OLG Hamm I-15 W 112/13, 15 W 112/13

August 11, 2017

OLG Hamm I-15 W 112/13, 15 W 112/13 Grundbuchverfahren: Aufschiebend bedingte Vollerbeinsetzung, Nachweis des Bedingungseintritts

1. Die Bestimmung in einem notariellen Testament, die zur Vorerbin berufene überlebende Ehefrau sei zur freien Verfügung über den Nachlass berechtigt, wenn mehr als eines der bedachten Kinder nach dem Tode des Erblassers den Pflichtteil geltend machen, kann gem. § 35 Abs. 1 Satz 2 GBO auch im Grundbuchverfahren dahin ausgelegt werden, dass für den Fall des Bedingungseintritts die überlebende Ehefrau als Vollerbin eingesetzt ist.(Rn.12)

2. Der Bedingungseintritt kann im Grundbuchverfahren durch die Vorlage eines notariellen Vertrages nachgewiesen werden, durch den alle Kinder ihre Nacherbenanwartschaft auf die überlebende Ehefrau gegen Zahlung einer Abfindung übertragen, die vereinbarungsgemäß ihren Pflichtteilsanspruch abdeckt.(Rn.13)

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Das Grundbuchamt wird angewiesen, den Berichtigungsantrag der Beteiligten vom 23.11.2012 zu vollziehen.

Gründe

I.

In dem eingangs genannten Grundbuch ist der Polizeimeister T (im Folgenden: Erblasser) als Eigentümer eingetragen. Die Beteiligte ist dessen zweite Ehefrau.

OLG Hamm I-15 W 112/13

Durch notarielles Testament vom 06.11.1991 (UR-Nr. 330/1991 des Notars G in L) setzte der Erblasser die Beteiligte als seine Vorerbin und seine beiden Töchter aus erster Ehe S und N als Nacherben ein. Weiter bestimmte er in § 3 der notariellen Urkunde, dass die Beteiligte berechtigt sei, frei über den Nachlass zu verfügen, falls mehr als eines seiner Kinder nach seinem Tod den Pflichtteil geltend mache. Durch weiteres Testament vom 12.12.1997 (UR-Nr. 444/1997 Nota G) setzte der Erblasser unter Aufrechterhaltung der weiteren Bestimmungen der Urkunde vom 06.11.1991 seine ebenfalls aus erster Ehe stammende Tochter U als weitere Erbin ein.

Der Erblasser verstarb am 12.02.2006. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 26.07.2007 (UR-Nr. 262/2007 des Notars H in L) übertrugen die drei Töchter des Erblassers ihr Nacherbenanwartschaftsrecht auf die Beteiligte. Die Übertragung erfolgte gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von jeweils 17.000 €. Dieser Betrag überstieg nach den im Vertrag niedergelegten Vorstellungen aller Vertragsbeteiligten den Pflichtteilsbetrag, den sie mit 13.555,29 € berechnet hatten.

Mit unterschriftsbeglaubigter Erklärung vom 23.11.2012 (UR-Nr. 721/2012 des Notars X in L) beantragte die Beteiligte die Berichtigung des Grundbuchs dahin, dass sie als Eigentümerin eingetragen wird.

Diesen Antrag wies das Grundbuchamt mit Beschluss vom 08.02.2013 zurück. Zur Begründung machte es im Wesentlichen geltend, dass die Abtretung im Falle des Vorversterbens einer Nacherbin vor Eintritt des Nacherbfalls ins Leere gehe, weil nach der gesetzlichen Auslegungsregel der §§ 2100, 2096, 2069 BGB für diesen Fall etwa vorhandene Abkömmlinge der verstorbenen Nacherbin an deren Stelle treten. Die Beteiligte könne deshalb nicht ohne gleichzeitige Eintragung eines Nacherbenvermerks (§ 51 GBO) im Wege der Berichtigung als Eigentümerin eingetragen werden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Beteiligten.

II.

OLG Hamm I-15 W 112/13

Die namens der Beteiligten eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss vom 08.02.2013 ist nach §§ 71, 73 GBO zulässig.

