde und der Beteiligte zu 1 wegen des „Auseinanderfallens der rechtlichen von der tatsächlich gelebten Situation“ (so der Vortrag des Beteiligten zu 1) abgesichert werden sollte.
Die Adoption eines Kindes war da zwar schon geplant (deshalb erfolgte ja die Scheidung), war aber noch nicht konkret (die Beteiligte zu 2 war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht geboren). Mit der gerichtlichen Adoptionsentscheidung am 9.7.2018 und der Wiederheirat am 4.1.2019 gewann wieder der Schutz des Vermögens der Erblasserin vor dem Zugriff der Gläubiger des Beteiligten zu 1 an Bedeutung, weshalb die Eheleute vor erneuter Eheschließung den Ehevertrag abschlossen.
So hat der Beteiligte zu 1 vorgetragen, dass die Eheleute im Vorgriff auf die zweite Heirat am 4.1.2019 davon ausgegangen seien, dass eine Absicherung wegen etwa drohender Gläubigerdurchgriffe ratsam sei und sie sich deshalb an den Notar gewandt hätten. Hierzu passt der im Ehevertrag enthaltene beidseitige Erb- und Zuwendungsverzicht. Hingegen würde es hierzu ein Widerspruch sein, wenn der Beteiligte zu 1 weiterhin testamentarischer Alleinerbe hätte bleiben sollen, da dann ein Zugriff seiner Gläubiger auf den Nachlass gedroht hätte.
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Auch das Argument des Nachlassgerichts, dass es eines Verzichts auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht durch den Beteiligten zu 1 nicht bedurft hätte, wenn gewollt gewesen wäre, dass seine testamentarische Alleinerbenstellung aus dem Testament vom 10.8.2016 Bestand hätte haben sollen, spricht für die vom Nachlassgericht vertretene und vom Senat geteilte Auslegung.
Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, er habe doch erklärt, dass er diese Erklärung gar nicht gewollt habe, hindert dies die hier vertretene Auslegung nicht. Denn der Beschwerdeführer erklärt, dass er weder das gesetzliche noch das testamentarische Erbrecht habe ausschließen wollen. Dies aber entspricht nicht seiner wörtlichen Erklärung. Hierzu ist bereits oben ausgeführt worden. Für die Auslegung des tatsächlich Erklärten ist deshalb zunächst davon auszugehen, dass überhaupt ein Erbrechtsausschluss gewollt war. Es ist dann eine Frage der Auslegung, wie weit der erklärte Erbverzicht reicht. Der Wille, den Verzicht überhaupt nicht zu wollen, ist – wie oben bereits ausführlich dargestellt – allein anfechtungsrechtlich relevant.
Auch verweist das Nachlassgericht zutreffend darauf, dass im Januar 2019 nicht erkennbar gewesen sei, dass die Erblasserin den Beschwerdeführer hätte absichern wollen, da angesichts des großen Altersunterschieds (der Beteiligte zu 1 ist Jahrgang 1951, die Erblasserin war Jahrgang 1970) mit einem Vorversterben der Erblasserin nicht zu rechnen war und deshalb eine Absicht, den Beteiligten zu 1 abzusichern, nicht im Vordergrund gestanden haben könne. Dies würde eher den wechselseitigen Erbrechtsausschluss erklären.
Dass für den Verzicht keine Gegenleistung vereinbart wurde, ist rechtlich unerheblich. Auch dies hat das Nachlassgericht bereits zutreffend festgestellt. Das Vereinbaren einer Gegenleistung, beispielsweise in Form einer Abfindung, kann im Rahmen der Auslegung die Annahme eines vollumfänglichen Verzichts stützen. Es ist aber umgekehrt nicht Voraussetzung für eine dahin gehende Auslegung und die Annahme eines vollumfänglichen Erbverzichts.
Aus § 5 des Ehevertrags und den weiteren Regelungen des Vertrags ergibt sich nichts, was zwingend gegen dieses Auslegungsergebnis spricht. Die Angaben zu nicht vorliegenden gemeinschaftlichen Testamenten und keiner Testierabsicht dazu in § 5 Abs. 1 u 2 des Vertrages lassen nicht den Schluss zu, dass die Vertragsparteien das Einzeltestament vom 10.8.19 unberührt lassen wollten.
