LAG Hamm 13 Sa 1364/15 Urteil vom 15.04.2016 – Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung – EDV-Systembetreuer
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 19.08.2015 – 3 Ca 1395/14 – wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger 1/4 und die Beklagte 3/4 zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand LAG Hamm 13 Sa 1364/15
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Der 1984 geborene, ledige Kläger steht seit dem 01.11.2003 in den Diensten der Beklagten, die ca. 250 Arbeitnehmer beschäftigt. Auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 26.01.2006 (Bl. 39 ff. d. A.) wurde er zuletzt als EDV-Systembetreuer zu einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 3.600,– € in der 35-Stunden-Woche tätig.
Mit Schreiben vom 13.05.2014 sprach die Beklagte dem Kläger eine außerordentliche Kündigung wegen grober Beleidigung eines Vorgesetzten aus. Im anschließenden (mittlerweile rechtskräftig abgeschlossenen) Kündigungsschutzverfahren obsiegte der Kläger in zwei Instanzen durch Entscheidungen des Arbeitsgerichts Detmold vom 29.10.2014 und des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 05.05.2015 (3 Ca 583/14 = 9 Sa 1665/14).
Drei Monate nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung wurde der Kläger in seiner Funktion als Ersatzmitglied des im Betrieb der Beklagten bestehenden Betriebsrates zu einer Sitzung dieses Gremiums am 13.08.2014 geladen. Er nahm an der Sitzung teil, bis die Beklagte von seiner Anwesenheit erfuhr und ihn des Betriebes verwies.
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Von seiner vertraglich geschuldeten wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden als EDV-Systembetreuer entfielen im Durchschnitt etwa 12 Stunden auf die Installation und Konfiguration von Computern und Druckern. Die regelmäßige Wartung der Hardware- und Softwarekomponenten inklusive Fehlerbeseitigung nahm etwa acht Wochenstunden in Anspruch. Für die Meldung von Störungen in der Telekommunikation (EDV, Telefonanlage, Telefax) zur Beseitigung durch die I-Group als Konzernmutter brachte der Kläger wöchentlich etwa zwei Stunden auf – ebenso wie für die Serviceverwaltung der MS Windows-Systeme. Für die Passwort-, Benutzer- und Datenzugriffsverwaltung benötigte der Kläger eine Stunde pro Woche. Eine weitere Wochenstunde entfiel auf die Einhaltung und Überwachung der Netzwerk-Security-Richtlinien der I-Gruppe.
Für Einweisungen und Schulungen der Nutzer im Umgang mit MS-Office-, Lotus Notes-, Internet- und Antivirusanwendungen benötigte der Kläger wöchentlich im Durchschnitt etwa 2 Stunden. Schließlich war er ca. 7 Stunden pro Woche mit der sogenannten EDV-Geräteprüfung befasst.
Im August 2014 wurde die Stelle des EDV-Systembetreuers von einer bei der Beklagten geführten Recrutingliste gelöscht. In der Folgezeit nahm der Zeuge L für die Beklagte Kontakt zu verschiedenen EDV-Dienstleistern auf und holte Angebote ein.
Am 29.01.2015 schloss die Beklagte mit der Firma E GmbH (im Folgenden kurz: E) einen IT-Support-Vertrag. Auf dieser Grundlage übernimmt die Firma E seit Februar 2015 unter anderem die Installation und Konfiguration von Computern und Druckern, die regelmäßige Wartung aller Hardware- und Softwarekomponenten inklusive Fehlerbeseitigung sowie – in Abstimmung mit dem Zeugen M – die Meldung von Störungen in der Telekommunikation (EDV, Telefonanlage, Telefax) zur Beseitigung an die I-Group und die Einweisung und Schulung der Nutzer im Umgang mit MS-Office-, Lotus-Notes-, Internet- und Antivirusanwendungen.
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Am 23.03.2015 schloss die Beklagte sodann mit der Firma E eine Ergänzungsvereinbarung, wonach diese nunmehr auch die Geräteprüfung der IT-Hardware übernimmt.
