Nachbarschaftsrecht: Laubbefall durch herüberhängende Äste

Juni 12, 2025

Nachbarschaftsrecht: Laubbefall durch herüberhängende Äste

Urteil des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 17. August 2015 – 5 U 109/13

RA und Notar Krau

Dieser Fall dreht sich um einen Nachbarschaftsstreit, bei dem es um Bäume geht, die von einem Grundstück auf ein anderes ragen, und um Kompostbehälter, die zu nahe an der Grundstücksgrenze stehen. Das Urteil wurde vom Brandenburgischen Oberlandesgericht am 17. August 2015 gesprochen.


Worum ging es in dem Streit?

Zwei Parteien, die Kläger und die Beklagten, sind Nachbarn. Das Grundstück der Kläger ist kleiner und bebaut, das der Beklagten ist größer und dient der Erholung. Auf dem Grundstück der Beklagten stehen Bäume (eine Kiefer und zwei Eichen), die nah am Haus der Kläger wachsen und deren Äste auf das Grundstück der Kläger ragen. Außerdem stritten die Parteien über den Standort von Kompostbehältern auf dem Grundstück der Beklagten.

Die Kläger fühlten sich durch die Bäume stark beeinträchtigt. Sie bemängelten:

  • Lichteinfall: Das Blätterdach der Bäume nahm im Sommer viel Licht vom Haus und Grundstück weg.
  • Dachentwässerung: Laub, Eicheln und Kiefernnadeln verstopften Dachrinnen und Fallrohre, sodass Regenwasser überlief und an der Hauswand herunterlief. Die Kläger mussten die Dachrinnen mehrmals im Herbst reinigen.
  • Laubanfall: Das Laub eines Herbstes füllte angeblich etwa 50 Laubsäcke à 50 Liter.
  • Lärm durch Eicheln: Während der Reifezeit fielen monatelang Tag und Nacht Eicheln auf das Hausdach und die Dachfenster, was laut in den Räumen zu hören war.
  • Gefahr durch herabfallende Äste: Bei Sturm und Regen bestand Gefahr durch herabfallende abgestorbene Äste.
  • Solaranlagen: Eine Montage von Sonnenkollektoren war wegen der Bäume unwirtschaftlich.
  • Schornsteinfegerauflage: Der Bezirksschornsteinfeger hatte die Beseitigung der herabhängenden Äste gefordert, da sonst die Abgasleitung beschädigt werden könnte.

Die Kläger forderten, dass die Bäume zurückgeschnitten werden und die Kompostbehälter versetzt werden.


Wie entschied das Landgericht (erste Instanz)?

Das Landgericht Frankfurt (Oder) wies die Klage der Kläger ab. Es meinte, der Anspruch auf Beseitigung der Bäume sei wegen Fristablaufs ausgeschlossen. Auch sei keine wesentliche Beeinträchtigung der Grundstückssituation der Kläger durch die Bäume gegeben. Einen Anspruch auf Entfernung der Kompostbehälter sah es ebenfalls nicht, da die Kläger nicht beweisen konnten, dass ihr Grundstück dadurch erheblich beeinträchtigt wurde.


Was geschah in der Berufung (zweite Instanz)?

Die Kläger legten Berufung gegen das Urteil des Landgerichts ein. Sie bestanden darauf, dass sie einen Anspruch auf Rückschnitt der Bäume hätten und dass das Landgericht die Beeinträchtigungen falsch eingeschätzt habe. Sie argumentierten, dass sie ein Wahlrecht zwischen dem Selbstrecht des Rückschnitts und einem Anspruch auf Beseitigung hätten. Die genannten Beeinträchtigungen seien nicht nur objektiv feststellbar, sondern auch ungewöhnlich schwer und unzumutbar.

Während des Verfahrens in der Berufungsinstanz erklärten die Parteien den Streit um die Kompostbehälter für erledigt, da die Beklagten die Behälter zwischenzeitlich versetzt hatten.


