OVG Berlin-Brandenburg OVG 4 B 7.16

August 23, 2017

OVG Berlin-Brandenburg OVG 4 B 7.16 Vererblichkeit von Beihilfeansprüchen und Übernahme ungedeckter Pflegeaufwendungen aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn

Ansprüche auf Beihilfe sind auch dann vererblich, wenn die Beihilfe nicht bereits vor dem Erbfall bewilligt wurde. Die entsprechende Ausschlussregelung in § 10 Abs. 1 Satz 3 LBhVO (juris: BhV BE) ist mangels einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage nichtig.

Wenn Eigenvorsorge durch Abschluss einer Pflegezusatzversicherung nicht möglich war, gebietet die durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Fürsorgepflicht, § 39 Abs. 3 Satz 1 LBhVO (juris: BhV BE) dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass neben den dort ausdrücklich genannten Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung einschließlich Investitionskosten auch Pflegekosten im engeren Sinne, die den jeweiligen pauschalen Leistungsbetrag der Pflegeversicherung überschreiten und deshalb ungedeckt sind, ausnahmsweise beihilfefähig sind, wenn diese insgesamt den Eigenanteil der Einnahmen nach Satz 2 überschreiten.

Tenor OVG Berlin-Brandenburg OVG 4 B 7.16

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. April 2016 geändert.

Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheids des Landesverwaltungsamts Berlin vom 8. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids derselben Behörde vom 17. Februar 2016 und unter teilweiser Aufhebung des Bescheids des Landesverwaltungsamts Berlin vom 23. März 2016 verpflichtet, der Klägerin für den Monat Juli 2015 eine weitere Beihilfe in Höhe von 70,78 €, für die Monate August bis Dezember 2015 eine weitere Beihilfe in Höhe von 22,83 € pro Monat sowie für die Monate Januar bis März 2016 eine weitere Beihilfe in Höhe von 91,93 € pro Monat zu gewähren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu 9/10 und der Beklagte zu 1/10.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung weiterer Beihilfe zu den Kosten der vollstationären Pflege ihres verstorbenen Ehemannes in den Monaten Juli 2015 bis März 2016.

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Der am (…) 1928 geborene und am (…) 2016 verstorbene vormalige Kläger stand als Studiendirektor (Besoldungsgruppe A 15) im Dienst des beklagten Landes. Er wurde im Jahr 1989 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt und erhielt seitdem Versorgungsbezüge, die sich im Juli 2015 auf 4.042,40 € (brutto) und ab August 2015 auf 4.162,27 € (brutto) beliefen. Er war als freiwilliges Mitglied in einer gesetzlichen Krankenkasse kranken- und pflegeversichert.

Die im Jahr 1936 geborene Klägerin ist Alleinerbin des vormaligen Klägers. Sie bezog im hier streitgegenständlichen Zeitraum eine Altersrente in Höhe von 237,38 € monatlich.

Der vormalige Kläger lebte seit dem 13. April 2015 im „H…“, einer zugelassenen Pflegeeinrichtung nach § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB XI (im Folgenden: Pflegeheim). Seit dem 1. Juli 2015 war er der Pflegestufe III zugeordnet. Für die vollstationäre Pflege stellte das Pflegeheim für den hier in Rede stehenden Zeitraum folgende Kosten je Monat in Rechnung:

MonateAnteil
Pflegever-
gütung
Anteil
Unterkunft
und Ver-
pflegung
Anteil
Investitions-
kosten
Anteil
Vergütungs-
zuschlag
Gesamt-
betrag
Juli bis September 20152.663,58 €566,44 €164,67 €—–3.394,69 €
Oktober bis Dezember 20152.663,58 €566,44 €164,67 €142,65 €3.537,34 €
Januar bis März 20162.720,81 €578,31 €164,67 €145,69 €3.609,48 €

Das von der Pflegekasse übernommene „Pflegegeld“ in Höhe von 806,00 € monatlich sowie den seit dem Oktober 2015 in Rechnung gestellten und von der Pflegekasse zur Hälfte übernommenen Vergütungszuschlag gemäß § 87b SGB XI zog das Pflegeheim von dem zu zahlenden Rechnungsbetrag jeweils ab.

Unter dem 22. September 2015 beantragte der vormalige Kläger Beihilfe zu den Kosten der vollstationären Pflege in den Monaten Juli bis September 2015. Das Landesverwaltungsamt Berlin (im Folgenden: Landesverwaltungsamt) gewährte mit Bescheid vom 8. Oktober 2015 unter Hinweis auf den ab Januar 2015 geltenden Höchstbetrag in Pflegestufe III in Höhe von 1.612,00 € eine Beihilfe in Höhe von 806,00 € pro Monat. Eine weitergehende Beihilfegewährung wurde unter Hinweis auf die persönliche Einkommenslage des vormaligen Klägers, die zur Bestreitung der Pflegekosten ausreiche, abgelehnt.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2016 wies das Landesverwaltungsamt den hiergegen gerichteten Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Senatsverwaltung für Inneres und Sport habe mit Schreiben vom 2. September 2014 mitgeteilt, dass im Hinblick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Januar 2012 (Az.: 2 C 24.10) beabsichtigt sei, § 39 LBhVO neu zu fassen, um eine amtsangemessene Alimentation in Pflegefällen sicherzustellen. Als Folgeregelung solle in § 47 LBhVO der Bemessungssatz erhöht werden.

