OLG Celle 11 U 147/16

August 10, 2017

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Einzelrichterin der 11. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 5. Oktober 2016 wird
zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des von ihr jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 21.000,00 festgesetzt.

Gründe OLG Celle 11 U 147/16

I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung in Anspruch.
Wegen des Sach- und Streitstands erster Instanz sowie wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge der Parteien wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat der Klage – allerdings unter Kürzung des begehrten Zinszeitraums und unter Abweisung des auf Freistellung von zukünftigen Schäden und Nachteilen aus der Zeichnung der streitgegenständlichen Beteiligung gerichteten Antrags – stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine Pflichtverletzung der Beklagten darin liege, die Klägerin über eine Reihe von Einzelrisiken und risikoerhöhende Umstände nicht aufgeklärt zu haben, was einen Schadensersatzanspruch der Klägerin begründe. Die Beklagte sei daher nicht nur dazu verpflichtet, der Klägerin den investierten Betrag zzgl. Agio zu erstatten, sondern darüber hinaus auch die alternativen Anlagezinsen, die sie ansonsten erzielt hätte.

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Gegen dieses Urteil, auf dessen Begründung im Einzelnen ebenfalls verwiesen wird, wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie rügt eine unvollständige Sachverhaltsaufklärung. Das Landgericht habe verfahrensfehlerhaft unter Überdehnung der Anforderungen an ein zulässiges Bestreiten der Beklagten auf eine Beweisaufnahme verzichtet, denn jedenfalls habe sie auf Grundlage der Beratungsdokumentation hinreichend wahrscheinlich vortragen können, dass der Klägerin der Emissionsprospekt rechtzeitig übergeben worden sei.
Zudem fehle es jedenfalls an der Kausalität der durch das Landgericht angenommenen Beratungspflichtverletzung für die Anlageentscheidung der Klägerin. Auch hierzu habe das Landgericht zu Unrecht nicht Beweis erhoben.
Die Beklagte beantragt,
1. unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Hannover vom 5. Oktober 2016 (Az. 11 O 340/15) die Klage insgesamt abzuweisen,
2. hilfsweise die Sache unter teilweiser Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt im Wesentlichen das erstinstanzliche Urteil. Sie verweist im Übrigen darauf, dass das Landgericht vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 23. März 2017 (III ZR 93/16) rechtsfehlerhaft von einer Verjährung der Ansprüche hinsichtlich einzelner möglicher Beratungspflichtverletzungen der Beklagten ausgegangen sei.
Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens und wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte gemäß §§ 280 Abs. 1, 278 BGB Anspruch auf Schadensersatz, weil die von der Beklagten durch ihren Handelsvertreter M. erbrachte Anlageberatung, in deren Folge sich die Klägerin an der K. & C., Z. B. L. GmbH & Co. KG beteiligte, unzureichend war.
Die Klägerin hat zu ihren auf eine nicht anlagegerechte Beratung gestützten Ansprüchen trotz der in ihrem Vorbringen aufgetretenen Widersprüche im Ergebnis schlüssig vorgetragen (hierzu nachfolgend 1). Eine Beweisaufnahme zur Übergabe des Emissionsprospekts war aufgrund nicht ausreichenden Bestreitens der Beklagten entbehrlich. Das Landgericht hat deshalb seiner Entscheidung zutreffend zu Grunde gelegt, dass von einer anlagegerechten Beratung der Klägerin nicht ausgegangen werden könne (hierzu nachfolgend 2). Auch die Vermutung, dass die Klägerin sich gegen die streitgegenständliche Kapitalanlage entschieden hätte, wäre sie über alle wesentlichen Risiken aufgeklärt worden, vermag die Beklagte im Ergebnis nicht zu widerlegen (hierzu nachfolgend 3).
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine ordnungsgemäße Anlageberatung entweder mündlich oder auch durch die Übergabe von Prospektmaterial erfolgen, sofern der Prospekt nach Form und Inhalt geeignet ist, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln und er dem Anlageinteressenten so rechtzeitig vor dem Vertragsschluss übergeben wird, dass sein Inhalt noch zur Kenntnis genommen werden kann (vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. April 2014 – III ZR 389/12, juris Rn. 9; BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 – III ZR 249/09, juris Rn. 32).

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a)  Die nicht (rechtzeitig) erfolgte Übergabe des Emissionsprospektes vor der Zeichnung muss, ebenso wie eine nicht erfolgte mündliche Risikoaufklärung, der jeweilige Anleger darlegen und beweisen. Denn ihn trifft als Anspruchsteller nach den allgemeinen zivilprozessualen Regeln die Darlegungs- und Beweislast für die behaupteten Aufklärungs- oder Beratungspflichtverletzungen. Allerdings handelt es sich dabei um für den Anleger negative Tatsachen. Die mit dem Nachweis einer negativen Tatsache verbundenen Schwierigkeiten werden – gerade im Bereich der Aufklärungs- und Beratungspflichten – nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung dadurch ausgeglichen, dass die andere Partei die behauptete Fehlberatung substantiiert bestreiten und darlegen muss, wie im Einzelnen beraten bzw. aufgeklärt worden sein soll; dem Kläger obliegt sodann der Nachweis, dass diese Gegendarstellung nicht zutrifft (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2011 – III ZR 84/10, juris Rn. 17; BGH, Urteil vom 24. Januar 2006 – XI ZR 320/04, juris Rn. 15).
b) Voraussetzung für diese besonderen Anforderungen an den Vortrag der Beklagtenseite ist allerdings, dass zunächst der Anleger eine Aufklärungspflichtverletzung hinreichend dargelegt hat. Das setzt voraus, dass er in Bezug auf jedes einzelne Risiko, auf das er seine Klage stützt, vorträgt, über dieses weder mündlich noch mittels einer Übergabe des jeweiligen Prospektes hinreichend aufgeklärt worden zu sein. In Bezug auf Letzteres bedeutet dies, dass er darlegt, der Prospekt enthalte eine diesbezügliche Risikoaufklärung nicht, oder er habe diesen nicht so rechtzeitig vor der Zeichnung erhalten, dass er dessen Inhalt noch zur Kenntnis nehmen konnte (vgl. zu der Zeitspanne zwischen Prospektübergabe und Zeichnung etwa Senatsurteil vom 26. Januar 2017 – 11 U 96/16, juris Rn. 39). Hat der Anleger den Prospekt erhalten, so hat er den – aus seiner Sicht zu späten – Zeitpunkt der Übergabe vorzutragen.
Erst dann hat das Beratungsunternehmen im Rahmen der sekundären Darlegungslast die Behauptung dieser (negativen) Tatsache durch eine konkrete Darlegung entgegenzutreten (hierzu unter 2.).

