LG Ravensburg 2 O 338/07

September 10, 2017

LG Ravensburg 2 O 338/07 Unwirksamkeit des Erb- und Pflichtteilsverzichts bei einem wegen evident einseitiger Lastenverteilung nichtigen Ehevertrag

  1. Es wird festgestellt, dass der Kläger zu 1/3 am Nachlass der am 23.02.2007 in Ravensburg verstorbenen Frau (…), zuletzt wohnhaft (…), beteiligt ist.
  2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  3. Die Widerklage wird abgewiesen.
  4. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 1/3 und die Beklagten als Gesamtschuldner 2/3.
  5. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Streitwert der Klage:1.200.000,– Euro
Streitwert der Widerklage:50.000,– Euro
Gesamtstreitwert:1.250.000,– Euro

Tatbestand LG Ravensburg 2 O 338/07

Die Beklagten sind die Kinder aus der ersten, im Jahr 1994 geschiedenen Ehe der (….) (im folgenden: Erblasserin). Der am 27.10.1966 geborene Kläger lernte die Erblasserin im Jahr 1996 kennen, und zog im Jahr 1997 in das von der Erblasserin bewohnte  Einfamilienhaus in (…) ein. Er war seinerzeit als Montage-Maschinenschlosser bei der Firma (…) tätig und verdiente etwa 50.000,– DM jährlich.

Im Jahr 1998 gab er seine Berufstätigkeit auf und lebte gemeinsam mit der Erblasserin von deren Einkünften aus der Vermietung und Verpachtung von Immobilien. Der Kläger und die Erblasserin heirateten am 28.12.2001 und schlossen am 10.01.2002 vor dem Notar (….) in (…) UR-Nr. (…) einen notariellen Vertrag (in folgenden: Ehevertrag), der Gütertrennung, den Totalverzicht auf Unterhalt sowie den Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht und das gesetzliche Pflichtteilsrecht beinhaltet. Wegen der Einzelheiten wird auf den Ehevertrag (Anl. K1) verwiesen.

Wenige Tage vor dem Notartermin am 10.01.2002 in (…) waren der Kläger und die Erblasserin bereits bei dem Notar (…) in (…). Es kam in diesem Termin jedoch nicht zum Abschluss des Vertrages, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob es überhaupt zur Verlesung des Vertragsentwurfes kam. Die weitere Lebensplanung der Ehegatten ging dahin, dass diese weiterhin von den Einkünften der Erblasserin aus Vermietung und Verpachtung leben wollten. Eine Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit durch den Kläger war nicht vorgesehen. Kinder waren nicht beabsichtigt.

Am 23.02.2007 starb die Erblasserin an einer schweren Krankheit, von deren Diagnose sie etwa 1 ½ Jahre vor ihrem Tod Kenntnis erhalten hatte. Nach dem Tod der Erblasserin erhielt der Kläger eine Lebensversicherungssumme von 51.000,– Euro aus einer von der Erblasserin im Jahr 2000 zu seinen Gunsten als Bezugsberechtigtem abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag. Außerdem erhält der Kläger eine Witwerrente von monatlich 184,31 Euro. Die Erblasserin hinterließ kein Testament. Die Beklagten haben in der Folgezeit den Standpunkt vertreten, dem Kläger stehe kein Erbrecht zu. Sie beantragten über den Notar (…) am 23.04.2007, ihnen einen Erbschein zu erteilen. Das Notariat in (…) hat am 20.08.2007 im Wege eines  Vorbescheids (Az. IV NG Nr. 23/2007) angekündigt, einen Erbschein für die Beklagten 1 und 2 mit Erbteilen von jeweils 1/2 zu erlassen. Dagegen hat der Kläger sofortige Beschwerde eingelegt, über die das Landgericht Ravensburg (Az. 2 T 87/07) noch nicht entschieden hat.

Der Kläger meint, dass der Vertrag vom 10.01.2002 gemäß § 138 BGB sittenwidrig und damit nichtig sei, und dass der Kläger somit gem. §§ 1371 Abs.1, 1931 Abs. 1 BGB im Wege der gesetzlichen Erbfolge zur Hälfte Miterbe neben den Beklagten geworden sei. Der Kläger ist der Auffassung, er sei bei Abschluss des Ehevertrages in einer Drucksituation gestanden, da er bereits vor der Ehe seine Berufstätigkeit im Einverständnis mit der Erblasserin aufgegeben habe und der vermögens- und einkommensmäßig weitaus unterlegene Teil gewesen sei.