KG Berlin 19 W 169/21
Dieses Einzeltestament wird in § 5 nicht erwähnt, es handelte sich auch nicht um ein gemeinschaftliches Testament. Umgekehrt passt die Erklärung in § 5 Abs. 2 des Vertrages, dass die Vertragsparteien eine gemeinsame testamentarische Regelung nicht treffen wollen, zu der für § 5 Abs. 3 dargestellten Auslegung eines umfassenden Erbverzichts dahin gehend, dass keinerlei Erbenstellung der Parteien bestehen solle, auch keine testamentarische.
Der vom Beteiligten zu 1 geltend gemachte Wunsch der Eheleute, die Pflege und Ausbildung der Adoptivtochter Anika (die Beteiligte zu 2) zu gewährleisten, wird durch den Erb- und Zuwendungsverzicht nicht unterlaufen, da die Beteiligte zu 2 Erbin wird, wenn die bereits nach albanischem Recht erfolgte Adoption in Deutschland anerkannt wurde, so dass ihr genügend Vermögen zur Verfügung steht und sie für die Zukunft abgesichert ist. Dass die Beteiligte zu 2 noch minderjährig ist, spielt keine Rolle. Natürlich müssen, solange die Beteiligte zu 2 minderjährig ist, andere das Vermögen für sie verwalten. Dies ändert aber nichts an ihrer bestehenden finanziellen Absicherung und der Möglichkeit, dann den Nachlass für die Pflege und Ausbildung der Beteiligten zu 2 einzusetzen.
ee) Unerheblich ist, dass sich nach dem Vortrag des Beteiligten zu 1 im Schriftsatz vom 1.9.2021 die Gefahr des Gläubigerzugriffs erledigt habe, da die Forderungen des Finanzamtes nicht mehr bestünden, denn für die Auslegung der Vertragserklärungen kommt es auf Zeitpunkt des Vertragsschlusses an, wie das Nachlassgericht zutreffend festgestellt hat. Dass der Erbverzicht unter einer auflösenden Bedingung stand, ist nicht ersichtlich.
Diese Bedingung hätte zudem formwirksam erklärt werden müssen wegen des bestehenden Formzwangs (Kroiß in Kroiß/Ann/Mayer, Erbrecht 6. A., § 2346 BGB Rn. 32; Staudinger/Schotten (2016) § 2346 BGB Rn. 52; MüKo/Wegerhoff, BGB 8. A., § 2348 BGB Rn. 2).
Dies ist hier nicht der Fall, da die notarielle Urkunde keine solche Bedingung – auch nicht andeutungsweise – enthält. Für eine Anpassung des Erbverzichts nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist kein Raum, und zwar schon deshalb, weil dies nach dem Tod einer Vertragspartei unzulässig ist (BGH, NJW 1999, 789 = ZEV 1999, 62).
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Soweit der Beteiligte zu 1 anfänglich geltend gemacht hat, dass der Passus im Ehevertrag zum Erbverzicht allein für den Fall der Scheidung hätte zur Anwendung kommen sollen, ist angesichts seines späteren Vortrags, er habe gar nicht gewusst, dass er eine erbrechtliche Erklärung abgebe, schon zweifelhaft, ob er diese Behauptung aufrechterhält. Jedenfalls aber würde es sich bei einer Vereinbarung, dass der Erbverzicht nur für den Fall der Scheidung gelten solle, um eine aufschiebende Bedingung handeln, die gleichfalls formbedürftig gewesen wäre, diese Form aber mangels hinreichender Andeutung nicht eingehalten wurde.