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Ebenso, wie dem Beratungsunternehmen im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, ist auch dem Anleger ein Vortrag „ins Blaue hinein“ nicht gestattet (vgl. allgemein zu den Voraussetzungen für die Annahme eines „Ausforschungsbeweises“: BGH; Beschluss vom 10. Januar 2017 – XI ZR 365/14, juris Rn. 16, 17). Auch wenn es sich bei der Aufklärungspflichtverletzung durch Unterlassen um eine negative Tatsache handelt, setzt die entsprechende Behauptung des Anlegers voraus, dass ihm zumindest konkrete tatsächliche Anhaltspunkte gegenwärtig sind, die im Sinne einer gewissen Wahrscheinlichkeit für die behauptete Pflichtverletzung sprechen. Im Rahmen der Prüfung, ob nach dieser Maßgabe der klagende Anleger seiner Obliegenheit zur Darlegung einer Anlageberaterpflichtverletzung hinreichend nachgekommen ist, ergibt sich Folgendes:
aa) Hat der Anleger aufgrund des Zeitablaufs keine Erinnerung mehr daran, ob über das jeweilige Risiko im mündlichen Beratungstermin eine Aufklärung durch den Berater erfolgt ist oder hat er an die (Nicht-)Übergabe des Prospektes, in dem eine schriftliche Aufklärung über das jeweilige Risiko enthalten ist, keine Erinnerung mehr, so fehlt einer anderslautenden schriftsätzlichen Behauptung die tatsächliche Grundlage. Räumt der Anleger etwa im Rahmen seiner Anhörung nach § 141 ZPO ein, sich an die Umstände der Beratung/Prospektübergabe nicht erinnern zu können, so wäre dazu in Widerspruch stehender schriftsätzlicher Vortrag unbeachtlich.
bb) Etwaige Lücken oder Widersprüche in schriftsätzlichen Behauptungen des Anlegers dürften Anlass geben, den klagenden Anleger gemäß § 141 ZPO persönlich anzuhören. Gelingt es diesem im Rahmen seiner Anhörung sodann nicht, vorhandene Widersprüche im Sachvortrag nachvollziehbar zu erklären, würde auch dies zur Unschlüssigkeit des Klagevorbringens führen.
cc) Bleibt im Rahmen der Anhörung zweifelhaft, ob der Anleger sich an die Umstände der Beratung/Prospektübergabe noch erinnert, so wird die Schlüssigkeit seines Vorbringens davon abhängen, ob er tatsächliche Anhaltspunkte dafür benennt, die zumindest die im Rahmen seiner Anhörung aufgestellte konkrete Behauptung aus seiner Sicht als wahrscheinlich erscheinen lässt.

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c) Nach diesen Maßstäben hat sich das Vorbringen der Klägerin im Ergebnis als schlüssig erwiesen.
aa) Im Rahmen der Prüfung, ob die Klägerin ihrer Obliegenheit zur Darlegung einer Anlageberaterpflichtverletzung hinreichend nachgekommen ist, waren zunächst in Bezug auf Verwendung und Unterzeichnung des persönlichen Beraterbogens bestehende Unklarheiten des schriftsätzlichen Vorbringens (vgl. Replik vom 25. Juli 2016, Ziff. II. auf Seite 2, Bl. 76 d.A.) der Klärung zuzuführen.
Weiterer Klärungsbedarf hat sich dadurch ergeben, dass die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung offenbart hat, es gebe in den Schriftsätzen ihrer Prozessbevollmächtigten „Einzelheiten, die ich mit meiner Rechtsanwältin nicht besprochen habe“, obwohl „sie teilweise in den Schriftsätzen auftauchen“ (Protokoll vom 1. Juni 2017, Seite 7). Ein derartiger Umstand gibt stets Anlass zu der Besorgnis, dass der Tatsachenvortrag dieser Partei nicht (mehr) von der eigenen Wahrnehmung und Erinnerung des Mandanten gedeckt ist, sondern einer von rechtsfolgeorientierten Erwägungen getragen „Gestaltung“ unterzogen wurde und deshalb nicht mehr mit der Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen und vollständigen Erklärung (§ 138 Abs. 1 ZPO) in Einklang zu bringen ist. Ein derartiger, Vortrag würde zur Unschlüssigkeit der Klage führen müssen, weil es an tatsächlichen Anhaltspunkten fehlt, die die aufgestellte konkrete Behauptung aus Sicht der eigenen Partei als wahrscheinlich erscheinen lassen.
bb) Die diesbezügliche Besorgnis ist jedoch ebenso wie die Unklarheit hinsichtlich der Verwendung und Unterzeichnung des persönlichen Beraterbogens durch die persönliche Anhörung der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 1. Juni 2017 sowie dem Ergebnis ihrer Parteivernahme ausgeräumt.
In für den Senat plausibler und gut nachvollziehbarer Weise hat die Klägerin dargelegt, dass sie sich zwar noch an den Ablauf und den Inhalt des Beratungsgesprächs erinnern könne, nicht jedoch an den persönlichen Beraterbogen, weil an dem Tag der Zeichnung alles recht schnell gegangen sei und eine Reihe von Unterschriften auf unterschiedlichen Formularen, nicht nur in Bezug auf die streitgegenständliche Beteiligung, von ihr zu leisten gewesen seien. Dass auch diese Unterschrift von ihr geleistet worden sei, stehe für sie jedoch außer Frage.

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Die Klägerin hat des Weiteren verdeutlicht, dass sie zwar viele der Begriffe, mit denen die Risiken der streitgegenständlichen Beteiligung in den Schriftsätzen ihrer Prozessbevollmächtigen beschrieben werden, bis zuletzt nicht verstanden habe: „Manches habe ich nachgefragt. Manches aber auch nicht. Etwa den Begriff Blind Pool habe ich nicht verstanden und auch nicht nachgefragt.“ (Protokoll vom 1. Juni 2017, Seite 6). Auch hat sie verdeutlicht, dass die mit diesen Risiken verbundene Behauptung, sie hätte die Beteiligung nicht gezeichnet, wenn man sie über diese aufgeklärt hätte, „nicht von mir, sondern von meiner Prozessbevollmächtigten“ stammt, wobei diese sie allerdings gleich zu Beginn gefragt habe, ob sie auch in Kenntnis der Risiken gezeichnet hätte, was sie verneint habe (a.a.O., Seite 7).
Damit ist einerseits deutlich geworden, dass das fehlende Erinnerungsvermögen der Klägerin sich auf die Unterzeichnung des persönlichen Beraterbogens beschränkt und nicht etwa auch den Beratungsvorgang und seine Inhalte ergreift, was einem schlüssigen Klagevorbringen entgegengestanden hätte.
Auch wenn die – wie hier – offensichtliche Verwendung von nicht hinreichend auf die Umstände des Einzelfalls angepassten Textbausteinen zwar grundsätzlich dazu führen kann, dass die Grenze zur Fiktion überschritten wird, ist dem Senat andererseits hinreichend deutlich geworden, dass es sich vorliegend bei der schriftsätzlichen Darlegung der tatsächlichen Vorgänge nicht um ein reines Konstrukt handelt, sondern lediglich um den inakkuraten Versuch, auch die von Unkenntnis und Unverständnis der Klägerin geprägten Umstände ihrer Anlageentscheidung vorzutragen.
2. Das Landgericht ist rechtlich zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte die Behauptung der Klägerin, ihr sei der Emissionsprospekt für die streitgegenständliche Beteiligung nicht rechtzeitig vor der Zeichnung übergeben worden, nicht, wie jedenfalls hilfsweise geschehen, mit Nichtwissen bestreiten kann. Der Senat hält insoweit an seiner durch das Landgericht zitierten Auffassung fest.

