OLG Hamm 10 W 91/20

August 25, 2023

OLG Hamm 10 W 91/20, Beschluss vom 29.03.2022 – Keine Geltendmachung des Pflichtteils, wenn zuvor erhobene Ansprüche nach Kenntnis von der Pflichtteilsstrafklausel alsbald zurückgezogen werden

Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1.) vom 19.08.2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Medebach vom 17.07.2020 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Beteiligten zu 2.) trägt der Beteiligte zu 1.).

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 199.027,73 EUR festgesetzt.

Gründe OLG Hamm 10 W 91/20
I.

Die Beteiligten zu 1) und 2) sind die Kinder des Erblassers und seiner am 00.00.2018 vorverstorbenen Ehefrau. Der Erblasser errichtete mit seiner Ehefrau am 17.09.2003 ein gemeinschaftliches Ehegattentestament mit folgendem Inhalt:

“Unser Testament.

1.Wir B A, geboren 00.00.1936 und C A, geboren 00.00.1940 setzen uns gegenseitig als Erben ein.

2.Sollte ich, vor meiner Frau C sterben, erbt sie von mir den Anteil der Forstinteressengemeinschaft D

3.Sollte ein Kind nach dem Tod des ersten Verstorbenen das Pflichtteil verlangen, bekommt es nach dem Tod des Zweiten auch nur das ihm zustehende Pflichtteil.

D den 17.09.2003

B A

C A.”

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Die Beteiligte zu 2) erhielt vom Erblasser und seiner Ehefrau mehrmals Sach- und Geldleistungen, die mit insgesamt 20.272,00 EUR beziffert worden sind. Sie unterzeichnete am 09.12.2011 und 15.06.2012 Erklärungen, in denen es heißt, dass die Beträge “auf den Pflichtteil anerkannt werden”. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die handschriftlichen Erklärungen, Bl. 76 f. der Akten, verwiesen.

Zu Lebzeiten übertrugen die Eltern der Beteiligten durch notariellen Vertrag vom 21.12.2016 ihr gesamtes Grundvermögen auf den Beteiligten zu 1). Dieser bestellte den Eltern ein lebenslanges Wohnungsrecht an der Immobilie Estraße 00 in F-D und verpflichtete sich zu bestimmten Versorgungsleistungen. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Kopie der Vertragsurkunde, Bl. 64 ff. der Akte, Bezug genommen. Nach dem Tod des Erblassers bevollmächtigte die Beteiligte zu 2) den Rechtsanwalt G, der sich mit anwaltlichem Schreiben vom 18.11.2019 an den Beteiligten zu 1) wandte. In dem Schreiben heißt es wörtlich:

“2. (…) Ich habe Sie auch insoweit aufzufordern, gem. §§ 2314, 260 Abs. 1 BGB ein Nachlassverzeichnis des Nachlasses Ihrer (…) verstorbenen Mutter zu erstellen, (…). Schließlich habe ich Sie aufzufordern, den sich als Folge Ihrer Auskunftserteilung betreffend der gemeinsamen Mutter zu beziffernden Pflichtteilsanspruch meiner Mandantin einschließlich Pflichtteilsergänzung bis zum 05.12.2019 an meine Mandantschaft zu zahlen.”

Wegen des weiteren Inhalts wird auf das vorgenannte Schreiben Bezug genommen (Bl. 10 ff. d. A.). Das gemeinschaftliche Testament der Eltern der Beteiligten wurde nach beiden Erblassern am 22.11.2019 vom Amtsgericht Medebach eröffnet. Mit weiterem anwaltlichem Schreiben vom 11.12.2019 erklärte die Beteiligte zu 2) gegenüber dem Beteiligten zu 1), klarstellen zu wollen, dass lediglich “Pflichtteilsergänzungsansprüche gestellt werden, nicht jedoch Ansprüche auf Zahlung des Pflichtteils.” Am 18.12.2019 erklärte die Beteiligte zu 2) zu Protokoll der Geschäftsstelle, dass sie keine Pflichtteilsansprüche habe geltend machen wollen. Es handele sich um einen Fehler ihres Anwalts. Sämtliche gemachten Ansprüche ziehe sie hiermit zurück.

