OLG Düsseldorf I-3 Wx 1417/13

September 13, 2017
OLG Düsseldorf I-3 Wx 1417/13 Erbscheinserteilungsverfahren: Abgrenzung von Erbeinsetzung und Vermächtnis in einem privatschriftlichen Testament; Widerruf der letztwilligen Verfügung durch Vernichtung auf Geheiß des Erblassers
Leitsatz
1. Zur Abgrenzung von Erbeinsetzung und Vermächtnis bei der Zuwendung eines einzelnen Vermögensgegenstandes.
2. Zum Widerruf eines Testaments im Wege der Vernichtung durch einen Dritten auf Geheiß des Erblassers.
OLG Düsseldorf I-3 Wx 1417/13
1. Auch wenn das Vermögen einer Erblasserin im wesentlichen aus einem Hausgrundstück besteht, stellt dessen Zuwendung an einen von mehreren Abkömmlingen in einem handschriftliches Testament keine Erbeinsetzung sondern ein Vermächtnis dar, wenn die Erblasserin die Zuwendung dahin formuliert hat, sie “vermache” einem ihrer Söhne das betreffende Grundstück. Zwar kann die Zuwendung eines Gegenstandes, namentlich einer Immobilie, wie dem Hausgrundstück des Erblassers, Erbeinsetzung sein, wenn entweder der Nachlass dadurch erschöpft wird oder wenn sein objektiver Wert das übrigen Vermögen an Wert so erheblich übertrifft, dass der Erblasser ihn offensichtlich als seinen wesentlichen Nachlass angesehen hat. Auszugehen ist aber von den Vorstellungen des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung über die voraussichtliche Zusammensetzung seines Nachlasses und den Wert der in diesen fallenden Gegenstände. Nach den zur Zeit der Testamentserrichtung vorliegenden Gegebenheiten kann weder davon ausgegangen werden, dass der Nachlass durch die Zuwendung des Hausgrundstücks an einen von mehreren Söhnen erschöpft worden ist noch, dass der objektive Wert des Grundstücks das übrige Vermögen der Erblasserin an Wert so erheblich übertroffen hat, dass sie es offensichtlich als ihren wesentlichen Nachlass angesehen hat.
2. Das privatschriftliche Testament der Erblasserin, das nur noch in einer Ablichtung vorhanden ist, steht wegen der nicht erfolgten (Allein-)Erbeinsetzung einer Erteilung eines Erbscheins für die Abkömmlinge zu gleichen Teilen nicht entgegen, auch wenn das Original auf Anweisung der Erblasserin in deren Abwesenheit (hier: durch einen der Söhne) zerrissen worden ist. Da die Erblasserin das Testament nicht persönlich vernichtet hat, bedürfte es – soweit man nicht überhaupt, wie das Amtsgericht, befürwortet, dass die Vernichtung durch einen Dritten in Gegenwart der Erblasserin zu erfolgen hat – jedenfalls der Vernichtung auf Geheiß der Erblasserin durch ein als unselbständiges, weil nicht mit eigenem Entscheidungsspielraum ausgestattetes, „Werkzeug“. Jedoch löst allein ein auf Vernichtung gerichteter Wille des Erblasser die Widerrufsfolge nach § 2255 BGB nicht aus. Dafür, dass die Erblasserin ihren angeblich gefassten Vernichtungswillen umgesetzt hat, besteht kein Anhalt, denn das Vorbringen eines der Abkömmlinge zu Umständen und Ausführung einer Vernichtungsanweisung der Erblasserin erscheint uneinheitlich und widersprüchlich.
 
Tenor OLG Düsseldorf I-3 Wx 1417/13
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Das Amtsgericht Mönchengladbach – Nachlassgericht – wird angewiesen, den auf der Annahme gesetzlicher Erbfolge basierenden Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 nicht mit der Begründung abzulehnen, dem stehe eine Einsetzung des Beteiligte zu 3 zum Alleinerben im Testament vom 13. Januar 2009 entgegen.
