Kirschbaum hebelt Betonplatte aus – Erbitterter Streit unter Nachbarn um die Kosten eines neuen Wegs

Juni 12, 2025

Kirschbaum hebelt Betonplatte aus – Erbitterter Streit unter Nachbarn um die Kosten eines neuen Wegs

RA und Notar Krau

Ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 28. November 2003 (Az. V ZR 99/03) befasste sich mit einem Fall, in dem Wurzeln eines Kirschbaums von einem Nachbargrundstück in das der Klägerin wuchsen und dort einen Weg beschädigten. Die Klägerin forderte vom Nachbarn, dem Beklagten, Schadensersatz für die Erneuerung des Weges. Der BGH bestätigte im Ergebnis die Entscheidung der Vorinstanzen, dass die Klage abgewiesen wird, wenn auch mit einer teilweise anderen Begründung.


Was war passiert?

Die Klägerin hatte auf ihrem Grundstück einen Weg aus drei Betonplatten. Auf dem Grundstück des Beklagten, etwa einen Meter von der Grundstücksgrenze entfernt, stand ein Kirschbaum. Die Klägerin behauptete, dass die Wurzeln dieses Baumes in ihr Grundstück eingedrungen seien und eine der Betonplatten um 25 bis 30 mm angehoben hätten, wodurch ein Höhenunterschied entstand. Im Jahr 2001 ließ die Klägerin den alten Weg entfernen und durch einen neuen, mit Kleinpflastersteinen befestigten Weg ersetzen. Dafür zahlte sie 1.179,37 Euro. Diese Kosten wollte sie vom Beklagten ersetzt bekommen.

Die Klage der Klägerin war in den vorherigen Gerichtsinstanzen (Amtsgericht und Landgericht) erfolglos geblieben. Die Klägerin legte daraufhin Revision beim BGH ein.


Die Entscheidungen der Gerichte

Das Landgericht Berlin hatte entschieden, dass die Klägerin zwar einen Anspruch auf Beseitigung der Wurzeln hatte ($1004 BGB), aber nicht auf Schadensersatz für die Erneuerung des Weges. Es begründete dies unter anderem damit, dass der Beklagte kein Verschulden an dem Wurzelwachstum hatte und die Klägerin auch keine Kosten für das bloße Abschneiden der Wurzeln geltend gemacht hatte, sondern den gesamten Weg erneuert hat.


Die Sichtweise des Bundesgerichtshofs (BGH)

Der BGH bestätigte im Ergebnis die Abweisung der Klage, auch wenn er in einigen Punkten die Begründung des Landgerichts korrigierte.

1. Kein Schadensersatz wegen Verschuldens

Der BGH stimmte dem Landgericht zu, dass der Klägerin kein Schadensersatzanspruch nach $823 Abs. 1 BGB (unerlaubte Handlung) zusteht. Der Grund: Es gab kein Verschulden des Beklagten. Das bloße Wachsen von Baumwurzeln auf das Nachbargrundstück ist an sich kein schuldhaftes Verhalten.

2. Kein Schadensersatz wegen Verzugs

Ebenso wenig konnte die Klägerin Schadensersatz wegen Verzugs ($286 BGB) verlangen. Die Voraussetzungen für einen Verzug (z.B. eine Mahnung an den Beklagten zur Beseitigung der Wurzeln) lagen nicht vor, und die geltend gemachten Kosten waren auch kein typischer Verzugsschaden.

3. Anspruch auf Beseitigung der Wurzeln ($1004 BGB) und das Selbsthilferecht ($910 BGB)

Der BGH stellte klar, dass der Eigentümer eines Grundstücks von seinem Nachbarn die Beseitigung von Baumwurzeln verlangen kann, die vom Nachbargrundstück eingedrungen sind ($1004 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dieses Recht besteht neben dem Selbsthilferecht des Eigentümers, die Wurzeln selbst abzuschneiden und zu behalten ($910 Abs. 1 Satz 1 BGB). Das bedeutet, der Grundstückseigentümer muss die Wurzeln nicht zwingend selbst entfernen, sondern kann vom Nachbarn die Beseitigung fordern.