Der Beteiligte zu 1.) hat die Erteilung eines Alleinerbscheins zu seinen Gunsten beantragt und sich darauf berufen, dass durch das Anwaltsschreiben der Beteiligten zu 2) vom 18.11.2019 die Pflichtteilsstrafklausel des gemeinschaftlichen Testaments in Kraft getreten sei (Ziff. 3 des Testaments). Der Wortlaut dieser Klausel sei eindeutig. Der Wille der Eltern sei gewesen, das den Pflichtteil verlangende Kind zu bestrafen, unabhängig davon, ob der Pflichtteil nach dem Tod des Erstversterbenden oder erst nach dem Tod des überlebenden Elternteils geltend gemacht werde.

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Die Eltern hätten ihm, dem Beteiligte zu 1), in einem Gespräch im Oktober 2016 erklärt, es sei ihr Wille, dass er das gesamte Erbe bekomme. Ihn als Schlusserben zu schützen, sei Zweck der Pflichtteilsstrafklausel. Griffe die Pflichtteilsklausel nicht ein, hätte die Beteiligte zu 2) die Möglichkeit, sich durch eigene Erklärung entweder zur Pflichtteilsberechtigten oder zur Erbin zu machen.

Dem ist die Beteiligte zu 2) entgegen getreten und hat vorgetragen, keine Pflichtteilsansprüche geltend gemacht zu haben. Es habe sich um einen Fehler ihres Anwalts gehandelt, sodass sie sämtliche geltend gemachten Ansprüche zurückziehe. Deshalb habe sie ihre Stellung als Miterbin nicht verloren. Die Pflichtteilsstrafklausel sei zudem so auszulegen, dass sie nicht eingreife, wenn Pflichtteilsansprüche nach dem Tod des überlebenden Elternteils geltend gemacht würden. Die Beteiligte zu 2) hat beantragt, ihr einen Erbschein zu erteilen, der sie als hälftige Miterbin ausweist.

Das Nachlassgericht hat nach persönlicher Anhörung der Beteiligten durch den angefochtenen Beschluss die Tatsachen, die zur Begründung des Antrags der Beteiligten zu 2) erforderlich sind, für festgestellt erachtet. Den Antrag des Beteiligten zu 1.) auf Erteilung eines Alleinerbscheins hat es zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die im Testament des Erblassers enthaltene Pflichtteilsstrafklausel den hier eingetretenen Fall der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen nach dem Tod des überlebenden Ehegatten nicht erfasse.

Dies folge bereits aus dem Wortlaut, der sich an der insoweit üblichen Pflichtteilsstrafklausel orientiere, die regelmäßig den Zweck habe, den Schlusserben, der nach dem ersten Erbfall seinen Pflichtteil verlange und auf diese Weise das Erbe des überlebenden Ehegatten zu Lebzeiten verringere, auch nach dem zweiten Erbfall nur auf den Pflichtteil zu setzen. Das Ziel dieser Regelung sei es, nach Möglichkeit das Erbe dem überlebenden Ehegatten unvermindert zu erhalten und auf diese Art und Weise für dessen Lebensunterhalt zu sorgen.

Dieses Ziel sei nicht mehr zu verfolgen, wenn ein Erbe erst nach dem zweiten, kurze Zeit nach dem ersten Erbfall eintretenden Erbfall den Pflichtteil hinsichtlich des ersten Verstorbenen verlange. Die Darstellungen und Behauptungen des Beteiligten zu 1) zur Entstehungsgeschichte des Testaments und der weiteren Erklärungen seien nicht geeignet, eine andere Auslegung zu rechtfertigen. Insoweit habe der Wille der Erblasser im Testament keinen Anklang gefunden, obwohl die Möglichkeit bestanden habe, das Testament zu ergänzen.