Dem Beteiligten zu 2 wird auf seinen Antrag vom 29. Januar 2013 für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Maus in Mönchengladbach nach einem Wert bis zu 50.000,- Euro bewilligt.
Raten sind nicht zu entrichten.
Gründe OLG Düsseldorf I-3 Wx 1417/13
I.
Die Beteiligten sind die Söhne der am 05. Februar 2010 verstorbenen Erblasserin.
Die Erblasserin verfasste ein – vollständig nur noch als Ablichtung existierendes – handschriftliches Testament vom 13. Januar 2009, das u. A. wie folgt lautet:
„… Hiermit vermache ich … meinem Sohn P… das alte Wohnhaus – mit Grundstück und zwei Garagen im Lageplan A unter 1 links der Punkte 1, 2, 3 im Grundbuch vom Mönchengladbach – …“
Der Beteiligte zu 1 hat zu Urk.-R-Nr. 608/2010 des Notars Dr. F. in Friedrichshafen vom 27. Mai 2010 einen Erbschein beantragt, wonach seine Brüder und er die Erblasserin zu je 1/3 Anteil auf der Grundlage gesetzlicher Erbfolge beerbt haben.
Der Beteiligte zu 3 ist dem entgegen getreten, hat Zurückweisung des Erbscheinsantrages beantragt und hat geltend gemacht, der Beteiligte zu 1 habe das handschriftliche Testament der Mutter vom 13. Januar 2009, von dem er eine Ablichtung vorlege, im November 2009 zusammen mit einem noch älteren Testament der Erblasserin vom 01. März 2007 eigenmächtig zerrissen. Gesetzliche Erbfolge sei demnach nicht eingetreten, er, der Beteiligte zu 3, habe vielmehr nach dem maßgeblichen Testament „einen Teil des Grundbesitzes, und zwar das alte Wohnhaus mit Grundstück und zwei Garagen allein erhalten“, mithin Erbe sein sollen.

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Die Beteiligten zu 1 und 2 haben geltend gemacht, die Erblasserin habe im März 2009 den Entschluss gefasst, alle bis dahin getroffenen letztwilligen Verfügungen zu vernichten, es sei damals ihr Wille gewesen, dass alle Brüder zu gleichen Teilen erben sollten.
Das Amtsgericht – Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 02. Januar 2013 den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag des Beteiligten zu 1 auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins zu gleichen Teilen sei abzulehnen, da die gesetzliche Erbfolge keine Anwendung finde. Die Erblasserin habe nämlich am 13. Januar 2009 ein handschriftliches Testament erstellt, nach dem der Beteiligte zu 3 das Hausgrundstück erhalten solle. Da das Grundstück den wesentlichen Wert des Nachlasses darstelle, sei der Beteiligte zu 3 nach diesem Testament Alleinerbe geworden. Das Testament sei auch nicht nach § 2254 ff. BGB, insbesondere nicht durch Vernichtung im Sinne von § 2255 BGB, wirksam widerrufen worden. Das Testament sei zwar – von wem der Beteiligten könne offen bleiben – im November 2009 zerrissen worden, fest stehe aber jedenfalls, dass nicht die Erblasserin selbst das Testament vernichtet habe. Es reiche nicht aus, wenn die Erblasserin, wie die Beteiligten zu 1 und 2 behaupten, sich im März 2009 dahin geäußert habe, das Testament von Januar 2009 solle zerrissen werden. Entscheidend sei, dass der bei der Vernichtung tätige Dritte als Werkzeug des Erblassers handeln müsse, weil der Widerruf des Testaments auch nach § 2255 BGB eine letztwillige Verfügung darstelle, die der testierfähige Erblasser nach § 2064 BGB nur höchstpersönlich vornehmen könne. Eines Werkzeuges könne er sich zwar bedienen. Analog zur Täterschaft im Strafrecht handele aber als Werkzeug nur, wer unter der Tatherrschaft des Erblassers stehe, so dass der Erblasser die Widerrufshandlung als letztwillige Verfügung – wenn auch durch die Hand eines Dritten – selbst vornehme. Dies könne nicht der Fall sein, wenn die Vernichtungshandlung in Abwesenheit des Erblassers erfolgt, weil hier von einer Beherrschung der Testamentsvernichtung durch den Erblasser und damit von einer letztwilligen Verfügung des Erblassers nicht die Rede sein könne.
