Notwegerecht an einem ehemals herrenlosen Straßengrundstück

Juni 11, 2025

Notwegerecht an einem ehemals herrenlosen Straßengrundstück

RA und Notar Krau

Das Urteil des OLG Schleswig: Worum es geht

Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig hat in einem Urteil vom 30. September 2021 (Az. 11 U 18/21) entschieden, dass Grundstückseigentümern ein Notwegerecht zusteht, wenn ihr Grundstück keinen direkten Zugang zu einer öffentlichen Straße hat. Dies gilt auch dann, wenn sie den Weg über ein anderes Grundstück nutzen müssen, selbst wenn dieses im Besitz einer anderen Person ist.


Der Fall: Streit um einen Privatweg

Im konkreten Fall stritten sich die Kläger, Miteigentümer eines Wohngrundstücks, und der Beklagte, Eigentümer eines Privatweges (Weg X), um die Nutzung dieses Weges. Das Grundstück der Kläger war nur über diesen Weg X und weitere Stichwege erreichbar. Ursprünglich waren diese Wege herrenlos, was bedeutet, sie gehörten niemandem. Weder die Gemeinde noch die Kläger eigneten sich den Weg X an. Im Jahr 2017 wurde ein Herr S als Eigentümer des Weges X eingetragen, der diesen später an den Beklagten und dessen Ehefrau verkaufte.

Der Beklagte untersagte daraufhin den Anliegern, darunter auch den Klägern, die Nutzung des Weges X und errichtete sogar Hindernisse wie Verbotsschilder und Betonringe. Dies führte zu einem einstweiligen Verfügungsverfahren, in dem der Beklagte bereits verpflichtet wurde, die Wege nicht zu versperren.

Die Kläger reichten daraufhin Klage ein, um den Beklagten dauerhaft daran zu hindern, die Zufahrt zu ihrem Grundstück zu erschweren oder zu blockieren.


Die Entscheidungen der Gerichte

Das Landgericht Lübeck

Das Landgericht Lübeck gab den Klägern Recht. Es stellte fest, dass die Kläger einen Anspruch darauf haben, dass der Beklagte keine Hindernisse auf dem Weg X errichtet. Begründet wurde dies mit einem Notwegerecht der Kläger gemäß § 917 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Das Gericht sah es als notwendig an, dass die Kläger ihr Grundstück und insbesondere ihre Garage mit Kraftfahrzeugen erreichen können. Der Weg X war dabei die kürzeste und praktikabelste Verbindung zu einer öffentlichen Straße (Straße Z). Die Richter sahen auch eine Wiederholungsgefahr, da der Beklagte den Weg bereits einmal blockiert hatte.

Die Berufung des Beklagten beim OLG Schleswig

Der Beklagte legte Berufung gegen das Urteil des Landgerichts ein. Er argumentierte, dass ein Unterlassungsanspruch nur gegen beide Eigentümer des Weggrundstücks (also auch seine Ehefrau) geltend gemacht werden könne. Außerdem bestritt er das Notwegerecht der Kläger. Er meinte, die Kläger hätten alternative Wege zu ihrem Grundstück, und der Weg X sei nicht unbedingt die kürzeste Verbindung. Zudem sei die Straße Z, zu der der Weg X führt, seiner Meinung nach gar keine öffentliche Straße. Er warf den Klägern auch vor, sich bewusst in eine „Notsituation“ begeben zu haben, indem sie das herrenlose Grundstück nicht selbst erworben hatten.


Notwegerecht an einem ehemals herrenlosen Straßengrundstück

Die Entscheidung des OLG Schleswig

Das OLG Schleswig wies die Berufung des Beklagten zurück und bestätigte das Urteil des Landgerichts.

Unterlassungsanspruch und Störerprinzip

Das OLG stellte klar, dass der Unterlassungsanspruch der Kläger aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB (Beseitigung und Unterlassung von Störungen des Eigentums) besteht. Die Absperrungen des Beklagten beeinträchtigten das Eigentum der Kläger. Der Beklagte wurde als Handlungsstörer angesehen, weil er persönlich die Hindernisse aufgestellt hatte. Es spiele keine Rolle, ob seine Ehefrau als Miteigentümerin ebenfalls eine Störerin ist, da bei mehreren Störern der Anspruch gegen jeden Einzelnen besteht, unabhängig davon, wie groß sein Anteil an der Störung ist.