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In dem Testament vom 17.09.2003 sei keine erbrechtliche Regelung auf den zweiten Erbfall enthalten, sodass die gesetzliche Erbfolge gelte und die Beteiligten hälftige Miterben ihres zuletzt verstorbenen Vaters geworden seien. Das Schreiben des früheren Bevollmächtigten der Beteiligten zu 2) vom 18.11.2019 habe schließlich die Pflichtteilsstrafklausel nicht ausgelöst. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 1) mit seiner Beschwerde und trägt zur Begründung vor, das Nachlassgericht habe rechtsfehlerhaft die Pflichtteilsstrafklausel ausgelegt, obgleich die Klausel in der Formulierung eindeutig sei.

Mit Schreiben vom 18.11.2019 habe der ehemals Bevollmächtigte der Beteiligten zu 2) ausdrücklich die Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche für den Todesfall der Mutter reklamiert und so sowohl zivilrechtlich als auch zivilprozessual die Voraussetzung der Pflichtteilsstrafklausel ausgelöst. Diese Subsumtion zeige, dass eine Auslegung gar nicht angezeigt gewesen sei, weil das Testament keine Unklarheit aufweise. Es liege keine ungewollte Regelungslücke vor.

Aus dem Testament folge, dass für den Fall, dass ein Abkömmling nach dem Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil verlange, er auch nach dem Tod des Längstlebenden auf den Pflichtteil gesetzt werde. Entscheide sich der Abkömmling für den Pflichtteil – auch erst nach dem Tod des Letztversterbenden – so solle dieser kein gesetzlicher Erbe mehr werden.

Ferner ist der Beteiligte zu 1) der Ansicht, dass es nicht nachvollziehbar sei, warum das Nachlassgericht in dem Schreiben des Bevollmächtigten der Beteiligten zu 2) vom 18.11.2019 nur die Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs sehe. Die Formulierungen in dem Schreiben wiesen die notwendige Intensität des Verlangens aus.

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Sie beinhalteten das ausdrückliche und ernsthafte Verlangen des Pflichtteils- als auch des Pflichtteilsergänzungsanspruchs. Die vom Amtsgericht gefundene Auslegung verstoße gegen die Testierfreiheit gem. Art. 14 GG und missachte das nach Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.

Der Beteiligte zu 1.) beantragt,

  1. den Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Medebach vom 17.07.2020 zum Aktenzeichen 9 VI 216/19, aufzuheben und
  2. das Nachlassgericht anzuweisen, dem Beschwerdeführer einen Alleinerbschein zu seinen Gunsten nach Tode des Herrn B A, geboren am 00.00.1936 in D, jetzt F, mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in F zu erteilen.

Die Beteiligte zu 2.) beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss und verweist zustimmend auf die Begründung des Nachlassgerichts. Die Pflichtteilsstrafklausel solle den überlebenden Ehegatten vor der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen eines ihrer Kinder schützen. Das folge aus dem Wortlaut der Klausel, der dem üblicher Pflichtteilsstrafklauseln entspreche. Wenn die Eltern unter allen Umständen die Beteiligte zu 2) auf ihren Pflichtteil hätten setzen wollen, hätten sie ihr gemeinschaftliches Testament entsprechend ergänzt. Schließlich sei aus diesen Gründen irrelevant, ob die Pflichtteilsklausel bereits ausgelöst worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Verfahrensstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 20.08.2020 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

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Die nach §§ 58 Abs. 1, 352e FamFG statthafte und nach §§ 59 Abs. 2, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 FamFG auch ansonsten zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 1) ist unbegründet.

Im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht den Antrag des Beteiligten zu 1) auf Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben ausweist, zurückgewiesen und dem Antrag der Beteiligten zu 2) stattgegeben. Auch nach Auffassung des Senats sind die beiden Beteiligten zu 1) und 2) zu je ½ Miterben des Erblassers.