LG Ravensburg 2 O 338/07

Der Kläger behauptet, er habe den Vertragsentwurf im Notartermin vom 10.01.2002 erstmals gesehen. Er sei davon ausgegangen, dass in dem Termin lediglich “Gütertrennung” beurkundet werde. Ihm sei nämlich vor dem Termin gesagt worden, dass ein “Ehevertrag mit Gütertrennung” geschlossen werde, weil seine künftige Ehefrau im Falle der Scheidung nicht wünsche, dass der Kläger an einem etwaigen Zugewinn Teil haben sollte.

Der Kläger meint weiter, der Totalverzicht auf Unterhalt und Zugewinnausgleich stelle eine einseitige Lastenverteilung dar, die in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreife. Eine zusätzliche Belastung bestehe insbesondere in dem Ausschluss des Unterhaltsanspruch nach § 1933 Satz 3 BGB. Wegen des Gesamtcharakters des Ehevertrages seien sämtliche Regelungen einschließlich der Vereinbarung von Gütertrennung und des Erb- und Pflichtteilsverzichts nach § 138 BGB nichtig.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass der Kläger zur Hälfte am Nachlass der (….) beteiligt ist.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten meinen, der Ehevertrag vom 10.01.2002 sei wirksam. Der Globalverzicht auf Unterhalt und Zugewinnausgleich sei nicht sittenwidrig, da das Vermögen der Erblasserin überwiegend während der Dauer ihrer ersten Ehe gebildet worden sei. Die Erblasserin habe ein berechtigtes für jedermann nachzuvollziehendes und schützenswertes Interesse daran, dass das nicht von ihr selbst erarbeitete sondern vom vorigen Ehemann erlangte Vermögen an ihre Kinder vererbt werde, so wie es auch mit ihrem vorigen Ehemann besprochen gewesen sei. Außerdem sei der Kläger durch die Lebensversicherung genügend abgesichert gewesen.

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Eine Drucksituation für den Kläger habe es zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Ehevertrages nicht gegeben. Die Ehe sei nämlich bereits geschlossen gewesen. Es sei auch schlechterdings nicht vorstellbar, dass der Kläger den von der Beklagten 1 entworfenen Vertrag vor dem Notartermin nicht gesehen habe, da ihn diese bereits etwa zwei Monate vorher der Erblasserin übergeben habe.

Außerdem sei der Vertragsentwurf bereits bei dem ersten Notartermin von dem Notar (…) vorgelesen worden, so dass der Kläger bereits einige Tage vor dem 10.01.2002 Kenntnis von dessen Inhalt gehabt habe. Für den Fall der Annahme der Sittenwidrigkeit der Scheidungsfolgenregelung berufen sich die Beklagten darauf, dass jedenfalls die Vereinbarung von Gütertrennung und der Erb- und Pflichtteilsverzicht wirksam blieben.

9

Die Beklagten meinen weiter, der Kläger sei nicht Erbe geworden und müsse gem. § 2027 BGB die in seinem Besitz befindlichen Nachlassgegenstände herausgeben sowie ab Oktober 2007 eine Nutzungsentschädigung für das von ihm bewohnte, der Erbengemeinschaft gehörende Haus bezahlen.

Widerklagend beantragen die Beklagten:

  1. 1. Auf die Widerklage wird der Kläger verurteilt, das Hausgrundstück (…) zu räumen und an die Widerklägerinnen in Erbengemeinschaft herauszugeben.
  1. Der Kläger wird verurteilt, an die Widerklägerinnen als Erbengemeinschaft nach ihrer Mutter für die Monate Oktober und November 2007 eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 4.422,– Euro zu bezahlen.
  1. Der Kläger und Widerbeklagte wird weiter verurteilt, an die Erbengemeinschaft, bestehend aus den Beklagten zu Ziff. 1 und zu Ziff. 2, folgende Gegenstände herauszugeben:
  1. Kraftfahrzeug Porsche Typ 911 Cabrio
  1. Kraftfahrzeug VW-Touareg amtliches Kennzeichen RV-CR 320
  1. Bilder
  1. a) Salvador Dali, Hersteller Rosenthal Porzellanbild, eckt mit Engelmotiv

