OLG Frankfurt 21 W 104/22

Juni 20, 2023

OLG Frankfurt 21 W 104/22 Eine an den Erhalt des Pflichtteils anknüpfende Pflichtteilsstrafklausel setzt einen Mittelabfluss voraus

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stadt1 vom 02.05.2022 wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beteiligten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner, die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 3) zu gleichen Teilen. Im Übrigen werden außergerichtliche Kosten im Beschwerdeverfahren nicht erstattet.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 750.000 Euro festgesetzt.

Gründe OLG Frankfurt 21 W 104/22

I.

Die am XX.XX.2020 verstorbene Erblasserin war mit dem vorverstorbenen Vorname1 X verheiratet. Die Beteiligte zu 1) ist ihre Tochter aus einer früheren Ehe. Die Beteiligten zu 2) und 3) sind die Töchter des Vorname1 X aus früheren Ehen.

Am 17.07.2002 errichteten die Eheleute ein privatschriftliches gemeinschaftliches Testament (Bl. 4 d.TA.), in dessen Ziffer 1 sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. In Ziffer 2 des Testaments verfügten sie Folgendes:

„Wir gehen davon aus, dass unsere Kinder keinen Anspruch auf einen Pflichtteil nach dem Tod des erstverstorbenen Elternteils erheben. Nach dem Tod des überlebenden Partners wird das Vermögen unter den Kindern Vorname2, Vorname3 und Vorname4 zu gleichen Teilen aufgeteilt. Ausgenommen ist dabei das Kind, das einen Pflichtteil beansprucht und erhalten hat.“

Mit notarieller Urkunde vom 23.03.2021 (Bl. 3 d.A.) hat die Beteiligte zu 1) einen Erbschein beantragt, der sie und die Beteiligte zu 2) als Erbinnen je zu 1/2 ausweist. Hierfür hat sie sich auf das gemeinschaftliche Testament vom 17.07.2002 gestützt und die Auffassung vertreten, dass die Beteiligte zu 3) wegen Geltendmachung ihres Pflichtteils nach dem Versterben ihres Vaters nicht Erbin der Erblasserin geworden sei.

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Diesem Erbscheinsantrag ist die Beteiligte zu 3) mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 07.07.2021 (Bl. 19 d.A.) entgegengetreten. Gleichzeitig hat sie einen gemeinschaftlichen Erbschein beantragt, der sie und die Beteiligten zu 1) und 2) als Erbinnen zu gleichen Teilen ausweist.

Zur Begründung hat sie angeführt, dass die Pflichtteilsstrafklausel von ihr nicht verwirkt worden und sie daher Miterbin geworden sei. Zwar habe sie nach dem Tod ihres Vaters gegenüber der Erblasserin erklärt, den Pflichtteil geltend machen zu wollen und Auskunft über den Bestand des Nachlasses verlangt. Auch habe die Erblasserin unter dem 04.02.2007 ein Bestandsverzeichnis vorgelegt. In diesem Verzeichnis seien die zum Nachlass gehörenden Immobilien jedoch lediglich mit 216.577,50 Euro in Ansatz gebracht worden, zudem seien zahlreiche Passiva mit Privatdarlehen aufgeführt gewesen, deren Bestehen zweifelhaft gewesen sei.

Um Streit mit der Erblasserin zu vermeiden und weil die Beteiligte zu 3) sich seinerzeit in der Examensvorbereitung befunden habe, habe sie darauf verzichtet, den Zweifelsfragen im Einzelnen nachzugehen und weitere Auskunfts- und Zahlungsansprüche zu verfolgen. Sie habe keinerlei Zahlungen erhalten. Insbesondere habe sie keinen Pflichtteil erhalten.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 02.05.2022 (Bl. 87 d.A.) hat das Nachlassgericht die zur Erteilung des von der Beteiligten zu 3) am 07.07.2021 beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) und 2) zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Kern ausgeführt, dass die Beteiligten Erbinnen aufgrund testamentarischer Erbfolge zu je 1/3 geworden seien. Die Beteiligte zu 3) sei berechtigt, ihr Erbrecht geltend zu machen.

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Sie sei nicht von der Schlusserbfolge ausgeschlossen, da sie die Sanktionswirkung der Pflichtteilsstrafklausel nicht ausgelöst habe. Die Beteiligte zu 3) habe am 30.01.2007 eine Nachricht an die Erblasserin gesandt, wonach sie ihre mündliche Aussage, ihren Pflichtteil geltend machen zu wollen, bestätigt habe. Zu diesem Zeitpunkt habe die Beteiligte zu 3) noch keine Kenntnis vom konkreten Umfang des Nachlasses gehabt.

Nach Erteilung eines Nachlassverzeichnisses seien keine Auskunfts- oder Zahlungsaufforderungen seitens der Beteiligten zu 3) erfolgt. Vielmehr habe diese erklärt, ihren Pflichtteilsanspruch nicht geltend machen zu wollen. In der Erklärung vom 30.01.2007 sei bereits kein ernsthaftes Verlangen, den Pflichtteil zu beanspruchen, zu sehen. Vielmehr handele es sich um eine bloße Absichtserklärung, die von der Sanktionsbewährung der testamentarischen Klausel nicht erfasst sei.