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Diese Behauptung betrifft, wie bereits vorstehend unter 1. ausgeführt, eine negative Tatsache, denn die Klägerin behauptet, dass sich ein bestimmtes Geschehen nicht zugetragen habe. Negative Tatsachen kann der Anspruchsgegner nicht mit Nichtwissen bestreiten (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011 – IX ZR 45/08, juris, Rn. 2).
Den Anspruchsgegner, der die Behauptung einer negativen Tatsache nicht hinnehmen möchte, trifft nämlich eine eigene Darlegungslast, nicht nur eine Bestreitenslast. Dabei handelt es sich nicht um eine sekundäre Darlegungslast im üblichen Sinne, sondern um einen Sonderfall der sekundären Darlegungslast. Eine sekundäre Darlegungslast im üblichen Sinne trifft eine Partei, wenn die (eigentlich) darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 19. April 1999 – II ZR 331/97, juris, Rn. 7 m. w. N.).
Eine solche Situation liegt in Anlageberatungsfällen regelmäßig nicht vor, weil der Anspruch stellende Anleger nicht außerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs steht, sondern im gleichen Umfang wie das Beratungsunternehmen Einblick in den Aufklärungsablauf hat(te) und es sich somit gerade nicht um Informationen handelt, auf die der Aufklärungsverpflichtete leichter zugreifen könnte als der Anleger selbst (vgl. Ahrens in: Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 10, Rn. 128, dort Fußnote 9 m. w. N.). Es handelt sich vielmehr um eine eigenständige prozessuale Rechtsfigur, die zwar besonders häufig einschlägig ist, wenn die Parteien um Aufklärungs- oder Beratungspflichten streiten, auf solche Fälle aber nicht beschränkt ist. Immer dann, wenn ein Anspruchsteller eine negative Tatsache behauptet, muss der Anspruchsgegner, der das Vorliegen der Tatsache bestreitet, aktiv darlegen, wann und wie sich die Tatsache verwirklicht haben soll.
aa) Die Frage, ob der Beklagten eine Darlegung des Positivums möglich und zumutbar ist, beeinflusst die Zulässigkeit eines Bestreitens mit Nichtwissen in Fällen wie dem vorliegenden nicht.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann sich zwar auch derjenige Anspruchsgegner, den eine sekundäre Darlegungslast trifft, auf ein Bestreiten mit Nichtwissen zurückziehen, wenn ihm ein substantiiertes Bestreiten nicht zumutbar ist. Auch wenn es einer Partei grundsätzlich gemäß § 138 Abs. 4 ZPO verwehrt ist, eigene Handlungen und Wahrnehmungen mit Nichtwissen zu bestreiten, kommt ein Bestreiten eigener Handlungen und Wahrnehmungen ausnahmsweise in Betracht, wenn die Partei nach der Lebenserfahrung glaubhaft macht, sich an gewisse Vorgänge nicht mehr erinnern zu können (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 1994 – II ZR 95/93, juris, Rn. 20 m. w. N.).
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Eine Partei, die mit Nichtwissen bestreiten möchte, trifft dann zunächst eine Informationspflicht (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1998 – VIII ZR 100/97, juris, Rn. 14 m. w. N.). Sie ist verpflichtet, die ihr zugänglichen Informationen in ihrem Unternehmen und von denjenigen Personen einzuholen, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2001 – I ZR 238/98, zitiert nach juris, Rn. 30). Diese Erkundigungspflicht bezieht sich auch keineswegs von vornherein nur auf solche Mitarbeiter oder Drittunternehmen, die für die Partei nach wie vor noch tätig sind, sondern auch auf frühere Mitarbeiter (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2001, a.a.O.: Pflicht zur Erkundigung bei ausgeschiedenem Geschäftsführer). Bleiben diese Bemühungen erfolglos, ist das Bestreiten mit Nichtwissen zulässig.
Der Hinweis der Beklagten, der Senat habe insofern „in früherer Besetzung“ in seinem Hinweisbeschluss vom 27. August 2015 (11 U 93/15) noch eine andere Auffassung vertreten (sh. Berufungsbegründung, Seite 5, Bl. 156 d.A.), trifft im Übrigen nicht zu. Die vorstehenden Fragen waren nicht Gegenstand jenes Beschlusses, weil es am entsprechenden Anlass fehlte. Der Senat konnte sich in jenem Verfahren auf den Hinweis beschränken, dass die Beklagte schon ihrer Pflicht zur Erkundigung bei ihrem Handelsvertreter nicht ausreichend nachgekommen war und dass ein Bestreiten mit Nichtwissen deshalb schon nach allgemeinen Regeln nicht zulässig war. Die Frage, wie die Rechtslage zu beurteilen ist, wenn die Beklagte ihrer Erkundigungspflicht erfolglos genügt hat, stellte sich dem Senat erstmals in den Berufungsverfahren 11 U 73/16 und 11 U 13/16.
Es trifft zu, dass der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10. Februar 2011 (a.a.O.) keine Begründung für den Rechtssatz enthält, dass das Bestreiten negativer Tatsachen mit Nichtwissen unzulässig ist. Dieser von der Beklagten wiederholt erhobene Einwand (so auch die Berufungsbegründung, Seite 5, Bl. 156 d.A.) ändert aber zum einen nichts daran, dass es sich um einen höchstrichterlich verfassten Rechtssatz handelt, den der Senat nicht ohne Weiteres übergehen darf. Zum anderen ergab sich der Rechtssatz bereits aus der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, so dass der IX. Zivilsenat eine weitere Begründung offenbar für entbehrlich hielt.
(1) Der Beschluss vom 10. Februar 2011 ist in einem Fall der Steuerberaterhaftung ergangen. Gerade aus der gefestigten Rechtsprechung zur Anwalts- und Steuerberaterhaftung leiten die beiden für Kapitalanlagesachen zuständigen Senate des Bundesgerichtshofs ihre Rechtsprechung zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ab. Ebenso wie der für die Anwalts- und Steuerberaterhaftung zuständige IX. Zivilsenat haben der für Kapitalanlagesachen zuständige III. und XI. Zivilsenat (auch) für diese Rechtsgebiete entschieden, dass die mit dem Nachweis einer negativen Tatsache verbundenen Schwierigkeiten dadurch ausgeglichen werden, dass die andere Partei die behauptete Fehlberatung substantiiert bestreiten und darlegen muss, wie im Einzelnen beraten bzw. aufgeklärt worden sein soll (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2011 – III ZR 84/10, juris, Rn. 17; vom 24. Januar 2006 – XI ZR 320/04, juris, Rn. 15 m.w.N.; Unterstreichungen durch den Senat).  Der Beweis von Negativem läuft also auf eine Widerlegung der Umstände hinaus, die für das Positive sprechen (vgl. BGH, Urteil vom 19. September 1966 – II ZR 62/64, juris, Rn. 9).