Die Voraussetzung des persönlichen Handelns der Erblasserin sei somit nicht erfüllt, weil sie zum Zeitpunkt der Vernichtung des Testaments im November 2009 nicht zugegen gewesen sei.
Ferner müsse zum Zeitpunkt der Vernichtungshandlung die Testierfähigkeit des Erblassers gegeben sein. Die Erblasserin sei indes im November 2009 bereits testierunfähig gewesen, weshalb die Vernichtung des Testaments im November 2009 somit nicht mehr vom Willen der Erblasserin im rechtlichen Sinne gedeckt sei und ein wirksamer Widerruf des Testaments nicht vorliege.
Nach dem Testament seien jedoch die Beteiligten nicht zu gleichen Teilen Erben geworden, vielmehr sei der Beteiligte zu 3 Alleinerbe des Nachlasses.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1, mit der er geltend macht, entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sei das privatschriftliche Testament vom 13. Januar 2009 durch Vernichtung gemäß § 2255 BGB wirksam widerrufen worden. Voraussetzung hierfür sei nicht, dass dies in Gegenwart des Erblassers geschehen sei; es müsse vielmehr ausreichen, wenn das Testament aufgrund einer eindeutigen Willenserklärung des Erblassers vernichtet wird.

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Der Aufhebungswille der Erblasserin ergebe sich aus folgendem Geschehensablauf:
Am 18. November 2009 habe er, gemeinsam mit dem Beteiligen zu 2, die Erblasserin im Pflegeheim aufgesucht. Dort habe sie erklärt, das Testament solle vernichtet, nicht verbrannt, sondern in drei Teile zerrissen werden. Der Beteiligte zu 1 solle den Beteiligten zu 3 aufsuchen, damit dieser das Testament in drei Teile zerreiße; anschließend solle der Beteiligte zu 3 jedem Bruder einen Teil aushändigen; einen Teil solle er, der Beteiligte zu 1, der Erblasserin ins Krankenhaus bringen und zeigen, einen weiteren Teil sollten jeweils die Beteiligten zu 2 und 3 erhalten.
Ein Widerruf scheide nicht deshalb aus, weil die Erblasserin am Tage der Vernichtung geschäftsunfähig gewesen sei; zu Errichtung oder Widerruf eines Testamentes sei Geschäftsfähigkeit nicht erforderlich; fehlende Geschäftsfähigkeit belege überdies nicht die Testierunfähigkeit, die sich allein nach § 2229 Abs. 4 BGB richte und nicht aus dem Umstand der Betreuung folge.
Die Vernichtungshandlung habe sich am 18. November 2009 vollzogen. Er habe den Beteiligten zu 2 nach dem Besuch bei der Erblasserin im Pflegeheim nach Hause gebracht, sei sodann zu dem Beteiligten zu 3 gefahren und habe ihn entsprechend den Anweisungen der Erblasserin aufgefordert, das Testament in drei Teile zu zerreißen und ihm, dem Beteiligten zu 1, zwei Teile auszuhändigen; der Beteiligte zu 3 habe ihm das Testament gezeigt und es sodann gemäß der Aufforderung zerrissen; die entsprechenden Erklärungen und das Geräusch des Zerreißens habe der Beteiligte zu 2 über Telefon wahrgenommen. Später habe er, der Beteiligte zu 1, dem Beteiligten zu 2 ein Drittel des zerrissenen Testaments überbracht; die Handelnden seien nur als Werkzeuge der Erblasserin ohne eigenen Entscheidungsspielraum tätig geworden. Überdies zeige sich der Vernichtungswille der Erblasserin bereits in ihrer Erklärung vom 08. März 2009.