Die beabsichtigte Neuregelung entspreche der seit dem 20. Dezember 2012 geltenden Fassung von §§ 39 und 47 Abs. 6 der Bundesbeihilfeverordnung. Bis zum Inkrafttreten der Änderung sei die Senatsverwaltung damit einverstanden, dass betroffenen Beihilfeberechtigten und berücksichtigungsfähigen Angehörigen eine ergänzende Pauschalbeihilfe gewährt werde, die aus der Differenz des Rechnungsergebnisses nach der beabsichtigten Neuregelung zu dem Rechnungsergebnis nach der geltenden Regelung errechnet werden könne.

Die im angefochtenen Bescheid vorgenommene Berechnung entspreche der beabsichtigten Neuregelung. Danach ergebe sich ausgehend von einem monatlichen Gesamteinkommen des vormaligen Klägers und seiner Ehefrau in Höhe von 4.072,74 € abzüglich des zu verbleibenden Einkommens in Höhe von 2.128,57 € ein selbst zu tragender Anteil in Höhe von 1.944,17 €.

Da die monatlich nicht gedeckten Kosten des Pflegeheims in Höhe von 1.782,69 € hinter dem selbst zu tragenden Anteil zurückblieben, könne keine ergänzende Pauschalbeihilfe gewährt werden. Auch aus § 39 Abs. 3 LBhVO ergebe sich kein Anspruch auf weitere Beihilfe. In Anwendung der genannten Vorschrift betrage der Eigenanteil bei Beihilfeberechtigten mit einer berücksichtigungsfähigen Angehörigen 40 % der Einnahmen (hier: 1.629,10 €). Dieser sei nicht überschritten. Die im Juli 2015 entstandenen Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten beliefen sich lediglich auf 731,11 €.

Seine bereits im Oktober 2015 in Bezug auf den – im Berufungsverfahren nicht mehr streitgegenständlichen – Monat Mai 2015 erhobene Klage hat der vormalige Kläger am 20. Februar 2016 erweitert und die Gewährung weiterer Beihilfeleistungen für die Monate Juli bis September 2015 begehrt.

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Mit Schreiben vom 5. März 2016 hat der vormalige Kläger Beihilfe zu den Kosten seiner vollstationären Pflege in den Monaten Oktober 2015 bis März 2016 beantragt. Dabei hat er in Bezug auf die Rechnung für Oktober 2015 eine anteilige Erstattung der Kosten für zusätzliche Betreuung und Aktivierung gemäß § 87b SGB XI in Höhe von 142,65 € nicht geltend gemacht, weil diese bereits abgerechnet worden seien.

Das Landesverwaltungsamt hat mit Bescheid vom 23. März 2016 für die Monate Oktober 2015 bis März 2016 eine Beihilfe in Höhe von insgesamt 5.197,21 € gewährt. Diese setzt sich zusammen aus einem monatlichen Anteil in Höhe von jeweils 806,00 € für pflegebedingte Aufwendungen sowie – für die Monate November 2015 bis März 2016 – jeweils aus dem hälftigen Anteil des Vergütungszuschlages gemäß 87b SGB XI. Eine weitergehende Beihilfegewährung lehnte das Landesverwaltungsamt erneut unter Hinweis auf die persönliche Einkommenslage des vormaligen Klägers ab.

Gegen den Beihilfebescheid vom 23. März 2016 hat der vormalige Kläger am 11. April 2016 Widerspruch erhoben, über den noch nicht entschieden ist, und zugleich das Klageverfahren mit dem Begehren erweitert, ihm für die Monate Oktober 2015 bis März 2016 eine höhere Beihilfe zu gewähren. Der Beklagte hat im Schriftsatz vom 15. April 2016 mitgeteilt, mit einer Einbeziehung des Bescheides vom 23. März 2016 in das laufende Klageverfahren auch ohne Durchführung eines Vorverfahrens einverstanden zu sein.

Zur Begründung seiner Klage hat der vormalige Kläger vorgetragen: Die vom Beklagten angewandte sog. Vorgriffsregelung sei nicht mit der Fürsorgepflicht vereinbar, da der zu Grunde gelegte Eigenanteil von bis zu 1.944,17 € dazu führe, dass er die durch die Pflegeversicherung und Beihilfe nicht gedeckten Kosten seiner vollstationären Pflege vollständig selbst bezahlen müsse, so dass ihm und seiner Ehefrau trotz sehr moderater Ausgaben keine ausreichenden Mittel zum Lebensunterhalt mehr verblieben.

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Die monatlich ungedeckten Kosten der vollstationären Pflege hätten sich in der Zeit von Juli bis Dezember 2015 auf 1.782,69 € pro Monat belaufen und betrügen seit Januar 2016 1.851,79 € monatlich. Bei einem gemeinsamen Nettoeinkommen von monatlich rund 3.640,00 € verblieben ihm und seiner Ehefrau unter Berücksichtigung ihrer laufenden monatlichen Fixkosten in Höhe von knapp 1.760,00 € (u.a. für Miete, Strom, Telefon, GEZ-Gebühren, Krankenversicherung, sonstige Versicherungen, Tageszeitung, Mitgliedsbeiträge, Taschengeld im Pflegeheim) nur etwa 100,00 € für persönliche Ausgaben (wie etwa Lebensmittel, Fahrtkosten ins Pflegeheim, Friseurbesuche oder die Kosten für eine Reinigungskraft), was eine Verletzung des Wesenskerns der Fürsorgepflicht darstelle.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage – soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist – mit Urteil vom 28. April 2016 stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, dem vormaligen Kläger für den Monat Juli 2015 eine weitere Beihilfe in Höhe von 675,20 €, für die Monate August bis Dezember 2015 jeweils eine weitere Beihilfe in Höhe von 592,94 € und für die Monate Januar bis März 2016 eine weitere Beihilfe in Höhe von jeweils 662,04 € zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die zulässige Klage sei begründet. Die Versagung weitergehender Beihilfe sei rechtswidrig. Zwar ergebe sich aus § 39 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Sätze 1 und 2 LBhVO kein über die bereits gewährte Beihilfe hinausgehender Anspruch des vormaligen Klägers. Das stehe einem weiteren Beihilfeanspruch jedoch nicht entgegen. Die genannten Vorschriften seien nichtig, weil sie Beamte regelmäßig mit Kosten in unzumutbarer Höhe belasteten, was einen Verstoß gegen die höherrangige Fürsorgepflicht darstelle.