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  1. b) Horst Antes Plastik, ca. 2 Meter, Kopffüssler (oxidiertes Metall)
  1. c) 6 x Ölgemälde Julius Kaesdorf in Pastelltönen mit weißem Rahmen und handschriftlichen Phantasietexten vom Künstler auf der Rückseite
  1. d) Miró, Hersteller Rosenthal Porzellanbild, rund mit Reliefstruktur (schwarz/weiß)
  1. e) Antonio Tàpies, braun, schwarz mit goldenem Rahmen, angedeuteter Stuhl
  1. f) 4 x Wolfgang Glöckler klein (Esszimmer)
  1. g) 4 x Wolfgang Glöckler (Schlafzimmer)
  1. h) großer Wolfgang Glöckler, blau, schwarz (goldener Rahmen)
  1. i) Karel Appel Kopf blau, rot, schwarz, beige (Wintergarten)
  1. j) Karel Appel Collage “Die glückliche Familie” bunt (Treppenaufgang 1. OG)
  1. k) Horst Antes “Roter Kopffüssler”, Leinwand (Kaminzimmer)
  1. l) Horst Antes Blauer Mann, Lithographie (Schlafzimmer)
  1. m) Göttl “Die Frau im Cafe” (Esszimmer)
  1. n) Göttl “Badende Frau” (Esszimmer)
  1. o) Erich Heckel “Grüner Akt” (Schlafzimmer)
  1. p) 2 x kleine Guiseppe Santomaso, Seriendruck (Schlafzimmer)
  1. q) Horst Antes, beiger Kopffüssler, Zeichnung (Schlafzimmer)
  1. r) 3 x Wolfgang Glöckler, Gäste-/Arbeitszimmer
  1. s) 6-8 Lanskoy, Litographien
  1. t) Friedemann Hahn, Zwei Badende (Flur, Gästetoilette)
  1. u) 3 Lingams aus Stein, Indien
  1. v) Chinesische antike Bodenvase
  1. w) 2 x Bilder Guiseppe Santomaso Leinwand
  1. x) 3 x Bilder Shmuel Shapiro
  1. y) Scheibe, Zeichnung essender Mann auf WC-Schüssel
  1. z) Marc Chagall, Zeichnung Frauenakt

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  1. aa) Eugen Batz, Leinwandbild Wüste
  1. bb) Wolfgang Glöckler Zeichnung (Gäste-WC)
  1. cc) Weiße Marmorstatue Liebespaar (Brunnen Wintergarten)
  1. dd) Runde chinesische Dose, antik.
  1. Ringe
  1. a) Piaget, gelbgold mit Diamanten und Rubinen
  1. b) Weißgold mit großem eckigen Smaragd
  1. c) Weißgold mit großem Diamanten rund
  1. d) Gelbgold mit tropfenförmigen Rubin umrandet von Diamanten, antik
  1. e) Gelbgoldein Bandring mit eingelassenen Diamanten mit zwei Reihen
  1. f) Weißgoldring, der oben dicker wird mit kleinen Brillanten
  1. g) Weißgold mit eckigem Smaragd und zwei Diamanten eckig
  1. h) Goldring mit 1,75 Karat
  1. i) Goldring mit Opal, antik
  1. j) 3 Bandringe geschwungen (2 mit Brillanten und einer mit Rubinen)
  1. Armbänder
  1. a) Gelbgoldene Gliedkette ohne Steine (rund)
  1. b) Panzerkette mit ovalen Rubinen
  1. c) Panzerkette mit ovalen Saphir
  1. d) Gliederkette mit ovalen Opalen (passend zu Halskette, Ohrringen und Ring)
  1. e) Goldene Kette mit Platte mit Namensgravur
  1. f) Panzerkette mit ovalen Diamanten
  1. Ohrringe
  1. a) Opal mit Brillanten in Blütenform, antik
  1. b) Diamantkreolen
  1. c) Perlen mit Diamant zum Stecken
  1. d) Hänger mit sehr großen runden Diamanten, je 1 Karat
  1. e) Goldene Kreolen mit Goldanhänger mit je blauer und grüner Kugel
  1. f) Weißgoldene Brillantenstecker