  1. Die Beteiligten zu 1) und 2) haben den Erblasser nicht aufgrund der letztwilligen Verfügung vom 17.09.2003, sondern kraft gesetzlichen Erbrechts gem. § 1924 Abs. 2 BGB gemeinsam beerbt.

Aus dem Testament ergibt sich ausdrücklich keine Erbeinsetzung der Beteiligten als Schlusserben des Erblassers. Der Erblasser und seine Ehefrau haben in ihrer gemeinschaftlichen letztwilligen Verfügung lediglich ihre gegenseitige Einsetzung als Alleinerben geregelt. Auch im Wege der ergänzenden Auslegung lässt sich ihrem Testament keine Schlusserbeneinsetzung entnehmen.

Zwar kann sich auch im Wege der ergänzenden Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments ergeben, dass der beiderseitige Nachlass nach dem Tod des überlebenden Ehegatten den Kindern als Schlusserben zufallen soll, auch wenn eine Schlusserbeneinsetzung nicht ausdrücklich in dem Testament der Eltern angeordnet worden ist.

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Dafür kann eine in dem Testament enthaltende Pflichtteilsstrafklausel ein wichtiges Indiz darstellen, insbesondere dann, wenn es sich – wie hier – um ein privatschriftliches eigenhändiges Testament handelt (Reymann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 2270 BGB (Stand: 03.04.2020 Rn. 60 f.; Grüneberg-Weidlich, BGB, § 2269 Rn. 8). Eine solche Klausel lässt jedoch nicht zwingend auf den Willen schließen, die Kinder als Schlusserben einzusetzen. Durch die Klausel kann dieser Wille der Eltern zwar angedeutet werden, jedoch nicht allein, sondern nur mit entsprechenden anderen Hinweisen (MüKoBGB/Musielak, 8. Aufl. 2020, BGB § 2269 Rn. 14).

Kann aus dem Gesamtzusammenhang des Testaments oder aufgrund außertestamentarischer Umstände nicht festgestellt werden kann, dass sich hinter der Pflichtteilsstrafklausel der Wille verbirgt, die Kinder als Schlusserben einzusetzen, muss es dabei bleiben, dass lediglich eine gegenseitige Einsetzung der Ehegatten als Alleinerben, jedoch keine Einsetzung der Kinder als Erben des Längstlebenden angeordnet worden ist. Dass die Eheleute etwas anderes wollten als sie niedergeschrieben haben, darf nicht unterstellt werden, wenn es keinen Anhaltspunkt für einen solchen anderen Willen gibt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Januar 2006 – 14 Wx 28/05 -, juris).

So liegt der Fall hier. Das vorliegende Testament enthält zwar in Ziff. 3 eine Pflichtteilsstrafklausel, nach der ein Kind, das nach dem Tod des ersten Verstorbenen das Pflichtteil verlangt, auch nach dem Tod des überlebenden Ehegatten nur den ihm zustehenden Pflichtteil bekommt.

Diese Klausel allein reicht für die Annahme, dass auch eine Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder gewollt war, nicht aus. Weitere Anhaltspunkte, die diese Auslegung rechtfertigen könnten, lassen sich dem Testament nicht entnehmen. Außerhalb des Testaments liegende Umstände, die für eine solche Auslegung sprechen könnten, hat die Beteiligte zu 2) nicht vorgetragen.

Der Inhalt des von dem Beteiligten zu 1) geschilderten Gesprächs mit den Eltern im Oktober 2016 lässt sogar eher den gegenteiligen Schluss zu. Dementsprechend kann nur angenommen werden, dass der Erblasser und seine Ehefrau bewusst auf eine Erbeinsetzung ihrer Kinder verzichtet haben und es bei der gesetzlichen Erbfolge belassen wollten.