Zu Unrecht gehe das Nachlassgericht auch davon aus, dass das Testament unstreitig wirksam sei; es gehe nicht auf den wirklichen Willen der Erblasserin zurück; der Beteiligte zu 3 habe sie vielmehr „zur Abgabe des Testamentes gedrängt“; das Testament weise auch bezüglich des Schriftbildes Unterschiede auf; in diesem Zusammenhang werde die Einholung eines graphologischen Gutachtens angeregt.
Schließlich handele es sich bei der Zuwendung des Grundstücks, das nicht den wesentlichen Teil des Vermögens der Erblasserin dargestellt habe, nicht um eine Erbeinsetzung, sondern um ein Vermächtnis.
Der Beteiligte zu 2 schließt sich dem Rechtsmittel an.
Der Beteiligte zu 3 bittet um Zurückweisung der Beschwerde und macht geltend, auf der Basis des überwiegend unstreitigen Sachverhalts sei ein Widerruf nicht erfolgt.
Das Amtsgericht hat am 25. Juli 2013 die Nichtabhilfe beschlossen, die Akte dem Senat vorgelegt und ausgeführt, die Beschwerdebegründung ergebe keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit des handschriftlichen Testaments der Erblasserin vom 13. Januar 2009. Zweifel an der Echtheit des Schriftstücks griffen nicht durch.

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Ein wirksamer Widerruf des Testaments durch die Erblasserin liege nicht vor, da die Widerrufserklärung der Erblasserin – insoweit werde der Sachvortrag der Beteiligten zu 1 und 2 als richtig unterstellt – am 08. März 2009, die Vernichtung des Testaments dagegen erst 8 Monate später im November 2009 erfolgt sei. Zu diesem Zeitpunkt habe jedoch ein freier rechtsgeschäftlicher Wille der Erblasserin nicht mehr vorgelegen. Der behandelnde Hausarzt der Erblasserin Dr. R. in Mönchengladbach habe in seinem Attest vom 09. September 2006 (richtig 2009) eine cerebrale Durchblutungsstörung bei der Erblasserin festgestellt, die es ihr unmöglich gemacht habe, fundierte Entscheidungen im Bereich des täglichen Lebens und der Gesundheit zu treffen. Wenn die Erblasserin aber schon nicht mehr Entscheidungen des täglichen Lebens selbständig und verantwortlich habe treffen können, so sei sie erst recht nicht mehr in der Lage gewesen, einen freien Willen über die Frage des Widerrufs des Testaments zu bilden. Zum Zeitpunkt der Vernichtungshandlung, und auf diesen Zeitpunkt komme es an, habe die notwendige Willensbildung der Erblasserin daher nicht mehr vorgelegen.
Bei der Zuwendung des Hausgrundstücks, Mönchengladbach an den Beteiligten zu 3 handele es sich um eine Erbeinsetzung und nicht um ein Vermächtnis.
Das Hausgrundstück nebst Garten und Garagen stelle den wesentlichen Teil des Vermögens der Erblasserin dar, demnach, wie regelmäßig in diesen Fällen, eine Erbeinsetzung. Auch die Erblasserin sei in ihrem Testament davon ausgegangen, dass das dem Beteiligten zu 3 zugewandte Hausgrundstück ihr wesentliches Vermögen ausmache, da sie das restliche Vermögen nicht für erwähnenswert gehalten habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1.
Die gemäß §§ 38, 58 Abs. 1, 59 Abs. 2, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 1 hat mit dem aus dem Beschlusseingang ersichtlichen Ergebnis in der Sache Erfolg.