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  1. Halsketten
  1. a) Gelbgoldene dicke Panzerkette mit beweglichem Hampelmannanhänger, versehen mit jeder Art von Edelsteinen
  1. b) Gliederkette mit mehreren ovalen Opalen (antik)
  1. c) Kreuzanhänger Mitte blau, außen weiß weißgold mit langer Kette
  1. d) Goldene Panzerkette mit drei diamantbesetzten Herzen
  1. e) Goldene Panzerkette mit diamanten- und rubinbesetztem Herz, Stern, Kreis
  1. f) Zwei Perlenketten Süßperlen, eine mit antikem Perlenanhänger
  1. g) Goldene halblange Kette mit Herzanhänger, der in der Mitte kreisartig mit Diamanten besetzt ist
  1. h) Weißgoldene Kugelkette mit Kreuzanhänger mit Diamanten / Zirkonen
  1. i) Goldkette mit Kreuzanhänger mit kleinen Diamanten
  1. j) Panzerkette lang mit Karabiner und Ringverschluss
  1. k) Kette gold mit vielen großen Anhängern (aufklappbares Herz, Schlüssel, Türme)
  1. l) Lange Goldkette mit rundem großem Amulett mit großem Rubin und kleinen Diamanten
  1. Uhren
  1. a) diamantbesetzte (40 Stück) eckige Chopard (weißgold) mit schwarzem Ziffernblatt und Lederarmband
  1. b) goldene Chopard mit weißem Ziffernblatt, Armband gelb- und weißgold gemischt
  1. c) Runde, goldene (Maurice Lacroix) mit weißem Ziffernblatt und zuletzt rotem Lederarmband
  1. d) rotgoldene Kettenuhr, Perlmuttziffernblatt, antik
  1. e) flache goldene Uhr
  1. f) Cartier gold, Pasha (großes Modell)
  1. g) Cartier Stehuhr sechseckig
  1. h) Standuhr gold, ovale Form
  1. i) Standuhr eckig, weißgold
  1. Sonstiges

Brosche mit Perlen

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III. Es wird festgestellt, dass die Erbengemeinschaft, bestehend aus den Beklagten, Eigentümerin folgender Gegenstände ist, die der Kläger bei der Räumung des Hauses im Hause zurückgelassen hat:

  1. Möbel
  1. a) 6-eckiger Travertintisch / weiß (Draenert)
  1. b) 6-eckiger Travertintisch / rot (Draenert)
  1. c) 2 x Beistelltisch Glas, Messing (Draenert)
  1. d) Frankfurter Schrank (Draenert) helles Palisanderholz mit goldenen Schmuckelementen
  1. e) Schinkel-Kronleuchter
  1. f) 3-Sitzer, weißes Ledersofa, Poltrona Frau
  1. g) 2-Sitzer, weißes Ledersofa, Poltrona Frau
  1. h) 2 Daunensofas 2er / 3er, beige weiß gestreift, Stoff (gerade Form)
  1. i) 1 Bett weiß 160×200 (Treka)

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  1. j) 2 x eckige Couchtische Rattan, Lambert
  1. k) Couchtische Rattan rund, Lambert
  1. l) Antiker Bidermayersekretär (Kirsche)
  1. m) Terrakotta Stehlampe
  1. n) Tischlampe goldener Fuß mit Vögeln (antik)
  1. o) Antiker Schreibtisch mit passendem Schminkspiegel
  1. p) 2 x schwarze Marmorbeistelltische (Apfelkernform)
  1. q) Großer antiker Spiegel mit vergoldetem Rahmen
  1. r) Großer antiker Spiegel mit schwarzem Rahmen
  1. s) Großer antiker Spiegel mit Glasrahmen
  1. t) Verschiedene antike Kerzenleuchter (Muranoglas, silbern)
  1. u) 6 x Rattan-Essstühle (senfgelb)
  1. v) Diverse Tischlampen (artemide)
  1. w) Wandlampen weiße Schalen
  1. x) 2 mundgeblasene bauchige weiße Vasen mit schwarzen Einsatz
  1. Teppiche
  1. a)  Senfgelber Gabbeh ca. 170×240 (klassisch)
  1. b) Rot, schwarzer 170×240 Nepalteppich (Makalu) 100 Knoten
  1. c) Rotblauer Gabbeh
  1. Geschirr
  1. a) Weinlaub (Rosenthal), 24-teilig
  1. b) Flash (Rosenthal), 24-teilig
  1. c) Maria (Rosenthal), 24-teilig