Dies gelte umso mehr, als die Eheleute im Testament zusätzlich den Erhalt des Pflichtteils als Voraussetzung für die Strafbewährung bestimmt hätten. Auf den Umstand, dass der Nachlass ausweislich des Verzeichnisses vom 04.02.2007 negativ gewesen sein soll, komme es schon nicht mehr an. Für die Begründung im Einzelnen wird auf Bl. 88 f. d. A. verwiesen.

Gegen diesen ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 06.05.2022 (Bl. 91 d.A.) zugestellten Beschluss haben die Beteiligten zu 1) und 2) mit einem am 03.06.2022 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingereicht (Bl. 101 d.A.). Es könne kein Zweifel bestehen, dass in der Erklärung der Beteiligten zu 3) vom 31.01.2007 ein ernsthaftes Verlangen zu sehen sei, den Pflichtteil zu beanspruchen. Dabei sei zu beachten, dass in diesem Schreiben ausdrücklich Bezug auf ein vorangegangenes Gespräch am 27.07.2006 genommen werde.

Es handele sich daher um die ausdrückliche Bekräftigung eines zuvor bereits mündlich formulierten Begehrens. Fernliegend sei, hierin nur ein Auskunftsverlangen zu sehen oder die Absicht, das „Verfahren in Gang zu bringen“. Unzutreffend sei die Annahme des Nachlassgerichts, dass die Beteiligte zu 3) in einem von einer Freundin bestätigten Gespräch angegeben habe, den Pflichtteil nicht geltend machen zu wollen.

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Bei dem Gespräch sei es vielmehr darum gegangen, dass die Beteiligte zu 3) nach Vorlage des Bestandsverzeichnisses davon ausgegangen sei, dass der Pflichtteilsanspruch null sei und sie wegen der Überschuldung des Nachlasses deshalb nichts weiter veranlassen würde. Im Schriftsatz vom 16.08.2021 habe der Verfahrensbevollmächtigte selbst erklärt, dass die Beteiligte zu 3) ihren Pflichtteil geltend gemacht habe, dann aber nach Vorlage des Nachlassverzeichnisses davon Abstand genommen habe.

Dieses „Abstand nehmen“ sei nicht erheblich und widerspreche nicht dem erstinstanzlich verfolgten Ansatz, dass wegen der seinerzeit unstreitigen Überschuldung des Nachlasses das, was die Beteiligte zu 3) erhalten konnte, null war, so dass die Beteiligte zu 3) alles beansprucht und erhalten habe, was ihr zustand.

Damit sei das sanktionsauslösende Verhalten von der Beteiligten zu 3) erfüllt worden. Zu Unrecht weise das Nachlassgericht darauf hin, dass die Beteiligte zu 3) nach Erhalt des Nachlassverzeichnisses auch die Möglichkeit gehabt hätte, in erheblichem Umfang ergänzende Auskünfte zu verlangen und eine Wertermittlung gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB anzustreben. Dass die Beteiligte zu 3) keine ergänzenden Wertermittlungen und Auskünfte mehr verlangt habe, sei darauf zurückzuführen, dass sie die erteilte Auskunft für schlüssig und plausibel gehalten habe.

Mit Beschluss vom 18.08.2022 (Bl. 139 d.A.) hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und insbesondere fristgerecht gemäß § 63 FamFG innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses beim Nachlassgericht eingegangen. Als Antragstellerinnen sind die Beteiligten zu 1) und 2) auch beschwerdebefugt (Sternal/Jokisch, FamFG, 21. Auflage 2023, § 59 Rn. 79).

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In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Nachlassgericht die für die Erteilung des von der Beteiligten zu 3) beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und ist davon ausgegangen, dass die Beteiligten Erbinnen zu jeweils 1/3 geworden sind.

Die Erbschaft der Beteiligten zu gleichen Teilen ergibt sich aus der Schlusserbenbestimmung des gemeinschaftlichen Testaments vom 17.07.2002.

Der Auffassung der Beteiligten zu 1) und 2), dass die Beteiligte zu 3) mit ihrem Verhalten nach dem Tod ihres Vaters die Pflichtteilsverwirkungsklausel erfüllt habe, deren Sanktionswirkung greife und die Beteiligte zu 3) daher als Erbin ausscheide, vermag der Senat nicht zu folgen.

Pflichtteilsstrafklauseln verfolgen allgemein das Ziel, dem überlebenden Ehegatten den Nachlass möglichst ungeschmälert zu erhalten (vgl. BayObLG v. 23.10.1990 – Breg 1a Z 50/90, MDR 1991, 252). Der Erblasser will in der Regel mit der Sanktionsklausel seinen überlebenden Ehegatten nicht nur vor einer vorzeitigen Schmälerung der als Einheit gesehenen Erbmasse oder Gefahr einer solchen schützen, sondern ihm auch und gerade die persönlichen Belastungen ersparen, die mit einer Auseinandersetzung mit dem (angeblich) Pflichtteilsberechtigten regelmäßig verbunden sind (vgl. OLG Düsseldorf v. 18.07.2011 – 3 Wx 124/11, NJW-RR 2011, 1515; OLG München v. 29.01.2008 – 31 Wx 68/07, NJW-RR 2008, 1034 m.w.N.).