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Daraus ergibt sich, dass sich ein Berater keinesfalls darauf beschränken kann, eine Pflichtverletzung durch Unterlassen notwendiger Hinweise zu bestreiten oder ganz allgemein zu behaupten, er habe die andere Partei ausreichend unterrichtet. Wen die Verpflichtung trifft, einen Sachverhalt in seinen Einzelheiten substantiiert darzulegen, kann erst recht nicht mit bloßem Nichtwissen bestreiten, gleich ob er sich zuvor ausreichend um Informationen bemüht hat oder nicht. Vielmehr muss er jedenfalls konkrete Angaben darüber machen, welche Belehrungen und Ratschläge er erteilt hat (vgl. zur Rechtsanwaltshaftung BGH, Urteil vom 5. Februar 1987 – IX ZR 65/86, juris, Rn. 17 m.w.N.). Nur dann nämlich legt er Umstände dar, die für das Positive sprechen.
(2) Der Anleger soll erst dann zur Erbringung des ihm regelmäßig schwer fallenden Beweises gezwungen sein, wenn der hohe Grad an Substanz des vom Berater gehaltenen Vortrags es ihm ermöglicht, sich mit den vom Berater behaupteten einzelnen Umstände auseinanderzusetzen und einzelne Beweisangebote darauf zu beziehen. Durch diesen Ausgleich prozessualer Lasten wird dem Gebot Genüge getan, auch in dem der Parteidisposition unterliegenden Zivilprozess möglichst zu einer der materiellen Gerechtigkeit entsprechenden Entscheidung des Einzelfalles zu gelangen (vgl. zu diesem Ziel die Stellungnahme des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags zum ZPO-Reformgesetz, BT-Drs. 14/6036, S. 124). Kann der Anleger die vom Berater vorgetragenen einzelnen
Umstände der Beratung nicht zur Überzeugung des Gerichts widerlegen, beruht das Urteil immerhin auf der Annahme eines ernstlich in Betracht kommenden Geschehensablaufs.
(3) Das Ziel, im Interesse der materiellen Gerechtigkeit zugunsten des Anlegers einen Ausgleich für die ihm nachteilige Beweislastverteilung zu schaffen, würde dagegen verfehlt, wenn sich der Berater auf bloße Vermutungen oder gar auf ein bloßes Bestreiten mit Nichtwissen beschränken dürfte. Bei Unergiebigkeit der Beweisaufnahme beruhte das Urteil dann letztlich auf der bloßen Vermutung eines Geschehensablaufs, an den sich tatsächlich keine Partei erinnert. Hat also eine Partei keine eigene oder durch Mitteilungen oder Aufzeichnungen Dritter vermittelte Kenntnis davon, dass sich ein bestimmter Geschehensablauf tatsächlich zutrug, kann sie der Behauptung der Gegenpartei, der Geschehensablauf habe sich nicht zugetragen, deshalb nicht mit bloßen Vermutungen entgegentreten, sondern muss einräumen, die Behauptung mangels eigener Kenntnis nicht in zulässiger Weise bestreiten zu können.

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c) Soweit die Beklagte trotz eingestandener Unkenntnis über den Geschehensablauf zugleich (positiv) behauptet hat, die Klägerin habe den Emissionsprospekt „ca. zehn Tage“ vor dem Zeichnungstermin am 9. Mai 2007 erhalten, handelt es sich um eine bloße Vermutung, die schon materiell – rechtlich unerheblich (aa) und nach den obigen Ausführungen überdies prozessual unbeachtlich ist (bb).
aa) Der Vortrag ist materiell-rechtlich unerheblich, weil sich aus ihm nicht ergibt, dass die Klägerin den Emissionsprospekt rechtzeitig vor dem Zeichnungstermin erhielt.
Soll die Anlageberatung (auch) durch die Übergabe von Prospektmaterial erfolgen, muss der Prospekt nach Form und Inhalt geeignet sein, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln. Außerdem muss er dem Anlageinteressenten so rechtzeitig vor dem Vertragsschluss übergeben werden, dass sein Inhalt noch zur Kenntnis genommen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 2014 – III ZR 389/12, juris, Rn. 9 m.w.N.).
Die erforderliche Zeitspanne zwischen der Übergabe des Prospekts und der Anlageentscheidung ist nicht starr. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 12. Juli 2007 (III ZR 145/06, juris, Rn. 9) lediglich ausgeführt, dass eine Übergabe jedenfalls innerhalb eines Zeitraums von zwei Wochen ausreichend ist. Es kann aber auch eine kürzere Zeitspanne ausreichen, damit der Anleger den Inhalt eines ihm übergebenen Emissionsprospekts zur Kenntnis nehmen und erwägen kann. Ob diese Voraussetzung gegeben ist, ist eine in jedem Einzelfall zu klärende Tatfrage. Der Senat hat eine kürzere Frist unter anderem ausreichen lassen, wenn ein Anleger aufgrund seiner Ausbildung oder beruflichen Tätigkeit über besondere Kenntnisse in einschlägigen Fachgebieten verfügt (vgl. Hinweisbeschluss vom 13. Juni 2016 – 11 U 138/15, n. v.: langjährig in der Führung von Unternehmen erfahrener und erfolgreicher ausgebildeter Kaufmann).
Gleiches mag für einen Anleger gelten, der bereits über mehrjährige – aktiv wahrgenommene – Vorerfahrungen mit vergleichbaren geschlossenen Fondsbeteiligungen verfügt. Der Senat lässt kürzere Fristen außerdem in ständiger Rechtsprechung ausreichen, wenn ein Anleger nach dem Erhalt des Emissionsprospekts gegenüber dem Berater zu erkennen gibt, nicht mehr Zeit zum Studium zu benötigen und sich zur Zeichnung der empfohlenen Anlage entschlossen zu haben (vgl. etwa den Hinweisbeschluss vom 7. November 2016 – 11 U 84/16, außerdem den Senatsbeschluss vom 18. Januar 2016 – 11 U 126/15, n. v.).

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Aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich nicht, dass die Klägerin den Prospekt rund zwei Wochen vor der Anlageentscheidung erhielt, sondern nur, dass sie ihn eineinhalb Wochen vorher erhielt. Aus dem Sachvortrag der Beklagten ergeben sich auch keine tatsächlichen Anknüpfungspunkte für die Annahme, dass der Klägerin ausnahmsweise eine kürzere Zeitspanne als zwei Wochen genügte, um den Inhalt des Emissionsprospekts zu verstehen und zu erwägen. Es ist unstreitig (vgl. nur die Eintragung zur „Anlegererfahrung“ im „persönlichen Beraterbogen“, Anlage B 1), dass die Klägerin keine einschlägige Anlageerfahrung hatte. Darüber hinaus konnte sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Sekretärin eines auf Tanklager spezialisierten Unternehmens keine besonderen Kenntnisse in einschlägigen Fachgebieten erwerben.
bb) Der Vortrag der Beklagten ist überdies prozessual unbeachtlich. Der Senat hat bereits im Vorstehenden (unter 1. b) ausgeführt, dass es dem Anspruchsgegner nicht nur verwehrt ist, die vom Anspruchssteller vorgetragene Behauptung einer negativen Tatsache mit Nichtwissen zu bestreiten, sondern er sein Bestreiten auch nicht auf bloße Vermutungen stützen kann.
(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt eine Partei ihrer Darlegungslast zwar im Allgemeinen, wenn sie diejenigen Umstände vorträgt, aus denen sich die gesetzlichen Voraussetzungen der begehrten Rechtsfolge ergeben. Hierbei ist es grundsätzlich unerheblich, wie wahrscheinlich das Vorbringen ist. Erfüllt das Parteivorbringen diese Anforderungen, können grundsätzlich weitere Einzelheiten oder Erläuterungen nicht gefordert werden. Es ist vielmehr Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls Zeugen nach weiteren Einzelheiten zu befragen.
Ein Beweisantrag zur Vernehmung eines Zeugen setzt somit nicht voraus, dass sich der Darlegungsbelastete darüber äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit seiner Behauptungen hat. Eine Partei ist mithin grundsätzlich auch nicht gehindert, Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält; ein unzulässiger Ausforschungsbeweis liegt erst dann vor, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ aufstellt. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist jedoch Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vorliegen (vgl. unter anderem BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, juris, Rn. 40, 43 f.; vgl. auch BGH, Urteil vom 15. Mai 2003 – III ZR 7/02, juris, Rn. 15, jeweils m. w. N.).