Allein der Umstand, dass der Ehevertrag Regelungen für den Fall der Scheidung enthält, genügt nicht als entsprechende Andeutung, dass auch der Erbverzicht nur für diesen Fall hätte gelten sollen. Im Übrigen haben die Beteiligten zu 3 und 4 zu Recht darauf verwiesen, dass ein Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht für den Fall der Scheidung rechtlich sinnlos wäre, da das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten mit der Scheidung erlischt und § 1933 BGB den Zeitpunkt des Wegfalls des Erbrechts sogar noch vorverlegt (BeckOGK/Tegelkamp, § 1933 BGB Rn. 2). Allein sinnvoll für den Fall der Scheidung wäre dann ein isolierter Zuwendungsverzicht gewesen, der aber gerade nicht erklärt wurde und nach Behauptung des Beteiligten zu 1 auch nicht erklärt werden sollte.
b) Das Nachlassgericht hat auch zu Recht die Anfechtung des Erbverzichts nicht durchgreifen lassen. Die Anfechtung eines Erbverzichts ist nach dem Tod des Erblassers nicht mehr möglich. So liegt der Fall hier. Die Anfechtung hat der Beteiligte zu 1 erst nach dem Tod seiner Ehefrau erklärt.
Das BayObLG hat hierzu in der Entscheidung vom 4.1.2006 (Az. 1 ZB R 97/03) Folgendes ausgeführt:
„Rechtsfehlerfrei ist das LG auch davon ausgegangen, dass nach Eintritt des Erbfalls die Anfechtung eines Erbverzichts nicht mehr möglich ist. Diese Auffassung steht im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung und der hM in der Literatur, der sich der Senat anschließt.
Der Erbverzicht ist ein abstraktes erbrechtliches Verfügungsgeschäft. Er ändert die gesetzliche Erbfolge unmittelbar, indem er die Erbenstellung und Pflichtteilsberechtigung (§ 2346 Abs. 1 S. 2 BGB) des Verzichtenden beseitigt (vgl. BGH, NJW 1997, 653). Nach dem Tod des Erblassers ist eine Aufhebung des Erbverzichts (§ 2351 BGB) nicht mehr möglich, da der Erblasser einen solchen Vertrag nur persönlich schließen kann (§ 2351 iVm § 2347 Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 BGB; Palandt/Edenhofer, § 2351 Rn. 1).
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Dieses Ziel kann auch nicht durch eine Rückabwicklung des Verzichtsvertrags auf der Grundlage von § 242 BGB erreicht werden, wenn das Fehlen oder der Wegfall der Geschäftsgrundlage erst nach Eintritt des Erbfalls geltend gemacht werden. Dem stehen gewichtige Gründe der Rechtssicherheit entgegen. Die Erbfolge muss mit dem Tod des Erblassers auf einer festen Grundlage stehen und darf grundsätzlich nicht noch nach beliebig langer Zeit wieder umgestoßen werden können (BGH, NJW 1999, 789 = ZEV 1999, 62 mAnm Skibbe, ZEV 1999, 106).
Für die Anfechtung des Erbverzichts durch den Verzichtenden nach Eintritt des Erbfalls kann nichts anderes gelten (so auch OLG Celle, NJW-RR 2003, 1450 = ZEV 2004, 156 m. abl. Anm. Damrau; OLG Schleswig, ZEV 1998, 28 (30) m. abl. Anm. Mankowski; OLG Koblenz, NJW-RR 1993, 708; OLG Düsseldorf, NJW 1998, 2607; ausf. Staudinger/Schotten, BGB (2016), § 2346 Rn. 106 mwN; Palandt/Edenhofer, vor § 2346 Rn. 7; Strobel, in: MüKo-BGB, 4. Aufl., § 2346 Rn. 4 aE; aA Soergel/Damrau, BGB, 13. Aufl., § 2346 Rn. 20). Die gegenteilige Ansicht überzeugt nicht.
Zwar kann auch das späte Auffinden oder die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung dazu führen, dass die Erbfolge erst längere Zeit nach dem Tod des Erblassers feststeht. Hier handelt es sich jedoch um Fallgestaltungen, bei denen der wahre Wille des Erblassers erst mit Verzögerung festgestellt werden kann, sei es durch das Auffinden seiner letztwilligen Verfügung, in der er die Erbfolge geregelt hat, sei es durch eine Anfechtung, die nur in den Fällen erfolgreich sein kann, in denen die letztwillige Verfügung mit Willensmängeln des Erblassers behaftet ist.