Nach den Verhältnissen des vormaligen Klägers sei durch die Norm die Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern verletzt, weil dieser mit erheblichen finanziellen Aufwendungen belastet bleibe, die er durch die Regelalimentation und eine zumutbare Eigenvorsorge nicht bewältigen könne. Die dem vormaligen Kläger und seiner Ehefrau bei einer Anwendung des § 39 LBhVO monatlich verbleibenden Bruttoeinnahmen seien nicht ausreichend, um den amtsangemessenen Lebensunterhalt zu bestreiten.

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Von den gemeinsamen Bruttoeinnahmen seien neben den ungedeckten Pflegekosten die Steuern sowie die laufenden festen Ausgaben (insbesondere Miet- und Stromkosten der Ehefrau, Versicherungsbeiträge, Taschengeld für den im Pflegeheim lebenden vormaligen Kläger), die der vormalige Kläger nachvollziehbar und angemessen mit 1.758,35 € beziffert habe, abzuziehen.

Bei dieser Berechnung ergebe sich für den Monat Juli 2015 ein verbleibendes Einkommen in Höhe von 224,80 €, in den Monaten August bis Dezember 2015 in Höhe von 307,06 € und in den Monaten Januar bis März 2016 in Höhe von 237,96 €. Die Kammer sei der Auffassung, dass dem vormaligen Kläger ein Tagessatz von 30,00 € verbleiben müsse. Davon ausgehend bemesse sich der Beihilfeanspruch aus der Differenz von 900,00 € zu dem ermittelten, zur freien Verfügung stehenden Einkommen.

Das führe für Juli 2015 zu einem Anspruch in Höhe von 675,20 €, für die Monate August bis Dezember 2015 zu einem Anspruch in Höhe von 592,94 € und für die Monate Januar bis März zu einem Anspruch in Höhe von 662,04 €. Dem vormaligen Kläger könne auch nicht entgegengehalten werden, dass er eine zumutbare Eigenvorsorge unterlassen habe. Es deute nichts darauf hin, dass für den bei Einführung der sozialen Pflegeversicherung im Jahr 1995 bereits 67 Jahre alten vormaligen Kläger über die Pflegepflichtversicherung hinaus Eigenvorsorge möglich und zumutbar gewesen wäre.

Gegen das frühestens am 4. Mai 2016 erhaltene Urteil hat der Beklagte am 19. Mai 2016 die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Berufung eingelegt und diese mit am 23. Juni 2016 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz wie folgt begründet: Bei der Berechnung der monatlichen Beihilfe sei entgegen dem Verwaltungsgericht nicht von Nettobezügen, sondern von den Bruttobeträgen auszugehen. Dies sehe § 39 Abs. 3 BBhV vor.

Die vom vormaligen Kläger angegebenen monatlichen Lebensführungskosten seien für die Berechnung der Beihilfe unbeachtlich. Die in § 39 Abs. 2 BBhV festgesetzten Grenzen für einen unabweisbaren Bedarf dienten dazu, dem Beamten nach Abzug der Pflegekosten einen amtsangemessenen Lebensunterhalt zu ermöglichen. Die fixen Lebensunterhaltskosten seien von diesen Grenzen mit umfasst. Die moderate Abstufung in § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BBhV trage der unterschiedlichen Alimentation Rechnung.

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Demgegenüber komme die Berechnung der zusätzlichen Beihilfe unter Zugrundelegung eines „amtsangemessenen“ Tagessatzes von 30 € nicht in Betracht. Eine solche Berechnung der (zusätzlichen) Beihilfe sei dem Beihilferecht fremd und führe zu der Frage, welcher Tagessatz „amtsangemessen“ sei. Diese Ansicht würde einer Ungleichbehandlung der Beihilfeberechtigten Tür und Tor öffnen.

Der Beklagte hat unter dem 27. Dezember 2016 mitgeteilt, dass der vormalige Kläger am 29. November 2016 verstorben sei. Die Ehefrau des vormaligen Klägers hat unter dem 6. Januar 2016 erklärt, das Verfahren fortzuführen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. April 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die (neue) Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Sie ist der Auffassung, ein Anspruch auf weitere Beihilfe folge unmittelbar aus der Fürsorgepflicht, weil ihr Ehemann regelmäßig mit Kosten in unzumutbarer Höhe belastet gewesen sei, die er durch die Regelalimentation und eine zumutbare Eigenvorsorge nicht habe bewältigen können.

Der Senat hat Auskünfte des Bundesministeriums für Gesundheit und des Verbandes der Privaten Krankenversicherung e.V. eingeholt. Auf die entsprechenden Schreiben der besagten Stellen wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte, die Personalakte des vormaligen Klägers und die Verwaltungsvorgänge des Landesverwaltungsamts Bezug genommen, die vorgelegen haben und deren Inhalt – soweit wesentlich – Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe OVG Berlin-Brandenburg OVG 4 B 7.16

Die zulässige Berufung des Beklagten ist überwiegend begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage auf Bewilligung weiterer Beihilfeleistungen für die stationäre Pflege des vormaligen Klägers in zu großem Umfang stattgegeben. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Bewilligung weiterer Beihilfe für Kosten der vollstationären Pflege ihres verstorbenen Ehemannes in Höhe von 70,78 € für den Monat Juli 2015, in Höhe von jeweils 22,83 € für die Monate August bis Dezember 2015 und in Höhe von jeweils 91,93 € für die Monate Januar bis März 2016. Soweit der Bescheid vom 8. Oktober 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17. Februar 2016 (für den Zeitraum Juli bis September 2015) und der Bescheid vom 23. März 2016 (für den Zeitraum Oktober 2015 bis März 2016) dem entgegenstehen, sind diese rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.

