Oberlandesgericht Brandenburg 3 W 121/22, Beschluss vom 17.11.2022 – Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments bez. des Ausschlusses der gesetzlichen Erbfolge
Tenor: Oberlandesgericht Brandenburg 3 W 121/22
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 18.07.2022, Az. 10 VI 106/22, aufgehoben.
Die Tatsachen, die zur Erteilung des beantragten Erbscheins erforderliche sind, werden als festgestellt erklärt.
Das Nachlassgericht wird angewiesen, den beantragten Erbschein zu erteilen.
Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Gründe Oberlandesgericht Brandenburg 3 W 121/22
I.
Der am …2016 verstorbene Erblasser war zweimal verheiratet.
Aus der ersten Ehe hatte der Erblasser drei Abkömmlinge, den Antragsteller sowie dessen zwei Brüder H… und R… P….
In zweiter Ehe war der Erblasser verheiratet mit der im Jahr 2012 vorverstorbenen E… P….
Diese Ehe blieb kinderlos. Frau E… P… hatte keine Abkömmlinge, aber zwei Schwestern, Ro… L… und Re… O…. Ro… L… hat einen Sohn, T… L…; Re… O… hat eine Tochter, D… O….
Diese hat wiederum einen Sohn, Ti… O…, geb. am …1982.
Mit gemeinschaftlichem Testament vom …1985 setzten sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben ein.
Weiter hießt es im Testament:
“Beim Tod beider Ehepartner sollen die materiellen und finanziellen Hinterlassenschaften, auch Versicherungen jeglicher Art auf T… L…, geb. …1966 und D… O…, geb. …1962 aufgeteilt werden.
Sie werden beauftragt, unsere Gräber zu pflegen und die Bestattungskosten anteilig zu tragen.
Aus erster Ehe habe ich drei Kinder
Mario P… geb. …67
H… P… geb. …69
R… P… geb. …72
Sie sind durch das Testament nicht erbberechtigt.
Meine Frau hat keine Kinder. ….”
T… L… und D… O… haben das Erbe form- und fristgerecht ausgeschlagen.
Der Antragsteller begehrt im vorliegenden Verfahren einen Erbschein, der ihn und seine zwei Brüder als Erben zu je 1/3 ausweist. Er meint, es sei gesetzliche Erbfolge eingetreten.
Das Nachlassgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 18.07.2022 zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, der Erblasser und seine Brüder seien nicht Erben geworden, da sie durch die letztwillige Verfügung der Ehegatten von der Erbfolge ausgeschlossen worden seien.
Deshalb könne auch offen bleiben, ob der Sohn der D… O… als Ersatzerbe seiner Mutter anzusehen sei und auch deshalb der Antragsteller und seine Brüder nicht Erben geworden seien.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Er ist weiterhin der Auffassung, dass dem Testament keine Enterbung der drei Abkömmlinge des Erblassers auch für den Fall zu entnehmen sei, dass die testamentarisch angeordnete Erbfolge nicht zum Zuge komme.
Dem Testament lasse sich nur entnehmen, dass die Brüder nicht als testamentarische Erben eingesetzt werden sollten, nicht aber dass sie auch dann nicht erben sollten, wenn die gesetzliche Erbfolge eintritt.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II. Oberlandesgericht Brandenburg 3 W 121/22
Die nach §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Der Antragsteller und seine Brüder sind gesetzliche Erben nach dem Erblasser geworden. Sie sind nicht durch die letztwillige Verfügung vom 17.03.1985 von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen.
1.
Eine Enterbung ist der Ausschluss einer Person von der gesetzlichen Erbfolge (§ 1938 BGB). Diese kann ausdrücklich geschehen, indem der Erblasser eine bestimmte Person von der gesetzlichen Erbfolge positiv ausschließt, ohne einen Erben einzusetzen (§ 1938 BGB),
oder dadurch, dass der Erblasser eine andere oder mehrere andere Personen als Erben einsetzt und damit einen gesetzlichen Erben übergeht.
Die aus dem Vorrang der gewillkürten vor der gesetzlichen Erbfolge resultierende Möglichkeit der Übergehung gesetzlicher Erben ist jedoch nicht stets eine Enterbung im Sinne des § 1938 BGB,
denn sie schließt nicht ohne Weiteres von der gesetzlichen Erbfolge aus, was sich zeigt, wenn die Erbeinsetzung, die einen gesetzlichen Erben übergeht, unwirksam ist
(z. Bsp.infolge Vorversterbens des eingesetzten Erben)
oder wird
(z. Bsp. durch Ausschlagung) (Staudinger/Otte (2017) BGB § 1938, Rn 2).
Da die Ausschließung nichts anderes als die Kehrseite der Erbeinsetzung ist, kann man nicht von einem typischen Erblasserwillen ausgehen, es solle bei Unwirksamkeit der Erbeinsetzung doch die Erbausschließung übrigbleiben.