In der Sache hat die Beschwerde Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, weil – entgegen der Auffassung des Grundbuchamts – hinreichend nachgewiesen ist, dass die Beteiligte Vollerbin geworden ist. Für ihre Eintragung als Eigentümerin im Berichtigungswege bedarf es deshalb weder der Zustimmung unbekannter Ersatznacherben noch der Vorlage eines Erbscheins ohne Nacherbenvermerk. Diese Beurteilung des Senats beruht im Einzelnen auf folgenden Erwägungen:

Ein Nacherbe erwirbt bereits vor dem Nacherbfall mit dem Tod des Erblassers eine unentziehbare und gesicherte Rechtsposition, die in ihrer Gesamtheit ein erbrechtliches Anwartschaftsrecht bildet (RGZ 101, 185; BGHZ 87, 367 = NJW 1983, 244). Nach allgemeiner Ansicht kann der Nacherbe über sein Anwartschaftsrecht verfügen (BGH a.a.O.). Damit wird ihm die Möglichkeit gegeben, analog § 2033 BGB seine Rechtsposition bereits vor Eintritt des Nacherbfalls zu verwerten; aus der analogen Anwendung folgt, dass der Verfügungsvertrag der notariellen Beurkundung bedarf, § 2033 Abs. 1 S. 2 BGB (Brox, Erbrecht, 19. Aufl., Rn. 358).

Überträgt der Nacherbe seine Anwartschaft auf den Vorerben, so wird dieser dadurch zum unbeschränkten Vollerben (Konfusion/Konsolidation), es sei denn, es kann nur eingeschränkt, z.B. aufgrund der Anordnung einer Ersatznacherbschaft, auf den Vorerben übertragen werden (BGH ZEV 1995, 453; BFH NJW-RR 1996, 514; BayObLG FamRZ 1992, 728; BayObLGZ 1970, 137 = NJW 1970, 1794; so der Fall des Senats in NJW 1970, 1606; LG München MittBayNot 1980, 29; MünchKommBGB/Grunsky, 5. Aufl., § 2100 Rn. 35; Staudinger/Avenarius [2013] § 2100 Rn. 85).

OLG Hamm I-15 W 112/13

Im vorliegenden Fall kommt es deshalb maßgeblich darauf an, ob im Wege der Auslegung der letztwilligen Verfügung des Erblassers festgestellt werden kann, dass für den Fall des Vorversterbens der Nacherbinnen vor Eintritt des Nacherbfalls eine Ersatznacherbfolge angeordnet ist.

Die hier vorliegenden notariellen Testamente des Erblassers sind nach § 35 Abs. 1 S. 2 GBO von dem Grundbuchamt selbständig auszulegen. Nur wenn sich Zweifel ergeben, die nur durch weitere tatsächliche Ermittlungen geklärt werden können, hat das Grundbuchamt die Grundbuchberichtigung von der Vorlage eines Erbscheins abhängig zu machen (vgl. Demharter, GBO, 28. Aufl., § 35, Rdnr. 39 m.w.N.).

Die Testamente enthalten allerdings sprachlich keine ausdrückliche Regelung zur der Frage, ob der Erblasser für den Fall des Vorversterbens der Nacherbinnen vor Eintritt des Nacherbfalls eine Ersatznacherbfolge hat anordnen wollen. Im Grundsatz zutreffend hat das Grundbuchamt in dieser Situation die Anwendung der Auslegungsregel des § 2069 BGB in Betracht gezogen, die tatbestandlich anwendbar ist und die Annahme einer Ersatznacherbfolge durch etwaige beim Eintritt des Nacherbfalls vorhandene Abkömmlinge der Nacherbinnen begründen würde.

Der Anwendung der Auslegungsregel geht jedoch die individuelle Auslegung des Testaments vor, die nach Auffassung des Senats hier zweifelsfrei zu dem Ergebnis führt, dass der Erblasser die Beteiligte aufschiebend bedingt zur Vollerbin hat einsetzen wollen, diese Bedingung hier eingetreten ist und damit die Beschränkungen der Nacherbfolge insgesamt weggefallen sind.