Der Beihilfeanspruch des vormaligen Klägers ist mit dessen Tod im Wege der Erbfolge gemäß § 1922 Abs. 1 BGB auf die Klägerin übergegangen. Diese führt den Rechtsstreit fort; eine Klageänderung liegt nicht vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2012 – 2 C 24.10 – juris Rn. 12).

Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf Gewährung weiterer Beihilfe zu Aufwendungen für stationäre Pflege scheitern auch nicht an § 10 Abs. 1 Satz 3 LBhVO in der im Zeitpunkt des Todes des vormaligen Klägers noch geltenden Fassung vom 8. September 2009 (GVBl. S. 436).

Danach war der Anspruch auf Beihilfe nicht vererblich, soweit die Beihilfe nicht bereits vor dem Erbfall bewilligt wurde. Denn diese Regelung ist mangels einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage nichtig. Das Bundesverwaltungsgericht hat erkannt, dass es der verfassungsrechtliche Hintergrund der Gewährung von Beihilfen ausschließt, den Beihilfeanspruch unabhängig von einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage als unvererblich anzusehen (vgl. grundlegend unter Aufgabe der früheren Rspr: Urteil vom 29. April 2010 – 2 C 77.08 – juris Rn. 9 ff.; ferner Beschluss vom 23. August 2010 – 2 B 13.10 – juris Rn. 6).

An einer solchen gesetzlichen Grundlage fehlt es im Land Berlin. § 76 LBG schließt weder die Vererblichkeit von Beihilfeansprüchen aus noch ist darin eine entsprechende Regelungsermächtigung an den Verordnungsgeber enthalten (vgl. bereits Beschluss des Senats vom 30. August 2016 – OVG 4 M 6.16 – BA S. 3). § 10 Abs. 1 Satz 3 LBhVO konnte daher den Übergang des Beihilfeanspruchs des vormaligen Klägers auf seine Ehefrau und neue Klägerin am Todestag nicht ausschließen.

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Für die rechtliche Beurteilung der von der Klägerin geltend gemachten beihilferechtlichen Ansprüche ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die eine Beihilfe begehrt wird, soweit nicht eine später ergangene Regelung Rückwirkung für vergangene Zeiträume entfaltet (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 2015 – 5 C 9.14 – juris Rn. 8). Letzteres ist bei der Neufassung von § 39 LBhVO durch Art. 1 Nr. 34 der Zweiten Verordnung zur Änderung zur Landesbeihilfeverordnung vom 29. November 2016 (GVBl. 2017 S. 122) nicht der Fall.

Anwendbar ist deshalb die im Zeitraum von Juli 2015 bis März 2016 geltende Landesbeihilfeverordnung vom 8. September 2009 (GVBl. S. 436) in der Fassung der Ersten Verordnung zur Änderung der Landesbeihilfeverordnung vom 8. Mai 2012 (GVBl. S. 138) und – soweit darin auf Vorschriften des SGB XI verwiesen wird – das Elfte Buch Sozialgesetzbuch vom 26. Mai 1994 (BGBl. I S. 1014) in der Fassung des Gesetzes vom 17. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2222).

Zwar hat die Klägerin bei einer wortlautgetreuen Anwendung von § 39 LBhVO keinen Anspruch auf Gewährung weiterer Beihilfe.

Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 LBhVO sind Aufwendungen für vollstationäre Pflege in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung im Sinne des § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB XI beihilfefähig, wenn häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist oder wegen der Besonderheit des Einzelfalls nicht in Betracht kommt. Dabei sind Aufwendungen pflegebedingter Art, für medizinische Behandlungspflege und für soziale Betreuung nur in der Höhe der in § 43 Abs. 2 SGB XI festgelegten pauschalen Leistungsbeträge der Pflegeversicherung beihilfefähig (vgl. § 39 Abs. 1 Sätze 2 und 3 LBhVO).

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Für Pflegebedürftige der Pflegestufe III galt im streitgegenständlichen Zeitraum der in § 43 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Buchst. d) SGB XI festgelegte Leistungsbetrag in Höhe von 1.612,00 € pro Monat. Der Bemessungssatz beträgt nach § 46 Abs. 4 LBhVO i.V.m. § 28 Abs. 2 SGB XI bezüglich dieser Aufwendungen 50 %. Der Beklagte hat somit in Bezug auf die vom Pflegeheim als Pflegevergütung in Rechnung gestellten Kosten zu Recht eine Beihilfe in Höhe von 806,00 € pro Monat gewährt.

Für den seit Oktober 2015 zusätzlich in Rechnung gestellten Vergütungszuschlag nach § 87b SGB XI gewährte der Beklagte zutreffend nach § 39 Abs. 5 LBhVO eine Beihilfe in Höhe von 71,33 € für die Monate November und Dezember 2015 bzw. in Höhe von 72,85 € für die Monate Januar bis März 2016. Auch insoweit gilt nach § 46 Abs. 4 LBhVO i.V.m. § 28 Abs. 2 SGB XI der Bemessungssatz in Höhe von 50 %.

Ein Anspruch auf Gewährung von Beihilfe für Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung einschließlich der Investitionskosten gemäß § 39 Abs. 3 LBhVO besteht nicht. Diese Aufwendungen sind gemäß § 39 Abs. 3 Satz 1 LBhVO beihilfefähig, wenn sie den Eigenanteil der Einnahmen nach Satz 2 übersteigen.