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Diese sieht vor, dass die Abkömmlinge des Erblassers diesen zu gleichen Teilen gemeinsam beerben, §§ 1924, 2032 BGB.

Die Beteiligte zu 2) ist nicht aufgrund der in dem Testament geregelten Pflichtteilsstrafklausel enterbt. Ob eine in einem gemeinschaftlichen Testament enthaltene Pflichtteilsstrafklausel auch nach dem Tod des Zuletztversterbenden ausgelöst werden kann, ist durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Obergerichte nur bei Vorliegen der Anordnung einer Schlusserbeneinsetzung geklärt. In dem Fall, in dem – wie hier – nach dem Tod des überlebenden Ehegatten die gesetzliche Erbfolge eingreift, wird diese Frage in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beantwortet. Sie bedarf indessen keiner Entscheidung.

a) Der Bundesgerichtshof geht bei einer in dem gemeinschaftlichen Testament enthaltenen Schlusserbeneinsetzung davon aus, dass diese infolge der Pflichtteilsklausel auflösend bedingt ist. Die Schlusserbeneinsetzung der Abkömmlinge des erstversterbenden Ehegatten wird an eine auflösende Bedingung i.S.v. § 2075 BGB geknüpft, die mit der Zuwiderhandlung gegen die Klausel eintritt.

Daher sei – so der Bundesgerichtshof – anerkannt, dass der Eintritt der auflösenden Bedingung auch noch nach dem Tod des überlebenden Ehegatten herbeigeführt werden kann (BGH, Urteil vom 12. Juli 2006 – IV ZR 298/03 -, juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. Oktober 1998 – 3 W 116/98 -, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09. November 1978 – 8 W 507/78 -, juris, jeweils m.w.Nw.).

b) Die Übertragung dieser Grundsätze auf den hier vorliegenden Fall, dass sich dem Testament keine Schlusserbeneinsetzung entnehmen lässt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart regelt die Pflichtteilsstrafklausel in einem solchen Fall keine auflösende Bedingung einer Erbeinsetzung auf den Überlebenden.

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Vielmehr werde ein Abkömmling, der auf den Tod des Zuerstversterbenden den Pflichtteil verlangt, durch die Klausel von der Erbfolge am Überlebenden ausgeschlossen.

Es handele sich daher um eine – aufschiebend bedingte – Enterbung ohne Erbeinsetzung gemäß § 1938 BGB. Da aber die gesetzliche Erbfolge mit dem Eintritt des Erbfalls festliege, könne sie nicht von Ereignissen nach dem Erbfall abhängen, deren Wirkung nicht wie bei der Ausschlagung oder der Feststellung der Erbunwürdigkeit auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurück zu beziehen sei. Eine Enterbung könne daher nur dergestalt bedingt angeordnet werden, dass sie von einem vor dem Erbfall eintretenden Ereignis abhängig gemacht werde; im Übrigen sei die Enterbung bedingungs- und befristungsfeindlich.

Demgemäß könne ein Pflichtteilsverlangen auf den Tod des Zuerstversterbenden nur bis zum Tod des Letztversterbenden zum Ausschluss von der gesetzlichen Erbfolge führen (OLG Stuttgart, Beschl. v. 09.08.2017 – 8 W 336/15 – juris Rn. 19 unter Hinweis auf Staudinger/Otte, BGB, 2017, § 1938 Rz. 6a; ebenso: Birkenheier in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 2317 BGB (Stand: 03.04.2020) Rn. 43; a.A. BeckOGK/Tegelkamp, 15.1.2022, BGB § 1938 Rn. 9; MüKoBGB/Leipold, 8. Aufl. 2020, BGB § 1938 Rn. 3, 4; Grüneberg-Weidlich, BGB, § 1938 Rn. 3).