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Im Rahmen ihrer besonderen sekundären Darlegungslast kann die Beklagte indes eine Übergabe des Emissionsprospekts vor dem Zeichnungstermin mit hinreichender Substanz nur aufgrund eigenen Wissens oder zumindest aufgrund konkreter Anhaltspunkte behaupten, weil ihr – wie vorstehend ausgeführt – die detaillierte Darlegung des Positivums zum Ausgleich für die der Klägerin auferlegte Beweislast obliegt.
(2) Die Beklagte hat eingeräumt, keine eigene Kenntnis darüber zu haben, ob und – wenn ja – wann ihr vormaliger Handelsvertreter M. der Klägerin den Emissionsprospekt für die streitgegenständliche Anlage übergab. Sie hat auch keine sonstigen Einzelheiten vorgetragen, die aus der Sicht eines objektiven Dritten den Rückschluss auf die von ihr darzulegende Tatsache einer frühzeitigen Übergabe des Emissionsprospekts zulassen.
(2.1) Die in der als Anlage K 4 vorgelegten Beitrittserklärung vom 9. Mai 2007 enthaltene – vorformulierte – Bestätigung, „den Verkaufsprospekt […] einschließlich des darin abgedruckten Treuhandvertrages und des Gesellschaftsvertrages […] erhalten und zur Kenntnis genommen“ zu haben, begründet gleichfalls keine Wahrscheinlichkeit, dass die Prospektübergabe ausreichend frühzeitig erfolgte.
Die Bestätigung, den Emissionsprospekt „erhalten“ zu haben, lässt es lediglich als wahrscheinlich erscheinen, dass der jeweilige Anleger den Prospekt überhaupt erhalten hat. Ein über diese Information hinausgehender Erklärungswert kommt der Bestätigung schon dem Wortlaut nach nicht zu. Ihr lässt sich insbesondere keine Aussage dazu entnehmen, wann die Klägerin den Prospekt erhielt. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 6. Dezember 2012 (III ZR 66/12, juris, Rn. 17) zum Erkenntniswert einer solchen Erklärung ausgeführt:
„Diese ‘Empfangsbestätigung‘ besagt […] nichts (Näheres) über eine rechtzeitig vor der (Unter-) Zeichnung erfolgte Prospektübergabe […]“.
Die Formulierung „zur Kenntnis genommen“ ist wiederum so uneindeutig, dass auch aus ihr der Schluss auf eine frühzeitige Prospektübergabe nicht gezogen werden kann. Selbst derjenige Anleger, der den ihm im Zeichnungstermin übergebenen Emissionsprospekt einmal binnen weniger Minuten durchblättert, hat ihn zur Kenntnis genommen. Das gleiche gilt, wenn der Berater die mündliche Beratung anhand des Prospekts vornimmt und dabei auf einzelne Abschnitte eingeht. Träfe der von der Beklagten gezogene Schluss zu (vgl. Schriftsatz vom 13. Februar 2017, Seite 3, Bl. 204 d.A.), müsste der Senat davon ausgehen, dass ein Anleger, der die zitierte vorformulierte Bestätigung unterzeichnet, auch den Treuhandvertrag- und die Gesellschaftsverträge aufmerksam studiert haben muss. Diese Unterstellung hielte der Senat für lebensfremd, weil derartige juristische Werke für einen durchschnittlichen Anleger in aller Regel so schwer verständlich sind, dass ihr Inhalt bestenfalls überflogen wird (vgl. bereits Senat, Urteil vom 22. September 2016 – 11 U 73/16, Seite 11 f., n.V.)