2.
a)
Das Nachlassgericht hat dem Erben auf Antrag ein Zeugnis über sein Erbrecht und, wenn er nur zu einem Teil der Erbschaft berufen ist, über die Größe des Erbteils zu erteilen, § 2353 BGB. Der Erbschein bezeugt demnach das Erbrecht zur Zeit des Erbfalles (Palandt-Weidlich, BGB 72. Auflage 2013, § 2353 Rdz. 2). Der Erbschein ist nur zu erteilen, wenn das Nachlassgericht die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet, § 2359 BGB.
b)
Mit Erfolg wendet sich der Beteiligte zu 1 gegen die Ablehnung des von ihm nach dem Ableben der Erblasserin beantragten Erbscheins, der für ihn und seine Brüder, die Beteiligten zu 2 und 3, auf der Basis gesetzlicher Erbfolge einen Erbanteil von je 1/3 ausweisen soll. Denn das Nachlassgericht hat zu Unrecht angenommen, die gesetzliche Erbfolge scheide aus, weil sich die Erbfolge nach dem privatschriftlichen Testament der Erblasserin vom 13. Januar 2009 richte, wonach der Beteiligte zu 3 Alleinerbe geworden sei.
c)
Das Testament vom 13. Januar 2009 kann der gesetzlichen Erbfolge nur entgegen stehen bzw. dieselbe ausschließen, wenn es eine Erbeinsetzung zugunsten des Beteiligten zu 3 enthält, die zum Zeitpunkt der Errichtung nicht testierunfähige Erblasserin es selbst geschrieben und unterschrieben und sie das Testament nicht gemäß § 2255 BGB wirksam widerrufen hat, indem sie es entweder selbst vernichtet hat oder es auf ihre (wirksame) Anweisung hin durch einen Dritten vernichtet worden ist.
aa)

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Hier fehlt es bereits an einer Erbeinsetzung des Beteiligten zu 3. Bei der Zuwendung des Hausgrundstücks nebst Garagen handelt es sich nämlich – entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts – um ein Vermächtnis, §§ 1939, 2087 Abs. 2 BGB.
Hierfür spricht zunächst der Wortlaut der letztwilligen Verfügung vom 13. Januar 2009 („… Hiermit vermache ich … meinem Sohn P… das alte Wohnhaus- mit Grundstück und zwei Garagen im Lageplan A unter 1 links der Punkte 1, 2 3 im Grundbuch vom Mönchengladbach – …“).
Zwar kommt es nicht allein auf den Wortlaut, sondern den sich nach Auslegung ergebenden Sinn an. So kann die Zuwendung eines Gegenstandes, namentlich einer Immobilie, wie dem Hausgrundstück des Erblassers, Erbeinsetzung sein, wenn entweder der Nachlass dadurch erschöpft wird oder wenn sein objektiver Wert das übrigen Vermögen an Wert so erheblich übertrifft, dass der Erblasser ihn offensichtlich als seinen wesentlichen Nachlass angesehen hat (Palandt-Weidlich, BGB 72. Auflage 2013 § 2087 Rdz. 5). Auszugehen ist von den Vorstellungen des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung über die voraussichtliche Zusammensetzung seines Nachlasses und den Wert der in diesen fallenden Gegenstände (Palandt-Weidlich,a.a.O. Rdz. 7 mit Nachweisen).
Nach den zur Zeit der Testamentserrichtung vorliegenden Gegebenheiten kann weder davon ausgegangen werden, dass der Nachlass durch die Zuwendung des Hausgrundstücks an den Beteiligten zu 3 erschöpft worden ist noch, dass der objektive Wert des Grundstücks das übrige Vermögen die Erblasserin an Wert so erheblich übertroffen hat, dass sie es offensichtlich als ihren wesentlichen Nachlass angesehen hat.