OLG Hamm I-15 W 112/13

Grundlage dieser Auslegung ist die Bestimmung in § 3 des Testamentes vom 06.11.1991, die durch das weitere Testament vom 12.12.1997 nicht geändert worden ist.

Danach soll die Beteiligte berechtigt sein, frei über den Nachlass zu verfügen, falls mehr als eines der bedachten Kinder nach dem Tod des Erblassers den Pflichtteil geltend macht. Im Zusammenhang mit der zuvor angeordneten Nacherbfolge kann die Befugnis der Beteiligten, unter der genannten Bedingung über den Nachlass frei zu verfügen, nur bedeuten, dass die Verfügungsbeschränkungen der Nacherbfolge entfallen sollen, sie also die Rechtsstellung einer Vollerbin erhält.

Einbezogen in die erweiterte Erbeinsetzung im Testament vom 12.12.1997 folgt daraus, dass bereits bei einem Pflichtteilsverlangen von zwei der eingesetzten Nacherbinnen die Nacherbfolge insgesamt entfällt, also auch die dritte Nacherbin den Verlust ihrer Nacherbenstellung hinnehmen muss, sofern nur zwei ihrer Schwestern ihren Pflichtteil verlangen sollten.

Deutlich wird daraus die beabsichtigte Schutzwirkung der Regelung zugunsten der Beteiligten als überlebender Ehefrau: Sollte sie gezwungen sein, zur Bedienung des Pflichtteils auch nur von zwei der eingesetzten Nacherbinnen den Nachlass verwerten zu müssen, sollte ihre Bindung durch die Beschränkungen der Nacherbfolge insgesamt entfallen.

Bedingung für den Eintritt der Vollerbenstellung der Beteiligten ist nach § 3 des Testamentes vom 06.11.1991 bereits die Geltendmachung des Pflichtteils durch zwei der Nacherbinnen. Auf die Abwicklung eines Pflichtteilsverlangens, also etwa darauf, ob eine vertragliche Vereinbarung oder eine streitige Auseinandersetzung darüber erfolgt und ob und in welcher Höhe ein bestimmter Betrag ausgezahlt wird, kommt es nach der testamentarischen Regelung hingegen nicht an.

OLG Hamm I-15 W 112/13

Deshalb bestehen keine Bedenken gegen die Annahme, dass nach dem maßgebenden Willen des Erblassers diese Regelung auch dann eingreifen soll, wenn – wie hier durch die notarielle Urkunde vom 26.07.2007 nachgewiesen – zwischen der überlebenden Ehefrau und allen drei Nacherbinnen ein Vertrag geschlossen wird, durch den diese für die Übertragung ihrer Nacherbenanwartschaft eine mit je 17.000,00 € vereinbarte Abfindung erhalten.

Im Hinblick auf den Sinngehalt der testamentarischen Regelung ist maßgebend, dass die Vereinbarung vom 26.07.2007 ausdrücklich zumindest auch der Abgeltung der Pflichtteilsansprüche der Nacherbinnen dienen sollte, auf deren Berechnung sich die Vertragsparteien in dieser Urkunde geeinigt haben.

Es ist deshalb mit Händen greifbar, dass nach dem bereits hervorgehobenen Schutzzweck der testamentarischen Regelung die Beteiligte die Rechtsstellung einer Vollerbin auch dann erwerben sollte, wenn sie in der geschilderten Weise mit ihren sämtlichen Stieftöchtern eine vertragliche Gesamtregelung ihrer erbrechtlichen Abfindung für den Nachlass des Erblassers traf.

Auf die weiteren in der Begründung der Beschwerde angesprochenen Auslegungsfragen kommt es danach für die hier zu treffende Entscheidung nicht mehr an.

Eine Wertfestsetzung ist wegen des Erfolgs der Beschwerde nicht veranlasst.

OLG Hamm I-15 W 112/13

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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