Mit Schreiben vom 04.12.2014 (Bl. 42 f. d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung des Klägers an. Nach einem Widerspruch des Betriebsrates (Bl. 44 d.A.) kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2014, dem Kläger zugegangen am 17.12.2014, das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Wirkung zum 30.04.2015 (Bl. 5 d.A.).
Dagegen wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage.
Er hat die Ansicht vertreten, die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung sei unwirksam. Bei der dargestellten Fremdübernahme von EDV-Dienstleistungen seien nicht sämtliche Tätigkeiten wiederzufinden. Insbesondere fehle im Leistungsumfang der Firma E die von ihm, dem Kläger, durchgeführte Anwenderschulung (Help-Desk). Im Übrigen deckten die von der Firma E übernommenen Dienstleistungen maximal einen Umfang von 64 Stunden pro Monat ab.
Ferner hat sich der Kläger auf das Vorliegen von Sonderkündigungsschutz infolge der Teilnahme an der Betriebsratssitzung im August 2014 berufen.
Soweit hier noch von Interesse, hat der Kläger beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 16.12.2014 nicht beendet wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie hat die Meinung vertreten, die ausgesprochene ordentliche Kündigung sei durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Im August 2014 sei seitens der Geschäftsführung die Entscheidung gefällt worden, unabhängig vom Ausgang des ersten Kündigungsschutzverfahrens die Stelle des Klägers nicht erneut zu besetzen. Stattdessen sollten ein Teil der Tätigkeiten von der Konzernmutter und im Übrigen extern eingekauft werden. Einzig die EDV-Geräteprüfung habe durch die Auszubildenden verrichtet werden sollen. Neben der im großen Umfang erfolgten Vergabe von Dienstleistungen an die Firma E sei am 23.03.2015 das I IT-Service-Desk gestartet worden. Seitdem werde unter anderem die Serviceverwaltung der MS-Windows-Systeme, die Passwort-, Benutzer- und Datenzyklusverwaltung sowie die Einhaltung und Überwachung der Netzwerk-Security-Richtlinien der I-Group von dort in Abstimmung mit dem Zeugen M bearbeitet.
Auf einen Sonderkündigungsschutz könne sich der Kläger nicht berufen, weil er im August 2014 aufgrund der außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zeitweilig verhindert gewesen sei.
Soweit hier noch von Interesse, ist das Arbeitsgericht mit Urteil vom 19.08.2015 zu dem Ergebnis gelangt, die Beklagte habe nicht ausreichend dargelegt, dass die Tätigkeiten des Klägers durch einen externen Dienstleister und im Falle der Geräteprüfungen durch Auszubildende übernommen worden seien.
Dagegen richtet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.
Sie behauptet, die Tätigkeiten des Klägers im Gesamtumfang von 24 Wochenstunden an die Firma E ausgelagert zu haben, und zwar im Einzelnen die Installation und Konfiguration von Computern und Druckern (etwa 12 Wochenstunden), die regelmäßige Wartung der Hardware- und Softwarekomponenten inklusive Fehlerbeseitigung (etwa 8 Wochenstunden), die Meldung von Störungen in der Telekommunikation zur Störungsbeseitigung durch die I-Group als Konzernmutter (etwa 2 Wochenstunden) sowie die Einweisung und Schulung der Nutzer im Umgang mit MS-Office-, Lotus Notes-, Internet- und Antivirus-Anwendungen (etwa 2 Wochenstunden).
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Die ca. 7 Wochenstunden umfassenden Geräteprüfungen hätten die dafür ausreichend qualifizierten beiden Auszubildenden A und C übernommen, bevor diese Arbeiten ab Ende März 2015 auch von der Firma E erbracht würden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 19.08.2015 – 3 Ca 1395/14 – abzuändern und die Klage auch hinsichtlich des Feststellungsantrages zu 1) abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bestreitet unverändert, dass die Firma E bei einem Monatskontingent von 64 Stunden seine bisherigen Tätigkeiten im Umfang von 24 Stunden pro Woche erledigen kann. Wegen berufsgenossenschaftlicher Vorschriften sei es auch nicht möglich gewesen, Auszubildenden die Aufgabe der Geräteprüfungen zu überantworten.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
I. In dem Zusammenhang kann offen bleiben, ob die Tätigkeiten des Klägers als EDV-Systembetreuer aufgrund unternehmerischer Entscheidungen tatsächlich in vollem Umfang von 35 Wochenstunden entfallen sind und deshalb die ordentliche Kündigung vom 16.12.2014 durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 3. Fall KSchG bedingt war.