Dies ist hier nicht der Fall. Die in den Rechnungen des Pflegeheims jeweils gesondert ausgewiesenen Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten überschreiten nicht den im Fall des vormaligen (verheirateten) Klägers nach § 39 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a) LBhVO geltenden Eigenanteil in Höhe von 40 % der Einnahmen. Die für die Berechnung des Eigenanteils zu Grunde zu legenden Einnahmen bestimmen sich vorliegend nach § 39 Abs. 3 Satz 3 und Sätze 5 bis 7 LBhVO.

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Danach sind die Versorgungsbezüge nach Anwendung von Ruhens-, Kürzungs- und Anrechnungsvorschriften zu Grunde zu legen (vgl. Satz 3). Die Versorgungsbezüge sind die in § 2 Abs. 1 LBeamtVG genannten Bruttobezüge mit Ausnahme des Unterschiedsbetrages nach § 50 Abs. 1 Satz 2 LBeamtVG, soweit nicht nach § 57 LBeamtVG geringere Versorgungsbezüge zustehen (vgl. Satz 5). Der Zahlbetrag der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist der Betrag, der sich ohne Berücksichtigung des Beitragszuschusses vor Abzug der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ergibt (Satz 7), wobei Leistungen für Kindererziehung nach § 294 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch unberücksichtigt bleiben (vgl. Satz 6).

Hiervon ausgehend sind zum einen die Bruttoversorgungsbezüge des vormaligen Klägers in Höhe von 4.042,40 € im Juli 2015 bzw. 4.162,27 € seit August 2015 in Ansatz zu bringen.

Die im Dezember 2015 gewährte Sonderzahlung in Höhe von 320 € ist nicht anteilig hinzu zu rechnen, denn sie wurde auf Grundlage des Sonderzahlungsgesetzes vom 5. November 2003 (GVBl. S. 538) in der Fassung des Gesetzes vom 1. Oktober 2008 (GVBl. S. 271) gewährt und gehört somit nicht zu den in § 2 Abs. 1 LBeamtVG abschließend aufgezählten Versorgungsbezügen, auf die § 39 Abs. 3 Satz 5 LBhVO ausdrücklich verweist (vgl. § 2 Abs. 2 LBeamtVG).

Hinzu kommt die Rente der Klägerin in Höhe von 237,38 € pro Monat. Leistungen für Kindererziehung sind von der Rente nicht abzuziehen, weil die Klägerin nicht – wie § 294 Abs. 1 Satz 1 SGB 6 voraussetzt – vor dem 1. Januar 1921 geboren ist. Somit betrugen die insgesamt zu berücksichtigenden Einnahmen im Monat Juli 2015 4.279,78 € und in den Monaten August 2015 bis März 2016 jeweils 4.399,65 €.

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Hiervon ausgehend beträgt der Eigenanteil der Einnahmen 1.711,91 € im Juli 2015 bzw. 1.759,86 € pro Monat seit August 2015. Die monatlichen Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten in Höhe von insgesamt 731,11 € in den Monaten Juli bis Dezember 2015 bzw. in Höhe von 742,98 € in den Monaten Januar bis März 2016 überschreiten den jeweiligen Eigenanteil nicht.

Jedoch ist § 39 Abs. 3 Satz 1 LBhVO im vorliegenden Fall verfassungskonform auszulegen, weil anderenfalls die Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern verletzt wäre.

a) Der (verfassungskonformen) Anwendung von § 39 LBhVO steht nicht die Nichtigkeit der Norm wegen Verstoßes gegen höherrangiges Verfassungsrecht entgegen.

aa) Die Vorschrift beruht auf einer hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage. Nach 76 Abs. 3 Satz 3 LBG kann die Beihilfe in Pflegefällen in Form einer Pauschale gewährt werden, deren Höhe sich am tatsächlichen Versorgungsaufwand orientiert. Hiervon ist die in § 39 Abs. 1 Sätze 2 und 3 LBhVO enthaltene Bezugnahme auf die jeweiligen pauschalen Leistungsbeträge der sozialen Pflegeversicherung umfasst, wenn auch die genannten Leistungsbeträge den tatsächlichen Versorgungsaufwand nur anteilig abdecken.

Denn der Begriff „Pauschale“ beinhaltet eine verallgemeinernde Bezifferung des Pflegeaufwandes, wie er mit den nach Pflegestufen gestaffelten Leistungsbeträgen des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB XI getroffen wird. Die Orientierung am tatsächlichen Versorgungsaufwand stellt der Verordnungsgeber dadurch sicher, dass die im jeweiligen Leistungsbetrag des SGB XI nicht enthaltenen Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten im Rahmen einer einkommensabhängigen Prüfung nach § 39 Abs. 3 LBhVO berücksichtigt werden.

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Die in § 39 Abs. 1 Satz 3 LBhVO enthaltene dynamische Verweisung auf die jeweils geltende Fassung von § 43 Abs. 2, 3 und 5 SGB XI ist zulässig. Dynamische Verweisungen sind grundsätzlich zulässig, wenn der Verweisungsumfang „eng bemessen“ ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 2015, a.a.O., Rn. 25). Bei der hier vorliegenden Verweisung auf die Vorschriften über die in der gesetzlichen Pflegeversicherung geltenden pauschalen Leistungsbeträge und deren Anwendung kann davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber die in Bezug genommenen Regelungen im Blick behält, so dass er auf den vorgegebenen Rahmen sprengende oder von ihm nicht gewünschte Änderungen umgehend reagieren kann.

bb) Entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung sind die in § 39 LBhVO getroffenen Regelungen, soweit die Beihilfefähigkeit von pflegebedingten Aufwendungen auf den je nach Pflegestufe geltenden pauschalen Leistungsbetrag nach 43 Abs. 2 Satz 2 SGB XI beschränkt wird und Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung einschließlich Investitionskosten nur unter engen Voraussetzungen beihilfefähig sind, nicht wegen eines Verstoßes gegen die Fürsorgepflicht nichtig.