Wiederholungsgefahr

Die Wiederholungsgefahr wurde bejaht, da der Beklagte den Weg X bereits einmal abgesperrt hatte. Eine frühere rechtswidrige Handlung lässt in der Regel auf eine Wiederholungsgefahr schließen, die nur schwer widerlegt werden kann, zum Beispiel durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung. Eine solche Erklärung hatte der Beklagte aber nicht abgegeben, und er bestritt weiterhin das Recht der Kläger, den Weg zu nutzen, was die Wiederholungsgefahr noch verstärkte.

Notwegerecht

Das OLG bestätigte das Notwegerecht der Kläger über den Weg X zur Straße Z.

  • Voraussetzungen: Ein Notwegerecht besteht, wenn einem Grundstück die notwendige Verbindung zu einer öffentlichen Straße fehlt, die für eine ordnungsgemäße Nutzung des Grundstücks erforderlich ist. Dazu gehört bei einem Wohngrundstück auch die Zufahrt für Kraftfahrzeuge, besonders wenn eine Garage vorhanden ist. Die Garage der Kläger war genehmigt und wurde ordnungsgemäß genutzt, was die Notwendigkeit der Zufahrt mit dem Auto untermauerte.
  • Wahl des Notwegs: Das OLG betonte, dass der Verlauf des Notwegs so gewählt werden muss, dass er den Eigentümer des belasteten Grundstücks (hier der Beklagte) am wenigsten belastet. Obwohl die Kläger auch über andere Wege zu ihrem Grundstück gelangen könnten (z.B. Weg Y), wäre das für den Beklagten eine größere Belastung. Da der Weg X bereits vier Wohngrundstücke erschließt und somit ohnehin befahren werden muss, ist die Nutzung dieses Weges für den Beklagten die geringstmögliche Belastung. Die Nutzung eines Weges als reiner Fahrweg ist grundsätzlich mit geringen Belastungen für den Grundstückseigentümer verbunden.
  • Öffentlichkeit der Straße Z: Es war nicht entscheidend, ob die Straße Z tatsächlich öffentlich gewidmet ist. Wichtig war, dass deren Nutzung nicht ersichtlich eingeschränkt wird und sie somit eine Anbindung an eine öffentliche Straße darstellt.
  • Keine freie Wahl des Notwegs: Das OLG stellte klar, dass den Klägern nicht das Recht eingeräumt wird, den bequemsten Weg zu wählen. Das Notwegerecht entsteht mit seinen gesetzlichen Voraussetzungen in seiner konkreten Form.

Keine rechtsmissbräuchliche Ausübung

Das Argument des Beklagten, die Kläger hätten sich die „Notsituation“ selbst zuzuschreiben, weil sie das herrenlose Grundstück nicht erworben hatten, wurde vom OLG zurückgewiesen. Es sei nicht „sachfremd“ oder „widersprüchlich“, wenn die Kläger der Meinung waren, dass die Gemeinde das Eigentum an den Wegen hätte erwerben sollen. Daher sei die Ausübung ihres Unterlassungsanspruchs nicht rechtsmissbräuchlich.


Fazit

Das Urteil des OLG Schleswig macht deutlich, dass ein Notwegerecht eine wichtige Absicherung für Grundstückseigentümer ist, deren Grundstück keinen direkten Zugang zu einer öffentlichen Straße hat. Es schützt die ordnungsgemäße Nutzung des Eigentums, auch wenn dafür ein Privatweg genutzt werden muss. Dabei wird immer der Weg gewählt, der den Eigentümer des belasteten Grundstücks am wenigsten beeinträchtigt. Das Urteil bestätigt auch, dass ein Unterlassungsanspruch gegen jeden einzelnen Störer geltend gemacht werden kann, unabhängig von der Beteiligung anderer.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

Unzuständigkeit deutscher Gerichte bei Klagen wegen Entfernung Beiträge Plattform X

Unzuständigkeit deutscher Gerichte bei Klagen wegen Entfernung Beiträge Plattform X

Juli 15, 2025
Unzuständigkeit deutscher Gerichte bei Klagen wegen Entfernung Beiträge Plattform XKammergericht: Urteil vom 10. Juli 2025, Aktenzeichen 10 U 10…
Das geschlossene Gate: Wann muss die Airline warten?

Das geschlossene Gate: Wann muss die Airline warten?

Juli 12, 2025
Das geschlossene Gate: Wann muss die Airline warten?Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 5. Juni 2025 – 2 -24 S 93/24RA und Notar Krau…
Zulässigkeit der Signierung eines Schriftsatzes für Mitglied der Sozietät

Zulässigkeit der Signierung eines Schriftsatzes für Mitglied der Sozietät

Juli 12, 2025
Zulässigkeit der Signierung eines Schriftsatzes für Mitglied der SozietätRA und Notar KrauZusammenfassung eines Urteils des Bundesgerichtsho…