Der BGH betonte, dass der Eigentümer eines Baumes, dessen Wurzeln in das Nachbargrundstück wachsen, dafür verantwortlich ist. Das liegt daran, dass der Eigentümer gemäß $903 BGB dafür sorgen muss, dass Baumwurzeln nicht über die Grenzen seines Grundstücks hinauswachsen und fremdes Eigentum beeinträchtigen. Die Klägerin war auch nicht verpflichtet, die Beeinträchtigung durch die Wurzeln zu dulden, da die Wurzel die Gehwegplatte angehoben hatte und somit eine tatsächliche Beeinträchtigung vorlag ($910 Abs. 2 BGB).

Kirschbaum hebelt Betonplatte aus – Erbitterter Streit unter Nachbarn um die Kosten eines neuen Wegs

4. Bereicherungsanspruch ($812 BGB) – Eine wichtige Klarstellung

Hier korrigierte der BGH das Landgericht. Wenn die Klägerin einen Anspruch auf Beseitigung der Wurzeln gegen den Beklagten gehabt hätte ($1004 BGB) und die Klägerin diese Beseitigung selbst vorgenommen hat, dann wurde der Beklagte dadurch von seiner Pflicht befreit. In diesem Fall wäre der Beklagte ungerechtfertigt bereichert gewesen ($812 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Klägerin hätte dann Anspruch auf Erstattung der notwendigen Kosten gehabt, die der Beklagte für die Beseitigung hätte aufwenden müssen.

Der BGH bekräftigte seine ständige Rechtsprechung, dass der gestörte Grundstückseigentümer die Beseitigung selbst vornehmen und die dadurch entstehenden Kosten nach Bereicherungsrecht erstattet verlangen kann. Das bedeutet, wenn der Nachbar seiner Pflicht zur Beseitigung nicht nachkommt, kann der betroffene Eigentümer die Arbeiten durchführen lassen und die notwendigen Kosten vom Nachbarn zurückfordern.

5. Warum die Klage trotzdem abgewiesen wurde

Trotz dieser positiven Feststellung zugunsten der Klägerin hinsichtlich des Bereicherungsanspruchs wurde die Klage im Ergebnis abgewiesen. Der Grund: Die Klägerin hatte nicht die notwendigen Kosten für die Beseitigung der Beeinträchtigung geltend gemacht.

Die Klägerin hatte die Kosten für die vollständige Erneuerung des Weges mit Kleinpflastersteinen in Rechnung gestellt. Für die Beseitigung der Wurzeln und die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands (also das Wiederhinlegen der Betonplatte nach Abschneiden der Wurzel) wäre das nicht erforderlich gewesen. Die Kosten für das Aufbrechen und Abfahren aller Betonplatten des ursprünglichen Weges waren nicht notwendig, um die Störungsursache zu finden oder die Störung zu beseitigen. Der Beklagte schuldet zwar auch die Wiederherstellung des Weges nach Beseitigung der Wurzeln, aber nur in dem Umfang, wie es zur Behebung der Beeinträchtigung durch die Wurzeln notwendig war. Die Klägerin hatte aber nicht die Kosten für die Reparatur der angehobenen Platte geltend gemacht, sondern die Kosten für eine vollständige Neuanlage des Weges.

6. Kein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch

Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch ($906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog) kam ebenfalls nicht in Betracht. Dieser Anspruch ist nur dann gegeben, wenn der betroffene Eigentümer keinen anderweitigen Ersatz erlangen kann. Da die Klägerin grundsätzlich einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Beseitigung der Wurzeln und die notwendige Wiederherstellung des Weges gehabt hätte, fehlte es an dieser Voraussetzung.


Fazit des Urteils

Das Urteil des BGH klärt, dass ein Grundstückseigentümer, dessen Eigentum durch eingedrungene Baumwurzeln vom Nachbargrundstück beeinträchtigt wird, einen Anspruch auf Beseitigung gegen den Nachbarn hat ($1004 BGB). Kommt der Nachbar dieser Pflicht nicht nach und beseitigt der Eigentümer die Störung selbst, kann er die notwendigen Kosten nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung ($812 BGB) vom Nachbarn zurückfordern. Allerdings muss der geltend gemachte Betrag auch den tatsächlich notwendigen Kosten entsprechen, um die Störung zu beheben und den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Eine komplette Erneuerung, die über das Notwendige hinausgeht, ist nicht erstattungsfähig. Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin zu hohe, nicht notwendige Kosten geltend gemacht, weshalb ihre Klage abgewiesen wurde.


Haben Sie weitere Fragen zu den Rechten und Pflichten von Nachbarn im Zusammenhang mit Baumwurzeln oder anderen Grundstücksbeeinträchtigungen?

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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