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II. Denn die streitbefangene ordentliche Kündigung verstößt gegen § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG, weil der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 17.12.2014 wegen seiner Anwesenheit zu Beginn der Betriebsratssitzung am 13.08.2014 noch nachwirkenden besonderen Kündigungsschutz besaß.
1. Allerdings hätte der Kläger als Ersatz für ein verhindertes Betriebsratsmitglied
(§ 25 Abs. 1 BetrVG) von Rechts wegen nicht zu der Betriebsratssitzung am 13.08.2014 geladen werden dürfen. Denn nach der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur ( BAG, 14.05.1997 – 7 ABR 26/96 – AP BetrVG 1972 § 8 Nr. 6; GK/Oetker, 10. Aufl., § 25 Rdnr. 34; Fitting, 28. Aufl., § 24 Rdnr. 16; abl. z. B. ArbG Hamburg, 16.06.1997 – 21 GaBV 1/97 – AiB 1997, 659 [ArbG Hamburg 16.06.1997 – 21 GaBV 1/97] ; ArbG Elmshorn, 10.09.1969 – 1 d BVGa 36/96 – AiB 1997, 173; Dütz, DB 1978, Beilage 13, 1) war er selbst (auch) an der Ausübung von Betriebsratstätigkeit verhindert, und zwar aufgrund der ihm gegenüber ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung vom 13.05.2014, über deren Wirksamkeit im August 2014 noch nicht arbeitsgerichtlich entschieden war.
2. Trotzdem hat der dazu gemäß § 29 Abs. 2 Satz 6 BetrVG berufene Vorsitzende des Betriebsrates den Kläger zu der Sitzung des Gremiums am 13.08.2014 geladen. Dieser ist daraufhin zu der Sitzung erschienen und hat an ihr bis zur Intervention durch die Beklagte teilgenommen.
In dieser rechtlich nicht einfachen Konstellation musste sich dem Kläger keinesfalls aufdrängen, dass er objektiv nicht zur Vertretung berufen war, und es ergeben sich auch keine Anhaltspunkte für kollusive Absprachen, so dass ein rechtsmissbräuchliches Handeln (§ 242 BGB) ausscheidet (vgl. BAG, 12.02.2004 – 2 AZR 163/03 – AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 1; 08.09.2011 – 2 AZR 388/10 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70; 27.09.2012 – 2 AZR 955/11 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 74; ErfK/Kiel, 16. Aufl., § 15 KSchG Rdnrn. 14, 32).
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3. Durch die vom Kläger entfaltete Amtsaktivität hat sich tatsächlich eine Situation ergeben, in der Konflikte mit der Arbeitgeberin hätten entstehen können. Dies rechtfertigt es, eine “Abkühlungsphase” in der Beziehung zwischen dem als Betriebsratsmitglied aktiv gewordenen Kläger und der Beklagten als Arbeitgeberin zu gewährleisten, und zwar durch den auf ein Jahr bestimmten Ausschluss einer ordentlichen Kündigung (vgl. z.B. BAG, 08.09.2011 – 2 AZR 388/10 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70; 19.04.2012 – 2 AZR 233/11 – AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 34).
Daran ändert sich nichts dadurch, dass in Wahrheit in der Person des Klägers ein Verhinderungsgrund vorlag, er also tatsächlich gar nicht hätte geladen werden dürfen (vgl. BAG, 12.02.2004 – 2 AZR 173/03 – AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 1; ErfK/Kiel, a.a.O., § 15 KSchG Rdnr. 32; KR/Etzel, 10. Aufl., § 103 BetrVG Rdnr. 45 a).
Nach alledem ist die ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 16.12.2014 rechtsunwirksam.
Die Kostenentscheidung beruht unter Berücksichtigung des ursprünglich auch verfolgen Weiterbeschäftigungsbegehrens auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
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Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
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Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.