Im Gegensatz zu diesen Fällen würde durch die erfolgreiche Anfechtung eines Erbverzichts durch den Verzichtenden nach dem Tod des Erblassers eine neue Sachlage geschaffen, auf die der Erblasser, der bei der Regelung der Erbfolge von der Wirksamkeit des Verzichts ausgegangen ist, nicht mehr reagieren kann. Die Anfechtung des Erbverzichts nach dem Tod des Erblassers beeinträchtigt deshalb nicht nur die Rechtssicherheit, sondern führt auch zu einer Verfälschung der vom Erblasser gewollten Erbfolge. Zudem liegt es in der Natur des Erbverzichts als abstraktes erbrechtliches Verfügungsgeschäft unter Lebenden auf den Todesfall, dass er die Rechtslage bei Eintritt des Erbfalls unmittelbar umgestalten soll und diese rechtsgestaltende Wirkung nur zu einem ganz genau bestimmten Zeitpunkt, dem Tod des Erblassers, eintreten kann (Staudinger/Schotten, § 2346 Rn. 106 aE).“
Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an. Sie gelten gleichermaßen für den Zuwendungsverzicht nach § 2352 BGB (vgl. nur Staudinger/Schotten (2016) § 2352 BGB Rn. 53). Der Einwand des Beteiligten zu 1 gegen diese Rechtsauffassung verfängt nicht. Er macht geltend, dass das Argument der Rechtssicherheit nur denjenigen betreffe, dem der Anfechtungsausschluss zugutekomme, dies sei hier die Beteiligte zu 2. Diese sei jedoch zu klein, um den Sachverhalt und die Bedeutung der Angelegenheit zu begreifen.
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Damit meint der Beteiligte zu 1 offenbar, dass die Beteiligte zu 2 altersbedingt kein Vertrauen in ihre erbrechtliche Stellung habe aufbauen können. Ob die Beteiligte zu 2 tatsächlich Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgebaut hat, ist jedoch für den Wegfall der Anfechtungsmöglichkeit unerheblich. Das Argument der Rechtssicherheit bedeutet allgemein, dass eine bestimmte Rechtslage mit dem Erbfall nicht mehr umgestaltet werden soll. Damit wird bereits ein abstraktes Vertrauen in die Rechtslage geschützt. Der geschützte Personenkreis verliert seinen Schutz nicht dadurch, dass er dieses Vertrauen noch nicht aufgebaut hat oder nicht aufbauen konnte.
c) Auf die von der Beteiligten zu 2 erklärte Anfechtung des Testaments vom 10.8.2016 nach § 2079 BGB kommt es nicht an, da der Beteiligte zu 1 nach obigen Ausführungen Rechte aus diesem Testament nicht mehr ableiten kann.
Der Antrag auf Ausstellung eines europäischen Nachlasszeugnisses war schon mangels Alleinerbenstellung des Beteiligten zu 1 zurückzuweisen, im Übrigen aber auch aus den vom Nachlassgericht angeführten Gründen (Art. 87 Abs. 1 a EuErbVO).
Der Senat konnte die Entscheidung gemäß § 68 Abs. 3 FamFG im schriftlichen Verfahren treffen. Soweit der Beschwerdeführer seine unterbliebene Anhörung gerügt hat, geht dies fehl. Der Beschwerdeführer hat sich in erster und zweiter Instanz ausführlich schriftlich geäußert und dadurch sein rechtliches Gehör wahrgenommen. Darüber hinausgehender Aufklärungsbedarf von Seiten des Gerichts besteht aus den oben dargestellten Rechtsgründen nicht.
Die Voraussetzungen, unter denen nach § 34 FamFG das Gericht zur persönlichen Anhörung verpflichtet ist, liegen demnach nicht vor. Die Durchführung eines Erörterungstermins liegt nach § 32 Abs. 1 FamFG im Ermessen des Nachlassgerichts. Dies gilt gleichermaßen für das Beschwerdegericht, da sich das Beschwerdeverfahren gemäß § 68 Abs. 3 S. 1 FamFG nach den Vorschriften für das erstinstanzliche Verfahren richtet (vgl. dazu ausführlich OLG Schleswig 14.1.2010 – 3 Wx 92/09).
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