Im Regelfall entfällt deshalb mit der Erbeinsetzung auch die damit korrespondierende Enterbung.
Anders ist es nur, wenn die Verfügung einen entsprechenden Willen des Erblassers erkennen lässt, wenn also im Wege der Auslegung neben der Erbeinsetzung eine davon unabhängige Erbausschließung anzunehmen ist.
(MüKoBGB/Leipold, 9. Aufl. 2022, BGB § 1938, Rn 11,12).
Dies ist nur dann anzunehmen, wenn dafür, dass neben der Erbeinsetzung eine Ausschließung als selbstständige Verfügung vorliegt, besondere Anhaltspunkte im Testament bestehen
(vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 2. 12. 2011 – 15 W 603/10).
2.
Die Auslegung ergibt nicht, dass der Erblasser seine Söhne unabhängig von der Erbeinsetzung der Verwandten seiner Ehefrau auch von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen wollte.
Oberlandesgericht Brandenburg 3 W 121/22
a)
Die Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Dieser ist jedoch nicht bindend.
Vielmehr sind der Wortsinn und die vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten hat sagen wollen und ob er mit ihnen genau das wiedergegeben hat, was er zum Ausdruck bringen wollte
(BGH, NJW 1993, 256 m.w.N.).
Maßgeblich ist insoweit allein sein subjektives Verständnis der von ihm verwendeten Begriffe
(BGH, FamRZ 1987, 475, 476; Palandt/Weidlich, BGB, 77. Aufl. 2018, § 2084 Rn. 1).
Zur Ermittlung des Inhalts der testamentarischen Verfügungen ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen
(BGH NJW 1993, 256 [BGH 07.10.1992 – IV ZR 160/91] m.w.N.).
Solche Umstände können vor oder auch nach der Errichtung des Testamentes liegen.
Dazu gehört das gesamte Verhalten des Erblassers, seine Äußerungen und Handlungen
(Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2084 BGB Rn. 2 m.w.N.),
jedoch müssen sich mit Blick auf die Formerfordernisse des § 2247 BGB für einen entsprechenden Willen des Erblassers in der letztwilligen Verfügung – wenn auch nur andeutungsweise – Anhaltspunkte finden lassen
(vgl. BGH v. 09.04.1981, IVa ZB 6/80, NJW 981, 1736; BGHZ 86, 41).
b)
Einen ausdrücklichen Entzug des gesetzlichen Erbrechts enthält die Verfügung von Todes wegen nicht.
Anders als das Nachlassgericht ausgeführt hat, hält der Senat die gewählte Formulierung “Sie sind durch das Testament nicht erbberechtigt” auch nicht für einen hinreichenden Anhaltspunkt dafür, dass damit – unabhängig von der Erbeinsetzung – ein Entzug des gesetzlichen Erbrechts erfolgen sollte.
Allein aus dieser Formulierung lässt sich ein Ausschluss der genannten Personen auch von der gesetzlichen Erbfolge für den Fall, dass die testamentarische Anordnung – aus welchen Gründen auch immer- nicht zur Anwendung kommt, nicht schließen.
Oberlandesgericht Brandenburg 3 W 121/22
Angeordnet ist nicht mehr als das, was sich aus der Einsetzung bestimmter Personen als Erben durch Verfügung von Todes wegen ohnehin ergibt, dass nämlich die gesetzlichen Erben nicht bedacht werden und damit von der testamentarisch angeordneten Erbfolge ausgeschlossen sind. Für die gesetzliche Erbfolge wird keine ausdrückliche Regelung getroffen.
Sind in einem Testament, so wie hier der Fall, eine oder mehrere Personen als Erben eingesetzt und ist im Anschluss daran die Formulierung zu finden, dass bestimmte Personen, die gesetzliche Erben des Erblassers wären, durch das Testament nicht erbberechtigt sind,
bedeutet dies vom Wortlaut aus betrachtet nicht mehr und nicht weniger als die Bestätigung dessen, was im Testament zuvor angeordnet ist, nämlich dass die im Testament genannten Personen als testamentarische Erben eingesetzt sind,
die weiteren namentlich aufgeführten Personen nach der testamentarischen Verfügung dagegen nichts erhalten, also keine testamentarischen Erben sein sollen.
Es ist auch kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass die Erblasser mit dieser Formulierung statt “durch das Testament” “aufgrund des Testamentes” meinten und die Abkömmlinge aufgrund des Testamentes auch von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sein sollten.
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Wie das Nachlassgericht zu dieser Einschätzung gelangt ist, hat es nicht plausibel dargelegt. Vielmehr ergibt die Formulierung “durch das Testament” durchaus Sinn, indem damit nochmals betont wird, dass als Folge der Einsetzung testamentarischer Erben die Söhne nicht zu Erben berufen sind.