Zum Einen verkörperte auch das übrige Grundvermögen, nämlich das etwa 250 qm große bebaubare Flurstück 294, einen geschätzten Wert von mindestens etwa 50.000,- Euro und betrug das Barvermögen etwa 30.000,- Euro, was insgesamt im Verhältnis zu dem mit einem älteren Gebäude bebauten Hausgrundstück einen erheblichen und damit nicht zu vernachlässigenden Vermögenswert darstellt, zum Anderen spricht nichts dafür, dass die Erblasserin das Hausgrundstück offensichtlich als ihren wesentlichen Nachlass angesehen hat. Denn sie hat den Beteiligten zu 3 nicht auf ihr gesamtes Grundvermögen, geschweige denn auf ihr gesamtes Vermögen eingesetzt, sondern – so interpretiert auch der Beteiligte zu 3 selbst die letztwillige Verfügung – nur auf den mit dem Haus und zwei Garagen bebauten Teil. Dass sie auch dem übrigen Teil ihres Grundbesitzes einen nicht zu vernachlässigenden Wert beimaß, zeigt die mit Kosten verbundene Neuvermessung des Grundbesitzes im Jahre 2009. Ist dem Bedachten aber nur ein einzelner Gegenstand zugewendet, so ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass er Erbe sein soll (§ 2087 Abs. 2 BGB).
bb)
Bei nicht erfolgter Erbeinsetzung des Beteiligten zu 3 im Testament vom 13. Januar 2009 steht dasselbe dem von dem Beteiligten zu 1 beanspruchten Erbschein auf der Basis gesetzlicher Erbfolge nicht entgegen, weshalb dahinstehen kann, ob das Testament die übrigen Voraussetzungen erfüllt, insbesondere ob die Erblasserin das den Beteiligten zu 3 begünstigende Testament später im Original hat vernichten lassen und dadurch gemäß § 2255 BGB wirksam widerrufen hat.
(a)

OLG Düsseldorf I-3 Wx 1417/13

Für Letzteres spricht im Übrigen nichts. Da die Erblasserin das Testament nicht persönlich vernichtet hat, bedürfte es – soweit man nicht überhaupt, wie das Amtsgericht, befürwortet, dass die Vernichtung durch einen Dritten in Gegenwart der Erblasserin zu erfolgen hat (so mit beachtlichen Gründen Staudinger-Baumann, BGB – Neubearbeitung 2012 § 2255 Rdn. 22 f.) – jedenfalls der Vernichtung auf Geheiß der Erblasserin durch ein als unselbständiges, weil nicht mit eigenem Entscheidungsspielraum ausgestattetes, „Werkzeug“ (vgl. OLG München NJW-RR 2011, 945; OLG Hamm NJW-RR 2002, 222, 223; Hagena in Münchener Kommentar zum BGB 6. Auflage 2013 § 2255 Rn. 13; Litzenburger in BeckOK BGB Stand: 01.02.2014 § 2255 Rn 6).
Soweit die Beteiligten zu 1 und 2 geltend machen, die Erblasserin habe im März 2009 den Entschluss gefasst, alle bis dahin getroffenen letztwilligen Verfügungen zu vernichten, es sei damals ihr Wille gewesen, dass alle Brüder zu gleichen Teilen erben sollten, mag dies sein. Ein auf Vernichtung gerichteter Wille des Erblassers löst indes die Widerrufsfolge nach § 2255 BGB allein nicht aus. Dafür, dass die Erblasserin ihren angeblich im März 2009 gefassten Vernichtungswillen umgesetzt hat, besteht kein Anhalt.
Das Vorbringen des Beteiligten zu 1 zu Umständen und Ausführung einer Vernichtungsanweisung der Erblasserin im November 2009 erscheint uneinheitlich und widersprüchlich.