c) Ob im vorliegenden Fall dieser durchaus einleuchtenden Begründung zu folgen ist, bedarf keiner Entscheidung. Es lässt sich nicht feststellen, dass die Beteiligte zu 2) durch ihr Verhalten nach dem Tod des Erblassers die in dem Testament der Eltern enthaltene Pflichtteilsstrafklausel überhaupt ausgelöst hat.

aa) Für das Eingreifen der Verwirkungsklausel ist es nicht erforderlich, dass der Pflichtteil tatsächlich ausgezahlt oder gerichtlich geltend gemacht wird. Es genügt vielmehr, dass der Abkömmling versucht hat, den Pflichtteil zu erhalten (OLG München, Beschluss vom 29. Januar 2008 – 31 Wx 68/07 -, juris). Welches Verhalten im Einzelfall ausreicht, um die Pflichtteilsstrafklausel auszulösen, richtet sich nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen der Testierenden.

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Nach üblichem Verständnis greift sie, wenn der Schlusserbe in objektiver Hinsicht den Pflichtteil ausdrücklich und ernsthaft fordert und in subjektiver Hinsicht dabei bewusst in Kenntnis der Verwirkungsklausel handelt (Grüneberg-Weidlich, BGB, § 2269 BGB, Rn. 14; OLG Köln, Beschluss vom 27. September 2018 – 2 Wx 314/18 -, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20. Januar 2004 – 1Z BR 134/02 -, juris).

Weitere subjektive Voraussetzungen, etwa ein bewusstes oder gar böswilliges Auflehnen gegen den Erblasserwillen, sind nicht erforderlich (OLG Hamm, Beschluss vom 13. Februar 2013 – I-15 W 421/12 -, juris). Ist – wie im vorliegenden Fall – Voraussetzung für die Strafklausel, dass der Pflichtteil “verlangt” wird, setzt das zwar nicht die Bezifferung oder gar Auszahlung voraus, jedoch eine von gewisser Ernsthaftigkeit und Intensität gekennzeichnete Interessenwahrung, (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Juli 2011 – I-3 Wx 124/11 -, juris). Ob der Pflichtteilsberechtigte zu erkennen gibt, den Pflichtteil ernsthaft geltend machen zu wollen, ist dabei aus der Sicht des Erben unter Zugrundelegung des objektiven Empfängerhorizonts zu beurteilen (OLG Rostock, Beschluss vom 11. Dezember 2014 – 3 W 138/13 -, juris).

bb) Nach Auffassung des Senats hat das Nachlassgericht zutreffend ein ernsthaftes Verlangen des Pflichtteils nach der vorverstorbenen Mutter durch die Beteiligte zu 2) abgelehnt. Das Verhalten der Beteiligten zu 2) genügt nicht für die Annahme einer von “gewisser Ernsthaftigkeit und Intensität gekennzeichneten Interessenwahrung” (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Juli 2011 – I-3 Wx 124/11 -, juris; OLG Köln, Beschluss vom 27. September 2018 – 2 Wx 314/18 -, juris).

Allein das im Auftrag der Beteiligten zu 2) erstellte anwaltliche Schreiben vom 18.11.2019 reicht – wie schon das Nachlassgericht mit beachtlichen Argumenten ausgeführt hat – bei verständiger Würdigung auch unter Berücksichtigung der Sicht des Beteiligten zu 1) für die Annahme eines ernstlichen Verlangens im dargelegten Sinn nicht aus.

Denn anders als in den Fällen, die den oben zitierten Entscheidungen zugrunde lagen, hat die Beteiligte zu 2) ihre Ansprüche vorliegend gerade nicht nachdrücklich durch mehrfache anwaltliche Schreiben oder sonstige Maßnahmen verfolgt.

