Massenentlassungsanzeige – Fehlen der Soll-Angaben

Juli 29, 2022

Massenentlassungsanzeige – Fehlen der Soll-Angaben

Urteil des Bundesarbeitsgerichts 2 AZR 424/21

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte in diesem Fall über die Wirksamkeit einer Kündigung im Rahmen einer Massenentlassung zu entscheiden.

Konkret ging es um die Frage, ob die fehlenden Angaben nach § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG (die sogenannten „Soll-Angaben“) zur Nichtigkeit der Kündigung führen.

Hintergrund:

Die Beklagte hatte innerhalb eines Monats 17 Arbeitsverhältnisse gekündigt, darunter das der Klägerin.

Die Klägerin argumentierte, ihre Kündigung sei nichtig, da die Beklagte vorab nicht die in § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG geforderten Angaben (Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu Entlassenden) gegenüber der Agentur für Arbeit gemacht habe.

Das Landesarbeitsgericht gab der Klägerin Recht und erklärte die Kündigung für nichtig. Dagegen legte die Beklagte Revision beim BAG ein.

Entscheidung des BAG:

Das BAG hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf und verwies die Sache zurück.

Massenentlassungsanzeige – Fehlen der Soll-Angaben

Die Begründung des BAG lässt sich in drei Hauptpunkte gliedern:

1. Keine eindeutige Massenentlassung:

Zunächst stellte das BAG fest, dass aus den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht eindeutig hervorging, ob tatsächlich eine Massenentlassung im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG vorlag.

Hierfür hätte die Beklagte innerhalb von 30 Kalendertagen mehr als fünf Arbeitnehmer entlassen müssen.

Das Landesarbeitsgericht hatte jedoch nur festgestellt, dass die Beklagte innerhalb eines Zeitraums vom 18. Juni bis 18. Juli 2019 insgesamt 17 Arbeitsverhältnisse gekündigt hatte, ohne genaue Angaben zu den Zugangsdaten der Kündigungen zu machen.

2. Keine Nichtigkeit wegen fehlender Soll-Angaben:

Selbst wenn eine Massenentlassung vorliegen sollte, führte das Fehlen der Soll-Angaben nach § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG nicht zur Nichtigkeit der Kündigung.

Das BAG argumentierte, dass diese Vorschrift lediglich eine Sollvorschrift sei und keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlassungsanzeige darstelle.

Massenentlassungsanzeige – Fehlen der Soll-Angaben

  • Nationale Gesetzgebung: Aus dem Wortlaut des Gesetzes, der Systematik und den Gesetzesmaterialien ergebe sich eindeutig, dass der Gesetzgeber § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung ausgestaltet habe. Die Vorschrift diene lediglich der Förderung der Arbeitsvermittlung und habe einen rein sozialrechtlichen Regelungsgehalt.
  • Unionsrecht: Auch eine richtlinienkonforme Auslegung von § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG als Wirksamkeitsvoraussetzung sei nicht möglich. Die Entscheidung des Gesetzgebers, zwischen Muss- und Soll-Angaben zu unterscheiden, sei eindeutig. Eine richtlinienkonforme Auslegung dürfe nicht zu einer Auslegung contra legem führen. Zudem verlange die Massenentlassungsrichtlinie (MERL) nicht, dass die Identität der zu entlassenden Arbeitnehmer bei Erstattung der Anzeige bereits feststeht.

3. Keine unmittelbare Unwirksamkeit wegen Verstoßes gegen Unionsrecht:

Die Kündigung sei auch nicht unmittelbar wegen eines Verstoßes gegen Unionsrecht unwirksam oder nichtig.

Dies setzte voraus, dass das Unionsrecht dem Arbeitnehmer ein subjektives Recht auf die Angabe personenbezogener Daten in der Massenentlassungsanzeige verliehe.

Ein solches Recht lasse sich jedoch weder aus Art. 27 GRC (Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer) noch aus Art. 30 GRC (Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung) ableiten.

Fazit:

Das BAG stellte klar, dass das Fehlen der Soll-Angaben in der Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG nicht zur Nichtigkeit der Kündigung führt.

Die Vorschrift ist lediglich eine Sollvorschrift, die der Förderung der Arbeitsvermittlung dient.

Die Entscheidung des BAG stärkt die Position der Arbeitgeber und sorgt für mehr Rechtssicherheit bei Massenentlassungen.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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