Nichtdurchführung eines BEM als Indiz für Benachteiligung wegen Behinderung

Juni 5, 2025

Nichtdurchführung eines BEM als Indiz für Benachteiligung wegen Behinderung

Arbeitsgericht Nordhausen, 3 Ca 763/24

Als Rechtsanwalt und Notar Krau ist es mir ein besonderes Anliegen, komplexe juristische Sachverhalte so zu erklären, dass sie für Sie als Privatperson verständlich und nachvollziehbar sind. In diesem Blogbeitrag beleuchten wir ein Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen, das am 20. März 2025 gefällt wurde. Es geht um die Frage, wann eine Ablehnung der Bewerbung eines Mitarbeiters aufgrund einer Behinderung als Diskriminierung gilt und welche Rolle dabei das sogenannte Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) spielt.


Wenn Krankheit die Arbeit erschwert: Was ist ein BEM?

Stellen Sie sich vor, Sie sind über längere Zeit krank und können Ihre gewohnte Arbeit nicht mehr wie bisher ausführen. Hier kommt das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ins Spiel. Das BEM ist ein Angebot des Arbeitgebers an Beschäftigte, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Ziel ist es, gemeinsam zu überlegen, wie Ihre Arbeitsunfähigkeit überwunden, eine erneute Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und Ihr Arbeitsplatz erhalten werden kann. Es geht darum, Lösungen zu finden – sei es durch Anpassung des Arbeitsplatzes, eine andere Tätigkeit im Unternehmen oder andere unterstützende Maßnahmen.

Die Klägerin und ihre Arthrose: Ein konkreter Fall

In unserem Fall litt eine langjährige Mitarbeiterin, die seit 1996 im Unternehmen tätig war, unter einer Arthrose in beiden Händen und Handgelenken. Diese Krankheit verursachte ihr starke Schmerzen bei Handgriffen, die für ihre Tätigkeit als Versandmitarbeiterin – insbesondere beim Schneiden und Verpacken von Backwaren – notwendig waren. Sie war deshalb seit November 2023 dauerhaft arbeitsunfähig.


Der Wunsch nach Veränderung: Bewerbung auf eine neue Stelle

Die Mitarbeiterin wollte weiterhin im Unternehmen bleiben und sah eine Chance im Verkauf, da sie sich dort weniger durch ihre Krankheit eingeschränkt fühlte. Sie bewarb sich auf eine ausgeschriebene Stelle als Backwarenverkäuferin und suchte das Gespräch mit ihrem Chef. Sie wies auf ihre Kenntnisse der Produkte und ihre Fähigkeiten im Umgang mit Kunden hin und betonte, dass ein Wechsel für beide Seiten vorteilhaft wäre.


Die Ablehnung und die Klage: Diskriminierung aufgrund der Behinderung?

Das Unternehmen lehnte die Bewerbung der Mitarbeiterin ab und führte auch kein BEM durch, obwohl es dazu gesetzlich verpflichtet gewesen wäre. Daraufhin klagte die Mitarbeiterin auf eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Dieses Gesetz soll verhindern, dass Menschen unter anderem aufgrund einer Behinderung benachteiligt werden. Die Mitarbeiterin war der Meinung, sie sei wegen ihrer Arthrose – die als Behinderung im Sinne des AGG zu werten ist – diskriminiert worden. Sie argumentierte, dass sie die Aufgaben einer Verkäuferin trotz ihrer Erkrankung hätte übernehmen können.

Nichtdurchführung eines BEM als Indiz für Benachteiligung wegen Behinderung


Das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen: Keine Entschädigung

Das Arbeitsgericht Nordhausen hat die Klage der Mitarbeiterin abgewiesen. Aber warum?

Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin zwar eine Behinderung im Sinne des AGG hat und das Unternehmen verpflichtet gewesen wäre, ein BEM durchzuführen. Allerdings sah das Gericht in der Nichtdurchführung des BEM allein kein ausreichendes Indiz für eine Diskriminierung wegen der Behinderung. Es hielt es für möglich, dass die Ablehnung der Bewerbung auf einer sachlichen Begründung beruhte – nämlich darauf, dass die Mitarbeiterin die Tätigkeit als Backwarenverkäuferin aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen nicht ausüben konnte.

Das Gericht verglich die Stellenbeschreibungen der Versandmitarbeiterin und der Fachverkäuferin und stellte fest, dass es erhebliche Überschneidungen bei den erforderlichen Handgriffen gibt. Obwohl die Mitarbeiterin argumentierte, die Tätigkeiten im Verkauf seien weniger monoton, konnte sie dem Gericht nicht plausibel darlegen, wie sie die erforderlichen handwerklichen Aufgaben trotz ihrer Arthrose bewältigen könnte. Es fehlten Nachweise, etwa ärztliche Bescheinigungen, die ihre Eignung für die neue Stelle untermauert hätten.


Was Sie daraus lernen können:

Dieses Urteil zeigt, wie wichtig es ist, bei einer vermuteten Diskriminierung wegen einer Behinderung nicht nur auf die fehlende Durchführung eines BEM zu pochen, sondern auch konkret darzulegen, dass die Ablehnung der Bewerbung tatsächlich auf der Behinderung beruht und nicht auf sachlichen Gründen. Insbesondere müssen Sie als betroffene Person beweisen, dass Sie trotz Ihrer Einschränkungen in der Lage wären, die neue Tätigkeit auszuführen.

Denken Sie daran: Das BEM ist ein wichtiges Instrument, um den Arbeitsplatz für kranke Mitarbeiter zu erhalten. Die bloße Nichtdurchführung allein ist jedoch nicht automatisch ein Beweis für eine Diskriminierung. Es müssen weitere Indizien hinzukommen, die auf eine Benachteiligung aufgrund der Behinderung schließen lassen.


Ihr Rechtsanwalt und Notar Krau

Ich hoffe, dieser Einblick in die komplexe Welt des Arbeitsrechts war für Sie hilfreich. Wenn Sie Fragen zu diesem Thema oder anderen rechtlichen Anliegen haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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