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  1. d) Lumarc (Rosenthal), 24-teilig
  1. e) Silberbesteck
  1. f) Rot- und Weißweingläser
  1. g) Sektschalen, Gläser
  1. h) Hellblaues Meisenporzellan
  1. i) Silbertablett, antik
  1. j) Silberkaffeezubehör, antik
  1. Sonstiges
  1. a) Reisegepäck Louis Vuitton, 2 Reisetaschen, 2 Koffer
  1. b) Antiker Kroko Kosmetikkoffer mit Klappdeckel
  1. c) Antike Kroko Handtasche
  1. d) Kurzmantel Nerz
  1. e) Langer Cashmeremantel mit geschorenem Nerzfutter (lachsfarben)
  1. f) Langer Mantel Wildkatze
  1. g) 2 x Persermäntel
  1. h) Weibliche Büste (stummer Diener), helles Holz, Draenert
  1. i) Bücher

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Der Kläger wird verurteilt, an die Erbengemeinschaft, bestehend aus den Beklagten zu Ziff. 1 und zu Ziff. 2, 13.762,21 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Widerklage zu bezahlen.

Der Kläger beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

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Entscheidungsgründe

Die Klage ist teilweise begründet. Der Kläger hat die Erblasserin im Wege der gesetzlichen Erbfolge nach § 1931 Abs. 1, 4 BGB zu einem Drittel beerbt. Der Ehevertrag vom 10.01.2002 ist wegen der evident einseitigen Lastenverteilung der Scheidungsfolgenregelung im Wesentlichen unwirksam (I). Die Unwirksamkeit ergreift auch den Erb- und Pflichtteilsverzicht (II). Lediglich die Vereinbarung der Gütertrennung hat Bestand (III).

I.

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Nach höchstrichterlicher Rechtssprechung sind Scheidungsfolgenvereinbarungen nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn sie eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung enthalten, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten – bei angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede – bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint (BGH NJW 2004, 930).

Eine Gesamtwürdigung der im Ehevertrag vom 10.01.2002 vom Kläger mit der Erblasserin getroffenen Scheidungsfolgenregelung ergibt, dass es sich um eine evident einseitige Lastenverteilung handelt. Nach der Rechtsprechung  des Bundesgerichtshofs wiegen die Belastungen um so schwerer, je unmittelbarer die vertragliche Abbedingung gesetzlicher Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.  Zum Kernbereich zählt der BGH außer dem Anspruch auf Betreuungsunterhalt (§ 1570 BGB) insbesondere auch die Ansprüche auf Unterhalt wegen Krankheit (§ 1572 BGB) und wegen Alters (§ 1571 BGB).

Im vorliegenden Fall ist im Ausschluss des Unterhalts wegen Krankheit und Alter ein gravierender Eingriff in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts zu sehen. Trotz des erheblichen Altersunterschieds der Ehegatten lagen solche Unterhaltsansprüche des Klägers im Fall einer Scheidung durchaus im Bereich des Möglichen.

Eine weitere unterhaltsrechtliche Belastung des Klägers ist durch die gleichzeitige Vereinbarung des Erb- und Pflichtteilsverzicht bedingt. Damit entfällt  der in § 1933 S. 3 i. V. m. §§ 1569 bis 1586b BGB geregelte Unterhaltsanspruch gegen die Erben des Ehegatten für den Fall, dass der Ehegatte nach Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags verstirbt (Palandt/Brudermüller, BGB, 67. Aufl. 2008, § 1586b Rn. 8). Darin ist wiederum ein Eingriff in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts zu sehen. Denn dem Kläger wird für diese Fallkonstellation jeder gesetzliche Unterhaltsanspruch entzogen, ohne dass dies durch einen Erb- oder Pflichtteilsanspruch  kompensiert würde.

Hinzu kommt schließlich, dass mit dem Totalverzicht auch der Anspruch auf Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit abbedungen wurde, auch wenn es sich insofern nach der Rechtsprechung nicht um einen Eingriff in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts handelt.

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Durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse des Klägers und der Erblasserin lässt sich diese einseitige Lastenverteilung nicht rechtfertigen. Der Vertrag würde bei Annahme der Wirksamkeit dazu führen, dass der Kläger ohne jeden nachehelichen Schutz dastünde. Er hätte dann die mit seinem Verzicht auf Erwerbstätigkeit  verbundenen Nachteile allein zu tragen, was mit dem Gebot der ehelichen Solidarität schlechthin unvereinbar wäre. Die Parteien sind einvernehmlich davon ausgegangen, dass der Kläger sich völlig aus dem Erwerbsleben zurückzieht und beide Ehegatten von den Vermögenseinkünften der Erblasserin leben. Dadurch war dem Kläger der Aufbau einer eigenen Sicherung gegen die Risiken von Alter und Krankheit auf Dauer verwehrt.