Die durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 45 BeamtStG) ergänzt die Alimentationspflicht und steht im Zusammenhang mit ihr. Die Fürsorgepflicht fordert, dass der Dienstherr den amtsangemessenen Lebensunterhalt der Beamten bzw. Versorgungsempfänger und ihrer Familien auch in besonderen Belastungssituationen wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit sicherstellt.

Er muss dafür Sorge tragen, dass Beamte bzw. Versorgungsempfänger in diesen Lebenslagen nicht mit erheblichen finanziellen Aufwendungen belastet bleiben, die sie nicht mehr in zumutbarer Weise aus ihrer Alimentation bestreiten und für die sie keine zumutbare Eigenvorsorge betreiben können, gebietet aber keine lückenlose Erstattung aller krankheits- und pflegebedingten Kosten (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. April 2014 – 5 C 40.12 – juris Rn. 19).

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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass die Fürsorgepflicht in besonders gelagerten Einzelfällen Beihilfeansprüche über die generellen Beihilfevorschriften hinaus vermitteln kann, wenn die Fürsorgepflicht anderenfalls in ihrem Wesenskern verletzt wäre (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. August 2010 – 2 B 13.10 – juris Rn. 14, 16; Urteile vom 2. April 2014, a.a.O., und vom 26. März 2015, a.a.O., Rn. 36).

Dies kann etwa der Fall sein, wenn Leistungsausschlüsse oder -begrenzungen im Einzelfall erhebliche Belastungen des Beihilfeberechtigten zur Folge hätten, die dieser nicht durch die Regelalimentation und durch eine zumutbare Eigenvorsorge bewältigen kann. In derartigen Ausnahmefällen ist der Fürsorgepflicht durch eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendung der Beihilferegelungen Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Januar 2012 – 2 C 24.10 – juris Rn. 14, 19 und vom 26. März 2015, a.a.O., Rn. 34).

Das Fehlen einer ausdrücklichen, sämtliche ungedeckte Pflegekosten betreffenden Härtefallregelung in Bezug auf ältere Beihilfeberechtigte, die insoweit keine zumutbare Eigenvorsorge treffen konnten, mag einen solchen Ausnahmefall begründen, stellt jedoch die Erfüllung der Fürsorgepflicht gegenüber der großen Mehrzahl der Beamten bzw. Versorgungsempfänger nicht in Frage (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 2015, a.a.O., Rn. 34).

b) Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gebietet allerdings im vorliegenden Fall – der vormalige Kläger war zum Stichtag 1. Juli 1996 über 60 Jahre alt – eine verfassungskonforme Auslegung von § 39 Abs. 3 Satz 1 und § 47 Abs. 7 LBhVO.

OVG Berlin-Brandenburg OVG 4 B 7.16

aa) Dem vormaligen Kläger kann nicht entgegengehalten werden, dass er keine Eigenvorsorge in Form des Abschlusses einer (ergänzenden) Pflegezusatzversicherung betrieben hat. Weil Pflegezusatzversicherungen nach Eintritt des Pflegefalls – wenn überhaupt – nur mit erheblichen Risikoaufschlägen abgeschlossen werden können (vgl. Auskunft des Verbandes der PKV vom 26. Juli 2016), konnte der vormalige Kläger seit diesem Zeitpunkt eine solche Versicherung nicht mehr abschließen. Auch davor war ihm dies aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nicht möglich.

Zwar sind Beamte und Versorgungsempfänger des Landes Berlin jedenfalls seit dem 1. Juli 1996 gehalten, im Rahmen der zumutbaren Eigenvorsorge eine seit Mitte der 90er Jahre auf dem Markt angebotene Pflegezusatzversicherung abzuschließen, wenn sie nicht das Risiko tragen wollen, im Fall der Pflegebedürftigkeit mit Kosten belastet zu werden, die von der Pflegepflichtversicherung nicht gedeckt sind und auch aus der laufenden Alimentation und ergänzenden Beihilfen nicht bestritten werden können.

Sie durften seit diesem Zeitpunkt nicht mehr darauf vertrauen, dass der Dienstherr im Rahmen seiner Fürsorgepflicht Beihilfen zu Pflegeaufwendungen bei vollstationärer Pflege leisten würde, die über die jeweiligen pauschalen Leistungsbeträge von 43 Abs. 2 SGB XI hinausgehen (vgl. hierzu eingehend: Senatsurteil desselben Tages – OVG 4 B 6.16 – zur Veröffentlichung bei juris vorgesehen).

Der Senat geht aufgrund der vorliegenden Auskünfte des Bundesministeriums der Gesundheit vom 20. Juli 2016 und des Verbandes der PKV vom 26. Juli 2016 davon aus, dass an dem genannten Stichtag (1. Juli 1996) nur Personen, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, im Regelfall zumutbar eine Pflegezusatzversicherung abschließen konnten.

