Notwegerecht an einem ehemals herrenlosen Straßengrundstück
RA und Notar Krau
Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig hat in einem Urteil vom 30. September 2021 (Az. 11 U 18/21) entschieden, dass Grundstückseigentümern ein Notwegerecht zusteht, wenn ihr Grundstück keinen direkten Zugang zu einer öffentlichen Straße hat. Dies gilt auch dann, wenn sie den Weg über ein anderes Grundstück nutzen müssen, selbst wenn dieses im Besitz einer anderen Person ist.
Im konkreten Fall stritten sich die Kläger, Miteigentümer eines Wohngrundstücks, und der Beklagte, Eigentümer eines Privatweges (Weg X), um die Nutzung dieses Weges. Das Grundstück der Kläger war nur über diesen Weg X und weitere Stichwege erreichbar. Ursprünglich waren diese Wege herrenlos, was bedeutet, sie gehörten niemandem. Weder die Gemeinde noch die Kläger eigneten sich den Weg X an. Im Jahr 2017 wurde ein Herr S als Eigentümer des Weges X eingetragen, der diesen später an den Beklagten und dessen Ehefrau verkaufte.
Der Beklagte untersagte daraufhin den Anliegern, darunter auch den Klägern, die Nutzung des Weges X und errichtete sogar Hindernisse wie Verbotsschilder und Betonringe. Dies führte zu einem einstweiligen Verfügungsverfahren, in dem der Beklagte bereits verpflichtet wurde, die Wege nicht zu versperren.
Die Kläger reichten daraufhin Klage ein, um den Beklagten dauerhaft daran zu hindern, die Zufahrt zu ihrem Grundstück zu erschweren oder zu blockieren.
Das Landgericht Lübeck gab den Klägern Recht. Es stellte fest, dass die Kläger einen Anspruch darauf haben, dass der Beklagte keine Hindernisse auf dem Weg X errichtet. Begründet wurde dies mit einem Notwegerecht der Kläger gemäß § 917 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Das Gericht sah es als notwendig an, dass die Kläger ihr Grundstück und insbesondere ihre Garage mit Kraftfahrzeugen erreichen können. Der Weg X war dabei die kürzeste und praktikabelste Verbindung zu einer öffentlichen Straße (Straße Z). Die Richter sahen auch eine Wiederholungsgefahr, da der Beklagte den Weg bereits einmal blockiert hatte.
Der Beklagte legte Berufung gegen das Urteil des Landgerichts ein. Er argumentierte, dass ein Unterlassungsanspruch nur gegen beide Eigentümer des Weggrundstücks (also auch seine Ehefrau) geltend gemacht werden könne. Außerdem bestritt er das Notwegerecht der Kläger. Er meinte, die Kläger hätten alternative Wege zu ihrem Grundstück, und der Weg X sei nicht unbedingt die kürzeste Verbindung. Zudem sei die Straße Z, zu der der Weg X führt, seiner Meinung nach gar keine öffentliche Straße. Er warf den Klägern auch vor, sich bewusst in eine „Notsituation“ begeben zu haben, indem sie das herrenlose Grundstück nicht selbst erworben hatten.
Das OLG Schleswig wies die Berufung des Beklagten zurück und bestätigte das Urteil des Landgerichts.
Das OLG stellte klar, dass der Unterlassungsanspruch der Kläger aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB (Beseitigung und Unterlassung von Störungen des Eigentums) besteht. Die Absperrungen des Beklagten beeinträchtigten das Eigentum der Kläger. Der Beklagte wurde als Handlungsstörer angesehen, weil er persönlich die Hindernisse aufgestellt hatte. Es spiele keine Rolle, ob seine Ehefrau als Miteigentümerin ebenfalls eine Störerin ist, da bei mehreren Störern der Anspruch gegen jeden Einzelnen besteht, unabhängig davon, wie groß sein Anteil an der Störung ist.
Die Wiederholungsgefahr wurde bejaht, da der Beklagte den Weg X bereits einmal abgesperrt hatte. Eine frühere rechtswidrige Handlung lässt in der Regel auf eine Wiederholungsgefahr schließen, die nur schwer widerlegt werden kann, zum Beispiel durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung. Eine solche Erklärung hatte der Beklagte aber nicht abgegeben, und er bestritt weiterhin das Recht der Kläger, den Weg zu nutzen, was die Wiederholungsgefahr noch verstärkte.
Das OLG bestätigte das Notwegerecht der Kläger über den Weg X zur Straße Z.
Das Argument des Beklagten, die Kläger hätten sich die „Notsituation“ selbst zuzuschreiben, weil sie das herrenlose Grundstück nicht erworben hatten, wurde vom OLG zurückgewiesen. Es sei nicht „sachfremd“ oder „widersprüchlich“, wenn die Kläger der Meinung waren, dass die Gemeinde das Eigentum an den Wegen hätte erwerben sollen. Daher sei die Ausübung ihres Unterlassungsanspruchs nicht rechtsmissbräuchlich.
Das Urteil des OLG Schleswig macht deutlich, dass ein Notwegerecht eine wichtige Absicherung für Grundstückseigentümer ist, deren Grundstück keinen direkten Zugang zu einer öffentlichen Straße hat. Es schützt die ordnungsgemäße Nutzung des Eigentums, auch wenn dafür ein Privatweg genutzt werden muss. Dabei wird immer der Weg gewählt, der den Eigentümer des belasteten Grundstücks am wenigsten beeinträchtigt. Das Urteil bestätigt auch, dass ein Unterlassungsanspruch gegen jeden einzelnen Störer geltend gemacht werden kann, unabhängig von der Beteiligung anderer.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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