Eine sonstige finanzielle Absicherung des Klägers für den Fall der Scheidung haben die Parteien nicht vorgesehen. Zwar wurde der Versorgungsausgleich nicht ausgeschlossen. Es war aber auch keinerlei Absicherung aus einem etwaigen Versorgungsausgleich zu erwarten, da die Erblasserin nach der einvernehmlichen Lebensplanung ebenfalls nicht mehr erwerbstätig werden sollte. In der schon im Jahr 2000 zugunsten des Klägers als Bezugsberechtigtem abgeschlossenen Lebensversicherung kann ebenfalls keine ausreichende finanzielle Absicherung – auch nicht für eine Übergangszeit, etwa zur Überbrückung einer Krankheit –  gesehen werden.

Für den Kläger als Bezugsberechtigtem wäre die Lebensversicherung im Fall der Scheidung nämlich nicht verwertbar gewesen, da die Erblasserin Versicherungsnehmerin war. Zudem hätte immer die Gefahr bestanden, dass die Erblasserin während der Ehe die Bezugsberechtigung widerruft. Genauso wenig kann die jetzt vom Kläger bezogene Witwerrente als finanzieller Ausgleich für den Verzicht auf die Ansprüche wegen Krankheitsunterhalt und Unterhalt wegen Alters angesehen werden, da sie im Fall der Scheidung nicht zur Auszahlung gekommen wäre.

Der der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11.02.2004 (NJW 2004, 930)  zugrundeliegende Fall, auf den sich die Beklagten berufen, ist mit dem Streitfall in einem entscheidenden Punkt nicht vergleichbar. Der Ehemann hatte sich dort nämlich verpflichtet, eine Kapitallebensversicherung über 80.000,– DM zu Gunsten der Ehegattin abzuschließen, während für den Kläger im vorliegenden Fall überhaupt keine Absicherung für den Fall der Scheidung vorgesehen wurde.

Über die objektive Benachteiligung hinaus spricht im Streitfall als zusätzlicher Umstand für die Sittenwidrigkeit, dass die Erblasserin bei Abschluss des Ehevertrages die Unerfahrenheit des Klägers ausgenutzt hat.

Die Ausnutzung der Unerfahrenheit liegt vor, wenn eine Vertragspartei von ihrer intellektuellen Überlegenheit zum Zweck der Ausgestaltung des Vertrages Gebrauch macht (Palandt/Brudermüller, BGB, 67. Aufl. 2008, § 1408 Rn. 10 m. w. Nachw.).

Die Ausnutzung intellektueller Überlegenheit folgt im Streitfall maßgeblich bereits aus der Tatsache, dass allein die Erblasserin bei Vertragsschluss anwaltlich beraten war, wobei der Inhalt des Ehevertrages etwa zwei Monate vor Eheschließung von der Beklagten 1, einer Rechtsanwältin, ausgearbeitet und der Vertragsentwurf der Erblasserin überlassen worden war. Hinzu kommt, dass die Erblasserin bereits ein Ehescheidungsverfahren hinter sich hatte, während der Kläger zum ersten Mal eine Ehe einging.

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Der Kläger verfügte auch auf Grund seiner Berufsausbildung und seiner Berufstätigkeit als Maschinenschlosser nicht über ausreichende Kenntnisse, um die rechtliche Tragweite des Vertragsinhalts einzuschätzen.

Ob der Vertragsentwurf bereits einige Tage vor dem Vertragsschluss am 10.01.2002 in Notartermin bei (…) verlesen worden ist, kann dahingestellt bleiben, weil jedenfalls zu keinem Zeitpunkt eine anwaltliche Beratung des Klägers stattgefunden hat.

Verstärkt wurde die Unterlegenheit zum Zeitpunkt des Vertragschlusses dadurch, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung seine Berufstätigkeit seit mehr als drei Jahren aufgegeben hatte und mit der Erblasserin von deren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung lebte. Auch wenn die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit damals grundsätzlich möglich gewesen wäre, war der Kläger jedenfalls bei Vertragschluss aktuell in einer wirtschaftlich abhängigen Situation.