Die weitere Formulierung “Meine Frau hat keine Kinder” hat keine Aussagekraft im Hinblick auf die Frage, ob ein Ausschluss der Söhne des Erblassers auch von der gesetzlichen Erbfolge gewollt war.
Wenn das Nachlassgericht insoweit ausführt, daraus ergebe sich, dass die Enterbung für alle eigenen Abkömmlinge, also auch für die, “die E… P… hätte haben können” gelten solle, erkennt der Senat nicht, wie das Nachlassgericht zu dieser Annahme kommt.
Bei diesem Satz im Testament handelt es sich lediglich um die Feststellung einer zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments bestehenden Situation ohne eine darüber hinausgehende Bedeutung.
c)
Auch die Heranziehung außerhalb der Testamentsurkunde liegenden Umstände führt zu keinem anderen Auslegungsergebnis.
Es sind keine Umstände bekannt oder ersichtlich, aus denen sich schließen lassen könnte, dass der Erblasser seine Söhne unabhängig von der Wirksamkeit der Einsetzung der Verwandten seiner Ehefrau als Erben in jedem Fall von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen wollte.
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Der Erblasser hatte, wie der Antragsteller glaubhaft ausgeführt hat, auch nach seiner Ehescheidung, also auch im Zeitpunkt der Errichtung des Testamentes, regelmäßigen familiären Umgang mit seinen Söhnen.
Es gibt keine Anzeichen für ein Zerwürfnis oder eine Entfremdung, die auf einen entsprechenden Willen schließen lassen könnten.
3.
Es lässt sich auch nicht feststellen, dass der Abkömmling der D… O…, die das Erbe ausgeschlagen hat, als Ersatzerbe (§ 2096 BGB) an deren Stelle getreten ist und dies einem Eintritt der gesetzlichen Erbfolge entgegensteht.
a)
Die Auslegungsregel des § 2069 BGB, wonach dann, wenn der Erblasser einen Abkömmling bedacht hat und dieser nach Errichtung des Testaments wegfällt, im Zweifel dessen Abkömmlinge insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden,
kann hier deshalb nicht angewendet werden, weil die Erblasser die Nichte der Ehefrau, nicht aber einen Abkömmling bedacht haben. Diese Auslegungsregel kann auch nicht entsprechend angewandt werden.
Sie ist Ausprägung einer allgemeinen Lebenserfahrung.
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Bei einer nur in der Seitenlinie verwandten Person oder anderen nahen Verwandten fehlt es an dieser Erfahrungsgrundlage, so dass eine analoge Anwendung grundsätzlich ausscheidet
(OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.6.2014 – I-3 Wx 256/13;
BeckOK BGB/Litzenburger, § 2069 Rn. 6;
Staudinger/Otte, § 2069 Rn. 30).
In diesen Fällen erfordert die Annahme einer Ersatzberufung der Abkömmlinge des Zuwendungsempfängers eine zusätzliche Begründung auf der Grundlage des durch ergänzende Auslegung zu ermittelnden Erblasserwillens
(OLG Düsseldorf, a.a.O.; BeckOK BGB/Litzenburger, § 2069 Rn. 6 mN;
Staudinger/Otte, § 2069 Rn. 30).
Wesentliches Kriterium für eine ergänzende Auslegung ist dabei, ob die Zuwendung dem Bedachten als erstem seines Stammes oder nur ihm persönlich galt
(OLG Düsseldorf, a.a.O.;
OLG Schleswig Beschluss vom 10.6.2013 – 3 Wx 15/13, BeckRS 2013, 16700;
OLG München, Beschluss vom 6. Juli 2006 – 31 Wx 35/06 -, juris;
Staudinger/Otte, § 2069 Rn. 31).
b)
Hier kann nicht festgestellt werden, dass die Erblasser die Nichte der Ehefrau nur als erste ihres Stammes und nicht (nur) persönlich bedacht haben.
Dagegen spricht bereits, dass das Verwandtschaftsverhältnis zur Ehefrau des Erblassers in der Zuwendung an den Neffen und an die Nichte keine Erwähnung findet, sondern die Erben nur namentlich genannt werden.
Dies ist eher ein Indiz dafür, dass die Erbeinsetzung nicht in erster Linie der Eigenschaft der Zuwendungsempfänger als Verwandte der Ehefrau des Erblassers galt, sondern ihnen als Person.
Dafür, dass die Erblasser diese Personen und nicht etwa die durch sie repräsentierten Stämme bedenken wollte, spricht zudem, dass sie gerade nicht die ersten des Stammes, d.h. die Schwestern der Erblasserin als Erben ausgewählt haben, sondern deren Abkömmlinge.
c)
Lässt sich also eine Einsetzung des Abkömmlings der D… O… als Ersatzerbe im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung nicht feststellen, verbleibt es bei der gesetzlichen Erbfolge.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG.
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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
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