In der „Erklärung und Versicherung“ vom 31. August bzw. 06.September 2010 führen die Beteiligten zu 1 und 2 u. A. aus, die Erblasserin habe das Testament vor allen Söhnen zerreißen wollen, da der Beteiligte zu 2 aber krank gewesen sei, habe es der Beteiligte zu 3 zerreißen sollen. Am 18. November 2009 sei der Beteiligte zu 1 am Morgen im Seniorenheim gewesen; er habe den Beteiligten zu 2 von dort aus angerufen; die Mutter habe diesem am Telefon gesagt, dass das Testament ungültig gemacht werden solle; der Beteiligte zu 3 solle es zerreißen, der Beteiligte zu 1 solle dies als ältester Sohn überwachen und ihr berichten; der Beteiligte zu 2 solle ihr das zerrissene Testament ins Heim bringen und zeigen. Da der Beteiligte zu 2 damals schlecht habe gehen können, habe der Beteiligte zu 1 den Beteiligten zu 3 am Abend allein auf der … getroffen und dort auch übernachtet; am Abend habe der Beteiligte zu 1, der neben dem Beteiligten zu 3 gesessen habe, den Beteiligten zu 2 angerufen, und man habe vereinbart, dass der Beteiligte zu 3 jetzt das Testament in drei Teile zerreißen solle. Der Beteiligte zu 3 habe dies getan und zwei Teile dem Beteiligten zu 1 übergeben; dies habe der Beteiligte zu 2 am Telefon hören können. Am nächsten Tag habe der Beteiligte zu 1 zwei zerrissene Teile des Testaments zuerst zum Beteiligten zu 2 und sodann zur Erblasserin gebracht.
In der Beschwerdeschrift vom 29. Januar 2013 (S. 4) ist ausgeführt, am 18. November 2009 habe der Beteiligte zu 1, gemeinsam mit dem Beteiligen zu 2, die Erblasserin im Pflegeheim aufgesucht. Dort habe sie gegenüber den Beteiligten zu 1 und 2 erklärt, das Testament solle vernichtet, nicht verbrannt, sondern in drei Teile zerrissen werden. Der Beteiligte zu 1 solle den Beteiligten zu 3 aufsuchen, damit dieser das Testament in drei Teile zerreiße; anschließend solle der Beteiligte zu 3 jedem Bruder einen Teil aushändigen; einen Teil solle er, der Beteiligte zu 1, ihr ins Krankenhaus bringen und zeigen, einen weiteren Teil sollten jeweils die Beteiligten zu 2 und 3 erhalten.

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Laut Seite 6 der Beschwerdeschrift habe sich die Vernichtungshandlung am 18. November 2009 wie folgt vollzogen: Der Beteiligte zu 1 habe den Beteiligten zu 2 nach dem Besuch bei der Erblasserin im Pflegeheim nach Hause gebracht. Im Anschluss daran sei der Beteiligte zu 1 zum Beteiligten zu 3 gefahren. Der Beteiligte zu 1 habe dann entsprechend den Anweisungen der Erblasserin den Beteiligten zu 3 aufgefordert, das Testament in drei Teile zu zerreißen und ihm, dem Beteiligte zu 1 zu 1, zwei Teile auszuhändigen. Der Beteiligte zu 3 habe das Testament vom 13. Januar 2009 dem Beteiligten zu 1 gezeigt. Der Beteiligte zu 3 sei sodann der Aufforderung nachgekommen und habe das Testament zerrissen. Die entsprechenden Erklärungen dabei und das Geräusch des Zerreißens habe der Beteiligte zu 2 über Telefon wahrgenommen. Später habe der Beteiligte zu 1 dem Beteiligten zu 2 ein Drittel des zerrissenen Testaments überbracht.
Mit Schriftsatz vom 01. August 2011 hatten die Beteiligten zu 1 und 2 vortragen lassen, dass der Beteiligte zu 3 erst auf neuerliche Anfrage seines Bruders Mitte November 2009 das Testament tatsächlich vernichtet habe, sei Ausfluss des Willens der Erblasserin, den diese im März 2009 geäußert habe.
Durch diesen – insbesondere hinsichtlich einer Vernichtungsanordnung der Erblasserin, der Anwesenheit des Beteiligten zu 2 und eines der Erblasserin zu zeigenden Teiles des Testaments – uneinheitlichen Vortrag ist nicht dargetan, dass sich die Erblasserin zur Vernichtung des fraglichen Testaments zum maßgeblichen Zeitpunkt eines „Werkzeugs“ ohne eigenen Entscheidungsspielraum bedient hat, indem sie einem der Beteiligten, namentlich dem Beteiligten zu 3 eine strikte Vernichtungsanweisung erteilt hat.