OVG Berlin-Brandenburg OVG 4 B 7.16

Der im Dezember 1928 geborene vormalige Kläger war damals jedoch bereits 67 Jahre alt. Dass es für ihn eine andere Form der finanziellen privaten Zusatzvorsorge für den Pflegefall gegeben hätte, ist nicht ersichtlich.

bb) § 39 LBhVO enthält keine Regelung dazu, wo auch unter Einbeziehung der ungedeckten Pflegeaufwendungen im engeren Sinne (§ 39 Abs. 1 Satz 2 LBhVO) die Grenze zumutbarer Eigenbelastungen bei vollstationärer Unterbringung eines Beihilfeberechtigten bzw. berücksichtigungsfähigen Angehörigen in einem Pflegeheim anzusetzen ist. Diese Lücke ist im Wege verfassungskonformer Auslegung zu schließen.

Für das, was die Fürsorgepflicht des Dienstherrn in diesem Zusammenhang in ihrem Kern gebietet, darf ein Gericht allerdings nicht freischwebend gegriffene bzw. aus dem Sozialhilferecht hergeleitete Beträge festsetzen, die dem Beihilfeberechtigten bzw. seinem pflegebedürftigen Angehörigen verbleiben müssen. Vielmehr gebietet es der nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch im Beihilferecht geltende Vorbehalt des Gesetzes (vgl. m.w.N. Urteil vom 12. September 2013 – 5 C 33.12 – juris 13), an die vom Verordnungsgeber in § 39 Abs. 3 LBhVO getroffenen Regelungen zur Zumutbarkeit des vom Beihilfeberechtigten selbst zu tragenden Eigenanteils anzuknüpfen und hiervon nur insoweit abzuweichen, als dies verfassungsrechtlich geboten ist.

Den in § 39 Abs. 3 Satz 2 LBhVO enthaltenen Bestimmungen zum Eigenanteil der Einnahmen, der für Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung einschließlich Investitionskosten vom Beihilfeberechtigten für die entstehenden Pflegekosten einzusetzen ist, kann ein Anhalt auch dahingehend entnommen werden, welchen (Gesamt-)Eigenanteil der Dienstherr dem Beihilfeberechtigten bezogen auf die stationäre Pflege im Ergebnis, d.h. auch unter Berücksichtigung der nicht erstattungsfähigen und insofern auch nicht mit bedachten Pflegekosten im engeren Sinne, zumuten will (vgl. OVG Münster, Urteile vom 14. August 2013 – 1 A 1481/10 – juris Rn. 75 ff. zu vergleichbaren Regelungen in § 9 Abs. 7 BhV und vom 26. November 2009 – 1 A 1524/08 – juris Rn. 76 ff. zu vergleichbaren Regelungen in anderen Richtlinien).

Nach § 39 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a) LBhVO beläuft sich der Eigenanteil bei Beihilfeberechtigten mit höheren Einnahmen als das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 9 und einem berücksichtigungsfähigen Angehörigen auf 40 % der Einnahmen. Dieser Wertung und Grenzziehung lässt sich entnehmen, dass bei stationär pflegebedürftigen Beihilfeberechtigten mit höheren Einnahmen und einem Angehörigen grundsätzlich ein Mindestbehalt in Höhe von 60 % ihres monatlichen Bruttoeinkommens verbleiben soll und (in der Regel) auch muss, damit noch eine amtsangemessene Alimentation verbleibt, um weitere Lebenshaltungskosten bestreiten zu können.

OVG Berlin-Brandenburg OVG 4 B 7.16

Insofern dürfte der vergleichbaren Vorgängervorschrift des § 9 Abs. 7 Sätze 4 bis 7 der Beihilfevorschriften des Bundes in der Fassung vom 4. Juli 1996 (GMBl. S. 627), die auch für Beamte und Versorgungsempfänger des Landes Berlin seit dem 1. Juli 1996 anwendbar war, ursprünglich die Vorstellung zu Grunde gelegen haben, dass die neben Unterkunfts-, Verpflegungs- und Investitionskosten anfallenden Pflegekosten im engeren Sinne dem Betroffenen prinzipiell vollständig oder allenfalls mit geringfügigen Abschlägen erstattet werden.

Dies ist aber offenkundig nicht mehr der Fall. Im Gegenteil ist der Anteil der Pflegekosten im engeren Sinne, der durch den jeweiligen pauschalen Leistungsbetrag der Pflegeversicherung nicht gedeckt ist, seit der Einführung der zweiten Stufe der sozialen Pflegeversicherung (stationäre Pflege) im Jahr 1996 stetig gestiegen. Statistisch belegt ist dies hinsichtlich sämtlicher Pflegestufen für den Zeitraum ab 1999 aufgrund der in der Pflegestatistik (vgl. § 109 SGB XI) erhobenen Daten.

Nach den vom Bundesministerium für Gesundheit in seiner Auskunft vom 12. Dezember 2016 zur Verfügung gestellten Zahlen betrug beispielsweise der durchschnittliche pflegebedingte Eigenanteil in der Pflegestufe III – ohne Berücksichtigung der ebenfalls vom Pflegebedürftigen zu tragenden Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten – im Jahr 1999 noch 558,85 € und erhöhte sich kontinuierlich auf 816,13 € im Jahr 2013. Trotz dieser Entwicklung hat der Berliner Verordnungsgeber im Jahr 2009 § 39 BBhV in der damals geltenden Fassung als § 39 in die Landesbeihilfeverordnung übernommen und diese Regelung bis Januar 2017 unverändert gelassen.

Die dort getroffene Unterscheidung von beihilfefähigen Pflegekosten im engeren Sinne auf der einen Seite und grundsätzlich nicht beihilfefähigen Unterkunfts-, Verpflegungs- und Investitionskosten auf der anderen Seite darf aber unter Berücksichtigung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn nicht dazu führen, dass dem Beihilfeberechtigten eine weitere erhebliche Belastung durch die Deckungslücke bei den (nur teilweise erstatteten) Pflegekosten im engeren Sinne verbleibt, die den nach den Wertungen des Verordnungsgebers für die stationäre Pflege einzusetzenden Eigenanteil der Einnahmen im Sinne von § 39 Abs. 3 Satz 2 LBhVO übersteigt.

