OLG Brandenburg 1 AR 22/22

März 24, 2023

OLG Brandenburg 1 AR 22/22, 02.11.2022, Zur Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses, Erbschein, Zuständigkeit

Tenor
Zuständig ist das Amtsgericht Schöneberg.

Gründe
I. OLG Brandenburg 1 AR 22/22

Die Beteiligte hat mit Schreiben ihrer Vertreterin vom 14.8.2020 beim Amtsgericht Fürstenwalde/Spree einen Antrag auf die Erteilung eines Erbscheins auf den Nachlass der am …1998 in R…, Nevada/USA, verstorbenen Erblasserin gestellt und dazu angegeben sowie eidesstattlich versichert, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt ihres Todes die deutsche Staatsangehörigkeit besessen habe.

Das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree hat unter dem 30.9.2020 die Vertreterin der Beteiligten darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen seine Zuständigkeit bestünden, da zur Zeit des Erbfalls kein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland bestanden habe, weshalb das Gericht am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts im Inland, hilfsweise das Amtsgericht Schöneberg, zuständig sei.

Daraufhin hat die Vertreterin der Beteiligten mit Schreiben vom 5.10.2020 eine Sterbeurkunde vorgelegt, in der die Staatsangehörigkeit der Erblasserin mit US-amerikanisch angegeben war.

Im Anschluss an weitere Korrespondenz hat das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree unter dem 2.12.2020 darauf hingewiesen, dass § 343 FamFG a. F. einschlägig und der Erbscheinsantrag im Hinblick auf die darin angegebene deutsche Staatsangehörigkeit der Erblasserin zu berichtigen sei.

Dazu hat die Vertreterin der Beteiligten mit Schreiben vom 16.3.2021 erklärt, dass nach Auskunft der Beteiligten die Erblasserin nicht die US-amerikanische, sondern die deutsche Staatsangehörigkeit gehabt habe. Mit Schreiben vom 15.4.2021 hat die Vertreterin dazu der Beteiligten ein Schreiben der U.S. Citizenship and Immigration Services 15.3.2021 vorgelegt.

Unter dem 27.7.2021 hat das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree die Verweisung des Verfahrens an das Amtsgericht Schöneberg angekündigt und der Vertreterin der Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen gegeben.

Durch Beschluss vom 26.8.2021 hat das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree sich für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Schöneberg verwiesen.

Das Amtsgericht Schöneberg hat durch Beschluss vom 26.10.2021 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und das Verfahren an das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree zurückverwiesen.

Das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree hat durch Beschluss vom 31.8.2022 seinerseits die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und die Sache dem Senat zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.

II. OLG Brandenburg 1 AR 22/22

Auf die Vorlage der Sache durch das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree ist die Zuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg für die weitere Bearbeitung des Verfahrens auszusprechen.

1.

Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 FamFG durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, da das nächsthöhere gemeinsame Gericht der am Gerichtsstandsbestimmungsverfahren beteiligten Gerichte der Bundesgerichtshof ist und das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree zuerst mit der Sache befasst gewesen ist.

2.

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG liegen vor.

Sowohl das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree als auch das Amtsgericht Schöneberg haben sich im Sinne dieser Vorschrift rechtskräftig für unzuständig erklärt, nämlich Ersteres durch den Beschluss über die Verweisung des Verfahrens vom 26.8.2021 und letzteres durch den Beschluss über die Zurückverweisung des Verfahrens vom 26.10.2021.

Beide Beschlüsse genügen den an das Merkmal „rechtskräftig“ zu stellenden Anforderungen, da es dafür allein darauf ankommt, dass eine den Beteiligten bekannt gemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (vgl. statt vieler: Senat NJW 2004, 780).

3.

Zuständig ist das Amtsgericht Schöneberg.

Seine Zuständigkeit folgt aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree nach § 3 Abs. 3 Satz 2 FamFG.

Aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung kann die Bindungswirkung nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-)Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), entfallen.

Im Interesse einer baldigen Klärung und Vermeidung wechselseitiger (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle dabei hoch anzusetzen.

OLG Brandenburg 1 AR 22/22

Einfache Rechtsfehler, wie etwa das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm, rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung grundsätzlich nicht.

Hinzukommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt

(BGH, Beschluss vom 17.5.2011, X ARZ 109/11, zitiert nach juris;

Senat JMBl. 2007, 65, 66; NJW 2006, 3444, 3445;

eingehend ferner: Tombrink, NJW 2003, 2364 f.; je m. w. N.).

Diese für § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO entwickelten Grundsätze sind auf die gleichartige Regelung in § 3 Abs. 3 Satz 2 FamFG entsprechend anzuwenden

(Senat, Beschluss vom 20.6.2022, 1 AR 12/22 SA (Z);

Beschluss vom 16.3.2021, 1 AR 4/21 (SA Z);

Beschluss vom 19.12.2016, 1 (Z) Sa 34/16;

Keidel/Sternal, FamFG, 20. Aufl., § 3, Rn. 52 ff.;

Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 12. Aufl., § 3, Rn. 7 f.;

Prütting/Helms/Prütting, FamFG, 5. Aufl., § 3, Rn. 26 f.;

Kemper/Schreiber, FamFG, 3. Aufl., § 3, Rn. 12 f.).

Den derart zu konkretisierenden (verfassungsrechtlichen) Einschränkungen der Bindungswirkung hält der Beschluss des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree vom 26.8.2021 stand.

Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör ist durch sein Schreiben vom 27.7.2021 und die zuvor mit der Vertreterin der Beteiligten geführte Korrespondenz gewahrt worden.

Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree entbehrt nicht jeglicher gesetzlichen Grundlage. Er steht im Einklang mit der nach Art. 229 § 36 EGBGB auf den vorliegenden Fall anzuwendenden gesetzlichen Regelung in § 343 Abs. 2 Satz 1 FamFG a. F.,

nach der das Amtsgericht Schöneberg zuständig ist, wenn der Erblasser Deutscher ist und zum Zeitpunkt des Erbfalls im Inland weder einen Wohnsitz noch einen Aufenthalt gehabt hat.

Dabei kann dahinstehen, ob das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree von einer deutschen Staatsangehörigkeit der Erblasserin hat ausgehen dürfen.

Denn seine diesbezügliche Annahme, auf der nach den Hinweisen vom 27.7.2021 die Verweisung an das Amtsgericht Schöneberg beruht hat, ist jedenfalls nicht offenbar gesetzwidrig oder grob rechtsfehlerhaft.

Sie ist dadurch gestützt, dass in der mit der Antragsschrift vom 14.8.2020 vorgelegten Urkunde des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Houston vom 6.7.2020 das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit angegeben und von der Beteiligten an Eides statt versichert worden ist,

und dass nach der mit dem Schreiben der Vertreterin der Beteiligten vom 15.4.2021 vorgelegten Auskunft der U.S. Citizenship and Immigration Services vom 15.3.2021 dort kein Hinweis auf einen Wechsel der Staatsangehörigkeit hat gefunden werden können.

OLG Brandenburg 1 AR 22/22

Im Blick darauf ist die Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit der Erblasserin durch das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree jedenfalls vertretbar und stellt die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses vom 26.8.2021 nicht infrage.

Das gilt auch im Hinblick auf die Erwägung des Amtsgerichts Schöneberg, dass im vorliegenden Verfahren ein Beweis nur durch Urkunden geführt werden könne.

Denn zum einen ist mit der Urkunde des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Houston eine solche vorgelegt worden.

Zum anderen schreibt § 352 Abs. 3 Satz 1 FamFG nach seinem Wortlaut den Nachweis durch öffentliche Urkunden lediglich für Angaben nach § 352 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3, Satz 2, Abs. 2 FamFG vor, nicht aber für Angaben zum letzten gewöhnlichen Aufenthalt und zur Staatsangehörigkeit des Erblassers gemäß § 352 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FamFG.

Die vor dem Inkrafttreten des § 352 FamFG am 17.8.2015 einschlägigen §§ 2354 ff. BGB a. F. haben Angaben zur Staatsangehörigkeit des Erblassers im Antrag auf die Erteilung eines Erbscheins bereits nicht vorgeschrieben und damit die Obliegenheit eines diesbezüglichen Nachweises durch Urkunden gleichfalls nicht, jedenfalls nicht zweifelsfrei, begründet.

Auf der Grundlage der Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit der Erblasserin ist angesichts der Angabe des Nichtbestehens eines Wohnsitzes oder Aufenthalts im Inland zum Zeitpunkt des Erbfalls die Anwendung des § 343 Abs. 2 Satz 1 FamFG a. F. durch das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree folgerichtig und nicht willkürlich.

Vor dem Hintergrund des Hinweises des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree vom 27.7.2021 auf diese Norm ist die Nennung nicht dieser Vorschrift, sondern des § 343 Abs. 3 FamFG a. F. in den Gründen des Verweisungsbeschlusses vom 26.8.2021 als ein einfacher Schreibfehler anzusehen, der die Bindungswirkung des Beschlusses nicht infrage stellt.

OLG Brandenburg 1 AR 22/22

Etwas anderes folgt nicht daraus, dass die Erblasserin bereits am 22.12.1998 und damit vor dem Inkrafttreten des FamFG verstorben ist.

Denn nach der Übergangsregelung in Art. 111 Abs. 1 FGG-RG finden die Vorschriften des FamFG auf alle Verfahren Anwendung, die nach dem Inkrafttreten des FamFG am 1.9.2009 eingeleitet worden sind

(Staudinger/Herzog, BGB, Neubearbeitung 2016, Rn. 5 vor §§ 2353 ff.),

weshalb im vorliegenden Fall nicht der Zeitpunkt des Erbfalls, sondern die Einleitung des Verfahrens durch das Schreiben der Vertreterin der Beteiligten vom 14.8.2020 maßgebend ist.

Eine Willkür des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree folgt schließlich auch nicht aus der Erwägung in den Gründen des Beschlusses des Amtsgerichts Schöneberg vom 26.10.2021, dass vor dem Hintergrund der Belegenheit des Nachlassgrundstücks im Zuständigkeitsbereich

des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree im Falle einer Zuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg eine Verweisung an das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree nach

§ 343 Abs. 2 Satz 2 FamFG a. F. in Betracht kommen könnte.

Denn diese Erwägung vermag keine originäre Zuständigkeit des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree zu begründen. Im Übrigen hat das Amtsgericht Schöneberg diesen Weg nicht gewählt, sondern lediglich in Annahme der Einschlägigkeit

nicht des § 343 Abs. 2 Satz 1 FamFG a. F.,

sondern des § 343 Abs. 3 FamFG a. F. die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, weshalb der Senat nicht darüber zu befinden hat, ob es zu Recht das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des

§ 343 Abs. 2 Satz 2 FamFG a. F. angenommen hat und ob die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree eine Zurückverweisung des Verfahrens nach dieser Vorschrift zulässt.

OLG Brandenburg 1 AR 22/22

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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