Hinzu kommt weiter, dass der Kläger durch Verknüpfung des Ehevertrages mit der Eheschließung unter zeitlichem Druck stand. Der Kläger hatte mit der Erblasserin bereits vor der Heirat besprochen, dass eine ehevertragliche Regelung im Zusammenhang mit der Eheschließung erfolgen sollte. Es war daher ein entsprechender Druck gegenüber dem Kläger vorhanden, den Notartermin zum Abschluss des Ehevertrages wahrzunehmen und den bereits im Entwurf vorliegenden Vertrag beurkunden zu lassen. Die Entscheidung zum Abschluss des Ehevertrages stand mit der Eheschließung zeitlich und sachlich in einem so engen Zusammenhang, dass es nicht entscheidend darauf ankommt, ob der Vertrag wenige Tage vor oder nach Eheschließung beurkundet wurde. Der von den Beklagten angeführten Entscheidung des OLG Stuttgart vom 18.10.2006 (FamRZ 2007, 291) liegt dagegen die nicht vergleichbare Konstellation zu Grunde, dass die Ehegatten erst nach fünfjähriger Ehedauer die Scheidungsfolgen ausgeschlossen hatten, weil es Spannungen in der Ehe gegeben hatte.

II.

Auch der Erb- und Pflichtteilsverzicht ist nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam.  Zwar unterliegt ein Erb- und Pflichtteilsverzicht grundsätzlich keinen Beschränkungen. Der vorliegend im erbrechtlichen Teil des Ehevertrages vereinbarte Erb- und Pflichtteilsverzicht hat jedoch die Konsequenz, dass der spezielle Unterhaltsanspruch nach § 1933 Satz 3 BGB für den Fall des Todes des Ehegatten nach Rechtshängigkeit eines Scheidungsantrags entfällt. Der Ausschluss dieses Unterhaltsanspruchs trägt damit zu der evident einseitigen Lastenverteilung im Ehevertrag bei (s. o. I. 1.). Die Sittenwidrigkeit der Scheidungsfolgenregelung ergreift daher auch diesen Teil der vertraglichen Regelung.

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Die in Zif. 8 des Ehevertrages enthaltene salvatorische Klausel ändert daran nichts. Ergibt sich nämlich die Sittenwidrigkeit der getroffenen Abreden bereits aus der Gesamtwürdigung  eines Vertrags, dessen Inhalt für eine Partei ausnahmslos nachteilig ist, so erfasst die Nichtigkeitsfolge notwendig den gesamten Vertrag. Für eine Teilnichtigkeit bleibt in einem solchen Fall kein Raum (BGH NJW 2006, 2331).

III.

Wirksam ist jedoch die Vereinbarung der Gütertrennung in Zif. 1 des Ehevertrages vom 10.01.2002. Bei dieser Regelung handelt es sich um einen abtrennbaren Teil des Ehevertrages, der auch im Rahmen der Gesamtwürdigung nicht als sittenwidrig zu beanstanden ist. Denn ein erheblicher Zugewinn der Erblasserin war ohnehin nicht zu erwarten, so dass dieser Vertragsteil den Kläger nicht zusätzlich belastet.

Nach § 139 Hs. 1 BGB ist zwar grundsätzlich der gesamte Vertrag nichtig.

Abweichend von diesem Grundsatz ist jedoch vorliegend anzunehmen, dass die Vertragsparteien auch ohne den nichtigen Teil Gütertrennung vereinbart hätten (§ 139 Hs. 2 BGB).

Aufgrund der in Zif. 8 des Ehevertrages enthaltenen salvatorischen Klausel enthält, spricht dafür eine Vermutung (Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, § 139 Rn. 14).

Der Kläger hat nicht behauptet, dass er im Fall der Kenntnis der Teilnichtigkeit überhaupt keine Regelung getroffen hätte.  Vielmehr hat er eingeräumt, dass er damit einverstanden gewesen sei, in dem Notartermin am 10.01.2002 Gütertrennung zu vereinbaren.

IV.

Die im Wege der Widerklage geltend gemachten Ansprüche der Beklagten auf Räumung und Herausgabe nach § 2018 BGB und Nutzungsentschädigung nach § 2021 BGB bestehen nicht, da der Kläger Miterbe und nicht bloßer Erbschaftsbesitzer ist.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 ZPO.

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