KG Berlin 19 W 180/22 Beschl. v. 12.12.2022 – Feststellung des Fiskalerbrechts – § 1964 Abs. 1 BGB – § 1965 Abs. 1 S. 1 u. 2 BGB
(AG Berlin-Mitte, Beschl. v. 1.11.2022 – 61 VI 858/22)
Umfang und Dauer der Erbenermittlung vor vor Feststellung des Fiskalerbrechts gemäß § 1964 Abs. 1 BGB stehen im pflichtgemäßen Ermessen des Nachlassgerichts.
Die im Regelfall – ohne Ermessen (iA an KG Beschl. v. 4.1.2011 – 1 W 471/10, FamRZ 2011, 1096) – vor der Feststellung gemäß § 1965 Abs. 1 S. 1 BGB erforderliche öffentliche Aufforderung zur Anmeldung der Erbrechte darf gemäß § 1965 Abs. 1 S. 2 BGB nach dem Ermessen des Nachlassgerichts nur ausnahmsweise bei im Verhältnis zum Nachlasswert unverhältnismäßigen Kosten unterbleiben.
Angesichts der äußerst geringen Kosten einer öffentlichen Aufforderung greift § 1965 Abs. 1 S. 2 BGB nur ausnahmsweise (iA an OLG Braunschweig Beschl. v. 18.12.2020 – 3 W 28/20, ZErb 2021, 75 Rn. 44).
Der Feststellungsbeschluss oder spätestens der Nichtabhilfebeschluss muss eine nachvollziehbare Begründung der Ermessensausübung enthalten.
Gründe:
KG Berlin 19 W 180/22
Die gemäß den §§ 57 ff. FamFG statthafte Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Das Nachlassgericht hat den Feststellungsbeschluss zum Fiskalerbrecht nach § 1964 Abs. 1 BGB ermessensfehlerhaft erlassen.
Dieser war deshalb aufzuheben (vgl. auch BeckOGK/Heinemann, BGB § 1965 Rn. 8).
Nach § 1964 Abs. 1 BGB hat das Nachlassgericht festzustellen, dass ein anderer Erbe als der Fiskus nicht vorhanden ist, wenn der Erbe nicht innerhalb einer den Umständen entsprechenden Frist ermittelt wurde. Umfang und Dauer der Ermittlungen unterliegen dabei keinen starren gesetzlichen Regeln, sondern sind dem pflichtgemäßen Ermessen des Nachlassgerichts überlassen (MüKo-Leipold, BGB 9. A., § 1964 BGB Rn. 4).
Gibt es Hinweise auf die Existenz näherer Verwandter, sind Anfragen an Sterberegister, Eheregister und Geburtenregister der Lebensmittelpunkte des Erblassers geboten.
Nach § 1965 Abs. 1 S. 1 BGB hat der Feststellung nach § 1964 BGB eine öffentliche Aufforderung zur Anmeldung der Erbrechte unter Bestimmung einer Anmeldungsfrist vorauszugehen.
Nach Satz 2 dieser Norm darf die Aufforderung unterbleiben, wenn die Kosten dem Bestand des Nachlasses gegenüber unverhältnismäßig groß sind.
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Nach dem Wortlaut unterliegt lediglich das Absehen von der Veröffentlichung wegen unverhältnismäßiger Kosten dem Ermessen des Nachlassgerichts.
Hingegen ist die Aufforderung nach Satz 1 als Regelfall ohne Ermessen („hat“) formuliert (vgl. Auch KG Beschl. v. 4.1.2011 – 1 W 471/10).
Von diesen Normen ausgehend durfte das Nachlassgericht zumindest nach dem derzeitigen Aktenstand nicht von der Aufforderung nach § 1965 Abs. 1 S. 1 BGB absehen.
Die Entscheidung ist insoweit auch schon deshalb ermessensfehlerhaft, da weder der Feststellungsbeschluss noch der Nichtabhilfebeschluss erkennen lassen, dass und inwieweit das Nachlassgericht das entsprechende Ermessen überhaupt ausgeübt hat.
Im Nichtabhilfebeschluss wird dazu lediglich ausgeführt, dass die entsprechende Entscheidung im Ermessen des Gerichts liege und weder im positiven noch im negativen Fall zu begründen sei.
Dies ist rechtlich unzutreffend. Soweit eine Ermessensentscheidung getroffen und diese anschließend angefochten wird, bedarf es spätestens nach der Anfechtung im Rahmen des Abhilfeverfahrens einer nachvollziehbaren Begründung der Ermessensausübung. Daran fehlt es.
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Es ist auch nicht ersichtlich, wie das Nachlassgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1965 Abs. 1 S. 2 BGB hätte feststellen können.
Denn Erkenntnisse über den Wert des Nachlasses, insbesondere ob dieser überschuldet ist und eventuell deshalb vom Aufforderungsverfahren abgesehen werden könnte, lassen sich der Akte nicht entnehmen.
Es ist lediglich bekannt, dass der Erblasser seit 1983 Mieter einer 2-Zimmer-Wohnung in […] war. Erkenntnisse zu seinen Vermögensverhältnissen liegen nicht vor.
Dann aber kann auch nicht festgestellt oder vermutet werden, dass der Nachlass überschuldet ist. Ohnehin wird die Ausnahmevorschrift des § 1965 Abs. 1 S. 2 BGB nur ausnahmsweise eingreifen, da die Kosten für die Aufforderung als äußerst gering anzusehen sind (vgl. OLG Braunschweig Beschl. v. 18.12.2020 – 3 W 28/20, Rn. 44; MüKo/Leipold, BGB 9. A., § 1965 Rn. 2).
Da mithin mangels Durchführung des Verfahrens nach § 1965 BGB ein Feststellungsbeschluss nach § 1964 BGB (noch) nicht hat ergehen dürfen, war dieser aufzuheben.
Da das Beschwerdegericht für die Durchführung des Verfahrens nach § 1965 BGB nicht zuständig ist, war das Verfahren an das funktional zuständige Amtsgericht zurückzugeben (vgl. OLG Braunschweig aaO Rn. 47).
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