Kündigung vor Ablauf der Wartezeit gegenüber einem schwerbehinderten Menschen

April 5, 2025

Kündigung vor Ablauf der Wartezeit gegenüber einem schwerbehinderten Menschen – keine Verpflichtung zum Präventionsverfahren

RA und Notar Krau

Das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 4. Juni 2024 (Az. 1 Sa 201/23) behandelt die Frage, ob ein Arbeitgeber vor Ausspruch

einer Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen innerhalb der Wartezeit ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchführen muss.

Sachverhalt

Der Kläger, ein schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 80, wurde von der Beklagten als Leiter für die Haus- und Betriebstechnik eingestellt.

Im Arbeitsvertrag wurde eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis während der Probezeit.

Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage und berief sich auf einen Sonderkündigungsschutz nach dem SGB IX sowie auf europarechtliche Vorgaben.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts

Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung des Klägers zurück und bestätigte die Wirksamkeit der Probezeitkündigung.

Die zentralen Argumente des Gerichts lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Kündigung vor Ablauf der Wartezeit gegenüber einem schwerbehinderten Menschen

Keine Verpflichtung zur Durchführung eines Präventionsverfahrens:

Das Gericht stellte fest, dass der Arbeitgeber in den ersten sechs Monaten eines Arbeitsverhältnisses nicht verpflichtet ist,

vor Ausspruch einer Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen.

Es hielt an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts fest, wonach das Präventionsverfahren keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung darstellt

und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes keine Anwendung findet.

Europarechtliche Vorgaben:

Das Gericht setzte sich mit der Entscheidung des EuGH vom 10. Februar 2022 (C-485/20) auseinander, wonach Art. 5 RL 2000/78/EG angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung impliziert.

Es kam jedoch zu dem Schluss, dass aus dieser Entscheidung keine generelle Pflicht zur Prüfung sämtlicher Einsatzmöglichkeiten auf unbesetzten oder besetzten Arbeitsplätzen folgt.

Vielmehr sei eine solche Pflicht auf Fälle beschränkt, in denen die Maßnahme den Arbeitgeber „nicht unverhältnismäßig“ belaste.

Das Gericht wies darauf hin, dass im falle einer solchen Abwägung, das Erprobungsinteresse des Arbeitgebers in der Wartezeit des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen sei.

Diskriminierung:

Das Gericht verneinte eine Diskriminierung des Klägers durch die Probezeitkündigung.

Das Gericht stellte klar, das eine Prüfpflicht des Arbeitgebers, bezüglich

Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, sich nur auf freie Arbeitsplätze bezieht.

Das Gericht entschied, dass der Kläger das Vorhandensein geeigneter freier Arbeitsplätze, nicht dargelegt hat.

Kündigung vor Ablauf der Wartezeit gegenüber einem schwerbehinderten Menschen

Wartezeit:

Das Gericht stellte fest, dass die Wartezeit des § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX, die den besonderen Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen regelt, noch nicht abgelaufen war.

Bedeutung der Entscheidung

Die Entscheidung des Thüringer Landesarbeitsgerichts bestätigt die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts,

wonach Arbeitgeber während der Probezeit nicht verpflichtet sind, ein Präventionsverfahren durchzuführen.

Sie verdeutlicht jedoch auch die Notwendigkeit, europarechtliche Vorgaben bei der Auslegung des deutschen Kündigungsschutzrechts zu berücksichtigen.

Revision

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, da die Frage der Auswirkungen der

EuGH-Entscheidung auf das deutsche Kündigungsrecht gegenüber schwerbehinderten Menschen von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

Betriebsvereinbarung Bonus - unterjähriges Ausscheiden - Stichtagsregelung - Berechnung anteiliger Anspruch

Betriebsvereinbarung Bonus – unterjähriges Ausscheiden – Stichtagsregelung – Berechnung anteiliger Anspruch

April 19, 2025
Betriebsvereinbarung Bonus – unterjähriges Ausscheiden – Stichtagsregelung – Berechnung anteiliger AnspruchRA und Notar KrauDas Urteil des…
Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit - Anpassung der Vergütung

Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit – Anpassung der Vergütung

April 19, 2025
Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit – Anpassung der VergütungUrteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13. Dezember 2023 – 5 AZR 168/23 – z…
Urlaubsgeld - Gesamtzusage - Freiwilligkeitsvorbehalt - Mitbestimmung des Betriebsrats - billiges Ermessen

Urlaubsgeld – Gesamtzusage – Freiwilligkeitsvorbehalt – Mitbestimmung des Betriebsrats – billiges Ermessen

April 19, 2025
Urlaubsgeld – Gesamtzusage – Freiwilligkeitsvorbehalt – Mitbestimmung des Betriebsrats – billiges ErmessenUrteil des Bundesarbeitsgerichts (BA…