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Hiervon ausgehend gebietet die Fürsorgepflicht, wenn Eigenvorsorge nicht möglich war, § 39 Abs. 3 Satz 1 LBhVO dahingehend auszulegen, dass neben den dort ausdrücklich genannten Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung einschließlich Investitionskosten auch Pflegekosten im engeren Sinne (§ 39 Abs. 1 Satz 2 LBhVO), die den jeweiligen pauschalen Leistungsbetrag der Pflegeversicherung (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB XI) überschreiten und deshalb ungedeckt sind, ausnahmsweise beihilfefähig sind, wenn diese insgesamt den Eigenanteil der Einnahmen nach Satz 2 übersteigen. Dies zu Grunde gelegt, sind hier die den pauschalen Leistungsbetrag in Höhe von 1.612,00 € überschreitenden Pflegeaufwendungen beihilfefähig, weil sie zusammen mit den Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten den Eigenanteil der Einnahmen nach § 39 Abs. 3 Satz 2 LBhVO übersteigen.

Wie bereits ausgeführt (s.o. unter Ziffer 1), belaufen sich die in Anwendung von § 39 Abs. 3 LBhVO zu berechnenden Einnahmen der Eheleute auf 4.279,78 € im Monat Juli 2015 und auf jeweils 4.399,65 € in den Monaten August 2015 bis März 2016. Von den Einnahmen abzuziehen sind die dem vormaligen Kläger monatlich in Rechnung gestellten Heimkosten (Aufwendungen pflegebedingter Art, Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung einschließlich Investitionskosten) in Höhe von insgesamt 3.394,69 € pro Monat (Juli bis Dezember 2015) bzw. in Höhe von insgesamt 3.463,79 € pro Monat (Januar bis März 2016).

Der durch das Pflegeheim seit Oktober 2015 monatlich zusätzlich in Rechnung gestellte Vergütungszuschlag nach § 87b SGB XI bleibt außer Betracht, weil diese Kosten vollständig durch die gesetzliche Pflegeversicherung und die Beihilfe erstattet wurden. Weiter ist einzustellen, dass dem vormaligen Kläger zu der in den Heimkosten enthaltenen Pflegevergütung in Anwendung von § 39 Abs. 1 LBhVO Beihilfe in Höhe von 806,00 € pro Monat gewährt worden ist und er insoweit Leistungen der Pflegekasse in derselben Höhe erhalten hat. Der Eigenanteil der ungedeckten Pflegekosten, den der vormalige Kläger und die Klägerin aus ihren Einnahmen selbst aufbringen mussten, beträgt 40 % (1.711,91 € im Juli 2015 bzw. 1.759,86 € seit August 2015).

Anders gewendet, musste ihnen ein Mindestbehalt von 60 % der Einnahmen verbleiben (2.567,87 € im Juli 2015 bzw. 2.639,79 € seit August 2015). Hieraus folgt, dass im Monat Juli 2015 ein Anteil in Höhe von 70,78 €, in den Monaten August bis Dezember 2015 ein Anteil in Höhe von 22,83 € pro Monat und in den Monaten Januar bis März 2016 ein Anteil in Höhe von 91,93 € pro Monat an der vom Pflegeheim jeweils in Rechnung gestellten – durch den Leistungsbetrag des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB XI nicht gedeckten – Pflegevergütung beihilfefähig ist.

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Der Rechengang lässt sich auch in folgender Tabelle darstellen:

ZeitraumJuli 2015August bis
Dezember 2015
Januar bis
März 2016
Einnahmen 4.279,78 € 4.399,65 € 4.399,65 €
abzuziehende
Heimkosten
– 3.394,69 €– 3.394,69 €– 3.463,79 €
zuzüglich Beihilfe
und Pflegeversicherung
+ 1.612,00 €
(806 € + 806 €)
+ 1.612,00 €
(806 € + 806 €)
+ 1.612,00 €
(806 € + 806 €)
Zwischensumme 2.497,09 € 2.616,96 € 2.547,86 €
60 % der Einnahmen
(Mindestbehalt)
 2.567,87 € 2.639,79 € 2.639,79 €
Differenz 70,78 € 22,83 € 91,93 €

Nach § 47 Abs. 7 LBhVO beträgt der Bemessungssatz in Fällen des § 39 Abs. 3 LBhVO für die den Eigenanteil übersteigenden Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung 100 %. Diese Vorschrift ist aus den dargelegten Gründen ebenfalls verfassungskonform auszulegen dahingehend, dass sie sich auch auf die den Eigenanteil übersteigende Aufwendungen pflegebedingter Art, für medizinische Behandlungspflege und für soziale Betreuung im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 LBhVO bezieht, soweit der pauschale Leistungsbetrag des § 43 Abs. 2 SGB XI überschritten wird. Somit hat die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung weiterer Beihilfe in Höhe von 70,78 € für den Monat Juli 2015, in Höhe von jeweils 22,83 € für die Monate August bis Dezember 2015 und in Höhe von jeweils 91,93 € für die Monate Januar bis März 2016.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO, § 127 BRRG genannten Gründe vorliegt. Insbesondere kommt der Frage der (verfassungskonformen) Auslegung von § 39 Abs. 3 Satz 1 LBhVO keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil es sich um ausgelaufenes Recht handelt und die Rechtsfrage sich bei der Nachfolgevorschrift nicht offensichtlich in gleicher Weise stellt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Oktober 2016 – 2 B 65.14 – juris Rn. 8).

OVG Berlin-Brandenburg OVG 4 B 7.16

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