OLG Celle 11 U 147/16

Anders als in dem dem Urteil des Senats vom 16. März 2017 – 11 U 98/16 zugrunde liegenden Sachverhalt ergeben sich hier weder aus der Beratungsdokumentation noch aus dem sonstigen Vorbringen der Beklagten konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Emissionsprospekt zu einem früheren Zeitpunkt als am Zeichnungstage übergeben worden sein könnte. Die Empfangsquittung datiert vom 9. Mai 2007 und damit vom Tage der Zeichnung. Eine Übergabe des Emissionsprospekts zu einem früheren Zeitpunkt ist weder im Zeichnungsschein noch im persönlichen Beraterbogen niedergelegt. Selbst wenn man das Vorbringen der Beklagten, es habe bereits „ca. 10 Tage vor dem 9. Mai 2007“ ein erstes Beratungsgespräch stattgefunden, als wahr unterstellte, ließe sich aus diesem Umstand kein objektiver Anhaltspunkt dafür ableiten, dass an diesem Tag auch der Emissionsprospekt übergeben worden ist. Die Beklagte hat erstinstanzlich im Übrigen selbst eingeräumt, dass sie hierzu „ohne positive Kenntnis“ (Klageerwiderung, Seite 4; Bl. 44 d.A.) vortrage, was dieses Vorbringen prozessual unbeachtlich macht (vgl. oben, I. 2 b)).
(2.2) Die Ausführungen der Beklagten in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 23. August 2016 (Bl. 106 ff. d. A.) hat das Landgericht entgegen dem Berufungsvorbringen zur Kenntnis genommen (vgl. LGU Seite 8 oben). Der Senat tritt der Auffassung des Landgerichts bei, dass sich aus diesem auf einen anderen Einzelfall bezogenen Verteidigungsvorbringen keine Rückschlüsse für den vorliegenden Fall ableiten lassen. Das ergibt sich hinsichtlich der Mehrzahl der Zitate bereits unmissverständlich aus ihrem Wortlaut. Da die Beklagte den in Bezug genommenen Schriftsatz nicht vorlegt und der Zusammenhang der Zitate daher fehlt, lässt sich nicht überprüfen, ob die übrigen Zitate den Rückschluss auf ein allgemeines Vorgehen des Handelsvertreters M. zulassen. Überdies stellt sich allerdings auch die Frage, ob ein redlicher objektiver Dritter anstelle der Beklagten aus dem in Bezug genommenen Verteidigungsvorbringen überhaupt Rückschlüsse ziehen darf. Die Beklagte hat nämlich selbst in ihrem Schriftsatz vom 9. Juni 2016 (dort S. 3 unten, Bl. 59 d. A.) vorgetragen:
„Eine frühere schriftliche Stellungnahme des Zeugen M. aus August 2012 ist vollkommen unergiebig (“Das Gespräch mit Frau K. ist viele Jahre her.”) Weiter hat der Zeuge M. dort bereits mitgeteilt, sämtliche Informationen und Dokumente aller Kunden, vollständig und unwiederbringlich vernichtet‘ zu haben.“
Angesichts dieser Stellungnahme aus dem Jahr 2012 bleibt unklar, auf welcher Grundlage der Prozessbevollmächtigte des vormaligen Handelsvertreters M. und der Beklagten in dem vor dem Landgericht M. geführten Prozess in der erst zwei Jahre später gefertigten Klageerwiderung die von der Beklagten zitierten Behauptungen vortragen konnte.
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d) Bei der Behauptung der Beklagten, der Handelsvertreter M. habe „mit der Klägerin spätestens am 9. Mai 2007 insbesondere den Abschnitt „Risiken dieser Vermögensanlage“ (S. 17 bis 17 [meint: 27] des Hauptprospekts), wo alle wesentlichen Risiken klar und deutlich aufgeführt sind, im Einzelnen erörtert“ (Klageerwiderung, Seite 4; Bl. 44 d.A.), handelt es sich zum einen um eine bloße Vermutung, die prozessual unbeachtlich ist. Zum anderen weist dieser Vortrag auch keine genügende Substanz auf.
Die Behauptung wird den gesteigerten Anforderungen an die Darlegung des Beratungsablaufs nicht gerecht. Die Beklagte hat nicht im Einzelnen dargelegt, wie ihr Handelsvertreter M. die Klägerin beriet, sondern ausdrücklich eingestanden, insofern keine Kenntnisse zu haben. Ihre Behauptung stützt sie vielmehr ausschließlich auf die Eintragung in dem persönlichen Beraterbogen (Anlage B 1), wonach „eine ausführliche Aufklärung und Beratung über Chancen und Risiken von Geschlossenen Fonds im Allgemeinen und der konkreten Beteiligung anhand des Angebotsprospekts“ erfolgt ist. Der Handelsvertreter, der in den Bögen den Bereich unter der Überschrift „Anlegererfahrung“ auszufüllen hatte, konnte zudem nur danach unterscheiden, ob der jeweilige Anleger Erfahrungen mit geschlossenen Fonds hatte oder nicht. Eine auf den Einzelfall bezogene Eintragung, ob (und erst recht wie) er den Kunden über die Eigenschaften geschlossener Fonds im
Allgemeinen und des empfohlenen Fonds im Besonderen aufklärte, war demgegenüber nicht vorgesehen. Hierzu enthalten die Bögen nur vorformulierte Festlegungen ohne Rücksichtnahme auf den Beratungsablauf im jeweiligen Einzelfall.
aa) Ob man diesen unter „Anlegererfahrung“ abgedruckten Text überhaupt in Bezug auf die mündliche Aufklärung als „Quittung“ des Anlegers verstehen kann, erscheint – anders als bei den die Entgegennahme des Prospekts betreffenden Bestätigungen – ohnehin als zweifelhaft, weil ein bislang unerfahrener Anleger, auf den sich dieser Text bezieht, kaum in der Lage sein wird, Umfang und Qualität der Beratungsleistung zu beurteilen. Vor allem ergibt sich aus dieser Erklärung kein hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkt, wie im Einzelnen beraten worden ist. Diese Darlegung ist aber im Rahmen der sekundären Darlegungslast erforderlich (vgl. etwa BGH, Urteil vom 5. Mai 2011 – III ZR 84/10, juris, Rn. 17).
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Darüber hinaus scheint der Text aufgrund der Verwendung des Wortes „Angebotsprospekt“ zur Aufklärung des Anlegers die Verwendung auch anderer Unterlagen als den in der Textzeile über der Risikozusammenfassung (im Kasten) benannten „Hauptprospekt“ zuzulassen, weil diese abweichende Terminologie in demselben Schriftstück ansonsten keinen Sinn ergeben würde. Da damit unklar ist, welche Materialien zu Beratung verwendet worden sein sollen, ist die Erklärung zusätzlich durch die Unsicherheit belastet, dass das (unbenannte) verwendete Material von vornherein nicht zu einer vollständigen und zutreffenden Aufklärung des Anlegers geeignet gewesen sein könnte.
bb) Eine gedankliche Verbindung zwischen dem Abschnitt „Anlegererfahrung“ und der Risikozusammenfassung, die hier für Klarheit sorgen könnte, lässt sich nicht herstellen. Abgesehen davon, dass eine Identität des zur Aufklärung verwendeten Materials mit dem Hauptprospekt aufgrund der Formulierung nicht sichergestellt ist, fehlt es an einer Erklärung des Inhaltes, dass Gegenstand der „ausführlichen Aufklärung“ jene auf Seite 17 bis 27 des Hauptprospekts abgedruckte Risiken gewesen sein sollen. Gerade dies lässt der Text vielmehr offen.
cc) Auch die Textzeile „Risiken der Beteiligung…“ selbst trifft eine derartige Aussage nicht. Als Überschrift der nachfolgenden Risikozusammenfassung ist sie schon deshalb missverständlich, weil es in dem die Risikozusammenfassung umschließenden Kasten ausdrücklich heißt, es würden nachstehend „exemplarisch die wesentlichen Risiken der Beteiligung dargestellt“. Geschuldet ist jedoch eine Aufklärung über sämtliche aufklärungspflichtigen Risiken und Umstände. Selbst wenn man das Wort „wesentlich“ dahingehend verstehen will, dass damit „aufklärungspflichtig“ gemeint sein soll, erfolgt durch das Wort „exemplarisch“ sogleich eine Einschränkung, sodass auch unter Hinzuziehung der Überschrift unklar bleibt, ob nun über alle oder lediglich einige der auf den jeweiligen Seiten des Hauptprospekts abgedruckten Risiken aufgeklärt worden sein soll.
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dd) Kann schon die Risikozusammenfassung als solche eine mündliche Aufklärung nicht ersetzen, obwohl in ihr immerhin einige der bestehenden Risiken genannt und umrissen werden, muss dies erst recht für einen bloßen Verweis auf einen dort nicht abgedruckten Text aus dem Hauptprospekt gelten.
ee) Derartige pauschale Eintragungen mögen deshalb zwar eine ausreichende Erkenntnisquelle für ein einfaches Bestreiten sein, soweit ein Anleger seinerseits lediglich pauschal behauptet, über kein Risiko der Anlage aufgeklärt worden zu sein. Die Klägerin hat allerdings in ihrer Klageschrift die Risiken und Eigenschaften der im Streit stehenden Beteiligungen im Einzelnen dargelegt, darunter das Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung gemäß § 172 Abs. 4 HGB (vgl. Seite 8 ff. der Klageschrift), und behauptet, über jedes einzelne für sie zeichnungsrelevante Risiko und jede einzelne Eigenschaft nicht aufgeklärt worden zu sein. Die vorstehend genannten Eintragungen bieten der Beklagten deshalb keine ausreichende Grundlage, um diesem ins Einzelne gehenden Vorbringen mit der gebotenen Substanz entgegenzutreten.
Dementsprechend fehlt es dem Vortrag der Beklagten auch an der gebotenen Substanz. Weder erläutert sie, über welche Risiken der Handelsvertreter M. im Einzelnen aufklärte, noch welche Schwerpunkte er dabei womöglich bildete noch etwa, wie die Klägerin auf diese Ausführungen reagierte (vgl. nochmals BGH, Urteil vom 5. Februar 1987, a.a.O.).
Insbesondere ist dem Verteidigungsvorbringen eine Erkenntnisgrundlage für die Behauptung, die Klägerin sei auch über das Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung aufgeklärt worden, nicht zu entnehmen. Aus dem Beraterbogen ergeben sich nämlich keine Hinweise, dass über dieses besondere Risiko aufgeklärt wurde, weil die einzelnen Risiken und Eigenschaften, die Gegenstand der Erörterung waren, nicht – und zwar nicht einmal stichwortartig – bezeichnet sind. Es besteht auch keine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass eine – angeblich – ausführliche Beratung über geschlossene Fonds im Jahr 2007 einen Hinweis auf dieses Risiko im Allgemeinen regelmäßig einschloss. Die Beklagte sah im Jahr 2007 vielmehr offenbar selbst keinen Anlass, dieses Risiko in der Risikozusammenfassung zu erwähnen, die sie in ihren Beraterbögen abdruckte.
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e) Nach alledem ist der Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits die Annahme zugrunde zu legen, dass die Klägerin über die Risiken und Eigenschaften der streitgegenständlichen Beteiligung im Wesentlichen nicht aufgeklärt wurde. Soweit der „persönliche Beraterbogen“ (Anlage B 1) Hinweise auf diese Risiken und Eigenschaften enthielt, hätte die Klägerin die Beratungsdefizite zwar schon im Zeichnungstermin bemerken müssen. Schadensersatzansprüche, die sie auf diese Defizite stützt, sind daher gemäß § 199 Abs. 1 BGB kenntnisabhängig verjährt (vgl. Senat, Urteil vom 23. Juni 2016 – 11 U 9/16, juris Rn. 34 ff.). Das durch die Klägerin herangezogene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23. März 2017 streitet nicht für sie. Das in den Schriftsatz vom 24. Mai 2017 umfänglich über eine Seite übernommene, wörtliche Zitat lässt die wesentliche Passage, die die bisherige Rechtsprechung des Senats bestätigt und aus der sich das Gegenteil der klägerischen Rechtsmeinung ergibt, aus (vgl. BGH, Urteil vom 23. März 2017 – III ZR 93/16, juris Rn. 11 a.E.).
aa)  Verjährung ist ungeachtet dessen jedenfalls nicht in Bezug auf das Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung eingetreten. Auch darüber hätte der Handelsvertreter M. die Klägerin aufklären müssen (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2014 – III ZR 82/04, Rn. 10 f. m. w. N.). Dieses Risiko ist im „persönlichen Beraterbogen“ nicht erwähnt.
bb) Des Weiteren wird in dem Bogen nur allgemein darauf hingewiesen, dass das Risiko bestehe, dass „nicht genügend Policen zu den genannten Bedingungen erworben werden können“. Aus dem Bogen ergibt sich aber nicht, welche Nachteile dieses Risiko für den einzelnen Anleger mit sich bringt. Der Senat hat etwa in dem Berufungsverfahren 11 U 106/16 den Hinweis erteilt, dass ein Anleger, der in einen Spielefonds investiert, auch über das Risiko, dass nicht genügend Spieleprojekte gefunden werden, aufzuklären ist, wenn das nicht in Projekte investierte Kapital dann in jenem Fall der Liquiditätsreserve zugeführt werden und mithin nicht wirtschaftlich genutzt werden würde, wodurch sich die Rentabilität der Beteiligung verringern konnte. Dieses blind-pool-spezifische Risiko besteht auch im Streitfall, wie sich aus den Erläuterungen auf Seite 17 des Emissionsprospekts (Anlage K 5) ergibt.
cc) Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die Klägerin auch über kapitalmäßige und personelle Verflechtungen der Fondsgesellschaft aufzuklären war. Der Senat stellt insofern lediglich vorsorglich Folgendes klar: Zu den Umständen, über die der Anleger nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu unterrichten ist, gehört auch eine Darstellung der wesentlichen kapitalmäßigen und personellen Verflechtungen zwischen der Fondsgesellschaft, ihren Geschäftsführern und beherrschenden Gesellschaftern einerseits sowie andererseits den Unternehmen, deren Geschäftsführern und beherrschenden Gesellschaftern, in deren Hand die Beteiligungsgesellschaft die durchzuführenden Vorhaben ganz oder wesentlich gelegt hat, und insoweit auch der für diesen Personenkreis vorgesehenen und gewährten Sonderzuwendungen und -vorteile (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 2014 – III ZR 66/13, juris, Rn. 11 m.w.N.).
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Solche Verflechtungen hat die Klägerin nicht dargelegt. Die Verflechtungen zwischen der Fondsgesellschaft, ihrer Komplementärin und der Gründungsgesellschafterin begründen keinen Aufklärungsbedarf, weil sich aus ihnen keine besondere Gefährdung der Anleger ergibt. Die einzige in diesem Zusammenhang erwähnte Gesellschaft, in deren Hände die Fondsgesellschaft Teile ihres operativen Geschäfts legte, ist die TEP Two LP. Verflechtungen der Fondsgesellschaft oder mit ihr verflochtener Gesellschaften mit diesem Unternehmen legt die Klägerin nicht dar.
3. Der Senat hat von der Kausalität des Beratungsfehlers für die Anlageentscheidung der Klägerin auszugehen, denn der Beklagten ist es nicht gelungen, die zugunsten der Klägerin bestehende Vermutung beratungsrichtigen Verhaltens zu widerlegen.
a) Mit dem Schriftsatz vom 13. Februar 2017 hat die Beklagte ihren bereits erstinstanzlich gehaltenen Vortrag (sh. Klageerwiderung, Seite 4 f.; Bl. 44 f. d.A.), die Klägerin sei das Risiko „im Hinblick auf die relativ hohen Renditemöglichkeiten bewusst eingegangen“ vertieft und sich als Anhaltspunkt dafür auf den persönlichen Beraterbogen bezogen. In der Gesamtschau mit dem ebenfalls gesetzten „Abweichungskreuz“ am Ende des Dokuments zeige sich eine hohe Risikobereitschaft der Klägerin; die Behauptung der Klägerin sie habe nur eine absolut sichere Anlage gesucht, sei damit „erschüttert“.
b) Dieses Vorbringen berücksichtigt allerdings nicht, dass es nicht ausreicht, die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens lediglich zu erschüttern, weil diese zu einer vollen Umkehrung der Darlegungs – und Beweislast führt (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, juris, Rn. 28 ff.; so auch Senat, Urteil vom 23. Juni 2016 – 11 U 9/16).
c) Die Beklagte hat, gestützt auf diese Eintragungen, im Ergebnis allerdings mit der erforderlichen Substanz vorgetragen, die Klägerin sei die der Beteiligung innewohnenden Risiken bewusst eingegangen.