Dies gilt umso mehr als der Beteiligte zu 3 hat bei seiner polizeilichen Vernehmung am 01. April 2010 erklärt hat, es sei der Beteiligte zu 1 gewesen, der das Testament zerrissen habe, weil er den Inhalt nicht für korrekt befunden und gemutmaßt habe, er, der Beteiligte zu 3, könne denselben beeinflusst haben.
(b)
(aa)
Hinzu kommt, dass – eine Vernichtungsanweisung im Rechtssinne unterstellt – diese letztlich gleichwohl unwirksam wäre. Denn auch ein in der Form des § 2255 Satz 1 BGB, also dadurch, dass der Erblasser die Testamentsurkunde vernichtet hat, vorgenommener Widerruf, ist unwirksam, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt der Vernichtung der Testamentsurkunde im Sinne des § 2229 Abs. 4 BGB nicht testierfähig war (OLG Hamm, NJW-RR 2002, 222, 223; vgl. auch BGH NJW 1951, 559).

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(bb)
Der Erblasserin ermangelte es indes zum maßgeblichen Zeitpunkt am 18. November 2009 der Testierfähigkeit. Gegen ihre Testierfähigkeit spricht zum Einen die Bescheinigung des Hausarztes der Erblasserin, des Internisten Dr. R., vom 09. September 2009 („ Aufgrund der cerebralen Durchblutungsstörung ist es zu einer deutlichen Beeinträchtigung des Urteilsvermögens gekommen. Die Patientin ist nicht in der Lage selbständig fundiert für sich Entscheidungen im Bereich des alltäglichen Lebens und der Gesundheitsbetreuung zutreffen.“).
Dies wird durch das Beschwerdevorbringen substantiell nicht in Frage gestellt. Bei fehlender Geschäftsfähigkeit, die auch der Beschwerdeführer für möglich hält, ist aber prinzipiell fehlende Testierfähigkeit anzunehmen. Für eine Ausnahme des Falles eines luziden Intervalls besteht weder nach dem Vorbringen des Beteiligten zu 1 noch sonst Anhalt. Dieser kann sich für den fraglichen Zeitpunkt auch nicht aus einer Einsichtnahme in die Betreuungsakten ergeben. Hinzu kommt, dass der Beteiligte zu 3 beim Amtsgericht Mönchengladbach am 04. August 2010 angegeben hat, zu einem Schenkungsvertrag nach dem notariellen Entwurf vom 07. August 2009 sei es nicht gekommen, weil die zuständige Ärztin Dr. L. in der H. Waldklinik die Testierfähigkeit der Erblasserin ausgeschlossen habe. Die Beteiligten zu 1 und 2 stellen dies nicht in Abrede.
Hiernach hat das Amtsgericht – Nachlassgericht – dem Beteiligten zu 1 den nachgesuchten Erbschein auf der Basis gesetzlicher Erbfolge zu Unrecht mit Blick auf eine in dem Testament der Erblasserin vom 13. Januar 2009 enthaltene Erbeinsetzung zugunsten des Beteiligten zu 3 versagt und ist die angefochtene Entscheidung entsprechend zu ändern.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gerichtskosten für das erfolgreiche Rechtsmittel fallen nicht an, § 131 Abs. 3 und 7 KostO. Den Beteiligten zu 3 mit einer Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten zu belasten, entspräche nicht billigem Ermessen, § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG; ein Fall des § 81 Abs. 2 FamFG liegt nicht vor.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG sind nicht gegeben; die entscheidungstragenden Erwägungen des Beschwerdegerichts betreffen allein den konkreten Einzelfall.
Mangels Kostenentscheidung bedarf es auch keiner Wertfestsetzung von Amts wegen.

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