Notarieller Erbvertrag: Wirkung eines Pflichtteilsverzichts für die Abkömmlinge des Verzichtenden

November 3, 2025

Notarieller Erbvertrag: Wirkung eines Pflichtteilsverzichts für die Abkömmlinge des Verzichtenden

Gericht: OLG Koblenz 10. Zivilsenat
Entscheidungsdatum: 06.06.2011
Aktenzeichen: 10 U 150/11
Dokumenttyp: Beschluss

Verfahrensgang
vorgehend LG Koblenz, 17. Januar 2011, 15 O 225/10

OLG Koblenz: Pflichtteilsverzicht und die Enkel – Was gilt?

Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz hat in diesem Beschluss vom 06.06.2011 (Az.: 10 U 150/11) eine wichtige Frage im Erbrecht geklärt: Wirkt ein notariell erklärter Pflichtteilsverzicht auch für die Kinder (Abkömmlinge) des Verzichtenden?

Der Fall (kurz gesagt)

Die Mutter der Kläger hatte in einem notariellen Erbvertrag gegenüber ihrem Vater (dem späteren Erblasser) auf ihr Pflichtteilsrecht verzichtet. Nach dem Tod des Erblassers klagten nun ihre Kinder (die Enkel des Erblassers) auf Auskunft, weil sie meinten, selbst pflichtteilsberechtigt zu sein. Sie argumentierten, der Verzicht ihrer Mutter würde sie nicht betreffen, und beriefen sich unter anderem auf die Formulierung des Vertrages („Ich-Form“) und spätere Testamente des Großvaters, in denen er sie als Erben eingesetzt hatte.

Die juristische Ausgangslage

Der Pflichtteil ist ein gesetzlicher Mindestanspruch am Nachlass, der nahen Angehörigen (Abkömmlingen, Ehegatten, Eltern) zusteht, wenn sie enterbt wurden.

Notarieller Erbvertrag: Wirkung eines Pflichtteilsverzichts für die Abkömmlinge des Verzichtenden

Hier kommen zwei wichtige Paragraphen ins Spiel:

  1. § 2303 Abs. 1 BGB: Regelt, wer pflichtteilsberechtigt ist.
  2. § 2349 BGB: Bestimmt, dass sich der Verzicht eines Abkömmlings auf sein gesetzliches Erbrecht (nicht explizit den Pflichtteil!) grundsätzlich auch auf dessen Abkömmlinge erstreckt, „sofern nicht ein anderes bestimmt wird.“ Das OLG wendet diesen Grundsatz analog auch auf den Pflichtteilsverzicht an.

Die Entscheidung des OLG

Das OLG Koblenz hat die Klage abgewiesen und dem erstinstanzlichen Landgericht zugestimmt:

1. Die Erstreckung auf die Enkel (Kläger) ist der Regelfall.

  • Nach Ansicht des Gerichts erstreckt sich der Pflichtteilsverzicht der Mutter kraft Gesetzes (analog § 2349 BGB) auf ihre Kinder.
  • Man geht davon aus, dass der Verzichtende nicht nur sich selbst, sondern seinen gesamten „Stamm“ aus der Erbfolge nehmen will, um eine klare Regelung für den Erblasser zu schaffen.

2. Die „Ich-Form“ ändert nichts.

  • Die Kläger meinten, weil die Mutter nur „Ich verzichte“ gesagt habe, betreffe es nur sie. Das OLG hält dagegen: Die „Ich-Form“ ist normal und bedeutet nicht, dass die gesetzliche Regelung des § 2349 BGB (die automatische Erstreckung) abbedungen, also ausgeschlossen, werden sollte.

3. Eine Abweichung muss im Vertrag stehen.

  • Wichtig: § 2349 BGB ist eine sogenannte dispositive Vorschrift. Das heißt, die Vertragsparteien (Mutter und Großvater) hätten die Erstreckung auf die Enkel ausschließen können.
  • Aber: Dieser Wille, die Enkel zu begünstigen, muss im notariellen Vertrag zumindest angedeutet sein („Andeutungstheorie“). Da im Vertrag nichts dergleichen stand (im Gegenteil erklärte der Großvater, er habe „weiteres von Todes wegen nicht zu bestimmen“), konnte kein abweichender Wille festgestellt werden.

4. Spätere Testamente sind irrelevant.

  • Die Tatsache, dass der Großvater die Enkel später in Testamenten als Erben eingesetzt hat, beseitigt nicht die bereits durch den notariellen Vertrag eingetretene gesetzliche Wirkung des Pflichtteilsverzichts.
  • Ein Erbvertrag ist eine bindende Vereinbarung. Die Auslegung des Vertrages muss sich auf die Umstände bei seinem Abschluss stützen. Was der Großvater später dachte oder tat, kann den Sinn des früheren Vertrages nicht ändern.

Das Fazit des OLG

Wenn ein Abkömmling auf den Pflichtteil verzichtet, sind grundsätzlich auch seine Kinder vom Pflichtteil ausgeschlossen. Will man das verhindern, muss dieser Ausschluss explizit und eindeutig im notariellen Verzichtsvertrag festgehalten werden. Ohne eine solche Bestimmung in der Urkunde gilt die gesetzliche Regelung, auch wenn der Verzichtende nur in der „Ich-Form“ spricht.

RA und Notar Krau

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