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Vielmehr hat sie alsbald von der Geltendmachung der Ansprüche Abstand genommen und gegenüber dem Nachlassgericht erklärt, ihre Ansprüche hiermit zurückzuziehen. Diese Erklärung ist dem Beteiligten zu 1) mit Verfügung vom 19.12.2019 übersandt worden. Zuvor hatte die Beteiligte zu 2) schon durch ihren Rechtsanwalt gegenüber dem Beteiligten zu 1) klargestellt, keine Pflichtteilsansprüche geltend machen zu wollen.

Dieses Vorgehen ist vor dem, dem Beteiligten zu 1) bekannten, Hintergrund zu sehen, dass der Beteiligten zu 2) das gemeinschaftliche Testament der Eltern vom 17.09.2003 in beglaubigter Kopie erstmals am 22.11.2019 zusammen mit dem Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) vom Nachlassgericht übersandt worden war, mithin erst nachdem das Schreiben vom 18.11.2019 dem Beteiligten zu 1) bereits zugegangen war.

Bei dieser Sachlage erscheint zudem zweifelhaft, ob die Beteiligte zu 2) ihren Anspruch auf den Pflichtteil überhaupt bewusst in Kenntnis der Strafklausel geltend gemacht hat. Zuverlässig hat die Beteiligte zu 2) erst von dem Testament und der darin enthaltenen Pflichtteilsstrafklausel erst nach dessen Eröffnung durch das Nachlassgericht erhalten. Entgegen § 2259 BGB war das Testament nicht schon nach dem Tod der Mutter der Beteiligten am 00.00.2018 und auch nicht unverzüglich nach dem zwischen dem 00.10.2019, 19:30 Uhr und dem 00.00.2019, 15:15 Uhr eingetretenen Tod des Erblassers beim Nachlassgericht abgeliefert worden.

Dass die Beteiligte zu 2) möglicherweise – wie der Beteiligte zu 1) mit Schriftsatz vom 17.04.2020 vorgetragen hat – bereits anlässlich eines Gesprächs am 15.10.2019 eine Kopie des Testaments von ihm erhalten hatte, ist nicht entscheidend.

Aufgrund dessen kann noch nicht von einer zuverlässigen Kenntnisnahme der Beteiligten zu 2) von der Pflichtteilsstrafklausel ausgegangen werden. Wie aus dem Vorbringen des Beteiligten zu 1) hervorgeht, hat das Gespräch in einer angespannten Situation stattgefunden, in der sich bereits ein Streit zwischen den Beteiligten um die Erbschaft abzeichnete.

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Die Beteiligte zu 2) musste deshalb nicht darauf vertrauen, dass ihr die Kopie eines Testaments übergeben worden ist, das tatsächlich den letzten Willen der Eltern wieder gab, zumal sich in dem Testament Durchstreichungen befinden.

Das erklärt auch den von dem Rechtsanwalt der Beteiligten zu 2) in dem Schreiben vom 18.11.2019 formulierten Vorbehalt, dass die gesetzliche Erbfolge gelte, “wenn das Testament der Eltern vom 17.09.2003 noch gültig ist”.

Daran bestanden nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des notariellen Übertragungsvertrages der Eltern mit dem Beteiligten zu 1) vom 21.12.2016 durchaus berechtigte Zweifel.

Diese gesamten Umstände lassen es nachvollziehbar erscheinen, dass die Beteiligte zu 2) alsbald nach Eröffnung des Testaments und Kenntnisnahme von dessen Inhalt gegenüber dem Amtsgericht und dem Beteiligten zu 1) erklärt hat, keine Pflichtteilsansprüche geltend machen zu wollen.

In einem solchen Fall hat das OLG Rostock die Pflichtteilsstrafklausel als nicht verwirkt angesehen (OLG Rostock, Beschluss vom 11. Dezember 2014 – 3 W 138/13 -, juris). Dieser Auffassung schließt sich der Senat vorliegend an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die hierfür nach § 70 Abs. 1 S. 1 FamFG erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Es handelt sich um eine Entscheidung im Einzelfall, die einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf §§ 61 Abs. 1, 40 Abs. 1 GNotKG.

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