Eine derartige Klausel verfolgt das Ziel, den Nachlass zunächst dem überlebenden Ehegatten ungeschmälert zukommen zu lassen. Im Zusammenhang mit der Schlusserbenregelung soll die Verwirkungsklausel auch das Interesse der Ehepartner, insbesondere des Erstversterbenden, daran sichern, dass nicht einer der Abkömmlinge bei der Verteilung des elterlichen Gesamtnachlasses bevorteilt wird (OLG München a.a.O. m.w.N.).

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Nach der maßgeblichen Klausel der letztwilligen Verfügung der Ehegatten sollte dasjenige Kind von der Schlusserbschaft ausgenommen sein, das einen Pflichtteil beansprucht und erhalten hat. Von der üblicherweise verwandten Pflichtteilsklausel weicht die gewählte Formulierung insofern ab, als sie sowohl an das Verlangen des Pflichtteils anknüpft als auch an dessen Erhalt. Damit ist Voraussetzung für das Auslösen der Sanktionswirkung nicht nur die Geltendmachung des Pflichtteils gegenüber dem überlebenden Ehegatten, sondern zusätzlich auch ein Mittelabfluss vom Nachlassvermögen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Es bestehen bereits Zweifel, ob in der E-Mail vom 30.01.2007 (Bl. 35 d.A.) die Beanspruchung des Pflichtteils im Sinne der Pflichtteilsklausel des Testaments gesehen werden kann. Insoweit wird auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss verwiesen. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen. Denn jedenfalls hat die Beteiligte zu 3) keinen Pflichtteil und auch sonst nichts aus dem Nachlassvermögen erhalten.

Soweit die Beteiligten zu 1) und 2) die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen der Pflichtteilsklausel erfüllt seien, weil die Beteiligte zu 3) ihren Pflichtteil erhalten habe, dieser aber eben „gleich null“ gewesen sei, folgt der Senat diesem Ansatz nicht. Ungeachtet der Frage, ob der Nachlass zum Zeitpunkt des Todes des Ehegatten tatsächlich überschuldet war, vermag ein ins Leere gehender bzw. wertloser Pflichtteil – der zumal nach der Auskunftserteilung nicht weiterverfolgt wurde – nicht die Sanktionswirkung der testamentarischen Pflichtteilsklausel auszulösen.

Indem die Sanktion der Pflichtteilsklausel an das zusätzliche Erfordernis des „Erhaltens“ geknüpft wurde, machten die Eheleute deutlich, dass es ihnen um das Zusammenhalten des Nachlassvermögens, dessen Werthaltigkeit und den Schutz des überlebenden Ehegatten vor Mittelabflüssen ging. Wenn aber die Beteiligte zu 3) nichts aus dem Nachlass erhalten hat, dann wurde dieser nicht durch Mittelabflüsse an die Beteiligte zu 3) geschmälert. Insoweit besteht auch kein Grund für eine Sanktionierung.

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Mangels Anwendbarkeit der Pflichtteilsstrafklausel ist die Beteiligte zu 3) daher nicht vom Erbe ausgeschlossen, so dass alle drei Beteiligte Erbinnen zu gleichen Teilen geworden sind und die Beschwerde zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, wonach das Gericht die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten aufgeben soll, der es eingelegt hat. Es ist kein Grund erkennbar, von diesem Grundsatz im Hinblick auf die außergerichtlichen Kosten abzuweichen.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor.

Die Wertfestsetzung ergibt sich aus §§ 61, 40 GNotKG. Sie richtet sich gemäß § 61 Abs. 1 GNotKG nach dem Wert der Interessen, denen das Rechtsmittel ausweislich des Antrags des Beschwerdeführers dient. Ziel des Antrags der Beteiligten zu 1) und 2) ist die Erteilung des von ihnen beantragten Erbscheins einerseits und das Verhindern der Erteilung des von der Beklagten zu 3) beantragten Erbscheins andererseits, wobei beide Erbscheine die gleiche Angelegenheit betreffen.

Damit ist für den Geschäftswert auch des Beschwerdeverfahrens die spezielle Regelung betreffend das Verfahren zur Erteilung des Erbscheins in § 40 Abs. 1 GNotKG heranzuziehen, wonach maßgeblich der Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls ist, von dem nur die vom Erblasser herrührenden Verbindlichkeiten abgezogen werden.

Den Wert des Nachlasses schätzt der Senat entsprechend der Angaben des den Erbscheinsantrag vom 23.03.2021 beurkundenden Notar vom 24.03.2021 (Bl. 7 d.A.) auf 750.000 Euro.

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