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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen, kann der Vortrag weiterer Einzelheiten nicht verlangt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei selbst keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen haben kann.
Genügt das Parteivorbringen den Anforderungen an die Substantiierung, so muss der Tatrichter in die Beweisaufnahme eintreten, um dort eventuell weitere Einzelheiten zu ermitteln (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2012 – IV ZR 177/11, juris Rn. 12). Der Grad der Wahrscheinlichkeit der aufgestellten Behauptung ist in diesem Rahmen ohne Belang (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2014 – VIII ZR 34/14, juris Rn. 25). Unzulässig wäre es lediglich, eine Behauptung ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ aufzustellen. Bei der Annahme eines solch missbräuchlichen Beweisantritts ist jedoch Zurückhaltung geboten, da es oftmals einer Partei nicht erspart bleiben wird, in einem Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse haben kann (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 14. März 2014 – V ZR 218/13, juris Rn. 18).
In Bezug auf diese rechtliche Problematik hat sich der Bundesgerichtshof in jüngster Zeit speziell mit der Frage auseinandergesetzt, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen einem Beweisangebot auf Vernehmung des Anlegers als Partei zu der Behauptung, die geltend gemachten Anlageberatungspflichtverletzungen seien nicht kausal für die Anlageentscheidung des Klägers gewesen, ausnahmsweise nicht nachgegangen zu werden braucht (vgl. Beschluss vom 10. Januar 2017 – XI ZR 365/14, juris Rn. 16 ff.). Schon nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats können etwa die Angaben im persönlichen Beraterbogen auf eine hohe Risikobereitschaft des Anlegers hindeuten (vgl. Senat, Urteil vom 23. Juni 2016 – 11 U 9/16, juris Rn. 64). Der Senat hat den vorgenannten Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10. Januar 2017 allerdings zum Anlass genommen, seine diesbezügliche, bis dahin eher weitgehende Rechtsprechung umzustellen und die Voraussetzungen für die Annahme eines „Ausforschungsbeweises“ nunmehr restriktiv zu handhaben.
d) Dem Beweisangebot der Beklagten, die Klägerin als Partei zu vernehmen, war deshalb nachzugehen. Der Beweisantrag, hierzu auch den Berater M. als Zeugen zu hören, war hingegen wegen Ungeeignetheit (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 2014 – III ZR 82/13, juris Rn. 17; BGH, Urteil vom 20. November 1992 – V ZR 82/91, juris Rn. 28; BGH, Urteil vom 3. Juni 2008 – VI ZR 235/07, juris Rn. 16) abzulehnen: Wie sich die Klägerin im Fall einer ordnungsgemäßen Beratung verhalten hätte, betrifft nämlich eine rein „innere“ Entscheidung, zu der ein Dritter zwangsläufig nichts sagen kann, sofern er in die der Entscheidungsfindung zugrundeliegenden Überlegungen nicht mit einbezogen worden ist. Dass dies in Bezug auf den Zeugen M. der Fall sein soll, behauptet auch die Beklagte nicht.
e) Aufgrund des Ergebnisses der durch den Senat durchgeführten Beweisaufnahme kann der Beweis für die Behauptung der Beklagten, die Klägerin hätte die streitgegenständliche Beteiligung auch dann gezeichnet, wenn sie über sämtliche aufklärungspflichtigen Risiken und Umstände ordnungsgemäß belehrt worden wäre, nicht als geführt angesehen werden.