Nachbarschaftsrecht: Laubbefall durch herüberhängende Äste

Wie entschied das Brandenburgische Oberlandesgericht?

Das Oberlandesgericht gab den Klägern teilweise Recht:

  1. Rückschnitt der Bäume: Die Beklagten müssen die Kiefer und die zwei Eichen so weit zurückschneiden, dass sie nicht mehr als zwei Meter, waagerecht und rechtwinklig von der Grundstücksgrenze gemessen, auf das Grundstück der Kläger ragen.
    • Warum? Das Gericht stellte fest, dass die Bäume tatsächlich eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung durch herabfallendes Laub und Nadeln verursachen. Die Bäume ragen mehrere Meter auf das Nachbargrundstück und berühren sogar ein Abgasrohr, was zu einer Auflage des Schornsteinfegers führte. Das Gericht sah auch die große Menge an Laub (etwa 3 Kubikmeter, was 50 Laubsäcken à 50 Liter entspricht) als erhebliche Belastung an.
    • Eicheln: Die Beeinträchtigung durch herabfallende Eicheln hielt das Gericht jedoch nicht für erheblich.
    • Genehmigungsvorbehalt: Der Rückschnitt muss unter dem Vorbehalt der Erteilung einer behördlichen Genehmigung oder der Bestätigung der Genehmigungsfreiheit stehen. Zivilgerichte dürfen solche Genehmigungen nicht selbst erteilen. Falls keine Genehmigung erteilt wird, könnte ein Ausgleichsanspruch in Betracht kommen.
    • Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis: Das Gericht berücksichtigte auch das „nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis“. Da die Kläger das Grundstück 1996 in Kenntnis des bereits 45 Jahre alten Baumbestandes erworben hatten und die Bäume sie damals nicht gestört hatten, müssen sie einen gewissen Überhang dulden. Ein vollständiger Rückschnitt bis zur Grenze würde die Bäume stark beschädigen. Daher wurde der Rückschnitt auf zwei Meter von der Grundstücksgrenze begrenzt, um die Interessen beider Parteien abzuwägen und den alten Baumbestand zu erhalten.
  2. Schadensersatz: Die Beklagten müssen den Klägern 977,89 € plus Zinsen zahlen. Dieser Betrag setzt sich aus Kosten für die außergerichtliche Rechtsberatung (958,19 €) und Kosten für ein Schlichtungsverfahren (19,70 €) zusammen.
  3. Kompostbehälter: Der Streit um die Kompostbehälter wurde für erledigt erklärt. Die Kosten dafür wurden hälftig geteilt, da der Ausgang der Beweisaufnahme zum Zeitpunkt der Erledigung noch offen war.

Wichtige Punkte des Urteils:

  • Recht auf Rückschnitt: Das Gericht bestätigte, dass Nachbarn einen Anspruch auf Beseitigung von überhängenden Ästen haben können, wenn diese eine erhebliche Beeinträchtigung darstellen. Das Selbsthilferecht (selbst Äste abzuschneiden) schließt diesen Beseitigungsanspruch nicht aus.
  • Abwägung der Interessen: Auch wenn ein Anspruch auf Rückschnitt besteht, müssen die Gerichte die Interessen beider Nachbarn abwägen. Hier führte die Abwägung dazu, dass nicht der gesamte Überhang, sondern nur ein Teil zurückgeschnitten werden muss, um den alten Baumbestand zu erhalten und die Beeinträchtigungen zu mindern.
  • Verantwortung der Grundstückseigentümer: Beide Beklagten wurden als Gesamtschuldner verurteilt, da sie beide Einfluss auf das Grundstück haben und für den Zustand mitverantwortlich sind.
  • Keine Revision: Das Gericht ließ keine Revision gegen das Urteil zu.

Dieses Urteil zeigt, wie komplex Nachbarschaftsstreitigkeiten sein können und dass Gerichte oft eine Abwägung verschiedener Interessen vornehmen müssen, um eine faire Lösung zu finden.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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