KG Berlin 21 W 5/24
Aussetzung eines Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit einer EuGH-Vorlage – Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde und Grenzen der Überprüfung
Das Kammergericht Berlin (KG) hatte in seinem Beschluss vom 17.05.2024 über die sofortige Beschwerde eines Klägers zu entscheiden,
der sich gegen die Aussetzung seines Verfahrens wegen der Vorgreiflichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) wandte.
Der Fall betrifft die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde gegen eine solche Aussetzungsentscheidung und die Grenzen der Überprüfung durch das Beschwerdegericht.
Sachverhalt:
Der Kläger verlangte von den Beklagten die Rückzahlung von Verlusten aus Online-Glücksspielen.
Das Landgericht Berlin setzte das Verfahren aus, bis der EuGH über ein Vorabentscheidungsersuchen in einem anderen Verfahren (C-440/23) entschieden hat,
das die Vereinbarkeit des deutschen Glücksspielstaatsvertrags mit dem Unionsrecht betrifft.
Der Kläger legte hiergegen sofortige Beschwerde ein.
Rechtliche Würdigung:
Das KG wies die Beschwerde zurück und bestätigte die Aussetzung des Verfahrens.
1. Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde:
Das KG stellte zunächst fest, dass die sofortige Beschwerde gegen die Aussetzung des Verfahrens zulässig ist.
Zwar sei nach überwiegender Auffassung die sofortige Beschwerde gegen Aussetzungsentscheidungen, die mit einer Vorlageentscheidung an ein höheres Gericht verbunden sind, nicht statthaft.
Dies gelte jedoch nicht für den Fall, dass die Aussetzung damit begründet wird, es gelte die Entscheidung über die Vorlage in einer Parallelsache abzuwarten (isolierte Aussetzung).
In einer solchen Konstellation gebiete es der in § 252 ZPO verankerte Justizgewährungsanspruch zum Schutz der Parteien, dass zumindest die Identität der Vorlagefragen überprüfbar ist.
Der Entscheidungsprärogative der Vorinstanz könne dadurch Rechnung getragen werden, dass der Prüfungsmaßstab des Beschwerdegerichts entsprechend eingeschränkt wird.
2. Grenzen der Überprüfung:
Das KG betonte, dass das Beschwerdegericht die Aussetzungsentscheidung nur eingeschränkt überprüfen kann.
Es sei dem Beschwerdegericht verwehrt, sein Ermessen an die Stelle des dem Erstgericht eingeräumten Ermessen zu setzen oder eigene Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen.
3. Aussetzungsgrund:
Das KG bestätigte, dass das Landgericht zu Recht einen Aussetzungsgrund gemäß § 148 ZPO angenommen hat.
Vorgreiflichkeit sei gegeben, wenn in einem anderen Rechtsstreit eine Entscheidung ergeht, die für das auszusetzende Verfahren materielle Rechtskraft entfaltet oder Gestaltungs- bzw. Interventionswirkung erzeugt.
Im vorliegenden Fall sei die Aussetzung des Verfahrens gerechtfertigt, da die Entscheidung des EuGH in dem Verfahren C-440/23 für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich ist.
Der Kläger verlange die Rückzahlung von Spieleinsätzen, die er vor dem Inkrafttreten des neuen Glücksspielstaatsvertrags im Jahr 2021 getätigt habe.
Die Gültigkeit dieser Spieleinsätze hänge von der Vereinbarkeit des alten Glücksspielstaatsvertrags mit dem Unionsrecht ab, über die der EuGH in dem Verfahren C-440/23 zu entscheiden habe.
4. Ermessensausübung:
Das KG stellte fest, dass die Ermessensausübung des Landgerichts nicht zu beanstanden ist.
Das Landgericht habe im Rahmen der nach § 148 ZPO erforderlichen Ermessensprüfung alle für die Entscheidung maßgeblichen Kriterien berücksichtigt und nachvollziehbar gegeneinander abgewogen.
Insbesondere habe es in seine Abwägung die mögliche Verfahrensverzögerung einerseits und die Gesichtspunkte der Verfahrensökonomie
und der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen andererseits einbezogen.
5. Kostenentscheidung:
Das KG traf keine Kostenentscheidung, da die Kosten des Beschwerdeverfahrens einen Teil der Kosten des Rechtsstreits bilden,
die unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens die nach §§ 91 ff ZPO in der Sache unterliegende Partei zu tragen hat.
6. Zulassung der Rechtsbeschwerde:
Das KG ließ die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zu, um eine einheitliche Rechtsprechung zur Anwendbarkeit der §§ 252, 148 ZPO zu gewährleisten.
Fazit:
Der Beschluss des KG Berlin verdeutlicht die Voraussetzungen und Grenzen der Aussetzung eines Verfahrens wegen der Vorgreiflichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH.
Die sofortige Beschwerde gegen eine solche Aussetzungsentscheidung ist zulässig, wenn die Aussetzung damit begründet wird, es gelte die Entscheidung über die Vorlage in einer Parallelsache abzuwarten.
Das Beschwerdegericht kann die Aussetzungsentscheidung jedoch nur eingeschränkt überprüfen und darf sein Ermessen nicht an die Stelle des dem Erstgericht eingeräumten Ermessen setzen.
Hinweis:
Die Entscheidung des KG Berlin ist ein Beispiel für die Anwendung des § 148 ZPO im Zusammenhang mit Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH.
Sie zeigt, dass die Gerichte gehalten sind, Verfahren auszusetzen, wenn die Entscheidung des EuGH für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich ist.
Dies dient der Vermeidung von widersprüchlichen Entscheidungen und der Wahrung der Rechtseinheit.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.