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Zwar hat die Klägerin freimütig eingeräumt, dass sie einige der in den Schriftsätzen ihre Prozessbevollmächtigten benannten Risiken bis heute nicht verstanden habe und sich diese teilweise auch von diesen nicht näher habe erklären lassen. Die schriftsätzlich vorgetragene Behauptung, sie hätte die Beteiligung nicht gezeichnet, wenn sie über das Risiko des Blind Pools aufgeklärt worden wäre, stamme beispielsweise nicht von ihr, sondern von ihrer Prozessbevollmächtigten, weil sie mit dem Begriff „Blind Pool“ nach wie vor nichts anfangen könne.
Mag es vor diesem Hintergrund auf den ersten Blick so erscheinen, als könne damit der Kausalzusammenhang zwischen der behaupteten Pflichtverletzung und der Anlageentscheidung nicht als hinreichend substantiiert vorgetragen gelten, so können diese Umstände der Klägerin indes nicht zum Nachteil gereichen, denn die Vermutung des beratungsgerechten Verhaltens würde selbst dann für sie streiten, wenn zu dem Zusammenhang zwischen Beratungsmangel und Zeichnung nichts vorgetragen worden wäre. Im Übrigen wäre eine dahingehende Überlegung, dass die Klägerin die bestehenden Risiken überhaupt erst verstanden haben müsste, um vortragen zu können, ob und ggf. in welchem Umfang sie sie akzeptiert hätte oder nicht, von einer Fehlvorstellung geleitet, denn die Anlegermentalität kann im Einzelfall auch von der Ablehnung sämtlicher Risiken, insbesondere solcher, die sich dem Anleger nicht erschließen, geprägt sein. Gerade diese Haltung dürfte unter sicherheitsorientierten Anlegern mit wenig Interesse und Kenntnissen in Bezug auf kompliziertere Anlagegeschäfte weit verbreitet sein.
So liegt der Fall auch hier: Die Klägerin hat bekundet, sie habe sich eine „normale Anlage“ gewünscht, worunter sie verstehe, dass es einen festen Zins geben sollte und sie auf jeden Fall ihr eingezahltes Geld zurückbekomme. Die Risiken, mit denen die streitgegenständliche Beteiligung behaftet sei, habe sie bei Zeichnung nicht gekannt, weil Herr M. sie ihr nicht offenbart habe. Wäre es anders gewesen, so hätte sie ihm gesagt, dass sie die Beteiligung dann nicht eingehen wolle.
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Sie habe lediglich gehofft, mithilfe von Herrn M. einen höheren Zins als auf dem Festgeldkonto erzielen zu können, weil sein Anlagewissen von ihrem vormaligen Berater P. gepriesen worden sei und sie geglaubt habe, Herr M. habe als Berater ganz andere Möglichkeiten als ein Privatkunde, der sich an eine Bank wende. Wenn sie jedoch gewusst hätte, dass auch unter Beanspruchung seiner Beratungsleistung eine höhere Rendite nur unter Eingehung dieser höheren Risiken erzielbar war, hätte sie von diesem Produkt Abstand genommen.
Der Senat hält diese Bekundungen der Klägerin für glaubhaft. Logische Brüche, einseitige Tendenzen oder sonstige Aspekte, die auf eine rechtsfolgenorientierte Äußerung hindeuten könnten, haben sich nicht ergeben; insbesondere nicht, nachdem sie mit der Frage konfrontiert worden war, welche Risiken sie verstanden habe und wie es zu dem schriftsätzlichen Vortrag gekommen sei.
Eine derartige Haltung, wie auch die Klägerin sie sich zuschreibt, erscheint auch durchaus nachvollziehbar. Es erfordert besondere Persönlichkeitsmerkmale, um unüberlegt oder unter Zurückstellung erheblicher Bedenken auch solche Risiken einzugehen, die man zwar kennt, aber in ihrer Wirkweise nicht versteht und deshalb nicht einzuschätzen vermag. Die Klägerin hat von Beginn an nicht den Eindruck vermittelt, zu einem besonders risikobereiten Personenkreis zu gehören, sondern stets betont, welche Vorstellungen sie sich gemacht hatte.
Dazu passt insbesondere auch, dass sie im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung bekundet hat, geglaubt zu haben, es handele sich um eine „quasi festverzinsliche Geldanlage“, nachdem der Berater M. ihr die Erträge anhand einer Tabelle erläutert habe, in der die jeweiligen Ausschüttungen für die Folgejahre eingetragen gewesen seien.
Diese Tabelle, die als Anlage K3 vorgelegt worden ist, erscheint aufgrund ihrer Aufmachung in der Tat als geeignet, dem in Kapitalanlagedingen Unbedarften bei flüchtiger Betrachtung den Eindruck zu vermitteln, dass es sich um fest vorgesehene Auszahlungen handle, zumal die Überschrift der entsprechenden Spalte nicht erkennen lässt, dass es sich auch bei der Höhe der aufgeführten Ausschüttungen lediglich um eine Prognose handelt. Auf diese Weise ist für den Senat nachvollziehbar geworden, wie die Klägerin zu dem Eindruck gelangen konnte, dass es sich bei der ihr angebotenen geschlossenen Beteiligung um ein wie von ihr gewünscht kapitalerhaltendes und regelmäßige, gesicherte Renditen generierendes Produkt handeln könnte.

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III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 und 2 ZPO.
2. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.

bb) Diese Rechtsprechung ist indes gerade nicht einschlägig, wenn den Anspruchsgegner – wie hier – nicht eine sekundäre Darlegungslast im üblichen Sinne trifft, sondern der Anspruchsteller eine negative Tatsache behauptet hat und der Anspruchsgegner, der diese Behauptung nicht hinnehmen möchte, deshalb das Positivum darlegen muss. Das Nichtvorliegen einer – negativen – Tatsache zu bestreiten, ist dem Anspruchsgegner nur in prozessual beachtlicher Weise möglich, wenn er aus eigener Kenntnis oder aufgrund von Nachforschungen positiv behaupten kann, dass die Tatsache eingetreten ist (vgl. nochmals BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011, a.a.O.).

Ist er dazu – aus welchen Gründen auch immer – nicht in der Lage, trifft ihn die gleiche prozessuale Folge, die sonst einen Anspruchsteller trifft, der nicht alle Tatbestandsmerkmale des einschlägigen Anspruchstatbestandes darlegen kann: Sein Vortrag wird als unschlüssig bzw. unerheblich behandelt. Zu seinem Nachteil ist dann davon auszugehen, dass die darzulegende – positive – Tatsache nicht vorliegt (mittlerweile ständige Senatsrechtsprechung, vgl. unter anderem Urteile vom 22. September 2016 – 11 U 13/16, juris, Rn. 29 ff. sowie 11 U 73/16, Seite 8, n.V.).

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